Michael Müllers Rückgrat

Berlins regierender Bürgermeister wünscht Andrej Holms Entlassung.

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Und ich will meine Wahlstimme zurück! Das ist nicht der Senat und nicht der Regierende, von dem ich mich regieren lassen will.

Noch am 12. Januar ließ Michael Müller verlauten:

Man muss trennen zwischen dem, was ein 16- oder 18-Jähriger als Fehler gemacht hat und dem, was ein erwachsener Wissenschaftler später daraus gemacht hat.

Heute, nur zwei Tage später, läßt er sich so vernehmen:

Andrej Holm hat in den letzten Wochen Gelegenheit gehabt, sich und seinen Umgang mit der eigenen Biografie zu überprüfen und zu entscheiden, ob er ein hohes politisches Staatsamt ausfüllen kann.

Diese Möglichkeit hat ihm der Senat ausdrücklich eingeräumt.

Seine Interviews und Aussagen in dieser Frage zeigen mir, dass er zu dieser Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen nicht ausreichend in der Lage ist. Nur so konnte es in den letzten Wochen zu politischen und gesellschaftlichen Diskussionen kommen, die nur den Rückschluss erlauben, dass Herr Holm die ihm anvertrauten für diese Stadt extrem wichtigen wohnungspolitischen Fragen nicht in dem notwendigen Maß erfüllen kann.

Gerade in Berlin, der Stadt der Teilung, darf es keinen Zweifel am aufrichtigen Umgang mit der eigenen Geschichte geben – sowohl in den vergangenen Jahren als auch heute.

Ein Staatssekretär hat nicht nur fachliche Verantwortung, er führt eine Verwaltung, übernimmt damit auch als hoher politischer Beamter Verantwortung für Menschen. Polarisierung in dieser Rolle kann nicht den gemeinsamen Zielen dieser Koalition dienen. Vielmehr schadet es der Umsetzung einer glaubwürdigen Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik des Senats.

Dieser Teil unserer Senatspolitik ist für die Menschen dieser Stadt und damit für die Koalition von so großer Bedeutung, dass ich mich nach reiflicher Überlegung und intensiven Gesprächen mit den Koalitionspartnern entschlossen habe, die zuständige Senatorin zu bitten, dem Senat eine Vorlage zur Entlassung des Staatssekretärs Dr. Andrej Holm vorzulegen.

Kaum wurde dem regierenden Bürgermeister in einigen Postillen „mangelnde Richtlinienkompetenz“ unterstellt, schon gibt er klein bei, knickst vor den Immobilienverwertern (auch denen in der eigenen Partei), wirft sich vor selbsternannten Stasiopfer-Vertretern in den Staub, beugt sich den neoliberalen Besserberlinern, leckt Speichel beim ‚Qualitätsjournalismus‘ von Drecksblättern wie der B.Z. und wünscht Andrej Holms Rauswurf.

Eine der gröberen Unverschämtheiten in Müllers Presseerklärung ist die Unterstellung eines „unaufrichtigen Umgangs mit der eigenen Geschichte„, eine zweite der Unterschub, Andrej Holm sei zu „Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen“ nicht in der Lage. Fehlt eigentlich nur noch der Standardsatz des Patriarchen, die Prügel tue ihm mehr weh als dem Geprügelten.

Daß Müller auch noch die Formulierung einer „glaubwürdigen Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik“ in den Mund nimmt und aber den einzigen Garanten dafür – nämlich für eine späte Notbremsung der Wohnraumverwertung zur Geldvermehrung inklusive Verdrängung vieler Nichtwohlhabenden aus der Berliner Innenstadt – gefeuert sehen will, ist an Rückgratlosigkeit und an Chuzpe kaum überbietbar.

Sie denken es sich wahrscheinlich schon: mir ist übel.


Foto: StagiaireMGIMO, Wikimedia Commons


Zum gleichen Thema: Einmal Stasi, immer Stasi, wo Sie u.a. die Kampagnen gegen Andrej Holm dokumentiert finden.


 

Mmmmh, ’s geht noch dreckiger. Um etwa 16h45 bei Die Linke. Berlin auf Twitter:

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darunter der Retweet einer interessanten Unterhaltung:

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Nur für den Fall, daß irgendwer hier glaubt, es handele sich beim Umgang mit der Personalie Holm nur um ein Berliner Wasserglasstürmchen. Die SPD ist die Partei, die einen Herrn Sarrazin auch im zweiten Anlauf nicht aus der Partei warf und die nie irgendein Problem damit erkennen ließ, in Berlin mit Figuren wie Frank Henkel zu regieren. R2G in Berlin wird als Gradmesser einer rot-rot-grünen Koalition auf Bundesebene gehandelt. Und wer braucht noch Feinde, wenn er Parteifreunde wie Klaus Lederer und die rechtsaußen werbende Sahra Wagenknecht hat und eine Koalition mit der SPD der Müllers, Kohlmeiers, Schreibers und Sarrazins eingeht?


 

56 Kommentare zu „Michael Müllers Rückgrat

  1. Es war zu erwarten und es wurde von allen Seiten alles daran gesetzt Holm loszuwerden. Niemand wollte seinen Teil vom Kuchen gefährdet sehen. Dieses ganze Stasi-Getue war ganz offenkundig vorgeschoben. Und alle haben sich daran beteiligt. BZ, FAZ, Tagesspiegel usw.

    Müller hat kein Rückgrat und er wird nichts, aber auch gar nichts tun, was Investoren verärgern oder mit den Interessen der eigenen Parteifreunde kollidieren könnte.

    Was da abgelaufen ist, ist einfach nur widerlich.

    1. Klar war das zu erwarten.
      Aber wäre es nicht schön gewesen, sich wenigstens dieses Mal zu irren?

      Mir ist nur zu gut im Gedächtnis, daß und wie Andrej Holm und Familie ewige Zeiten bespitzelt und er verhaftet wurde. Weil er ‚Gentrifizierung‘ gesagt hatte. Auch das war: einfach nur widerlich.

      Ein bißchen gespannt bin ich ja noch, wie sich die HU verhalten wird. Wenn das so weitergeht, wird Andrej Holm auch noch die Rückkehr an die Uni versperrt.
      Alles aus dem Kuchenwahrungs-Handbuch: wie mache ich den politischen Gegner unschädlich.

      1. Ich erinnere mich auch noch gut an das, was man mit Holm und seiner Familie veranstaltet hat, aus einem vagen Verdacht oder einer bloßen Unterstellung heraus. Bis heute geifert die FAZ und allen voran Don A. noch über den Sozialisten, den der Staatsschutz im Visier hatte. Nie konnte man ihm etwas nachweisen und auch die aktuellen Beschuldigungen sind derart lächerlich und durchschaubar.
        Ich bin beinahe sicher, dass Holm auch noch seine Anstellung an der HU verlieren wird.

        Ich habe gejubelt als Holm Staatssekretär werden sollte und für einen Moment glaubte ich tatsächlich, dass sich etwas ändern würde. Das wird es nicht.

        Ich bin gespannt, wie die Linke sich verhalten wird.
        Noch gespannter bin ich darauf, wie sie bei der Bundetagswahl abschneiden werden, wenn sie in Berlin die Politik der großen Koalition fortsetzen.

  2. Man müsste wissen, wie das juristisch aussieht. Offenbar braucht Müller die formale Zustimmung der Stadtentwicklungssenatorin, um deren Staatssekretär zu entlassen. Ich hoffe ja noch, dass die Linke das nicht so einfach mit sich machen lässt. Und natürlich wäre das ein Grund, die Koalition platzen zu lassen.

    Fast schon beängstigend ist das Echo der Öffentlichkeit. Es scheint fast eine rechte Kampagne zu sein. Don Alfons ist da nur der Wadenbeißer.

    1. Hmnuja, das Echo der Öffentlichkeit war wenigstens bei der Twitter-Umfrage des rbb ‚War Müllers Entscheidung richtig?‚ gestern um 22h bei 57% Nein-Stimmen. Es spricht für sich, daß der rbb die eigene Umfrage zwischenzeitlich falsch wieder gab, ist aber inzwischen korrigiert.

      Bei einem Voting auf der Website von rbb|24 waren 64 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass Holms Entlassung nicht die richtige Entscheidung war, 36 Prozent befürworteten diesen Schritt. Bei einer Twitter-Umfrage hingegen gaben 43 Prozent an, das sie Müllers Entscheidung richtig finden. Bei einer rbb|24-facebook-Umfrage dagegen hielten sich Befürworter und Gegner die Waage: 50 Prozent stimmten für die Entlassung und 50 dagegen. (Stand: 15. Januar, 08:36 Uhr)

      Hubertus Knabe, Don Alphonso, Tom Schreiber, Robert Ide und Co =/= Öffentlichkeit.

      Aber schon fast gewohnt widerlich ist der Versuch, Holm und der Linken die Verantwortung für einen möglichen Koalitionsbruch zuzuschieben. Ebenso u.a. Müllers Angang, Holm mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit und mit der Stasi im allgemeinen zu unterstellen – öffentliche Auseinandersetzung über ein z.T. persönliches Thema geht ja bekanntlich besonders gut, wenn man mit Dreck wirft, nötigt und erpresst und sich nicht an getroffene Absprachen hält.

      Für Die Linke stellt sich die Frage, wie die eigentlich in Berlin (und womöglich im Herbst bundesweit) selbstbewußt und glaubwürdig an einer Regierung beteiligt sein wollen, wenn sie es nicht mal schaffen, sich von einer Schmutzkampagne unbeeindruckt zu zeigen und sich geschlossen hinter eine vernünftige Personalie zu stellen. Von den menschlichen Abgründen dabei gar nicht erst zu reden.

  3. Die Genannten sind nicht die komplette Öffentlichkeit, aber Fürsprecher für Holm scheint es dort derzeit nicht zu geben. Die Umfragen sind, um das so deutlich zu sagen, nichts wert. Einzig repräsentative kann man irgendwie erwähnen, alle Online-Antipperei ist boulevardesker Zeitvertreib. Aber selbst eine repräsentative Umfrage wäre in dem Fall gar nicht so interessant, es ginge darum, Holm in Verbindung mit einer sinnvollen Politik zu bringen.

    Die Linke müsste viel klarer sagen: „Die Vorwürfe sind dummes Zeug, und jetzt machen wir uns an die Arbeit: Entmachtung des Kapitals.“ Am besten wirklich so deutlich. Es wäre interessant zu sehen, ob das zumindest aufmerksamkeitsökonomisch nicht das eins zu null wäre. Die Heuchelei weiter Teile der politischen Klasse hat doch kaum noch einen Rückhalt. Tagesspiegel und Knabe sind nicht so relevant, wie sie denken. Es käme auf die richtige PR an. Ich habe bei mir dazu etwas geschrieben. So viel Arsch in der Hose bräuchte die Linke.

  4. Mir lief gerade ein Satz von Gerhard Zwerenz über den Weg:

    Zu Zeiten, in denen die heute als asymmetrisch definierten Kriege noch altertümlich symmetrisch waren, galt der gefangene Feind nicht mehr als Feind. Heutzutage ist das anders. Die westlichen Triumphatoren und ihre maulflinken Medienrüssel befeinden die Besiegten im Osten immer heftiger. So langsam beginne ich meine oppositionelle Haltung in der DDR zu bereuen.

  5. Kotti&Co, Bizim Kiez, Stadt von unten, Initiative Mietenvolksentscheid, Initiative 100% Tempelhofer Feld (und icke):

    Gutes Regieren oder Basta-Politik? Holm muss Staatssekretär bleiben

    Am Sonnabend, dem 14.1.2016, hat der Regierende Bürgermeister Berlins die Stadtentwicklungssenatorin aufgefordert, Staatssekretär Dr. Andrej Holm zu entlassen. Diese Vorgehensweise ist eine Bankrotterklärung für Rot-Rot-Grün in Berlin.

    Die letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass nicht nur die Stadtgesellschaft, sondern auch die Koalition sehr unterschiedliche Einschätzung der Personalie Holm gibt. Mit einer Basta-Entscheidung ignoriert Müller diese Situation. Das ist nicht „Gutes Regieren“, sondern autoritär. Ein stadtpolitischer Neuanfang kann so nicht funktionieren.

    Eine neue Wohnungspolitik braucht neues Personal. Nach jahrzehntelanger neoliberaler Politik in Berlin steht Andrej Holm für die Glaubwürdigkeit des verkündeten Politikwechsels. Wir fragen uns: Wenn der Senat schon in dieser Personalfrage einknickt, was sollen wir in den bevorstehenden harten Auseinandersetzungen mit der Immobilienlobby dann in Sachfragen von dieser Regierung erwarten?

    Für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte hat Andrej Holm in den letzten Wochen mehr getan, als Bürgermeister Müller in seiner ganzen Zeit als Politiker. Gerade dadurch, dass Holm sich einer öffentlichen Diskussion gestellt hat, wurde eine Debatte in Gang gebracht, die – bei aller Unterschiedlichkeit in der Einschätzung – der Komplexität von Geschichte gerecht wird. Die Teilung Berlins lebt nach wie vor in einer Vielzahl von Verletzungen, Wunden und Widersprüchen fort. Statt hier zu heilen, spaltet Müller ein weiteres Mal die ehemals geteilte Stadt Berlin. Seine Aufforderung steht für eine Politik von gestern, nicht für Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit der Geschichte.

    Führungsstärke kann nicht durch autoritäre Entscheidungen bewiesen werden. Vielmehr ignoriert er getroffene Beschlüsse der Koalition und will eine einsame Entscheidung forcieren. Die zahlreichen Solidaritätsbekundungen der letzten Wochen haben gezeigt, dass nicht nur Mieten- und Stadtteil-Initiativen, sondern auch Wissenschaftler/innen und sogar ehemalige DDR-Oppositionelle und viele andere Andrej Holm als Staatssekretär behalten wollen. Über diese Stimmen darf ein Regierender Bürgermeister nicht einfach hinweg gehen.

  6. Sebastian Puschner, Der Freitag: Es mangelt an allem

    Was Rot-Rot-Grün aber braucht, das ist Glaubwürdigkeit – nicht nur bei einigen, sondern bei vielen. Darum ja wirkte zunächst allein die Nominierung Holms als Staatssekretär auf progressive Milieus so beglückend, stiftete solche Hoffnung: „Leute, die Linke Berlin meint es wirklich ernst: Andrej Holm wird Staatssekretär bei Bausenatorin Lompscher“, machte der Journalist Jan Thomsen den Coup via Twitter publik. Glaubwürdigkeit besitzt Holm als Stadtsoziologe und Aktivist bei den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die an Berlins Basis, in ihren Kiezen, seit Jahren gegen Zwangsräumungen, Wohnungs- und Grundstücksprivatisierungen kämpfen, die jüngst schon mit einer ersten Runde Unterschriftensammeln für ein Volksbegehren den alten rot-schwarzen Senat zu einigen wohnungspolitischen Zugeständnissen zwangen. „Soziale Funktionen“ statt „private Profite“ – Holm nimmt man das ab, selbst wenn er in jenem Interview erklärt: „Das Eigentum wird nicht infrage gestellt.“

    Gerade die Glaubwürdigkeit sprechen Holm seine Kritiker nun ab. Schon klar, es geht um eine andere Glaubwürdigkeit: „Früher und entschlossener“ hätte er sich ja erklären können, und dann sind da ja noch die unvollständigen Angaben auf einem – arbeitsrechtlich höchst fragwürdigen – Einstellungs-Fragebogen der Humboldt-Universität 2005. Letztere drehen sich um den Unterschied zwischen „hauptamtliche Tätigkeit beim MfS“ und „Ausbildung zur Vorbereitung auf eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS“. Zu ersterem: Hätte sich Holm überhaupt früh und entschlossen genug in Schutt und Asche werfen können? Er beschreibt die DDR als „autoritär“, „repressiv“, „die schlechteste Lösung, Gesellschaft zu organisieren“ und die Stasi als „Überwachungs- und Repressionsapparat“, ein „große“ Monstrum“, das „Menschen überwacht und zersetzt“ hat, „Teil eines Unrechtssystems und ein zentrales Instrument, um Leid über viele Leute zu bringen“. Und ein eigener Teil dieses Repressionsapparats sei er selbst gewesen und trage daher „historische Schuld“ und „strukturell Verantwortung.“

    Es wird in diesen Fragen nie früh und entschlossen genug gewesen sein können. Da können DDR-Oppositionelle, mit denen Holm später befreundet war, in noch so vielen offenen Briefen betonen, wie offen „Andrej“ stets auf ihre Fragen zu seiner Biographie geantwortet hat. Es findet sich am Ende immer noch irgendein Detail, irgendein kritischer Zugang zur Tonlage des Beschuldigten, der für dessen Erledigung ausreicht.

    Es ist nicht Andrej Holm, dem die Glaubwürdigkeit fehlt.

  7. Falls sich jemand über die Bespitzelung der Familie Holm informieren möchte, die übrigens weit über das im Juli 2010 eingestellte Terrorismus-Verfahren gegen Andrej Holm hinausreichte, das seinerseits nie hätte erhoben und wenn schon, nicht über 3 Jahre hätte verschleppt werden dürfen, liest bei Anne Roth nach,
    bei Der Freitag (Oktober 2011): Bitte recht freundlich
    und in ihrem Blog:
    Einstellung (Juli 2010)
    Spaß mit Mobiltelefonen (April 2013)
    Kleinigkeiten mit Telefon (September 2013)
    Innenansichten einer Überwachung (September 2013)

    Das sind was? Genau: Stasi-Methoden.

  8. Antonie Rietzschel, Süddeutsche, Interview mit Ilko-Sascha Kowalczuk: „Andrej Holm ist auch ein Opfer des SED-Regimes“

    SZ: Was sagt diese Debatte über den Stand der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ?

    Kowalczuk: Die Bewertung der DDR-Geschichte wurde überwiegend westlichen Eliten überlassen. Sie nahmen nach der Revolution wichtige Positionen ein: an den Universitäten oder in den Medien. Die personelle Umwälzung fand ich richtig, denn im Osten gab es dafür keine Leute. Doch diese Eliten haben die Aufarbeitung aus meiner Sicht zu einseitig betrieben. Sie brachten ihre Netzwerke mit, in die man mit einer Ostprägung nur schwer rein kam. Auch deswegen hat ein großer Teil der ostdeutschen Gesellschaft den Diskurs und die Aufarbeitung abgelehnt. Sie hatten das Gefühl, ihnen wird da etwas übergestülpt. Die Unterschiede sieht man auch jetzt in der Holm-Debatte: Die härtesten Konsequenzen fordern Leute mit westlicher Prägung. Ostdeutsche versuchen, viel mehr zu differenzieren. Sie versuchen, das ganze Kuddelmuddel, in dem sich Holm befand, zu verstehen, weil es auch Teil ihrer Biografie ist. Ich persönlich kann in gewisser Weise sogar nachvollziehen, dass Holm beim Ausfüllen des Fragebogens für die Humboldt-Universität nicht die Wahrheit angab.

    SZ: Was gibt es da zu verstehen?

    K: Die Debatte über die DDR wurde in den vergangenen Jahren sehr einseitig geführt. Jede Schuld wurde auf eine politische Institution abgewälzt: die Staatssicherheit und insbesondere die inoffiziellen Mitarbeiter. Hunderttausende Menschen hatten beim Ausfüllen dieser Fragebögen Angst um ihre berufliche Zukunft, weil sie mit der Stasi kooperiert haben. Und es ging nicht immer gerecht zu. Die Überprüfungen der Stasi-Akten wurden in den neunziger Jahren vielfach auch genutzt, um den nötigen Personalabbau betreiben zu können. Da gibt es für künftige Historiker noch viel zu analysieren.

    SZ: Auf wem hätte der Fokus der Aufarbeitung liegen müssen?

    K: Die Gesamtverantwortung hatten die hauptamtlichen SED-Funktionäre. Doch die sind davongekommen. Es ist grotesk, dass jetzt die Ministerpräsidenten von Brandenburg und Thüringen sagen, in ihrem Bundesland hätte man Holm verhindert. Dort haben ehemalige hochrangige SED-Funktionäre den Transformationsprozess im Hintergrund mit gemanagt, und sie haben dort zum Teil noch heute das Sagen.

      1. Ist das nur mein Eindruck, dass hier zunehmend „guter Ex-Stasi“ gegen „böser Ex-Stasi“ gespielt wird?

        Nö, das ist doch schon die ganze Zeit so. Bei Bedarf kommt auch noch der Stasi-Forscher und Kampagnen-Journalist Robert Ide (Tagesspiegel) zu Wort und der schreibt 1. in einem perfide-gefühligen Stil, 2. läßt er weit weniger Ahnung von der Materie vermuten als Kowalczuk, dafür aber profiliert er sich 3. um so mehr mit Agenda und Meinung.

        (würden Sie bitte entscheiden, ob Sie hier entweder als Marian Schraube oder als ed2murrow schreiben – bitte nur ein Synonym, ok?)

      2. Lesenswert (in Gänze) zu Ihrer Frage finde ich Michail Nelken: Holm – eine Gefahr für wen?, daraus:

        Es geht nicht um „Stasi“, sondern um Staatssicherheit

        Der Historiker in Diensten der BStU Kowalczuk klagte auf der Veranstaltung der Havemanngesellschaft zum Fall Holm („Einmal Stasi immer Stasi?“), dass die politische Instrumentalisierung des Stasi-Themas eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Verantwortung des Einzelnen und eine systematische Aufarbeitung des Wirkens des Geheimdienstes als Instrument von Herrschaftsausübung der SED blockiert habe. Aber seit ihrer Gründung unter Leitung von Hansjörg Geiger (später Chef von Verfassungsschutz und BND) war diese Bundesbehörde darauf bedacht, dass die Öffnung der Stasi-Akten nicht – wie von der Bürgerbewegung angestrebt – zur Infragestellung des Prinzips Stasi, der Überwachung und Bespitzelung der Bürger im Namen ihrer und des Staates Sicherheit (ver)führte. Die Fokussierung auf das MfS, dessen Mystifizierung und die Moralisierung (IMs, „Verrat“, „Lüge“) war ein wohl durchdachtes Essential dieser systemkonformen Einhausung des Themas. Die Abwertung der geheimdienstlichen Überwachung war auf DDR und „Stasi“ zu begrenzen.

        Heute, da die Überwachungsapparate hochgerüstet und die systematische Überwachung der Bürger in allen ihren Lebensbereichen durch staatliche und private Dienste – zu unser aller Wohl – permanent ausgeweitet und vertieft werden, wirkt die Skandalisierung der vier Monate Stasiausbildung des 18- bzw. 19-jährigen Holm völlig anachronistisch. Der Spruch: Aber, wer nichts zu verbergen hat … konnte schon seinerzeit nicht als naiv gelten. Tatsächlich geht es gar nicht um „Stasi“, sondern es geht darum, wofür die Person Holm symbolisch steht, es geht um Gentrifizierung und die soziale Spaltung der Stadtgesellschaft.

        Es geht nicht um die Stasi-Mitarbeit von Holm und auch nicht um das falsch gesetzte Kreuz auf dem HU-Fragebogen. Es geht ausschließlich um die politische Ausrichtung der Stadtpolitik.

  9. Bei change.org gibt es eine Petition an den Senat, Michael Müller, Katrin Lompscher:

    Der Regierende Bürgermeister Michael Müller beabsichtigt, den amtierenden Baustaatssekretär Andrej Holm am kommenden Dienstag zu entlassen. Müller tut dies, nahezu im Alleingang, obwohl Holm eine breite Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, der Politik und der Wissenschaft genießt. In den letzten Wochen seit seiner Ernennung bekam Holm in der Diskussion um seine Stasi-Vergangenheit am Ende der DDR viele Solidaritätsbekundungen, selbst aus Teilen der DDR-Opposition, die sich in der Zeitschrift „Telegraph“ hinter ihn stellt. Betont werden dabei vor allem die Kompetenzen für die Themen des Stadtsoziologen, der sich mit Gentrifizierung und Stadterneuerung intensiv auseinander setzt. Im Verhältnis zu der kurzen Stasi-Episode am Ende der DDR. Holm beschäftigte sich seit vielen Jahren nicht nur theoretisch mit diesen Themen, sondern mischt sich auch praktisch als Aktivist in die Wohnungspolitik ein, arbeitet mit vielen Initiativen zusammen. Gerade dieser direkte Umgang mit seiner Vergangenheit und die Lehren, die Herr Holm daraus gezogen hat, zeigen deutlich, daß ein Mensch aus der Vergangenheit lernen, aus ihr Lehren ziehen, sich verändern und dann auch neue Verantwortung übernehmen kann.

    Mit Andrej Holm als Staatssekretär gibt es die Chance einer wohnungspolitischen Erneuerung, die Berlin dringend nötig hat. Für eine mieterfreundliche Stadt!

    Die Stasi-Diskussion um Holm dient lediglich als ein Vorwand in der öffentlichen Diskussion, um dies zu verhindern. Dem stehen die Interessen der Immobilienlobby entgegen. Die sich über diese Entscheidung des Regierenden Bürgermeisters zur Entlassung Holms Geltung verschaffen. Da die bisherige öffentliche Diskussion offenbar nicht den gewünschten Erfolg hatte, sondern stattdessen eher eine Solidarisierung aus der Zivilgesellschaft heraus erwuchs. Nun im Alleingang des Regierenden Bürgermeisters „per Dekret“.

    Der rot-rot-grüne Senat hat viele Hoffnungen auf eine politische Neuorientierungen geweckt, gerade auch auf einen Politikwechsel in der Wohnungspolitik. Sollte Holm tatsächlich entlassen werden, wäre das die erste Niederlage des neuen rot-rot-grünen Senats. Es wäre eine Bankrotterklärung, gleich zu Beginn.

    Wir brauchen in den kommenden Jahren eine mieterfreundliche Wohnungspolitik in Berlin! Auch als eine Art Vorbild für andere bundesdeutsche Kommunen.

    Damit sich Politik tatsächlich ändern kann, bedarf auch des außerparlamantarischen Druckes: Damit diese dann auch tatsächlich umgesetzt wird. Und nicht lediglich in Sonntagsreden gepredigt wird.

    Bitte unterstützen Sie diesen Aufruf! Für eine mieterfreundliche Politik in Berlin!

  10. Michael Koschitzki, sozialismus.info: Holm vs. R2G

    Wie wird die Führung der Berliner LINKEN jetzt damit umgehen? Sie hoffen darauf Holm zu einem „freiwilligen Rücktritt“ zu bewegen. Aber wie ginge es danach weiter? Werden sie sich mit allen Positionen konsequent gegen Zwangsräumungen und Immobilienspekulation stellen? Oder knicken sie hier aus Angst, dass SPD und Grüne die Koalition aufkündigen, ein?

    SPD und Grüne machen bereits Klassenkampf von oben. Selbst SPD Fraktionsvorsitzender Raed Saleh machte bei der letzten Debatte im Abgeordnetenhaus Opposition von Rechts, forderte den starken Staat und redete von Asylbewerbern, die ihr Gastrecht verwirkt hätten. DIE LINKE darf es jetzt nicht mit Appellen an einen besseren Politikstil in der Koalition belassen. Sie muss aufzeigen, was hinter den Angriffen steckt, ihr Programm für Wohnraum verteidigen und an Holm festhalten, selbst wenn das die Koalition belastet und infrage stellen sollte. Sie muss Müllers Aufforderung Holm zu entlassen, zurückweisen. DIE LINKE entscheidet über ihre Staatssekretäre. Wenn sie hier einknickt, wird sich das gleiche an ähnlichen Fragen und Themen wiederholen.

    Im Vorfeld der Regierungsbildung wurde viel von einem Politikwechsel und einer neuen Kultur des Zuhörens geredet. Der Fall Holm setzt Maßstäbe, ob das umgesetzt wird.

  11. Fabio Reinhardt, Carta: Holm-Entlassung: Schlecht profiliert statt gut regiert

    Relevanter an Müllers Aussagen ist, dass ein Regierungschef einen Staatssekretär einer anderen Partei de facto entlässt.

    Damit bringt Müller die Linke in das Dilemma, dass sie entweder Müller komplett unglaubwürdig macht oder Holm entlässt und damit ihrem eigenen Versprechen untreu wird, diesmal nicht das Koch und Kellner-Spiel der SPD mitzuspielen, sondern diese Koalition auf Augenhöhe zu führen.

    … Schon in den Koalitionsverhandlungen fiel vor allem die SPD mit nicht abgesprochenen Äußerungen auf (zum Beispiel der damalige Verkehrssenator Geisel zum Sozialticket), die dazu dienen sollten, sich auf Kosten der anderen zu profilieren. Den Höhepunkt erreichte dies jedoch am Donnerstag, als Fraktionschef Raed Saleh eine Rede hielt, die vor allem von CDU, FDP und AfD beklatscht wurde. Neben der Nutzung von rechtem Vokabular („Gastrecht“ für Geflüchtete) griff er vor allem die kurz davor auf der Senatsklausur in seiner Anwesenheit geschlossenen Kompromisse, inbesondere zum Thema Videoüberwachung, an. Damit zielt er wohl eigentlich auf seinen Konkurrenten Müller und verfolgt die Strategie der inneren Opposition, die Matteo Renzi erfolgreich gegen Enrico Letta anwandte, um im Februar 2014 italienischer Ministerpräsident zu werden. Er schadet damit aber den Koalitionspartnern, die sich einer permanenten Infragestellung gemeinsam getroffener Beschlüsse auf höchster Ebene nicht aussetzen wollen. Zudem stellt sich ganz einfach die Frage, welche Sicherheit es noch gibt, dass Absprachen in der Koalition gelten und die für Konflikte geschaffenen Gremien auch genutzt und ernst genommen werden.

    Insofern ist auch Müllers „Befreiungsschlag“, wie manche Medien schrieben, keiner. Denn er bringt die gesamte Koalition in einen unauflösbaren Konflikt, der auch die Grünen beunruhigen sollte. Bevor nicht geklärt ist, wie man diese Alleingänge und öffentlich praktizierten Demütigungen – und zwar nicht nur die von Müller, sondern auch die von Saleh – abstellen kann, wird diese Koalition kaum noch zum Regieren kommen; zum guten (!) Regieren schon gar nicht. Und seine Führungsstärke, die er ja gerade nach der Saleh-Rede demonstrieren wollte, ist keine. Zwar wird ihm von einigen zugejubelt. Aber noch ist die finale Entscheidung zu Holm ja gar nicht gefallen, wie der linke Bürgermeister Klaus Lederer in der Abendschau explizit offen ließ. Und eine längere Koalitionskrise wird vor allem auch an Müller selbst nagen. Zudem nutzt sich die Strategie, sich auf Kosten der Koalitionspartner zu profilieren, um sich von Fraktionschef Saleh abzusetzen, schnell ab. Insofern muss hier konstatiert werden: Hier hat sich jemand mehr schlecht als recht profiliert und nicht annähernd gut regiert.

  12. Lese:
    Der Tagesspiegel gestern mit gleich 3 mehr oder minder heuchlerischen Artikeln, Robert Ide, Ulrich Zawatka-Gerlach: Rot-Rot-Grün steht fast vor dem Scheitern, Ulrich Zawatka-Gerlach, Matthias Meisner: Rot-Rot-Grün in Berlin. Koalition quält sich weiter mit dem Fall Holm, Stephan-Andreas Casdorff: Der Fall Andrej Holm. Vergangenheit vergeht nicht

    Stark besorgt der rbb: Was wird nun aus Andrej Holm? und Linke hadert mit Holm-Entlassung, vorgestern kommentierte Jan Menzel: Der Koalitionsbruch wäre ein Armutszeugnis

    Die Kampagnen des TS und des rbb gegen Andrej Holm wären nicht nur, sie sind ein Armutszeugnis. Es ist Heuchelei in Potenz, seit Wochen jeden Tag mindestens einen mehr oder minder perfiden Artikel über Holm zu veröffentlichen, damit r2g nicht mal für 5 Pfennig Zeit zu geben, von 100 Tagen gar nicht erst zu reden, Klitterungen, Halbwahrheiten, Lügen und Meinung als Berichterstattung verkaufen zu wollen und sich nach erfolgreicher Holm-Absägung noch vorgeblich besorgt über ihn zu beugen und über seine Zukunftschancen an der HU zu orakeln (Hauptsache: keine Bezüge, da Staatssekretär in Probezeit) Wer braucht da noch B.Z., Berliner Kurier, Blödzeitung, Morgenpost, Don Alphonso, Christian Füller oder sonst irgendeine Giftspritze in irgendeinem Drecksblatt, wenn eigentlich seriöse Medien deren Geschäft übernehmen. Widerwärtig.

    Uwe Rada kommentierte (alles gestern) in der taz: Eine Machtprobe und zusammen mit Anna Lehmann: Vom roten Teppich gerutscht, Klaus Hillenbrand und Gereon Asmuth erwägen das Für und Wider: Soll er entlassen werden?

    Trotz alarmistischer Titelei und fehlender Quellenverweise lesenswert, U. Gellermann, rationalgalerie: Der tiefe Staat schlägt zurück.Rot-Rot-Grünes Projekt vom Stasi-Torpedo getroffen

    Jetzt in diesen Tagen wird eine offene Rechnung beglichen: Andrej Holm kam damals nach massivem öffentlichen Druck frei. Und der Staatsapparat sah aus wie er ist aber ungern ertappt wird: Wie eine Repressionsmaschine, der die Gesetzeslage ziemlich gleichgültig ist. Diese Bloßstellung ist nicht vergessen. Das wird jetzt mit einem alten, bekannten Stasi-Vorwurf heimgezahlt. Und pünktlich zum Start der rot-rot-grünen Kolatition aufgewärmt. Und mehr noch: Einen Mann wie Holm, der zu Recht im Verdacht steht auf der Seite der bedrängten Mieter zu stehen, der darf, nach Maßgaben der Profiteure, keinesfalls Staatssekretär für Wohnungspolitik im Berliner Senat werden. Und noch mehr: Die Rot-Rot-Grüne Koalition in Berlin gilt als Modell für eine mögliche Rot-Rot-Grüne Regierung auf Bundesebene. Dass dieses Projekt nur über die Leiche der SPD oder über die Leichen der linken LINKEN zustande kommen wird, also eher nicht, irritiert den tiefen Staat nicht. Schäubles Nebenregierung aus Geheimdiensten, Polizeioffizieren und sympathisierender Justiz kann weder die Niederlage im Fall Harms noch die kleinste demokratische Öffnung durch eine alternative Regierung zulassen. Sowas muss torpediert werden.

    Andrej Holms geplanter Rauswurf hat es zu einer BBC-Meldung gebracht: Berlin housing official Andrej Holm ‚fired over Stasi links‘

    Eben wird eine Erklärung von Holm angekündigt, die vermutlich seinen „freiwilligen“ Rücktritt beinhaltet.
    Es ist sowas von deprimierend.

  13. Holms Erklärung:

    Ein Rücktritt ist kein Rückzug aus der Stadtpolitik

    Andrej Holm: Mein Rücktritt als Staatssekretär Wohnen

    Ich trete heute von meinem Amt als Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurück.

    In den letzten Tagen haben mir SPD und Grüne deutlich gemacht, dass sie mich als Staatssekretär politisch nicht unterstützen. Herr Müller von der SPD forderte öffentlich meine Entlassung. Damit wurde eine mögliche Zusammenarbeit in einer Koalition aufgekündigt. Die Koalition selbst steht an einem Scheideweg.

    Heute ziehe ich eine Reißleine. Den versprochenen Aufbruch in eine andere Stadtpolitik hat diese Koalition bisher nicht ernsthaft begonnen – das allein mit meiner Personalie zu begründen, wäre absurd. Die Diskussionen um das Sicherheitspaket, der Verlauf der Parlamentsdebatte und der mehrfache Bruch von Vereinbarungen zwischen den Koalitionspartnern zeigen, dass die Koalition selbst in der Krise ist. Ich werde der zerstrittenen SPD nicht den Gefallen tun, sie auf meinem Rücken zerplatzen zu lassen.

    Als ich dieses Amt vor fünf Wochen antrat, wollte ich ein bitter nötiges Reformprogramm für die Berliner Wohnungspolitik durchsetzen. Denn eines ist klar: Diese Stadt braucht eine Politik für die Mieterinnen und Mieter. Es muss Schluss sein mit einer Politik, die weiter die Profitinteressen der Immobilienbranche an erste Stelle setzt. Für diese Aufgabe bin ich mit den Hoffnungen, dem Vertrauen und der Unterstützung von vielen Berliner Stadtteil- und Mieteninitiativen, von kritischen WissenschaftlerInnen und der Partei DIE LINKE angetreten. Im Koalitionsvertrag war vereinbart, dass dieses Programm nicht nur gemeinsam mit diesen Kräften, sondern auch mit B90/Die Grünen und der SPD gestaltet werden wird.

    Die Polemik derer, die mich als Staatssekretär verhindern wollten, zeigt, dass es bei der Entlassungsforderung nicht nur um meine Zeit bei der Stasi und um falsche Kreuze in Fragebögen ging, sondern vor allem um die Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik. Ich habe in den letzten Wochen unglaublich viel Unterstützung von der Stadtgesellschaft, aber auch von Wählerinnen und Wählern dieser Koalition erhalten. Über 16.000 Menschen haben sich in den letzten Wochen mit einer Unterschriftensammlung hinter mich gestellt und mir die Kraft gegeben, diese Auseinandersetzung über meine Person überhaupt bis zum heutigen Tage zu ertragen.

    Entgegen der Darstellung vieler Medien habe ich mich nicht nur in den letzten Wochen bemüht, offen und selbstkritisch mit meiner Biographie umzugehen. Das war schmerzhaft für viele Opfer der DDR-Diktatur und das war auch schmerzhaft für mich. Die letzten Wochen hinterlassen bei mir den Eindruck, dass es auch im medialen Raum nur eine begrenzte Bereitschaft für die Wahrnehmung von Zwischentönen in DDR-Biographien gibt. Bevor die Entscheidung fiel, mich zu ernennen, war übrigens allen drei Koalitionspartnern bekannt, dass ich eine Stasi-Vergangenheit habe.

    Die vielen Unterschriften gegen meinen Rücktritt zeigen: Nur selten standen sich veröffentlichte Meinung und Stimmung in der Stadtgesellschaft so konträr gegenüber. Mir ist bewusst, dass meine Biographie mit vielen Widersprüchen nicht in das Bild des klassischen Staatssekretärs passt. Doch wer einen gesellschaftlichen Aufbruch und eine Veränderung will, wird auch biografische Brüche und das Unangepasste akzeptieren müssen. Ich stehe nicht nur den Hausbesetzern näher als vielen privaten Investoren sondern vor allem den Mieterinnen und Mietern dieser Stadt. Gerade deshalb hat es so viel Unterstützung für mich gegeben.

    Für mich hat der Debattenverlauf der letzten Wochen auch deutlich gemacht, dass es nicht allein um meine Person geht, sondern um das, was ich in dieser Regierung mit der LINKEN umsetzen wollte: eine soziale, gerechte Stadt und eine Wohnungspolitik , die sozialen und öffentlichen Belangen den Vorrang vor privaten Profiten einräumt. Darum ist auch der Druck gegen mich enorm erhöht worden, als die Unterstützung der Stadtgesellschaft für meine Person und die Politik, für die ich stehe, so zahlreich öffentlich wurde.

    Dass Regierungsmitglieder nun frohlocken, endlich mit der Arbeit zu beginnen, kann nur verwundern. In der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen jedenfalls hatten wir bereits mit der Arbeit begonnen und haben zusammen mit einer professionellen und für die neue Politik aufgeschlossenen Verwaltung in den wenigen Wochen einige Ergebnisse erzielt. Wir haben die Mieterhöhungen im alten sozialen Wohnungsbau ausgesetzt, eine Initiative zur Verschärfung der Umwandlungsverordnung für den Bundesrat qualifiziert, erste Eckpunkte für eine Reform des alten sozialen Wohnungsbaus formuliert und Gespräche zur sozialen Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen geführt.

    Ich trete heute zurück, damit diese Politik weitergeführt werden kann, denn es gibt noch einiges zu tun. Die Wählerinnen und Wähler dieser Koalition werden den Erfolg der Regierung an der Umsetzung des Koalitionsvertrages messen. Die Schwerpunkte für die künftige Wohnungspolitik sind dringend notwendig und klar formuliert. Es geht um:

    – eine Reform der AV Wohnen, so dass in Zukunft Hartz-IV-EmpfängerInnen nicht mehr durch Mieterhöhungen aus ihren Wohnungen vertrieben werden können,
    – eine Reform des sozialen Wohnungsbaus, so dass dieser seiner Aufgabe wieder gerecht wird,
    – eine soziale Neuausrichtung der landeseigenen Wohnungsunternehmen und mehr Mitbestimmung für die MieterInnen,
    – wirksame Maßnahmen gegen die steigenden Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt,
    – einen Stopp der Verdrängung einkommensschwacher Bewohner.

    Für diese Wohnungspolitik werde ich mich ab heute wieder außerhalb eines Regierungsamtes engagieren. Berlin wird eine soziale und gerechte Stadt werden, wenn wir es wollen. Die Stadt gehört uns!

    Um gemeinsam zu überlegen, wie wir auch ohne mich als Staatssekretär eine soziale Wohnungspolitik in Berlin am besten durch- und umsetzen können, lade ich alle Interessierten und insbesondere die zahlreichen stadt- und mietenpolitischen Initiativen heute Abend um 18 Uhr zur öffentlichen Diskussion ein. Ort: ExRotaprint, Gottschedstraße 4, 13357 Berlin (Wedding).

  14. Mikael in den Fahrt kommentiert bei metronaut: Holm bleibt Bewegung – Anmerkungen zum Rücktritt eines Hoffnungsträgers

    Dass sich am Ende die Gegner Holms durchgesetzt haben, zeigt, dass mit der Berliner SPD und mit großen Teilen der Grünen ein wirklicher Wechsel nicht zu machen ist. Die Geschwindigkeit mit der Ramona Pop und ihre Grünen von Holm abrückten, war phänomenal wie kurzsichtig zugleich. Hätten sich die Grünen von Anfang an hinter Holm gestellt, wäre dieser heute noch im Amt.

    Beschämenderweise ist die Koalition auf eine hasserfüllte Kampagne angesprungen, die von einem rechten Mistgabelmob gestartet und permanent angeheizt sowie von ein paar schäumenden Hauptstadtblättern weitergekocht wurde.

    Man stürzte sich … auf den vermeintlichen Fehler beim Einstellungsfragebogen an der Humboldt-Universität, um die Glaubwürdigkeit von Holm zu untergraben. Hätte dieses Spiel nicht funktioniert, wäre als nächstes seine Nähe zur linken außerparlamentarischen Bewegung herausgekramt worden. Angeblich drohte der SPD-Innensenator Geisel sogar damit. Der Beton-SPD schien alles Recht, um den unbequemen Staatssekretär loszuwerden und den Status Quo bei den Hochpreismieten zu erhalten.

    Mehr als 15.000 Menschen haben eine Petition für Andrej Holm unterschrieben. Der Mann hat starken Rückhalt aus der Stadtgesellschaft und bei politischen Initiativen in der ganzen Stadt. Er wird als Verbündeter gesehen für eine gerechte Stadt. Für preiswerten Wohnraum und eine vernünftige Mietenpolitik. Diese Chance auf einen echten Politikwechsel, der bei den Menschen auch praktisch ankommt, hat Rot-Rot-Grün ohne Not verspielt.

    Es wird sich zeigen, wieviele der guten stadt- und wohnungspolitischen Ansätze im Koalitionsvertrag diese Regierung ohne Andrej Holm überhaupt umsetzen wird. Ihre Glaubwürdigkeit auf diesem Feld hat die Regierung mit seinem Rauswurf schon jetzt verloren.

    Andrej Holm geht jetzt wieder dahin, woher er herkommt. In die stadtpolitische Bewegung. Sie hat seine Nominierung erst möglich gemacht. In seinem Rücktrittsschreiben lädt er folgerichtig heute abend um 18 Uhr zu einer großen Versammlung ein, um über seinen Rücktritt und die Zukunft der Stadt zu sprechen. Und um dieser Regierung weiter Druck auf der Straße zu machen. Das ist gut so, denn es wird bitter nötig sein.

    #holmbleibtbewegung

    Zusätzlich zur Veranstaltung im Rotaprint-Gebäude: der Herr Regierender Bürgermeister Michael Müller spricht heute, 16.01.2017, um 20 Uhr im Maxim Gorki Theater, Studio Я , Hinter dem Gießhaus 2, 10117 Berlin.

  15. Presseerklärung Katrin Lompscher

    Als politisch und personalrechtlich verantwortliche Senatorin bedauere ich den Rücktritt von Dr. Andrej Holm als Staatssekretär sehr. Für mich ist diese Entscheidung bitter und dennoch nachvollziehbar, da der notwendige politische Rückhalt in der Koalition für ihn nicht stark genug war.

    Hm, das kann man vermutlich so sagen. Statt an Holm festzuhalten, die Koalition platzen zu lassen und bei einer Neuwahl mehr Stimmen zu gewinnen, rutscht die Linke auf ihrer Machtgeilheit aus, macht sich – erneut als Bettvorleger der SPD – entgültig unglaubwürdig und glaubt sich womöglich ihre Heuchelei noch selbst.

    Mein Anspruch bleibt ein sachlicher und respektvoller Umgang …

    Den Mieterinnen und Mietern sowie den stadtpolitischen Initiativen versichere ich, dass ich auch weiterhin für eine soziale Wohnungs- und Mietenpolitik stehe.

    1. Fehlen noch die Krokodilstränen der Grünen:

      Zum Rücktritt von Andrej Holm erklären die beiden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Antje Kapek und Silke Gebel sowie die beiden Berliner Grünen-Vorsitzenden Nina Stahr und Werner Graf:

      In der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung haben sich alle drei Parteien zu einer sozialen, gerechten und ökologischen Mieten- und Wohnungspolitik verpflichtet. Dass diese einen hohen Stellenwert für die Koalition hat, haben wir gemeinsam vereinbart. Wir Grüne vertrauen darauf, dass nicht nur die zuständige Senatorin alle Kraft dafür aufwenden wird, sondern stehen dafür auch als Koalitionspartner ein – gemeinsam mit den vielen Bürgerinitiativen in der Stadt.

      Wir nehmen den Rücktritt von Andrej Holm mit Respekt zur Kenntnis. Als Grüne haben wir uns in den letzten Wochen um einen differenzierten und solidarischen Umgang in der Debatte um seine Person bemüht. Umso mehr bedauern wir die Verbitterung, die in Andrej Holms Erklärung zum Ausdruck kommt.

      Richtig ist: Die Debatte der letzten Wochen wird weder ihm noch der notwendigen Aufarbeitung von DDR-Unrecht gerecht. Holms Schritt macht den Weg frei, dass die Koalition jetzt mit ganzer Kraft ihre Arbeit für eine sozial-ökologische Erneuerung Berlins und eine Wende in der Wohnungspolitik fortsetzen kann. Dass dieser Weg dringend nötig ist, macht Andrej Holm mit seiner Erklärung selber deutlich.

      Da steht tatsächlich was von grünen Bemühungen um solidarischen Umgang in der Debatte um seine Person…

      Der frühere Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) sagte der „Welt“:

      Es wäre am besten, wenn Herr Holm selber die Konsequenzen zöge.

      Das war die erste grüne Rücktrittsforderung und kam unmittelbar nach der von Sven Kohlmeier, der übrigens heute stark darüber klagte, daß er mit seiner Website in Verbindung gebracht wird.

      Wenn Heuchelei weh täte, bräuchte man in ganz Großberlin Gehörschutz.

  16. Bei Holm musste die Reaktion die Vermutung haben, dass ihre Renditeerwartungen vielleicht ein wenig gebremst werden. Es ist die Aufgabe dieser Damen und Herren, das zu verhindern. Bemerkenswerterweise hatten wir gestern den 15. Januar…

    1. Bemerkenswerterweise hatten wir gestern den 15. Januar…

      Hm, ein in der Tat bemerkenswerter Tag: es jährte sich die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor 98 Jahren und die Stürmung der Stasi-Zentrale in der Normannenstraße vor 27 Jahren.

      Dazu und zum „Fall“ Holm schrieb kürzlich Jörn Boewe im Freitag:

      Die „Affäre Holm“ stellt die Glaubwürdigkeit des neuen, rot-rot-grünen Berliner Senats in Frage – so ähnlich kann man es in den letzten zwei Wochen in zahlreichen Artikeln der Berliner Lokalpresse lesen. Das ist richtig, wenn auch anders, als es die meisten Kommentatoren meinen. Denn ihre Glaubwürdigkeit würde die Koalition nicht verlieren, wenn sie an Holm festhielte, sondern wenn sie ihn fallen ließe. Abgesehen vom verständlichen Wunsch einflussreicher immobilienwirtschaftlicher Kreise und des dazugehörigen konservativen politischen Milieus gibt es dafür keinen Grund.

      Ich habe damals nicht geahnt, wie diese Akten in den kommenden Jahrzehnten benutzt werden würden. Wenn mir jemand prophezeit hätte, dass diese Akten im Kern bleiben würden, was sie waren – nämlich Instrumente zur Einschüchterung, Erpressung und Ausschaltung „feindlich-negativer Elemente“ – ich hätte ihn für verrückt erklärt.

      Aber so ist es gekommen. Die Mehrheitsgesellschaft des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland und ein Teil unserer damaligen Bürgerbewegung, der sich mit dieser Situation sehr gut arrangiert hat, ist bis heute nicht reif, einigermaßen fair und demokratisch mit dem gesammelten Stasi-Datenmüll umzugehen. Hätte ich das damals geahnt, ich hätte wahrscheinlich dem Heizer im Keller geholfen, soviel wie möglich von diesem Zeug zu verbrennen. Es wäre das kleinere Übel gewesen.

  17. Der Vorgang zeigt mE. zweierlei: r2g wird ab sofort als Veranstaltung „unter Führung der SPD“ angesehen, bei der die Grünen Steigbügelhalter sind und die Linke eine dienende Funktion einnehmen. Und echte Sachkunde, korreliert mit Gestaltungswille in dieser Hackordnung tatsächlich keinen Platz hat, egal welcher Vorwand genommen wird, um sie auszuschließen. Übersetzte man das Bundesebene, kämen Gabriel plus Özdemir und Schwankungsquote Wagenknecht heraus. Ganz ehrlich, eine Zweitstimmenkampagne wäre da aussichtsreicher.
    Btw: Holm hat der Koalition in Berlin den Arsch gerettet.

    1. Übersetzte man das auf Bundesebene, kämen Gabriel plus Özdemir und Schwankungsquote Wagenknecht heraus.

      Oder es käme zu Gabriel, Göring-Eckhardt und Wagenknecht und das Ganze würde uns noch als Beweis für die abgeschlossene weibliche Emanzipation verkauft (ich weiß gar nicht mehr, wohin ich mich noch erbrechen soll).
      Aber: r2g auf Bundesebene wird sowieso nicht stattfinden, weil die Republik in üblicher Häme und Herablassung jede Regung in Berlin verfolgen und r2g mit Hilfe beflissener Medien von vornherein als Totgeburt verkaufen wird.

      Btw: Holm hat der Koalition in Berlin den Arsch gerettet.

      So ist es, die heuchelnden Koalitionsprotagonisten müßten ihm eigentlich kniefällig danken, ihn mit Rosen bekränzen und auf ihren Händen durch die Stadt tragen. Dann wären sie immerhin von sinnlosem und zerstörerischem Tun abgehalten.

  18. Medienlese:
    Video des gestrigen Gesprächs im ExRotaPrint von Andrej Holm im Austausch mit den Initiativen der Stadtgesellschaft bei Bizim Kiez auf Facebook, ein kurzes Interview dort mit Andrej Holm über sein Befinden nach dem Rücktritt bei den freien Radios und der gestrige Freitag-Salon im Gorki mit Jakob Augstein (gestern: halbwegs vorbereitet und in Form, obwohl er Müller mit reichlich abenteuerlichen Aussagen davonkommen läßt) und Michael Müller bei radioeins: Bringt Rot-Rot-Grün die Hauptstadt voran?

    Nicolas Šustr, nd, berichtet über das Treffen im ExRotaPrint: Den Senat vor sich hertreiben

    »Die LINKE hat mir gesagt, sie würde mich nicht fallen lassen. Das wäre tatsächlich auch ein Gesichtsverlust gewesen«, sagt Holm. Insofern hätte es am Dienstag bei der turnusmäßigen Senatssitzung eine Kampfabstimmung gegeben. »Eine Kampfabstimmung würde nach den Regeln, die sich die Koalition selber gesetzt hatte das Ende der Koalition bedeuten«, so Holm weiter. Das sei für ihn eine relativ große Last gewesen, weil er in der Parlamentsdebatte am Donnerstag auch die Alternativen kennengelernt habe. »Das ist jetzt fast sozialdemokratisch, wenn man das kleinere Übel wählt«, staunt Holm über sich selbst. »Aber alles, was da kommt ist schlimmer, als was wir haben.« Das wäre eine totale Selbstüberschätzung seiner Person gewesen, wenn Rot-Rot-Grün daran scheitern würde, so seine Einschätzung.

    Holm möchte mit den Initiativen analysieren, wie es dazu gekommen ist, allerdings nicht, wer wann welche Fehler gemacht habe und was eloquenter hätte vermittelt werden können. »Es ist tatsächlich eine Diskussion über Machtverhältnisse, die wir hier in der Stadt haben«, gibt der Stadtsoziologe die Richtung vor. Es sei innerhalb der Diskussion schon deutlich geworden, »dass es innerhalb der Koalition Kräfte gibt, die schon die nächste Kampagne vorbereitet hätten. Wenn es nicht die Stasi, der Fragebogen gewesen wäre, wäre es der Linksextremismus geworden. Oder meine Haltung zu den Basisbewegungen in Venezuela.« Es sei richtig gewesen zu sagen es gebe »für eine Wohnungspolitik, die mit meiner Person verbunden ist in der Koalition keine politische Mehrheit.«

    Holm habe sich über die Erklärung des Regierenden Bürgermeisters insofern geärgert, »dass er die Polarisierung als Grund nimmt, warum ich nicht für die Stadt- und Bundespolitik befähigt bin«. »Die Polarisierung ist in Berlin die Voraussetzung, dass es überhaupt eine andere Stadt- und Wohnungspolitik gibt«, so Holms Überzeugung, wofür er im vollbesetzten Saal Applaus erntet.

    »Wie kommen wir dahin, dass diese Optionen, die uns die politische Konstellation pro forma gibt, tatsächlich umgesetzt werden«, fragt er schließlich in die Runde. Die Koalition sei momentan nicht in einem Zustand, dass die Initiativen sich auf sie verlassen könnten. »Ab morgen müssen wir anfangen, die Regierung vor uns herzutreiben, damit eine soziale Stadtpolitik tatsächlich Realität wird«, sagt Holm. Im Vergleich zum Parlament und verschiedenen Sitzungen des Politikbetriebes gefalle es ihm »rein atmosphärisch hier viel besser«.

    Erik Peter, taz: Wer hat ihn verraten? Sozialdemokraten!

    Am erzwungenen Rücktritt von Staatssekretär Andrej Holm ist die SPD schuld. Zu sehr ist sie mit den Eliten verwoben, die viel zu verlieren haben.
    Der alte Spruch, der schon 1914 bei der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten galt, stimmt immer noch. Wann immer es notwendig ist, sich auch gegen massive gesellschaftliche Widerstände für einen linken Kurs zu entscheiden, zieht die SPD den Schwanz ein. Man könnte sagen, ihr fehlt es an Courage, wichtiger ist aber: Die Sozialdemokraten sind durch und durch verwoben mit jenen Eliten, die viel zu verlieren zu haben.

    Im Fall von Andrej Holm hätte die SPD einmal beweisen können, dass sie auch anders kann. Denn weder Holms Kurzzeit-Stasi-Karriere noch seine Angaben auf einem Fragebogen der Humboldt-Universität oder sein heutiger Umgang mit seiner Vergangenheit bieten für eine Absage an sein politisches Angebot ausreichende Gründe. Nichts davon ist die Empörung wert oder ist gewichtiger als der dringend notwendige Politikwechsel im Sinne von Berlins MieterInnen.

    Holms Nominierung durch die Linkspartei war nicht aufgrund seines bereits lange bekannten Stasi-Intermezzos ein mutiger Schritt, sondern weil der Soziologe für einen radikalen Bruch mit marktgläubiger Mieten- Stadtpolitik steht. Sie war eine Kampfansage – auch gegen das Erbe, das die sozialdemokratischen Stadtentwicklungssenatoren der vergangenen 20 Jahre, zu denen auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller gehört, hinterlassen haben: Nichts bedroht die Mehrheit der BerlinerInnen heute mehr als steigende Mieten.

    Den wichtigsten Grund, warum Holm nun gehen muss, hat FDP-Fraktionschef Czaja auf den Punkt gebracht: „Er steht der Hausbesetzerszene näher als einem Investor.“ Für die SPD gilt das Gegenteil. Viel zu oft ist sie Anwalt der Immobilienbranche. So bietet sich etwa der Abgeordnete Sven Kohlmeier auf der Website seiner Kanzlei als „Partner für Immobilieninvestment in Berlin“ an. Dass er als erster Sozialdemokrat Holms Rücktritt forderte, ist sicher kein Zufall.

    In Müllers Ausbootungs­erklärung spielt Holms Vergangenheit keine Rolle. Wie auch? Holm hat niemandem geschadet und sich bereits vor Jahren zu seiner Vergangenheit bekannt, das Urteil der HU steht aus. Übrig bleibt die Kritik an Holms Verhalten in den vergangenen Wochen – schlagende Beweise für seine Untauglichkeit: Fehlanzeige. Holm hat weder die Stasi verharmlost noch die Opfer brüskiert. Müller fokussiert sich stattdessen auf eine nicht dienliche „Polarisierung“.

    Darum geht es: Die SPD hält Konflikte nicht aus, nicht gegen den Mainstream von außen, nicht gegen jenen innerhalb der Partei. Linke Politik ist ihr suspekt oder, wie es ihr Abgeordneter Tom Schreiber jetzt ausdrückte: „Die Linke kann mich mal.“

    Dem widerspricht Antje-Lang-Lendorff, taz: Wer hat ihn verraten? Sozial… so einfach ist das nicht

    Holm ist nicht Opfer einer mit der SPD verbandelten Immobilienwirtschaft. Den Rücktritt haben sich die Linkspartei und er maßgeblich selbst zuzuschreiben​.

    Sophie Krause, SPON: Dann eben Apo, Florian Gathmann, SPON: Holm-Rücktritt rettet Berliner Linkskoalition – vorerst, einen früheren Gathmann-Artikel hat Genova gestern schon säuberlich seziert: Neues von Gott und Teufel

    Berliner Zeitung: Chronologie eines Mißverständnisses

    Christoph Zwickel, Zeit Online (in Gänze lesenswert): Eine linke Demütigung

    Eine etwas unehrliche Basta-Politik ist das – denn Müller war über Holms Stasi-Vergangenheit informiert und hat die Ernennung zum Staatssekretär dennoch unterzeichnet. Wenn er von Holm einen anderen Umgang mit dessen Biografie erwartet hat, eine offensive, öffentliche Bitte um Entschuldigung bei den Stasi-Opfern beispielsweise, direkt zur Amtseinführung – dann hätte Müller selbst dafür sorgen können. Der Regierungschef hätte mit Holm zusammen auftreten können, er hätte als politischer Profi seinem Beamten dabei helfen können, Fehler einzugestehen, bevor sie ihn politisch erledigen. Stattdessen hat Müller Holm hängenlassen.

    Marion Detjen, Zeit Online in der Serie 10 nach 8 (unbedingt ganz lesen): Es bleiben nur Verlierer

    Michael Müller, der Regierende Bürgermeister Berlins, hat reagiert und den gerade erst als Bau-Staatssekretär installierten Andrej Holm zum Abschuss freigegeben. Ohne Absprache mit dem linken Koalitionspartner, der den Stadtsoziologen und Gentrifizierungskritiker für das Amt vorgeschlagen hatte. In den vergangenen Wochen stand Holms Personalie zur Diskussion wegen seines angeblich unehrlichen Umgangs mit seiner Stasi-Vergangenheit. Holm hat daraufhin am heutigen Montag seinen Rücktritt verkündet. Der zweite Koalitionspartner, die Grünen, verbreitet nun die Hoffnung, dass die Debatte damit beendet sei und der Senat sich jetzt „auf seine Arbeit konzentrieren“ könne.

    Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Alle Anzeichen stehen dafür, dass die Entscheidung des Bürgermeisters das Regierungshandeln nicht stärken, sondern schwächen wird. Es bleiben nur Verlierer. Wieder vermitteln die Regierenden der rot-rot-grünen Koalition den Eindruck der Hilflosigkeit und riskieren damit, weitere Bürgerinnen und Bürger in die Politikverdrossenheit zu treiben. Die Linke, die Holm nicht ohne Vorbereitung in diese Position hätte bringen dürfen, muss sich nun überlegen, ob sie überhaupt in der Koalition bleiben kann.

    Es wäre über den Zustand der Behörden und das Staatsversagen in Berlin zu diskutieren. Es wäre darüber zu diskutieren, wie verhindert werden kann, dass Berlin die Entwicklung nimmt, die wir in New York, Paris und London schon seit zwanzig Jahren beobachten. Nicht nur die „Armen“, sondern auch die Mittelschicht, sogar die obere Mittelschicht, ist aus diesen Städten inzwischen an die Ränder verbannt oder auf engstem Raum zusammengedrückt. Investoren, die an einer lebendigen, vielfältigen Stadt kein Interesse haben und auf lange Sicht nur eine winzige Finanzelite immer reicher machen, reißen den städtischen Raum an sich. Darüber müssen wir sprechen. Es wäre auch zu diskutieren, wie wir nach mehr als 25 Jahren mit der DDR-Vergangenheit in den Biografien eines Teils unserer Bevölkerung umgehen wollen, und ob nicht gerechtere, vernünftigere Lösungen – kein Schlussstrich! – endlich an der Zeit wären.

    Stattdessen wurde eine Hexenjagd im Stil der 1990er Jahre veranstaltet. Es wurde der ganze Klatsch über Andrej Holms Jugendverfehlungen, die Glaubwürdigkeit von Schuldbekenntnissen und Erinnerungslücken wieder aufgewärmt als ginge es immer noch darum, am Einzelschicksal beweisen zu müssen, dass die Bundesrepublik den Kalten Krieg wirklich gewonnen hat und das Ministerium für Staatssicherheit wirklich sehr böse war.

    Anja Kühne, Amory Burchard, Tagesspiegel: Zurückgetretener Staatssekretär. Was passiert mit Andrej Holms Stelle an der Humboldt-Uni?

    „Der Fall ist alles andere als eindeutig“, sagt ein anderer Jura-Professor, der namentlich ebenfalls nicht genannt werden will. Anders als Eisenberg meine, habe der Arbeitgeber zwar durchaus das Recht, den Arbeitnehmer nach einer früheren Stasitätigkeit zu fragen. Und die falsche Beantwortung der Frage rechtfertige prinzipiell eine verhaltensbedingte Kündigung. „Trotzdem ist aber keineswegs klar, ob die Humboldt-Universität damit vor Gericht durchkommt“, sagt der Arbeitsrechtler.

    Der Berliner Anwalt Alexander Bredereck erklärt auf seiner Homepage zum Thema „Stasitätigkeit und Kündigung“, eine Rolle spiele vor Gericht auch, ob der Arbeitgeber die Befragung überhaupt „nur routinemäßig“ „ohne echtes Interesse an deren Ergebnis“ durchgeführt habe. Kommt heraus, dass die HU die Antwort auf dem Fragebogen nicht richtig gewürdigt hat, weil sie etwa zu Holms Angaben keine interessierten Rückfragen gestellt hat, könnten ihr hieraus auch Nachteile vor Gericht erwachsen.

    Komme es zur Kündigung wegen einer verschwiegenen Stasi-Tätigkeit, solle sich der Arbeitnehmer wehren, rät Anwalt Bredereck: „Zumindest eine satte Abfindung ist in solchen Fällen dann immer drin“, schreibt er.

    Holm könnte sich in einem Rechtsstreit trotzdem gegen eine gütliche Einigung sperren, um seine entfristete Stelle wiederzubekommen – angesichts der prekären Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft ist diese schließlich ein hohes Gut.

    All diese Aspekte wird sich die Humboldt-Universität gut überlegen, bevor sie Holm tatsächlich kündigt. „Es wird für Holm unterhalb der Kündigung ausgehen“, meint darum ein Insider. „Die Präsidentin Kunst kann sich das leisten. Sie steht ja nicht im Ruf, immer den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.“

    Den Rest erspare ich Ihnen, der ist nämlich nur traurig – drei Beispiele: Katja, Bauer, Stuttgarter Nachrichten: Ein uneinsichtiger Rücktritt und jede Menge zerstörtes Vertrauen, Joachim Fahrun, Morgenpost: Rücktritt von Andrej Holm: Der Spaltpilz ist gepflanzt und der immer freier drehende Don Alphonso: Holm geht, und das Land gehört euch nicht. Der Guardian zum Beispiel übernimmt die Sichtweise der Berliner CDU/FDP, die die Meinungshoheit bei Reuter übernommen zu haben scheinen, bei Springer werden erwartungsgemäß die Messer gewetzt, Robert Ide meint was zum Gespräch im ExRotaPrint im Tagesspiegel und versucht auf Twitter, die Reste seiner journalistischen Reputation zu retten usw.usw.

    1. Danke für Ihre Mühe. Ein Holm, viele Meinungen. Detjen und Zwickel in der Zeit sind lesenswert. Bei Alfonso ist bemerkenswert, dass er offenbar wert darauf legt, als charakterliches Arschloch aufzutreten, was wohl der Grund ist, weswegen er Zuspruch bekommt. Ein eitler, selbstverliebter Fratz, bei dem andererseits viele Ängste durchschimmern, dass ihm etwas weggenommen werden könnte. Was ihm vielleicht auch weggenommen gehört. Schlechtes Gewissen. Psychologisch würde mich eine Studie zu seinen Lesern interessieren.

      Die Holm-Entwicklung ist nur möglich, denke ich, weil die absurden Immobilien-Verhältnisse als nicht hinterfragbar betrachtet werden, als Naturverhältnisse. Es sind die letzten 20 Jahre neoliberale Zurichtung nötig gewesen, damit es so laufen kann.

      1. Ich glaube eigentlich, daß diese Zurichtung wesentlich älter ist, Stichwort ‚protestantische Arbeitsethik‘, nach der nur derjenige gottgefällig ist, auf dessen Bankkonto oder in dessen MeinBootmeinHausmeinAuto sich das auch zeigt. Sprich: seit dem 16.Jhdt gilt Besitzmehrung als Gottesbeweis und Naturverhältnis und es ist auch keine allzu große Überraschung, daß viele Schwaben wirtschaftlich so erfolgreich sind, im Ländle lebt das in Deutschland reaktionärste Protestantentum.

        (für Nicht-Berliner: unter ‚Schwaben‘ verstehen wir hier übrigens nicht notwendigerweise nur und auf keinen Fall alle Migranten aus dem Südwesten der Republik, sondern Leute, die oft vor kleinbürgerlicher Enge nach Berlin fliehen, Miet- und Immobilienmarkt (gern mit ererbtem Geld) in den Himmel treiben, seeehr ernährungs-, umwelt- und nachwuchsorientiert sind und schnellstmöglich alles abschaffen, weswegen sie ursprünglich mal nach Berlin gezogen sind, z.B. Clubs mit Livemusik, Bars und Kneipen mit Außenbewirtschaftung, heterogene Bevölkerung usw. Deren natürliches Habitat war eigentlich ’s Prenzle Bergle, sie sind aber inzwischen erfolgreich auf dem Vormarsch auch in Weißensee, Wedding, Mitte, Neukölln, Kreuzberg, überall in der Berliner Innenstadt. Wer speziell besagtes natürliches Habitat besichtigen möchte, kann das bei der Prenzlschwäbin und beim Kiezneurotiker tun)

        1. Ja, Datierungen sind immer flexibel und für jede gibt es Gründe. Man sollte die Schwaben aber nicht so sehr runterputzen. Dass die ihren Gehsteig fegen, hat was. Berliner Diskussionen über monatelang vereiste Gehwege sind dort nicht vorstellbar. Ein Schweizer Architekt (und die Schweiz zähle ich einfach mal zum süddeutschen Raum) sagte mir einmal: „Wir pflegen halt unser Zeug“. Daran denke ich manchmal mit Wehmut, wenn ich den Berliner Vandalismus sehe.

          Der Schwabe Werner Sobek macht ganz hervorragende Sachen:

          https://exportabel.wordpress.com/2017/01/17/wie-man-gut-und-guenstig-bauen-kann-jenseits-der-polit-und-baumafia/

          1. Man sollte die Schwaben aber nicht so sehr runterputzen. Dass die ihren Gehsteig fegen, hat was.

            Um dem vorzubeugen, hatte ich eigens in Klammern druntergeschrieben, daß ‚Schwaben‘ nicht notwendigerweise mit Schwaben zu tun haben muß. Außerdem fegen z.B. türkische Geschäftsleute nicht nur den Gehweg vor ihrem Laden bei jedem Wetter, sondern besprengen ihn im Sommer auch mit Wasser – damit es nicht staubt und ein bißchen kühler wird. Im Gegensatz zu den gemeinten Schwaben erklären die das aber nicht zum Credo und giften jede/n an, der das irgendwie anders hält, sondern die machen einfach – aber ich schweife ab…

    1. Whow. Ich (bekennende Naive) hatte noch gehofft, daß Prof. Kunst ihrem Ruf, auch unbequeme und unpopuläre Entscheidungen zu treffen, auf andere Weise gerecht wird.

      Bemerkenswert finde ich auch, daß der rbb das offenbar schon gestern aus den unvermeidlichen „gut unterrichteten Kreisen“ erfahren haben will und prompt gemeldet zu haben scheint.

      Die Presseerklärung der HU und, falls es interessiert, Andrej Holms vollständige Stasiakte.

      Haben Sie übrigens Christian Füllers jüngste Tirade gelesen? Er scheint seinem Geschäftsmodell des Pisa-Verstehers und Mißbrauchten-Sprachrohres von eigenen Gnaden nun noch das des DDR- und Stasi-Besserwessis hinzu zu fügen.

      (schmunzeln mußte ich eben über die WordPress-Benachrichtigung über Ihren Kommentar: Marian Schraube kommentierte auf Michael Müllers Rückgrat)

      1. Nu ja, aufm Buckel der Leute im Rampenlicht geht kommentieren immer ;) Füller konnte nebenbei ein klein wenig taz-Bashing betreiben und hat sich damit die x-te Revanche für seinen dortigen Rauswurf gegönnt. Ich sach jetzt nichts weiter dazu.
        Aber wäre ich Holm: Diesen Rauswurf würde ich nicht nur nicht hinnehmen, sondern einmal richtig ausloten, ob nicht die HU-Fragebögen vielleicht doch ein ganz klein wenig bias-behaftet sind. Das würde mehr als nur der Rechtsfindung dienen. Aber dafür braucht’s Zeit, Geld, Lust und Gerichtetheit. Niemand würde es Holm verdenken, wenn er andere Wege wählte.

        1. Eine arbeitsrechtliche Klage gegen den Rauswurf aus der HU würde ihm so oder so übelgenommen und dabei verwette ich meine Tugend, daß es ihm am wenigsten um die Abfindung ginge.

          Neugierig bin ich noch, was für einen Job die LINKE ihm jetzt zur „Existenzsicherung“ überhelfen wird.
          Achachach.

  19. Inzwischen wurde das Institut für Sozialwissenschaften an der HU besetzt.

    »Dies ist unsere Antwort auf die politische Entscheidung, Andrej Holm als kritischen Wissenschaftler und Dozenten an unserem Institut zu entlassen«, begründet die Studierendeninitiative »Uni von Unten« in einer Mitteilung ihre Aktion. Mit Andrej Holm verliert das Institut einen der wenigen verbliebenen kritischen Dozierenden an diesem Institut. »Wir nehmen jetzt, wo uns die Universität uns ein kritisches Studium zunehmend unmöglich macht, im Rahmen der Besetzung unsere Bildung selbst in die Hand«

    Im Soldiner Kiezkurier gibt’s einen offenen Brief an das Präsidium der HU Berlin (und einen Redebeitrag)

    Schockiert haben wir in den letzten Tagen die Diskreditierungskampagne gegen einen der beliebtesten Lehrenden des Sozialwissenschaftlichen Instituts der HU Berlin verfolgt. Nicht nur werden mit Begriffen wie „Stasi-Staatssekretär“ (Berliner Morgenpost, 18.12.2016) gezielt die Fakten verdreht und die massive Unterstützung, die er durch stadtpolitische Initiativen (1) aber auch von anderer Seite, z.B. durch DDR-Oppositionelle (2), erhalten hat, unterschlagen. Allen Beteiligten ist darüber hinaus mehr als bewusst, dass der Widerstand gegen die Ernennung Andrej Holms weniger mit seiner Vergangenheit, sondern vielmehr mit seinen aktuellen wohnungs- und stadtpolitischen Positionen zu tun hat. Die gegenwärtige Empörungswelle erscheint uns deshalb nicht nur unsachlich und einer inhaltlichen Diskussion ausweichend, sondern kommt zudem vor allem den ökonomischen Interessen der Immobilienwirtschaft zugute, bzw. läuft denen der Mieter_innen dieser Stadt zuwider.

    Wir möchten hier vor allem auf die Bedeutung von Andrej Holm als Lehrenden und Forschenden eingehen. Er ist einer der kompetentesten Dozent_innen am sozialwissenschaftlichen Institut – nicht nur, weil er in seinen Seminaren gesellschaftspolitisch relevante Themen behandelt und mit seinem kritischen Blick auf die Welt zum Nachdenken anregt, sondern auch, weil er ein engagierter Lehrender ist, der sich mit seinen Studierenden auseinandersetzt, sie ernst nimmt und an ihrem akademischen Werdegang interessiert ist. Nicht wenige von uns haben sich vor allem auch aufgrund von Andrej Holm für ein Studium am Sozialwissenschaftlichen Institut entschieden und für so viele von uns ist er ein akademischer und politischer Referenzpunkt an der Universität. Ein Ende seiner Anstellung würde einen herben Schlag für kritische Forschung und engagierte Lehre an der Humboldt-Universität zu Berlin bedeuten!

    Screenshot bei Tobias Schulze, Twitter von einem Flugblatt:

  20. Der Freitag-Salon mit dem regierenden Bürgermeister wurde nun auch verschriftlicht wiedergegeben: „Das nervt mich“, nur ein kleines Detail daraus:

    Augstein: Man kann es auch so sehen: Holm wurde in einem Machtkampf verheizt.
    Müller: Das ist nachträgliche Legendenbildung. Jeder kann ja Holms Rücktrittserklärung nachlesen, sie steht online. Er hat angeblich alles richtig gemacht und die anderen fechten auf seinem Rücken einen ganz bösen Machtkampf aus. So funktioniert es nicht. Gerade wenn Rot-Rot-Grün mit nur 52 Prozent der Stimmen einen Neustart machen und auf Augenhöhe miteinander regieren will, dann muss ich auch Selbstkritik einfordern können. Die Linke hat einen Personalvorschlag gemacht, den sie nicht rechtzeitig und gut geprüft hat. Sie hat der SPD und den Grünen damit viel zugemutet. Als Koalition müssen wir die Möglichkeit haben, politisch zu reagieren, auch in der Stadtentwicklungs- und Mietenpolitik. Aber wie soll das mit einem Repräsentanten gehen, der politisch verbrannt ist? Diese Selbstkritik würde ich gerne hören. Sonst funktioniert gemeinsames Regieren auf Augenhöhe nicht.

    Vergleiche das mit dem heutigen Tagesspiegel, Ulrich Zawatka-Gerlach: Müller gegen Saleh. Machtkampf belastet Berliner SPD und schließe selbst, u.a. auf Augsteins Kompetenz als interviewender Journalist. Als Gastgeber war er zweifellos gut, er hat es Müller gemütlich gemacht.

    Am Rande ein ungebrochen lesenswerter Artikel (2013) von Stephan Reinecke in der taz über Personalfragebögen, diesmal in Bayern: Vortrag nur nach Gesinnungs-TÜV

  21. Jost Müller-Neuhof kommentiert im Tagesspiegel: Im Umgang mit Holm ging jedes Maß verloren

    So klingt es, wenn ein Schuldiger gefunden werden muss, wo es keine Schuld gibt. Denn im Grunde wissen die Beteiligten, dass Holm nach bisherigem Stand kein Vorwurf zu machen ist. Soweit bekannt, hat er weder Kerzenkinder verprügelt noch Republikflüchtlinge verraten. Ein Stasi-Jüngling mit Stasi-Eltern, der für gutes Stasi-Ausbildungsgeld eine Stasi-Karriere anstrebte, ehe mit der Mauer sein mutmaßlich ungereiftes Weltbild zusammenbrach. Äußerungen des Mannes lassen darauf schließen, dass er im Nachgang Selbstprüfungen absolvierte, die andere noch vor sich haben.

    Braucht jemand noch mehr persönliche Wahrheit? Und wenn ja – warum und mit welchem Recht? Es musste deshalb noch einiges zusammenkommen, um die Affäre politisch Fahrt aufnehmen zu lassen. Holms Stasi-Personalakte zum Beispiel, die passend zu den ersten Sticheleien der Opposition wie auf Knopfdruck den Weg in die Redaktionen fand. Oder ihre Interpreten wie den Behördenleiter Roland Jahn, der es für seine amtliche Aufgabe hielt, Holm sodann die Eignung für den Posten abzusprechen. Und es brauchte einen überheblichen Michael Müller, der ausrichten ließ, er könne sich Holms Akte per Google suchen, wenn er wolle. Nicht zu vergessen der Wechsel in der Rhetorik. Wo Holm erst das falsche Zeichen war, wurde er ein Schlag ins Gesicht der Opfer.

    War, was dann geschah, vorhersehbar? Wer statt nach Schuld nach Verantwortung fragt, wird jedenfalls bei Michael Müller fündig. Sein Senat hätte Holm entweder nicht ernennen oder ihn nicht entlassen dürfen. Dass er nun nicht aus Überlegung, sondern aus Schwäche heraus gehandelt hat, verstärkt den Eindruck vom Desasterstart seiner Koalition.

    War Holm der grandiose Uni-Mitarbeiter, als den ihn die Präsidentin beschreibt, ist das Argument vorgeschoben, ihm nicht vertrauen zu können. Einsicht, endlich Einsicht wünscht man sich von ihm, dann dürfe er wieder arbeiten. Doch was soll er einsehen? Dass er, wie damals von der Strafjustiz, jetzt wieder ungerecht behandelt wird? Einsicht fehlt eher hier: Dass eine demokratisch regierte Stadt und insbesondere ihre Universitäten Orte sind, an denen es viele Wahrheiten gibt und jeder seine haben darf. Zumal die über das eigene Leben.

  22. Gereon Asmuth in der taz mit einem schönen Artikel über die Gentrifizierung in Mitte: Die sprechenden Fassaden

    Einst schrieben Besetzer „Wir bleiben alle“ auf ihr Haus. Nun pinselt ein Investor „Wir schaffen das“ auf eine Fassade. Ein Spaziergang.

    Ulf Kadritzke, telegraph: Bemerkungen zum Umgang von Robert Ide mit dem ‚Fall Holm‘ im Tagesspiegel

    Vorbemerkung: Im Gegensatz zu der um Differenzierung bemühten Berichterstattung im Wissenschaftsteil des Tagesspiegels und zu dem politisch wie menschlich einfühlsamen „Einspruch“ von David Ensikat (vom 21. Dezember 2016) hat Robert Ide über den ‚Fall Holm‘ auf eine Weise und in einer Sprache geschrieben, die den Tagesspiegel nicht nur – was kaum verwundert – politisch eindeutig ausweist, sondern auch journalistisch beschädigt.

    Eine feine, sehr lesenswerte Sezierung.

    Robert Ide wird btw. mannhaft verteidigt von Christian Füller (der mich jüngst mit dem Etikett *Links-Pegida* ehrte)

    1. Nach dem Ausschluss Holms wird es noch schwieriger werden, Berlin das Schicksal vieler anderer europäischer Hauptstädte zu ersparen: Magnet zu sein für die, die die Nähe von Macht und Geld suchen und dafür Investitionskapital mitbringen. Das ist die Überlagerung der Stadt durch den Sitz einer Regierung, zumal in einem von vielen in vielerlei Hinsicht als stark erachteten Deutschland. Wien ist dem klug begegnet, indem in öffentlicher Hand befindliches Eigentum nicht verscherbelt wurde.
      Btw: „Der mit vorletzter Tinte schreibt“ ist noch weniger als bei Karl Valentin schon gar nicht der Rede wert.

      1. Sie verkennen die Lage in Berlin, hier ist nicht nur die in Westdeutschland verachtete Hauptstadt, es gibt hier auch ein paar Bürger. „Investitions“-Kapital wurde staatsgefördert schon lange vor der Wende nach West-Berlin mitgebracht, es war lukrativ, Wohnraum leerstehen und/oder verrotten zu lassen, zwischenzeitlich, nach der Wende und dem Umzug der Regierung, wurde es lukrativ, in unvermietbare Büroflächen und Prestigeobjekte aller Art und jetzt, in Luxuswohnraum zu „investieren“.

        Die gesuchte Nähe zur Macht können Sie eher den Listen der von den Parteien mit Bundestags-Hausausweisen ausgestatteten Lobbyisten entnehmen (ja, ich weiß, es wurden inzwischen Hausausweise entzogen). Ein Andrej Holm in der Position eines Staatssekretärs hätte gegen den staatlich geförderten Berliner Filz nur wenig ausrichten können – ich glaube vielmehr, daß er in der APO weit mehr Einfluß nehmen kann, als er als Verwaltungschef einer filzigen Behörde je gehabt hätte.

        Der entscheidende Unterschied zwischen Berlin und Wien: Wien hat immer am sozialen Wohnungsbau festgehalten, heißt: nicht nur nicht verkauft, sondern stets auch neu gebaut und damit ganz nebenbei auch architektonische Maßstäbe gesetzt.

        Dessen Geschichte in Deutschland – nicht nur in Berlin – und auch die der „Linken“ nach Gewerkschafts-/SPD-Zuschnitt können Sie an der Neuen Heimat beispielhaft nachvollziehen. Genova hat zahllose Artikel über Wien, Wohnen, Wohnkosten, Gentrifizierung, Neoliberalismus geschrieben, lesen Sie bei Interesse bei ihm nach.

        Ich fürchte, selbst für „vorletzte Tinte“ sind beide noch ein bißchen jung. Ich fand die Parallelen in beider Stil und Füllers Angewanze an Ide erwähnenswert. Sie werden mir bestimmt auch selbst zugestehen, was ich in meinem Blog für der Rede wert erachte und was nicht.

  23. Werte Dame von Welt,
    Ihnen sehr herzlich für Ihren Verweis auf Genova dankend, den ich ohnehin lese, sehe ich weder Verachtung noch West oder Ost. Sondern Berlin als Stadt und seine Bevölkerung machen die Erfahrung anderer wichtiger Metropolen und Hauptstädte: Zum Magneten geworden zu sein. In Berlin geht das in einem sehr sehr schnellen Tempo, weil die Stadtregierung und -verwaltung aus verschiedenen Gründen die steigende Bedeutung zwar willkommen geheißen haben, die Konsequenzen aber noch vor korrupt tatsächlich dilettantisch angegangen sind. Welche Metropole verfügt denn über gleich 4 Flughäfen, davon einer voll funktionstüchtig stillgelegt, der andere trotz immensem Aufwand noch immer in Mutterns Kramkiste?

    Wien habe ich genannt, weil es nicht nur Österreichs Hauptstadt ist, sondern sich mit der UNO-City und anderen internationalen Ansiedlungen in den 1970ern bis 1980ern wieder zu einem internationalen Drehkreuz mauserte. Darüber ist sie im Einklang mit London, Zürich und Frankfurt zu einem bedeutenden Bankenplatz geworden. Den Verlockungen des schnellen Geldes haben die über die Zeit überwiegend SPÖ-orientierten Stadtoberen weitgehend standgehalten. Für ein nunmehriges Umdenken in Berlin wäre Holm personell gestanden. So aber hat sich der Senat mit ebensoviel Ruhm bekleckert wie die 5-Sterne-Bewegung, die in Rom (Hauptstadt und Metropole mit einer etwas längeren Geschichte als Berlin) ans Ruder kam, um binnen weniger Wochen gerade in Fragen der Kommunalverwaltung und deren Personalentscheidungen zu scheitern.

    (Letzter Absatz in Absprache gelöscht, dvw)

    1. …sehe ich weder Verachtung noch West oder Ost. Sondern Berlin als Stadt und seine Bevölkerung machen die Erfahrung anderer wichtiger Metropolen und Hauptstädte: Zum Magneten geworden zu sein.

      Ich sag’s ja, Sie verkennen die Lage. Berlin ist der einzige, erwähnenswert große Ort in der Republik, an dem eine Wiedervereinigung überhaupt zu praktizieren versucht wird. Im tiefen Westen fällt es sehr leicht, weder West noch Ost zu sehen und überdimensionierte Zeigefinger zu bemühen.

      Magnet“ war und ist die Stadt nicht erst durch den Status als Hauptstadt. Es gibt ziemlich viele Berliner, deren Leben auch ohne das Haupt- in ihrer Heimatstadt sinnvoll und führbar wäre und die sich nicht mal ein bißchen um den Regierungsumzug aus Bonn gerissen haben, darunter auch ich.

      Um aber Ihre Frage zu beantworten (und einen Beitrag zum nutzlosen Wissen zu leisten):

      Welche Metropole verfügt denn über gleich 4 Flughäfen, davon einer voll funktionstüchtig stillgelegt, der andere trotz immensem Aufwand noch immer in Mutterns Kramkiste?

      London verfügt, je nach Zählweise, über 8 bis 10, Rom über 7 und Paris über 4 Flughäfen. In Berlin gibt es aktuell 2 Flughäfen in Betrieb, nämlich Tegel und Schönefeld, einen im Bau und 4 zu unterschiedlichen Zeitpunkten „voll funktionsfähig stillgelegte.

      Ich hoffe nicht, daß ich extra erklären muß, welche Risiken mit startenden und landenden Flugzeugen mitten in einer Großstadt verbunden sind, noch, welche Auswirkungen die systematisch zu niedrig angesetzten Kosten auf die meisten Großprojekte nehmen. Beim BER kommt – im Gegensatz zu z.B. Hamburg und der Elbphilharmonie – die enge wirtschaftliche Lage der Stadt dazu. Berlin kann es sich einfach nicht leisten, die Kosten zu verzehnfachen. Einen kleinen Gedanken könnten Sie auch noch darauf verschwenden, was so alles passiert (neben dem bereits erörterten), wenn man zwei unabhängig voneinander und unterschiedlich funktionierende Städte nebst ihren Verwaltungen zusammenlegt.

      (Letzter Absatz gelöscht, weil überflüssig, dvw)

  24. Manchmal reicht es auch, mal zu gucken, wo der herkommt (wikipedia der Einfachheit halber, in den von mir überflogenen unzähligen Artikel mit viel Blabla wird das leider nie erwähnt:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Andrej_Holm
    Linientreues Elternhaus und (Zitat): „Er verpflichtete sich zudem, im Auftrag des MfS Journalismus an der Universität Leipzig zu studieren“. Scheiße formuliert m.E., aber durchaus üblich, Abi und Studium durch Verpflichtung bei einem staatstragenden Organ machen zu können. Sprich, nicht durch Vetternwirtschaft sondern aus Überzeugung. Spräche für seine Eltern/Großeltern. Evtl. hätte dem Holm weniger Geeiere seinerseits gut getan, weil der war schon so richtig drin im System. Auch dem wo die zitierte Quelle verfasste: http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/stasi/240047/einmal-stasi-immer-stasi?pk_campaign=nl2017-01-11&pk_kwd=240047
    Schlußendlich hat der in einer überwachten Parallelgesellschaft gelebt. Und das Unrecht, welches in der DDR begangen wurde, impliziert, daß die Gesetze der DDR gebrochen wurden und/oder mißbraucht um offen Abtrünnige zu verfolgen. Die Staaten, die das nie gemacht haben, kann mensch wohl an einer Hand abzählen. Die BRD landet diesbezüglich bei ai, Ärzte ohne Grenzen o.ä. auch nicht unter den ersten dreißig Staaten.

    Dann möge mensch auch mal gucken, wie lange der überhaupt gedient hat. Grundwehrdienst und dann bis 9.11.’89 noch ca. VIER!!! Wochen. Abends nach der Marschiererei und Dreckrobberei wird der wohl keine Akten mehr bearbeitet haben und danach wohl auch nicht die sensiblen.
    In jeder Schule hingen Schautafeln rum, wo die Jungs (waren auch 3,5 Mädels dabei) sich zu Uffz. oder höher in den bewaffneten Staatsorganen bereiterklärt hatten. Da waren durchaus Deals von Sprößlingen weniger linientreuer Familien dabei, um sich ne Zukunft mit Abi und Studium zu ermöglichen. Wäre mal interessant zu wissen, wieviel spätere Blockflöten auf solchen Tafeln verewigt waren.
    Klar war der als FDJ-Kader dafür auch Anwerber, heutzutage geht die BW und die Polizei im Rahmen von Unterrichtsstunden mit bedenklicher Werbung auf Fang nach Frischfleisch. Bin mir nicht ganz sicher, wie gefestigt das Weltbild der heutigen Teenies ist… Werbung in der „BRAVO“ dafür gibts auch nicht erst seit gestern. Usw. usf.

    1. Manchmal reicht es auch, mal zu gucken, wo der herkommt (wikipedia der Einfachheit halber, in den von mir überflogenen unzähligen Artikel mit viel Blabla wird das leider nie erwähnt …

      Auch im ersten Blog zu Andrej Holm finden Sie eine ganze Reihe Quellen, in denen nicht nur Holms familiärer Hintergrund, sondern sein gesamter Werdegang, sein späterer Umgang mit der Stasi-Tätigkeit und der an den Haaren herbeigezogene Terrorverdacht gegen ihn (nebst jahrelanger Bespitzelung) thematisiert wird und auch, wer sich so alles unter dem Stichwort Stasi über Andrej Holm und über Anetta Kahane hermacht. Manchmal reicht es auch, mal zu gucken, wo das herkommt…;-)…

  25. Schauschau:

    Der nicht getwitterte, nicht im Checkpoint erwähnte Artikel ist von Jost Müller-Neuhof: Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen Hubertus Knabe verteilte Holms Stasi-Akte an Journalisten

    Der Leiter der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen befeuerte die Empörung über die Berufung des Staatssekretärs. Dabei verstieß er möglicherweise gegen das Unterlagen-Gesetz.

    Nach dem Rücktritt des kurzzeitigen Baustaatssekretärs Andrej Holm wegen Stasi-Vorwürfen gerät der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, in die Kritik. Der Historiker hatte, teils auf Anfrage, die Stasi-„Kaderakte“ zu Holms Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst Anfang Dezember per Internetlink zahlreichen Journalisten zur Verfügung gestellt, darunter dem Tagesspiegel. Zugleich hatte Knabe öffentlich Holms „Falschangaben“ zu seinem Lebenslauf kritisiert und damit die Debatte über seine Eignung für den Regierungsposten bei Senatorin Katrin Lompscher (Linke) befeuert.

    Der Stasi-Forscher Knabe war der Erste, der die geplante Berufung Holms zugleich mit der Aktenveröffentlichung als „Tabubruch“ und „Verhöhnung der DDR-Opfer“ kritisiert hatte. Den Aktenversand per Internet bestätigt er. Er habe den Link an Journalisten weitergeleitet, „um meine Sicht der Personalie zu begründen“. Die Stiftung erklärt die Weitergabe zu Knabes Privatsache: Dieser habe „während seines Urlaubs eine private E-Mail geschrieben, zu der in der Stiftung keine Informationen vorliegen“. Daran gibt es allerdings Zweifel, da Stiftungsleiter Knabe selbst zuvor noch angegeben hatte, „mein Mitarbeiter“ habe ihm die Akte geschickt. Später erklärte er dann, er habe das Dokument von einem „freien Journalisten“ erhalten.

  26. Bei den ganzen Wohnungsbaugeschichten sollte mensch auch mal über den Berliner/Hamburger/Münchner… Tellerrand gucken. In Jena z.B. wurde im neugebauten Stadtteil Lobeda in den 90ern ein Teil der DDR-Wohnblocks abgerissen oder um ein paar Stockwerke rückgebaut. Heute isses dort schwierig ne bezahlbare Bude zu finden. Ebenso werden/wurden WG- und familientaugliche Altbauten umgestrickt in Kleinwohnungen. Natürlich energetisch saniert, was bisweilen sehr fragwürdig ist, da sauteuer und nicht immer sinnvoll ökobilanztechnisch.
    In Ilmenau (genau wie Jena ne Stadt, die von und mit der Uni dort ganz gut existiert) gabs da auch Überlegungen, jetzt sind die froh, daß die Blocks, die seinerzeit (Mitte 70er) wegen der Konzentration der umliegenden Porzellanmanufakturen dorthin gebaut wurden (das Kombinat wurde nach der Wende kaputtprivatisiert), nicht abgerissen wurden, sonst hätten die auch dort ein noch größeres Problem.

    Nicht zu vergessen, weil ich grade dabei bin, ist der Dämmstoff- und Heizanlagenindustrielobbywahnsinn namens EnEV (https://de.wikipedia.org/wiki/Energieeinsparverordnung). Dankbar aufgegriffen und das nicht zum Wohle des Volkes, weil Ökochick und Milchmädchenrechnungen bzgl. Kyotoprotokoll. Will z.B. jemand ein älteres Einfamilienhaus kaufen und nach und nach mit seinen finanziellen Möglichkeiten sanieren, kann er das gleich vergessen. Neue Dachhaut oder neue Fenster bedeutet Komplettsanierung. Da ist Neubau auf der grünen Wiese in Stadtnähe preiswerter. Nicht alle halbverlassene Dörfer und Klein(st)städte liegen in strukturschwachen Gebieten.
    Usw. usf. .

  27. Habemus Baustaatssekretär: Sebastian Scheel soll Holm-Nachfolger werden, der kommt ursprünglich aus Brandenburg, war Abgeordneter im Leipziger Stadtrat und ist seit 2004 Mitglied des Sächsischen Landtags. In der vergangenen Wahlperiode war er Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses, er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Sächsischen Landtag, Mitglied im Präsidium des Sächsischen Landtages und hat „einige Verwaltungserfahrung und politische Erfahrung“ – ich habe von ihm noch nie irgendetwas gehört oder gelesen oder gesehen.

    Die Sozialwissenschaften in der HU sind jetzt in der 4. Woche besetzt. Andrej Holm wurde inzwischen von der Berliner Linke eine freie Mitarbeit angeboten, es ist noch nicht bekannt, ob er annimmt.

    1. Am Rande, nämlich dem nördlichen von Kreuzberg, Nicolas Šustr, nd:

      Otto Suhr war eine Ikone der Berliner Sozialdemokratie. Die nach ihm benannte Siedlung am Nordrand Kreuzbergs ist ein Musterbeispiel der drohenden Verdrängung von Mietern durch energetische Sanierung. Mietsteigerungen bis zu 30 Prozent drohen durch die Maßnahmen, die im Sommer beginnen sollen.

      … Nach der Privatisierung der einst landeseigenen Bestände im Jahr 2004 landete ein Teil der Siedlung nach einigen Zwischenstationen bei der Deutschen Wohnen. »Mit jedem Verkauf verschlechterte sich die Bewirtschaftung der Wohnanlage«, schreiben die Mieter.

      »Unter dem Vorwand der Verbesserung der Wohnverhältnisse durch energetische Sanierung geht es ausschließlich um die Profitmaximierung dieses börsennotierten Konzerns«, heißt es weiter. … Wegen der Möglichkeit, elf Prozent der energetischen Sanierungskosten zeitlich unbegrenzt auf die Miete umzulegen, ist die Rendite für die Hauseigentümer zweistellig. …

      »Bewohner mit alten Mietverträgen will man so loswerden.« Darum würden inzwischen Kündigungen und folgende Räumungsklagen mit absurden Begründungen ausgesprochen. Zum Beispiel wegen Schuhen im Treppenhaus oder weil nach mehrmaligem Wechsel der Hausverwaltung der Bewohner den Überblick verloren hat und die Miete auf dem falschen Konto landet. … »Berlin entwickelt sich zur Hartz IV-freien Zone«, sagt Holm. Während 2007 noch 100 000 Wohnungsangebote innerhalb der von den Ämtern vorgegebenen Kostengrenzen lagen, waren es 2015 gerade noch 9575. Die durchschnittliche Angebotsmiete lag 2015 bei 9,05 Euro nettokalt, die Bestandsmiete bei 5,84 Euro. »Selbst das liegt schon über dem Höchstsatz von 5,71 Euro für Einpersonenhaushalte«, sagt Holm. Bei größeren Familien sinkt der Satz auf bis zu 5,33 Euro.

      131 000 bezahlbare Wohnungen fehlten schon 2015 für Haushalte mit geringem Einkommen. Auch absolut fehlt Wohnraum. Während von 1992 bis 2014 rund 200 000 Wohnungen gebaut wurden, nahm die Zahl der Haushalte im selben Zeitraum um 330 000 zu. Standen 1995 noch 108 Wohnungen pro 100 Haushalte zur Verfügung, waren es 2014 nur noch 96 Wohnungen. »Inzwischen kann niemand mehr an den Rand gedrängt werden, weil auch der schon voll ist«, sagt Holm. Im Außenbezirk Spandau lag 2014 die Wohnungsversorgungsquote auch bei nur 90 Prozent des Bedarfs. »Die Konkurrenz führt zu Diskriminierung«, so der ehemalige Wohn-Staatssekretär.

      Über den neuen Wohn-Staatssekretär schreibt der Tagesspiegel (link s. voriger Kommentar):

      … Scheel eilt der Ruf des Salon-Sozialisten voraus. Er trägt Anzüge von Calvin Klein, eine Designerbrille und italienische Schuhe, und er mag teure Autos.

      Aber wie wir ja von Erika Steinbach wissen: man muß kein Wal sein, um sich für Wale einzusetzen.

  28. Jo, ich dachte auch, wenigstens die Staatssekretäre (Beamte) sollten von dem jeweiligen Ressort mehr als nur ein Pfützenwissen haben. Aber was solls, wenn Unternehmen umstrukturiert/verbessert werden sollen, machen des oft frisch von der Uni zu den Unternehmungsberatungen gegangene B/VWLer. Warum sollte es in der Politik anders sein?!? Und ein warmes Dach übern Kopf hat der ja wohl, reicht bestimmt als Qualifikation.
    Zitat: „Sebastian Scheel absolvierte nach seinem Abitur von 1996 bis 2004 ein Studium der Politikwissenschaften, Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Leipzig, welches er mit dem akademischen Grad M.A. rer. pol. beendete.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Scheel)
    Auch noch Langzeitstudent…

  29. Kotti & Co zur Deutschen Wohnen:

    Die Weigerung der Deutschen Wohnen AG den Berliner Mietspiegel anzuerkennen ist ein Skandal. Leider jedoch nicht das einzige skandalöse am Geschäftsmodell der Deutsche Wohnen AG.

    Im Jahr 2016 hat das Unternehmen mit 1,2 Mrd Gewinn „das beste Jahresergebnis der Unternehmensgeschichte“ eingefahren. Was Manager und Aktionäre freut, bedeutet für uns Mieterinnen und Mieter der Deutschen Wohnen Mieterhöhungen, Luxus-Modernisierung, Verkauf, Abriss unserer Wohnungen – also Verdrängung oder immer weniger Geld zum Leben nach der Miete.

    In der Kreuzberger Otto-Suhr-Siedlung will die Deutsche Wohnen die Altmieter*innen durch energetische Modernisierung wegdämmen. Auch in Pankow saniert sie „energetisch“ mit 2€ Energieeinsparung und 300€ Mieterhöhung. In Lichtenberg will die Deutsche Wohnen die Miete durch Modernisierung fast verdreifachen. Am Kottbusser Tor kauft sie sich vorzeitig aus den Bindungen des Sozialen Wohnungsbaus und nimmt doppelt so hohe Betriebskosten wie im Berliner Durchschnitt. In Zehlendorf wandelt sie Wohnungen in Eigentumswohnungen um, die wir nie im Leben kaufen könnten. Im Westend reißt sie Häuser ab, um sie durch Luxus-Neubauten zu ersetzen.

    und zur DeGeWo und zur Rolle des Senates:

    Wie kommt es, dass Sozialwohnungen immer teurer werden?
    Das Land Berlin hat den Eigentümern Darlehen gegeben um die Häuser zu bauen. Aus den Mieten dürfen die Eigentümer sich Rendite nehmen (bis zu 6%) und müssen die Darlehen zurück zahlen. Jedes Jahr zum 1. April verlangt das Land eine schnellere Rückzahlung und dafür eine Mietsteigerung um 13 Cent/qm. Das Land ist also Mietpreistreiber. …

    Wie kommt es, dass Sozialwohnungen immer weniger werden?
    Die Eigentümer können ihre Darlehen, statt in Raten auch auf einmal vorzeitig zurück zahlen. Dann gelten die Wohnungen noch 10 Jahre (nach MVE 12 Jahre) als gebunden, aber danach sind sie keine Sozialwohnungen mehr und ihre Mieten können nicht mehr staatlich reguliert werden, sondern sind dem freien Markt unterworfen. In den 10 Jahren besteht jedoch auch kein Anlass zur Mieterhöhung, denn die Darlehen sind ja schon abgezahlt.

    Jährlich gehen dadurch aber mehr Sozialwohnungen verloren, als neue nachgebaut werden. Der Senat überlegt daher, wie er den Eigentümern neue Geschenke in Form einer Umschuldung/Zinssenkung machen kann, damit sie bloß nicht vorzeitig ablösen.

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