Einmal Stasi, immer Stasi

andrejholm

Die Stasivorwürfe fliegen mal wieder tief. Ganz auf einer Linie liegen Kristina Schröder, Andreas Hallaschka, Hubertus Knabe, Rainer Meyer aka Don Alphonso (s.u.), Vera Lengsfeld, Birgit Kelle, Beatrix von Storch usw.usf.


 

Die Stasi verhört Anetta Kahane 1974 als 19jährige als mögliche Mitwisserin der Flucht einer Freundin. Sie willigt ein, Informationen über westliche Ausländer in Ostberlin zu sammeln und wird in der Folge selbst von der Stasi bespitzelt.

1982 kündigt sie die Zusammenarbeit mit dem MfS auf und nimmt den folgenden beruflichen Bruch in Kauf: das MfS nimmt sie von der Reisekaderliste, sie verliert ihre Anstellung an der Uni und erhält kaum noch Übersetzungsaufträge. 1982 stellt Kahane ihren ersten Ausreiseantrag, 1986 ihren zweiten und verläßt die DDR. In ihrer 2004 veröffentlichten Autobiografie berichtet sie ausführlich über ihre Stasi-Tätigkeit, ihren Bruch mit der DDR, über den höchst vordergründigen, staatlich verordneten Antifaschismus, die Benachteiligung jüdischer NS-Gegner gegenüber religionslosen kommunistischen Antifaschisten, den auch damit einhergehenden subkutanen Antisemitismus in der DDR und das DDR-Gebaren in armen „Bruderländern“ wie u.a. Mozambique. Ihre Stasi-Vergangenheit fliegt ihr 2002 so um die Ohren, daß sie im Oktober erklärt, nicht für das Amt der Berliner Integrationsbeauftragten (in Nachfolge von Barbara John) zur Verfügung zu stehen. Spätestens seitdem hören Hetze, Drohungen und Angriffe gegen sie und die Amadeu-Antonio-Stiftung gar nicht wieder auf.

Die Hetze gegen die Amadeu Antonio Stiftung und Anetta Kahane ist exemplarisch zu betrachten. Sie trifft derzeit viele, die sich für Demokratie, Geflüchtete und Gleichwertigkeit einsetzen. Menschen oder Organisationen werden zu „Hassbildern“ stilisiert … Im Fall von Anetta Kahane wird das Stereotyp der „jüdischen Kommunistin“ genutzt, die die wahlweise „deutsche“ oder „weiße“ Gesellschaft zersetze.

Die Wut verstärkte sich noch, als Maas im Oktober 2015 eine Task Force „gegen Hassbotschaften im Internet“ initiierte. Dazu gehört neben Facebook, Google und Twitter auch die Amadeu Antonio Stiftung, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert. Dort wird vor allem die Vorsitzende Anetta Kahane als „Denunziantin“ attackiert – garniert mit dem Verweis auf ihre Tätigkeit als Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi in der DDR von 1974 bis 1982.

Die Kampagne gegen Kahane wurde auch durch AfD-Anhänger verbreitet und reichte bis zu Morddrohungen. Der Rechtsaußen-Autor Akif Pirincci nannte sie eine „Expertin für Verrat“, die Leute „ins Kittchen“ bringe, deren Meinung der Regierung nicht passe.

Dabei blieb es nicht. Mitte Februar legte ein rechter Ableger des Hackernetzwerks Anonymous mit Netzattacken für eine Stunde die Server des Justizministeriums, einiger Parteien und der Antonio-Stiftung lahm. Vor einer Woche dann schlugen die Identitären vor der Stiftung auf. Im Internet wurden danach Namen von Mitarbeitern veröffentlicht, dazu der Verweis: „Alles Weitere ergibt sich selbst.“

Ein vergleichsweise harmloses Beispiel liefert Beatrix von Storch am 10.12.16 bei Facebook:

Wir zahlen Steuern, um damit im Auftrag des Justizministeriums eine stasigeführte Behörde zu bezahlen, Propaganda gegen uns zu machen? Ich schlage vor zu prüfen, ab wann Steuerhinterziehung aus Notwehr gerechtfertigt ist. Kann doch nicht sein, dass ich mit meinem Geld Propaganda gegen mich selbst bezahlen muss.

Na klar: was Hetze und was Propaganda ist, bestimmt allein Frau von Storch, ganz in alter Familientradition.


 

Gleich die zweite Abarbeitung in 5 Tagen (an Berlin sowieso, speziell an Andrej Holm und diesmal auch an Anetta Kahane) kommt von Rainer Meyer also known as the Schirrmacher-Irrtum ‚Don Alphonso‘, in gewohnter Bescheidenheit: „Icxh hatte halt noch die Bilder und das ist mir dazu eingefallen. Wie immer.(so der Meister am 12. Dezember 2016 um 17:44 Uhr in einem Kommentar)

Der Sozialismus hat uns nicht nur Stasi-Mitarbeiter vom Format eines Andrej Holm oder einer Anetta Kahane gegeben, die ein paar lumpige Ostmark oder gar Kuchen für ihre Dienste annahmen, sondern auch den Niedergang einstmalig privilegierter Lebensformen. Man spricht da von gefallenem Kulturgut, und kaum ein Kulturgut ist so gefallen wie meine Gruppe innerhalb der besseren Gesellschaft.

Meyers ersten Wortschwall hat Genova schon gewürdigt: Don Alphonso, die FAZ und die extremistischen Zirkel

Damit zu Andrej Holms Stasi-Vergangenheit: er unterschreibt als 14jähriger im Beisein seiner bei der Stasi beschäftigten Eltern eine Bereitschaftserklärung, nach der Schule Berufsoffizier im Ministerium für Staatssicherheit zu werden. Er wird mit 18 Offiziersschüler beim Stasi-Wachregiment Feliks Dzierzynski, ist kein halbes Jahr offizieller Mitarbeiter der Stasi und verschweigt seine Stasivergangenheit zu keinem Zeitpunkt.

Andrej Holm wird im Sommer 2007 unter einem an den Haaren herbeigezogenen Verdacht auf ‚Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung‘ verhaftet (er hatte den Begriff „Gentrifizierung“ benutzt) und er und seine Familie werden jahrelang (auch nach Einstellung des politisch motivierten Verfahrens 4 Jahre später) überwacht, möglicherweise ist das immer noch der Fall.

Robert Ide, ein Journalist des Tagesspiegel (den ich eigentlich bislang für eine weitgehend seriöse Zeitung hielt) auf Twitter:

Vom Wachregiment in den Senat: Die Stasi-Vergangenheit des designierten Staatssekretärs Andrej Holm

Daß zwischen Stasi und Senat 26 Jahre liegen, ist dem Herrn Journalisten keine Erwähnung wert. Hmnuja, so kann man sich eben auch für einen Job bei der Blödzeitung oder gleich bei Compact bewerben.

Die FAZ kann neben den „Stützen der Gesellschaft“ aber auch vornehm in Grund und Boden schreiben, Ralph Bollmann: Ein bisschen Venezuela in Berlin.

Dagegen nimmt sich die Veröffentlichung von Holms Stasi-Akte in der B.Z. geradezu vorbildlich aus (sollte man gelesen haben), einen knappen Überblick über die Kontroverse zur Personalie Holm liefert das dradio.

Die Kampagne gegen Andrej Holm als designiertem Berliner Staatssekretär für das Wohnungswesen läuft sich gerade erst warm, verspricht aber ähnlich übel zu werden wie die gegen Anetta Kahane.

Weil: was bei der AfD, anderen Rechtsradikalen und dem „konservativen“ Feuilleton in Sachen Anetta Kahane bestens funktioniert, klappt bei neoliberal-konservativen, kommunistenhassenden Journalisten und Politikern im Verein mit AfD und anderen Rechtsradikalen in Sachen Andrej Holm bestimmt ebenso gut. Einerseits kann die eigene Hetze bemäntelt und deren zutreffende Benennung (und ggbfs. Ahndung) zur „Propaganda“ umgelogen werden, andererseits wird den Investoren Immobilien-Heuschrecken in die Hände gespielt und womöglich werden auch eigene Immobilien-Verwertungsinteressen gewahrt.

Einmal Stasi, immer Stasi.


 

Falls sich jetzt noch irgendwer mit der Frage nach Andrej Holms Qualifikation für das Amt als Staatssekretär befassen will, bietet sich sein Blog oder seine Artikel beim Freitag oder seine Arbeit an der Humboldt-Universität oder – beispielhaft – ein dreiteiliges Video an:

Und falls sich anschließend immer noch wer fragt, was Gentrifizierung überhaupt ist, ein zuckersüßes Video von Pappsatt:

Aus merkwürdigen Gründen scheint sich kaum jemand dafür zu interessieren, in welch hohem Maß Andrej Holm seine gesamte Post-Wende-Laufbahn in die Staatssekretär-Waagschale wirft: bliebe er im Amt unerfolgreich – was angesichts der nicht allzu großen Spielräume im xten Gentrifizierungs-Jahr nicht ganz unwahrscheinlich ist – wäre er nicht nur bei den „Konservativen“ töter als tot, sondern auch bei den Linken.

Man muß schon seinen Mut bewundern und ihn nach Kräften unterstützen, me thinks.

Für den Fall, daß man sich Berlin anders wünscht als München, Frankfurt, Hamburg, Paris, London, wo Nichtwohlhabende längst aus der Innenstadt verdrängt wurden.


Foto: Wikimedia Commons, Dzierzynski-Schriftzug an der Wand des Stabsgebäude 1


42 Kommentare zu „Einmal Stasi, immer Stasi

  1. Beklommen machen mich Blog und Kommentare von Ulrich Kasparick: Meine Geschichte mit der Stasi
    Der hat mir mal großen Respekt abgenötigt, als er wegen Sarrazins Nicht-Partei-Ausschluß in zwei Anläufen aus der SPD austrat. Hier aber wirkt es so auf mich, als sei ihm der pauschale Ausschluß von Ex-Stasi-Mitarbeitern aus der Politik wichtiger als die sorgfältige Prüfung jedes Einzelfalles und auch als das Gespräch zur Bearbeitung der zivilgesellschaftlichen Katastrophe der Stasi-Bespitzelung, für alle Beteiligten.

    1. Unbedingt ganz lesen, toller Blog! Sören Benn über Andrej Holm

      Darum habe ich durchaus Verständnis, wenn Betroffene bei der Causa Holm eine innere Verhärtung spüren, eine Unnachgiebigkeit und auch eine Lust, sich noch und noch zu rächen für die erlittene Demütigung und das politische Unrecht von damals.
      Ich kann den Impuls nachvollziehen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit noch einmal klarzumachen: Die DDR war nicht der bessere deutsche Staat, der sie hätte sein sollen und vielleicht können. Sie hat ihre Macht auch auf Verbrechen gestützt. Die Stasi war tatsächlich Schild und vor allem auch Schwert dieser diktatorischem Herrschaft.

      Ich halte diese Unnachgiebigkeit und diesen Furor auch gegenüber einzelnen Menschen aber für grundfalsch. Und das hat auch nichts mit Aufarbeitung zu tun.
      Aufarbeitung heißt, ein System in seinen Strukturen, in seinem Werden, Bestehen und Untergang zu erforschen, die Mechanismen der Macht offenzulegen, zu zeigen, wie Diktaturen funktionieren, was sie mit den Menschen macht und was es braucht, um sich forthin davor zu schützen. Aufarbeitung heißt auch, Menschen, die Verbrechen verübt, befohlen oder politisch zu verantworten haben, persönlich mit den Mitteln des Rechtsstaates haftbar zu machen. Aufarbeitung hieß und heißt aktuell auch immer noch Überprüfung von Menschen auf Stasi-Tätigkeit, wenn sie in öffentliche Ämtern wollen. Dabei hat die Praxis in den vergangenen 26 Jahren durchaus zu differenzieren gelernt.

      Bei Andrej Holm jedoch verfällt die Öffentlichkeit wieder in Reflexe, die skurril und aufschlussreich sind, ernüchternd und abstoßend.
      Es ist heute völlig irrelevant, ob ein damals 18 Jähriger auf Zeit oder auf Dauer zur Stasi wollte, wenn er sich 26 Jahre später glaubhaft von dieser Absicht distanziert und sein Leben seitdem Beleg für seine veränderte Haltung ist. Es ist heute völlig irrelevant, ob er sich ob der formalen Aspekte zur Einstufung seiner Tätigkeit richtig oder falsch erinnert hat. All dies sind nur billige Aufhänger für jene, die vom Standpunkt des moralischen Hochmutes aus noch die kleinste Lässlichkeit als Beleg für die Unmöglichkeit des Holm sehen wollen.
      Wichtig ist im Jahr 2016 lediglich: Wer ist dieser Mann heute, wofür steht er, was vertritt er. Geklärt ist bereits: Er hat zu DDR- Zeiten keine unverzeihliche Dinge getan, die ihn im Jahr 2016 für öffentliche Ämter untragbar machen.

      Es muss was Wunderbares sein, auf der richtiges Seite zu stehen, die Macht hinter sich zu wissen und einen Delinquenten mal so richtig zu demütigen. Sonst wäre sie keine so zeitlose Erscheinung, die heilige Inquisition.

  2. Andrej Holm ist die beste Wahl, die man für diesen Posten treffen konnte, wenn man sich wünscht, dass die Reste der Berliner Mischung erhalten bleiben. Die Hetze gegen ihn war so vorhersehbar, wie die Motive und die Gesinnung dahinter durchschaubar sind.

  3. Toller Artikel, danke. Die exakte Geschiche von Kahane war mir neu. Ich bekam in letzter Zeit nur mit, dass die ein massives Hassobjekt der Rechten ist, inklusive von Don Alfons. Die hassen die, weil sie Hasskommentare entfernen soll :-)

    Ich hoffe, dass Holm zu allem Linksextremem, was ihm vorgeworfen wird, steht. Schluss mit der Verteidigung.

    1. Ich hoffe, dass Holm zu allem Linksextremem, was ihm vorgeworfen wird, steht. Schluss mit der Verteidigung.

      Ich tu mich immer so schwer damit, sinnvolle, zukunftsweisende Stadtpolitik unter ‚linksextrem‘ zu fassen…;-)…

      1. Verständlich :-) Mir ist nur aufgefallen, dass dem Holm jetzt allenthalben Linksextremismus vorgeworfen wird. Alfons belegt das mit Holms positiven Äußerungen zu Hausbesetzungen. Und da soll Holm zu seinem Linksextremismus stehen.

        1. Um es mit Wolfgang Hübner, nd zu sagen:

          Leuten wie jenem »FAZ«-Blogger, in dessen Augen der »Kampf gegen die Gentrifizierung ein verkleideter Sozialismus« ist, müssen da natürlich alle Haare zu Berge stehen. Für den »Welt«-Kommentator droht wegen Rot-Rot-Grün sogar »die dritte Zerstörung der Stadt« – was immer seiner Meinung auch die beiden Vorläufer waren.

          Jetzt fehlt eigentlich nur noch das uralte CDU-Plakat mit der schrillen Warnung »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau«. Es würde das Niveau der gegenwärtigen Auseinandersetzung immerhin spürbar anheben.

  4. Aus dem heutigen Tagesspiegel-Checkpoint:

    Guten Morgen,
    heute trifft sich der Senat zu seiner ersten regulären Dienstags-Sitzung nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters – auf der Tagesordnung u.a.: Die umstrittene Ernennung des Sozialwissenschaftlers Andrej Holm (Linke) zum Staatssekretär Wohnen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht allerdings nicht seine heutige Rolle als Investorenschreck, sondern seine frühere Funktion als Stasi-Angehöriger. Und um diese geht es natürlich auch…

    … in den Meldungen des Tages:
    „Damals habe ich die Tätigkeit als Beschäftigungstherapie empfunden und kann mich erinnern, dass ich viel Zeit hatte, Radio zu hören“, mailte der designierte Staatssekretär gestern – übersetzt soll das bedeuten: Ich habe niemandem geschadet. Der Unterdrückungsapparat, dessen Teil zu werden er sich mit 14 Jahren entschied und dem er per Verpflichtungserklärung mit 18 Jahren beitrat, tat das allerdings in erheblicher Weise. Während andere im Oktober 1989 für ihre Freiheit auf die Straße gingen, blieb Holm in der Stasi-Stube sitzen – was genau er dort tat: weiter unklar.

    Die Humboldt-Uni, bei der Andrej Holm sich später als wissenschaftlicher Mitarbeiter bewarb, wollte es so genau auch nicht wissen – gestern gab die Hochschule bekannt: „Herr Holm hat bei seiner Einstellung angegeben, im Wachregiment Feliks Dzierzynski Wehrdienst geleistet zu haben“ – also für die HU kein Anlass, eine Tätigkeit als WiMi auszuschließen, denn: „Dieser Wehrdienst wurde unterschieden von einer hauptberuflichen oder inoffiziellen Tätigkeit für das MfS.“ Allerdings war die Auskunft, wenn sie denn so von Holm gegeben wurde, falsch: Er hat im Wachregiment nicht seinen Wehrdienst geleistet, sondern ist direkt nach der sechswöchigen Grundausbildung (Handgranatenweitwurf: „Sehr gut“) in die hauptberufliche Stasi-Offizierslaufbahn abgebogen. Mit einer solchen Vorgeschichte hat es bisher noch niemand ins Amt des Staatssekretärs gebracht.

    Bausenatorin Karin Lompscher will die fällige Überprüfung Holms nicht abwarten – sie muss hoffen, dass da nicht mehr kommt. Allerdings wird bei der Beurteilung auch das damalige Lebensalter (jung) und die Dauer (kurz) einbezogen – sowie die Entwicklung danach. Holm ist ein Linker geblieben (in Deutschland erlaubt), seine Distanzierung von den damaligen Karriereplänen wirkt eher verklemmt, seine (wohnungs-)politischen Vorstellungen sind radikal anders als die bisherigen des Senats (hat eine Mehrheit der Wähler offenbar gewollt), verboten-extremistische Bestrebungen wurden ihm zwar vorgeworfen, aber nie belegt. Wenden wir also, Erkenntnisstand heute…

    … den Blick nach vorne auf das Beamtenstatusgesetz, § 33: (1) „Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.
    (2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.“ Gilt auch für beamtete Staatssekretäre. – Der Fall Holm ist heute das Thema der Dritten Seite im Tagesspiegel und im Kommentar um kurz nach 8 bei Radioeins.

    Ich habe noch nie einen Checkpoint gelesen, der der Beschäftigung mit ein- und derselben Person soviele Zeilen widmet und ich werde den Eindruck nicht los, daß mir Lorenz Maroldt im Schlußabsatz Artikel 14(2) GG ‚Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen‚ als politische Unmäßigkeit verkaufen will. Aber immerhin: der Checkpoint wird heute von keiner einzigen Ziegert-Werbung geziert.

    Lesen sollte man auch Robert Ide (vermutlich ist das die Dritte Seite Tagesspiegel), der sich u.a. als Graphologe betätigt und für meinen Geschmack ein klein bißchen viel ‚Weissensee‘ verinnerlicht hat: Der neue Staatssekretär und die Stasi: Was hat Andrej Holm getan – und was hat er dazu gesagt?
    Darin liest man Sätze wie zum Beispiel:

    Anders als bei vielen anderen Ostdeutschen kommt es bei Holm nicht zur biografischen Wende. Holm, der mit dem Zusammenbruch seines Staates auch seine Arbeit los ist, findet Halt im linken Berliner Milieu.

    Keine Ahnung, wie es Ihnen geht, aber mir bleibt bei sowas der Mund offen, aus zwei Gründen:
    1. war die Wende für jeden DDR-Bürger eine biografische Wende, weil sich – anders als im Westen – alles veränderte und
    2. wies das linke Berliner Milieu der 90er doch einzwei Unterschiede zur DDR auf.
    Ich weiß ja nicht, ob man dieses perfide Rührstück noch unter Journalist ist jung und dumm abhaken kann, laut Wikipedia ist Ide 1975 in Marienberg im Erzgebirge geboren, hat in Berlin politische Wissenschaften studiert und über die Geschichte der DDR geforscht.

  5. Ein bißchen lustig äußerte sich der Generalsekretär der Berliner CDU Stefan Evers heute morgen bei Radio 1
    Irgendwie muß dem Mann entgangen sein, daß das MfS exakt null Sympathie für Hausbesetzer hatte und damit ganz auf einer Linie mit der Berliner CDU-Politik ist. Bemerkenswert auch der schöne Brauch, kriminelle Lügner aus der CDU zum z.B. Finanzminister zu machen, während die Ernennung eines linken Staatssekretärs mit einem knappen halben Jahr Stasi-Vergangenheit natürlich – die Opfer! – unsensibel und weit über die Grenzen von Berlin hinausreichend wäre.

    1. Zum CDU-Messen mit zweierlei Maß passt der Artikel von Anna Biselli, Netzpolitik: Internes Papier des Innenministeriums: Verfassungsschutz darf direkt an Asylanhörungen teilnehmen

      Ob ein geflüchteter Mensch in Deutschland Asyl bekommt, darüber entscheidet vor allem seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz: BAMF. Er muss darin einem sogenannten Entscheider glaubhaft vermitteln, warum er nicht in seinem Herkunftsland bleiben kann. Ein Gespräch, das über das weitere Schicksal entscheidet. …

      Im Befragungsraum sitzt neben dem Asylsuchenden selbst und dem Entscheider ein Dolmetscher, der die Kommunikation in der Muttersprache des Geflüchteten ermöglicht. Manchmal sitzen noch mehr Menschen im Raum. Im besten Fall: Der Anwalt des Befragten oder seine Unterstützer. Oder ein Entscheider in der Ausbildung. Seit einigen Wochen könnte es aber auch noch einen ganz anderen Gast geben: Das Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV.

      Das zeigen interne Papiere des Bundesinnenministeriums (BMI), die netzpolitik.org vorliegen. Die Öffentlichkeit und die Opposition im Deutschen Bundestag sollen davon nach dem Willen der Bundesregierung nichts erfahren.

      Ganz lesen, ist der Hammer!

  6. Der Tagesspiegel hat nicht mehr alle Tässchen im Schränkchen, ein Screenshot des heutigen Checkpoints:

    Die links gehen – in order of appearance –
    auf, Robert Ide, Sigrid Kneist: Andrej Holm: Die Probezeit läuft
    auf die gestrige Ide-Ode: Was hat Andrej Holm getan – und was hat er dazu gesagt?
    auf die Maklervermittlung Homeday mit Sitz nicht in Berlin, sondern in Köln, die – ‚Entschuldigung, dieser Servive steht derzeit nicht zur Verfügung‚ – übrigens keine Makler zur Wohnungssuche, sondern nur zum Verkauf und zur Vermietung der eigenen Immobilie vermittelt
    und auf einen Kommentar von Lorenz Maroldt, bei dem es mir schon auch die Schuhe auszieht: Rot-Rot-Grün hat den Fall Holm unterschätzt:

    Der Senat hat also nicht das Ergebnis der Regelanfrage zu seinem Wohnungs-Wunsch-Staatssekretär Andrej Holm abgewartet, sondern ihn gleich ernannt. Damit verschiebt sich der Fokus von der Frage, was der damalige Stasi-Kader eigentlich genau getan hat für das „Schild und Schwert“ der SED, während auf der Straße nicht nur viele seiner Altersgenossen für ihre Freiheit demonstrierten, einstweilen auf die Frage, was die Koalition da eigentlich tut. Ihr Anspruch ist ja grenzenlos: „Gutes Regieren“ hat sie versprochen.

    Unabhängig davon, ob es eine gute Idee ist, einem verwaltungsunerfahrenen Theoretiker mit radikal anderen als den bisher von der SPD verfolgten politischen Vorstellungen eine der heikelsten stadtpolitischen Aufgaben zu übertragen, ist hier von „gutem Regieren“ nichts zu sehen. Gerade die Linken haben sich seit Monaten auf die von ihr erhofften Aufgaben vorbereitet – da werden sie sich ja auch Gedanken ums Personal gemacht haben. Dass Holm da einen kritischen Punkt in der Biografie hat, war bekannt. Aber weder wurde versucht, das genauer auszuleuchten, noch hat sich irgendwer Gedanken darüber gemacht, wie das in der Öffentlichkeit ankommt. Vermutlich war es ihnen egal.

    Dabei verspricht Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag noch: „Für eine neue Gedenkkultur suchen wir den Dialog mit Opfergruppen.“ Wie der Senat sich den vorstellt, wissen wir jetzt: Wer die Personalie Holm kritisch hinterfragt, wird einfach als „rechts“ diffamiert.

    Bausenatorin Lompscher verteidigt ihre Entscheidung mit der irrwitzigen Behauptung, es habe doch Transparenz geherrscht: Holms „Umfeld“ wusste Bescheid, sie auch. Eine Unverschämtheit ist das gegenüber den im Koalitionsvertrag dann wohl doch nur pflichtschuldigst genannten Opfergruppen. Außerdem kennt Lompscher die Akte Holm bisher nur aus der „B.Z.“, sie selbst hatte sich nicht um Klärung bemüht.

    Das gilt auch für den Regierenden Bürgermeister: „Herr Müller kann googeln“, erklärt Senatskanzleichef Böhning forsch – so sieht also „Gutes Regieren“ unter R2G aus. Vielleicht hat Müller ja inzwischen auch ergoogelt, dass Holm im ebenfalls rot-rot-grün regierten Thüringen kaum hätte Staatssekretär werden können.

    Vollends absurd erscheint das Desinteresse des Senats an der politischen Geschichte eines der wichtigsten Staatssekretäre in einer weiteren Erklärung Lompschers: Mit 14 habe sich Holm für die Stasi entschieden, mit 16 habe er sich ihr verpflichtet, mit 19 sei er dann, Achtung: „wieder ausgestiegen“. Dass dem jungen Offiziersanwärter, der nach eigenen Angaben sich in seiner Stasi-Stube nur gelangweilt und „viel Radio gehört“ hat, seine geliebte DDR unterm Hintern weggezogen wurde, ohne dass er auch nur im Traum daran gedacht hat, „auszusteigen“, ist der Senatorin wohl entfallen.

    Die Koalition hat den Vorgang jedenfalls völlig unterschätzt – ganz egal, wie die Bewertung der Akte Holm am Ende ausfällt. Verständigt hatte sich die Koalition auf einen „Einsatz gegen die Engstirnigen und Ewiggestrigen“. Dass ausgerechnet diese wegen eines vergleichsweise harmlosen Falls, der bei besserer Vorbereitung anständig zu kommunizieren gewesen wäre, jetzt zu ganz mieser Eiferei auflaufen, hat sich Rot-Rot-Grün selbst zuzuschreiben.

    Hmnuja, Herrn Maroldt ist das mit dem Googeln ganz offenbar nicht so gegeben. Er hätte seit 2007 Zeit dazu gehabt. Und sich dann womöglich und unter anderen Sätze, in denen „geliebte DDR“ und „nicht im Traum daran gedacht, „auszusteigen“ vorkommen, gespart. Nein, ich halte Maroldt nicht für rechts, sondern für durch Anzeigenkunden korrumpierbar und für journalistisch fahrlässig bis verantwortungslos.

  7. Auch der heutige Checkpoint reiht sich ein:


    Das Maroldt-Bedauern erstreckt sich irgendwie nicht bis zu Immobilien-Anzeigen wie z.B. und u.a. die von vorgestern.


    Charmant, der Kontext mit der AfD, n’est ce pas?

    Der link im Andrej-Holm-Teil geht zu (Sigrid Kneist und Alexander Fröhlich) DDR-Vergangenheit: Unverständnis über Verhalten der Berliner SPD

    Ein Stasi-belasteter Staatssekretär wäre bei uns undenkbar, betont Brandenburg Und was sagt der Regierende Bürgermeister zur Affäre Holm? Gar nichts.

    Die CDU wünscht eine Sondersitzung noch vor Weihnachten und die Grünen zweifeln kräftig mit ebnen sich den Weg zur Macht, zu schwarz-grün.

    Mein Eindruck wächst: es geht weniger um Horch-und-guck als um Haus-und-Grund und den Checkpoint bestelle ich wieder ab, reicht.

  8. Kotti & Co: Offener Brief an den Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linken und die Koalitionsfraktionen.

    Wir fordern den neuen Senat eindringlich auf, an Andrej Holm festzuhalten. Andrej Holm steht nicht nur wegen seiner Stasivergangenheit in der Kritik, er wird vor allem so stark angegriffen weil er für mieten- und wohnungspolitische Postionen steht, die von einer breiten stadtpolitischen Bewegung geteilt werden.

    1) Wir kennen Andrej Holm als sachlich und äußerst kompetent. Wir kennen ihn als einen solidarischen Wissenschaftler und empathischen Aktiven, als Streiter für die Rechte der Mieter und Mieterinnen.

    2) Ein nicht geringer Teil der Berliner Bevölkerung ist zum Zaungast der rasanten (Stadt-)Veränderung geworden. Andrej Holm hat wie kein anderer seit langer Zeit in der Öffentlichkeit vor der aktuellen Wohnungskrise gewarnt, die Berlin spaltet. Explodierende Mieten, Gentrifizierung und Verdrängung bedrohen viele Berliner und Berlinerinnen und das gesellschaftliche Miteinander, das ein Gemeinwesen ausmacht.

    3) Andrej Holm hat in den letzten Jahren diverse konkrete Vorschläge für einen Kurswechsel in der Berliner Wohnungspolitik gemacht oder war an der Erarbeitung solcher Vorschläge beteiligt. Heute geht es darum, diese Konzepte umzusetzen.

    4) Hier geht es letztendlich nicht um die Personalie „Holm“. Hier geht es vielmehr um die Zukunft Berlins und welchen Interessen der Senat folgt. Eine soziale Stadtentwicklung und Wohnraumversorgung ist aus unserer Sicht elementar für die Zukunft Berlins. Die Immobilienwirtschaft und die Stadtverwertungsprofiteure wollen Andrej Holm scheitern sehen.

    5) Der Fall eignet sich nicht zu einer sachlichen Aufarbeitung der Stasi-Geschichte. Andrej Holm hat Fehler gemacht, sie eingestanden und sich erklärt. Er stellt sich der kritischen Auseinandersetzung in dieser Sache. Ein Umgang mit diesem Thema, der dies alles nicht beachtet, dient nicht der demokratischen Auseinandersetzung in der Sache.

    Bizim Kiez, Kotti & Co, Stadt von Unten, Mietenvolksentscheid, Initiative 100% Tempelhofer Feld, ExRotaprint, Sozialberatung Friedrichshain, Initiative Stadt neudenken, Schöneberger Kiezpalaver, Wem gehört Moabit,Haben & Brauchen,
    NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg e.V, Think Berlin, sowie die Initiativen vom Mieten- und Stadtpolitischen Hearing und dem Bündnistreffen der stadtweiten Berliner Initiativen

    p.s. Liebe Mieten- und Stadtpolitische Gruppen. Weil die Zeit eilte haben wir nicht alle fragen können. Wenn Ihr diese Erklärung unterstützt, teilt es bitte auf euren Webseiten, Presseverteiler und den üblichen Kanälen. Solidarische Grüße.

    Sign.

  9. Allmählich wird es über die Maßen widerwärtig, wer sich so alles wie über Andrej Holm äußern zu müssen meint.

    So z.B. Sven Kohlmeier von der SPD (süße 13, als die Mauer fiel):

    Wenn Andrej Holm bei der Stasi war, sollte er den Arsch in der Hose haben und dazu stehen. Dieses Rumgeeier, diese Ausreden, sich nicht erinnern zu können, diese Halbwahrheiten und der gefälschte Lebenslauf zerstören das Vertrauen in die Redlichkeit von Herrn Holm

    Das ist btw. der ganz gleiche Herr Kohlmeier, der auf die Frage von Ramona Pop (B90/Grüne), wann BER eröffnet würde (Kosten für jeden Monat Nichteröffnung: mindestens 20 Millionen Euro Steuergeld) – antwortete:

    @RamonaPop. Was ist so unendlich wichtig für Sie, ob #BER Ende 2017 oder Anfang 2018 öffnet? Die Kleiderwahl für Eröffnungsfeier?? #agh16

  10. Ambros Waibel kommentiert in der taz: Die Stasi als Verbündeter

    All jenen in Politik und Medien, die verhindern möchten, dass Berlin wenigstens in Ansätzen der großen Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben wird, ist als letzter Verbündeter nur der Überwachungsapparat des Unrechtsstaates DDR geblieben – die Stasi.

    Sie wissen, dass sie in der Mieterstadt Berlin, in der die Eigentumsquote bei nur gut 15 Prozent liegt, gegen Andrej Holms wohnungspolitischen Ansatz mit rationalen Argumenten nichts ausrichten können. Deswegen wird ein heuchlerisches Empörungsgebäude errichtet, das man nur zu gerne einstürzen sähe.

    Niemand würde Schaden nehmen, wenn Holm Staatsekretär bliebe – außer vielleicht er selbst – und jenen, die aus dem Grundrecht Wohnen ein Geschäft gemacht haben – und ihren Lakaien von Welt bis FAS.

    Allerdings: Sind „wir“ nicht gerade mit dem hehren Spruch von Michelle Obama „When they go low, we go high“ auf die Schnauze gefallen? Gibt es im neuen, rot-rot-grünen Berliner Senat wirklich keine Arbeitsgruppe zur Abwehr neoliberaler Agitation und Propaganda? Schlitterte man einfach so in die Holm-Falle ohne eine vorbereitete Strategie? Hat man im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst, als etwa die Hetze gegen Willy Brandt durchgenommen wurde?

    Wenn sich diese Naivität fortsetzt, dann wird diese Regierung kein Jahr überleben – oder das zarte Pflänzchen Investitionslenkung und Umverteilungspolititk aus der Agenda streichen müssen.

    Und noch eines wird man fragen müssen: Wie lang wird das derzeitige Bündnis gegen Rechts, das sich von der CDU-Betongoldfraktion bis hin zur Linkspartei erstreckt, eigentlich halten, wenn es ans Eingemachte geht: Wenn also Bedürfnisse und Lebensqualität der Mehrheit tatsächlich einmal mehr zählen sollen als wirtschaftliche Interessen einer kleinen Minderheit?

    Wer alte Stasikamellen bemüht, um zart-linke Politik zu verhindern, wird nicht ewig auf das Pack-Potential von AfD und noch übleren Gesellen verzichten mögen.

  11. Ost:Blog:

    Wir schreiben diesen offenen Brief als aktuelle und ehemalige Redakteure der Zeitschrift „telegraph“, in der Andrej Holm von 1998 bis 2001 mitarbeitete.
    Der „telegraph“ ist eine Zeitschrift, die ihren Ursprung in der DDR-Opposition der 1980er Jahre hat. Sie entstand 1989 aus den „Umweltblättern“ und war Teil der basisdemokratischen Friedens-, Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegung der DDR. Einige von uns haben die unangenehme „Bekanntschaft“ mit dem Repressionsapparat der DDR gemacht, saßen in Haft.

    Trotz dieser Vergangenheit distanzieren wir uns auf das Schärfste von der aktuellen Schmutzkampagne gegen Andrej Holm. Wir haben über lange Jahre mit Andrej zusammengearbeitet. Er ist dabei uns und anderen gegenüber offen mit seiner Biographie umgegangen. Wir wussten, dass er bei der Stasi tätig war. Andrej machte aus dieser Tatsache nie ein Geheimnis, er redete mit jedem darüber, der es wissen wollte, wie es zu dieser Verfehlung kam und was er jetzt darüber denkt. Später, im Zusammenhang mit dem gegen ihn angestrengten Ermittlungsverfahren, machte er seine persönliche Geschichte in einer Tageszeitung öffentlich.

    Damit hat Andrej genau das getan, was weite Teile der ehemaligen DDR-Opposition immer gefordert haben: Er ist offen mit seiner Beteiligung am Repressions- und Überwachungsapparat der DDR umgegangen, er hat sich dieser Vergangenheit gestellt und er hat persönlich Lehren aus ihr gezogen. Sein seit nunmehr 26 Jahren andauerndes Engagement für mehr Bürgerbeteiligung und Demokratie im Wohnungswesen ist auch ein Ergebnis dieses biographischen Bruchs. Wir sehen das als Fortschritt. Statt „lebenslänglich“ für Stasi-Mitarbeit brauchen wir genau den offenen Umgang, den Andrej mit diesem Thema vorgelebt hat.

    Wie kommt es aber, dass eine vergangene Mitarbeit in durch den Staat als verfassungsfeindlich eingestuften Organisationen in Westdeutschland ein Ministerpräsidentenamt nicht ausschließt – aber eine ehemalige Stasi-Mitarbeit für Ostdeutsche eine Karriere als Staatssekretär unmöglich machen soll? Weshalb können Journalisten, die aufgrund ihrer Herkunft nie in die Lage kamen, sich für oder gegen eine Zusammenarbeit mit der Stasi entscheiden zu müssen, von einer Warte moralischer Überlegenheit schreiben?

    Wir glauben, es ist kein Zufall, dass diese Fragen nicht gestellt werden. Denn diejenigen, die sich heute am stärksten über Andrejs Stasi-Vergangenheit beschweren, stört nicht das „Kainsmal“ seiner Vergangenheit – sondern das, was Andrej heute ist: ein Wohnungspolitiker, der 100%ig auf der Seite der Mieter steht.

    Aktuelle und ehemalige Redakteure der Zeitschrift „telegraph“

    1. 16-12-16 INURA sends an open letter to the Senate of Berlin for a just procedure for Andrej Holm, State Secretary of Housing in Berlin:

      We, the researchers, scholars and members of the International Network for Urban Research and Action, welcome the new Senate of Berlin committing to address a pressing concern of Berliners: the need for affordable housing. Adequate housing provision has become increasingly out of reach for many residents – not only in Berlin. Today, the lack of affordable decent housing, the upgrading of urban centers, displacement pres-sures and homelessness for low-income groups are global phenomena. These are big challenges for cities but research has shown that local governments can make a difference in alleviating the exclusionary ef-fects of market distribution of housing. For this task local governments need to harness the expertise and political will in order to devise and implement new regulations that protect tenants and new investment in fair housing production.

      We are therefore gravely concerned about the media-driven political delegitimation campaign towards Dr. Andrej Holm who has been ap-pointed as secretary of state for housing by the Berlin Senate.

      This does not appear to be a coincidence. Dr. Holm is an internationally renown scholar who has advanced critical research on housing devel-opments and gentrification. His research has contributed to our understanding of the dynamics of market and government forces at play, and he has advanced urban research by developing instruments for measur-ing and quantifying the effects of gentrification. Furthermore, Dr. Holm stands out prominently as public intellectual who, over the years, has offered his expertise to public and political dialogue and debates – while at the same time not shying back from questioning the prevalent rules of the game that have contributed to segregation and social problemes. Holm has proposed constructive policy reforms to address problems of gentrification and segregation through innovative policies and regulations for the housing market.

      If the new Berlin Senate is committed to fulfill its central promise of housing as a basic right for all Berlin residents, it will profit tremen-dously by the critical, committed and progressive thinking Dr. Holm brings to designing and implementing adequate new policy.

      The current attacks on Dr. Andrej Holm seek to de-legitimize his role as new secretary of state for housing by highlighting his training with the GDR secret police when he was a teenager. Of course it is a necessary routine procedure to investigate the involvement in detail as a basis for a democratic decisionmaking process. But a fair investigation takes time and there is no evidence that his involvement included activities that harmed anybody. The basic principle of presuming innocence until any deeds are proven must be attained. The current inflammatory media campaign is not conducive for a fair and democratic process of deliberation.

      Almost ten years ago, INURA stepped up to protest against accusations against Dr. Holm, which turned out to be completely unfounded. Once again we demand from the political representatives of Berlin govern-ment to provide fair and considerate treatment to evaluate the accusa-tions against Andrej Holm and to withstand preemptive judgement. We cannot allow the premature eviction of critical and progressive voices from the political debate on how to ensure affordable housing for all in Berlin. We encourage all political actors in Berlin to withstand efforts that seek to maintain existing inequalities and to stay the course to achieve more just cities. We know in this work Dr. Holm has an im-portant contribution to offer.

      Researchers, Scholars and Members of the International Network for Urban Research and Activism, INURA

  12. Die Spitze von R2G tagt im Moment in Krisensitzung in Sachen Andrej Holm Es gibt eine ganze Reihe an Gestalten, die Holms Kopf wollen und sie wollen nicht mal mehr die Regelanfrage abwarten.

    Um das ganze Galama kurz zusammen zu fassen: es äußern sich überwiegend Leute aus dem Westen abfällig über Andrej Holm, während DDR-Oppositionelle (von Irrlichtern wie wir-haben-mehr-zu-bieten-Vera Lengsfeld einmal abgesehen) Holms Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit überwiegend in Ordnung finden.
    Im Westen darf man sich übrigens zum Thema Stasi getrost geschlossen halten, me thinks.

  13. Noch eine Ide-Ode: Berliner Staatssekretär mit Stasi-Biografie. Andrej Holm sollte von sich aus zurücktreten

    Es wäre erfreulich, wenn über Holm schreibende Journalisten – nur mal kurz – das Hirn einschalten könnten: Andrej Holm wurde 2007 als „Terrorist“ verhaftet. Gäbe es auch nur das mindeste Bißchen in seiner „Stasi-Biografie„, womit er sich tatsächlich schuldig gemacht hätte, es wäre vor 9 Jahren von der Berliner Staatsanwaltschaft gegen ihn verwendet und das von den Medien genüßlich breitgetreten worden. Der Umstand, daß im Moment kein einziges Medium diese politisch motivierte Verhaftung, Ermittlung, x-jährige Bespitzelung auch nur erwähnt, geschweige denn, tatsächlich Belastendes gegen Holm vorzubringen hat, bestärkt meinen Eindruck: es geht nicht um die Stasi, sondern, in Ides Worten, um „Wachstumsschmerzen gerade auf dem Wohnungsmarkt„.

    Die B.Z. ist so empört über Holms gestrigen Nicht-Rauswurf, daß sie Schwierigkeiten mit Satzbau und Namen hat.

    Meinungsbild: bei der Berliner Zeitung waren gestern abend 77% gegen einen Rücktritt, bei der Tagesspiegel-Twitterumfrage heute sind es 50%, plus 16%, die die Regelanfrage abwarten wollen.

    1. Der Tagesspiegel schießt aus allen Rohren: Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur, beim Deutschlandfunk: Hauptamtlich bei der Stasi, daraus:

      Die Stasi war das Unterdrückungsinstrument eines Unrechtsstaats, und wenn sich einer im Angesicht der demokratischen Revolution im Osten noch mit ihr verbündet – dann weckt der die alten Vorbehalte. Was, wenn die Revolution gestoppt worden wäre? Wenn die DDR-Spitze hätte schießen lassen? Dann wäre der heutige Staatssekretär ein wichtiges Rad im Getriebe dieser sogenannten Staatssicherheit geworden. Die in ihrem Wahn Menschen ausforschte, aushorchte, zersetzte. Die sich in Wände fraß und Geruchsproben aus dem Schritt nahm. Ja, so war die Stasi!

      Geschichte vergeht nicht. Die jüngere, das lehrt der Fall Holm, schon mal gleich gar nicht. Zumal, aber das nur noch am Rande, er jetzt seine Biographie auch noch korrigiert. Und zwar in einer Weise, dass es im Hinblick auf den jungen Holm nur zwei Möglichkeiten der Beurteilung gibt: Entweder war er nicht nur naiv, sondern einfältig. Oder er war so abgebrüht, dass ihn nicht interessierte, wie was zusammenhängt, Hauptsache Hauptamtlicher. Ein Journalistikstudium wollte er machen, war gerade zu lesen – auch das noch.

      Andrej Holm ist auch jetzt dem Staat verpflichtet, der neuen deutschen demokratischen Bundesrepublik. Er ist Bau-Staatssekretär im rot-rot-grünen Berliner Senat. Ja, auf Probe. Das ist üblich, nichts Besonderes. Dass er vorher den Fragebogen der Berliner Humboldt-Uni in Berlin falsch ausgefüllt hat, ist auch nichts Besonderes. Aber schon, dass er seine falsche Angabe zur Stasi-Mitarbeit so kennzeichnet: „nicht wissentlich“ geschehen, „keine Lüge“, sondern „mangelndes Detail-Interesse“. Genau das sagt was aus: kein Interesse und kein Verhältnis zur Dimension dessen, was die Stasi alles verbrochen hat. Das war halt so, damals, sagt Holm uns damit. Heute macht er eben was anderes.

      Jetzt aber hat sich der Senat, dessen Erfolg nicht zuletzt daran gemessen werden wird, wie und wo er in den nächsten Jahren bezahlbaren Wohnraum in großem Umfang erhält und neu baut, an Holm gebunden. Der gesamte Senat! Darin liegt die Gefahr seiner Ernennung für die Zukunft. Die Stasi-Vergangenheit holt ihn halt nur ein.

      Für die Ehrlichkeit im Schlußabsatz muß man sich fast bedanken. Man darf das scheue Reh „Investor“ aka „Steuersparer“ nach der Methode Taliesin niemalsnienicht bange machen. Was sind dagegen schon die 85% der Berliner, die zur immer teureren Miete wohnen und die immer herzlicher aus der Innenstadt ausgeladen werden.

      Nicht zur Miete am schönen Landwehrkanal wohnt jedenfalls Wolfgang Wieland (grüner Ex-Justiz-Senator), ob Sven Kohlmeier (SPD), ob Eberhard Diepgen und Walter Momper (Ex-Regierende Bürgermeister), ob Stefan Evers (Berliner CDU-Generalsekretär), Sebastian Czaja (FDP-Fraktionschef ebenda), Georg Pazderski (Berliner AfD-Chef), Florian Graf (CDU-Fraktionschef) Malu Dreyer (Regierungschefin in Rheinland-Pfalz), Wolf Biermann (Nationalbarde) zur Miete wohnen, entzieht sich meiner Kenntnis – die halten jedenfalls alle Holm als Staatssekretär auch für eine Katastrophe. Andreas Scheuer, Lutz Bachmann, Henryk M. Broder, das Ehepaar Sarrazin und der Weihnachtsmann haben sich meines Wissens noch gar nicht geäußert, ist aber wohl eine reine Zeitfrage °_O

      1. Hugo Diederich, Bundesgeschäftsführer der Vereinigung „Opfer des Stalinismus“, hat am Donnerstag Strafanzeige gegen Andrej Holm gestellt, wegen des Verdachts der Täuschung – weiß die B.Z.

    2. Stimmt nicht ganz, „daß im Moment kein einziges Medium diese politisch motivierte Verhaftung, Ermittlung, x-jährige Bespitzelung auch nur erwähnt“ – Peter Nowak, Telepolis:

      Dabei ist Holm durchaus zu glauben, dass es sich hier schlicht um Erinnerungslücken gehandelt hat. Schließlich hätte er kaum den Staatssekretärsposten angenommen, wenn er gewusst hätte, dass er an diesem Punkt angreifbar ist. Zumal sich Holm bereits im Jahr 2007 kritisch mit seiner DDR-Vergangenheit auseinandergesetzt und dabei mit linken DDR-Oppositionellen gesprochen hat, die teilweise von der Stasi und den anderen DDR-Repressionsorganen verfolgt wurden.

      Stasi-Akten wurden auch von der BRD-Justiz verwendet

      Dass bei einem Verfahren wegen angeblicher Aktivitäten in der radikalen Linken im Jahr 2007 auch die BRD-Justiz auf Stasi-Akten zurückgegriffen hat, wurde damals kritisch reflektiert, spielt aber in der momentanen Debatte kaum eine Rolle.

      Im Gegenteil: Von Holms Kritikern werden seine kapitalismuskritischen Aktivitäten belastend gegen ihn angeführt. Er habe sich auch nach 1989 nicht genügend zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt. Holms ist also kein Joseph Fischer geworden, dem 2001 seine militante Vergangenheit bei den Vorläufern der Autonomen nur verziehen wurde, weil er sich eben in seinem Amt als Bundesaußenminister nicht nur besonders rückhaltlos mit der BRD identifizierte, sondern die auch mit kriegsfähig gemacht hat.

      Nur ein grüner Außenminister konnte die Bundeswehr gegen Jugoslawien in den Krieg führen, weil die Partei noch einige Jahre zuvor Teil der deutschen Friedensbewegung war. Was sind schon ein paar Steine auf Polizisten, wenn Fischer mithilft, dass deutsche Soldaten nach 1945 wieder in einem Krieg mitmachen können, werden sich viele gedacht haben. Das hat Fischer gerettet.

      Es stellt sich auch die Frage, ob die Berliner Medien, die so akribisch jetzt die Causa Andrej Holm begutachten, mit dem gleichen Eifer nachfragen, wer hier die Klausel weggelassen hat und womöglich Millionenzahlungen des Landes Berlin provoziert hat?

      Nun sind solche Vorfälle in der Hauptstadt nicht die Ausnahme sondern der Alltag. Der Geschichtsverein Friedrichshain Hans Kohlhasse e.V. hat eine ganze Liste von Beispielen veröffentlicht, wo das Denkmalrecht gebeugt wird, das nicht mit Investoreninteressen kollidiert. Da wird ein Armenfriedhof schon mal zum Massengrab und die ältesten Häuser in Friedrichshain werden trotz Denkmalschutz abgerissen und niemand weiß, wer die Genehmigung erteilt hat.

      Soll Andrej Holm schon im Vorfeld angezählt oder gar ausgeschaltet werden, damit er solche und ähnliche gesetzwidrige Bevorteilungen von Eigentümerinteressen nicht unterbinden kann?

      Peter Nowak verwendet zu viele Fragezeichen und das „nicht“ im Zusammenhang mit „mit Investoreninteresse kollidiert“ ist inhaltlich Unsinn – sonst ein sehr lesenswerter Artikel, es geht u.a. auch um das Dragonerareal und den fehlenden Parlamentsvorbehalt.

      1. Und der Tagesspiegel erwähnt, via Tom Schreiber (Köpenicker SPD-Abgeordneter):

        Entscheidend sei nicht, dass Holm bei der Stasi war, sondern wie er damit umgegangen ist, sagte Schreiber. Seine Vergangenheit habe man scheibchenweise aus den Medien kennengelernt. Holm hätte seine Akte lesen sollen und offen sagen, was drin steht, meint Schreiber. „Ich hoffe und bete, dass Holm nicht noch weitere Dinge in petto hat.“

        Der SPD-Politiker meint damit die Kontakte des Wissenschaftlers zur linksextremistischen Szene. Bekanntlich war Holm am 31. Juli 2007 wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet worden. Der Haftbefehl war im Oktober vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden. Das Ermittlungsverfahren war 2010 eingestellt worden, weil Holm definitiv nicht Mitglied der „militanten Gruppe“ war. Seine Kontakte zu einem anderen Beschuldigten könnten „auch in anderen, nicht strafrechtlichen Sachzusammenhang stehen“, hieß es damals bei der Justiz.

        Angesichts dessen hält Schreiber neben der obligatorischen Stasi-Überprüfung auch eine Überprüfung sinnvoll, ob ein Beamter auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

        Für Schreiber ist Holm die „Beule“ im Neuwagen Koalition. „Das Auto fährt zwar, alle gucken aber auf die Beule.“ Das sei schade: „Wir kommen nicht zur Facharbeit.“

        Schreiber fordert Holm nicht zum Rücktritt auf, sondern zum Nachdenken. „Weihnachten ist doch eine besinnliche Zeit“, Holm habe es in der Hand, ob „der Neuwagen dauerhaft eine Beule hat oder nicht“.

        Wie schon gesagt: der Tagesspiegel schießt aus allen Rohren.

  14. In der taz Die Woche: wie geht es uns, Herr Küppersbusch? kommentiert er:

    taz: Was haben wir uns gefreut, dass mit dem Stadtsoziologen Andrej Holm ein Gentrifizierungsgegner Staatssekretär für Wohnen in Berlin wird. Und jetzt schießt er sich mit einer Lüge über seine Stasi-Vergangenheit ins Aus. Womit haben wir das verdient?

    Küppersbusch: Die Grundsatzdebatte, ob man „mit denen regieren“ darf, hat Willy Brandt 1966 klar beantwortet : Ja – zum hochrangigen NSDAP-Mitglied und Ministerialbeamten Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler der ersten GroKo. Der Vergleich hinkt wie Goebbels. Es bleibt ein Wunder und eine demagogische Spitzenleistung der Union, rückstandslos Blockflöten zu verdauen und zugleich aus SED und Stasi einen größeren Popanz zu plustern, als die eigene verbrecherische Vergangenheit je schien. Die SPD- und Grünen-Delegation muss geschlafen haben, statt den Namen Holm so zu überprüfen, wie es jetzt auf öffentlicher Bühne geschieht. R2G in Berlin trägt Verantwortung für eine Chance im Bund 2017, damit geht man nicht um wie mit irgendeinem blödsinnigen Flughafen.

  15. taz-Interview (Uwe Rada) mit Katrin Lompscher, Bau-Senatorin (18.12.16):

    taz: Hat Holm alles auf den Tisch gepackt, bevor Sie ihn als Staatssekretär nominiert haben?

    Lompscher: Andrej Holm hat auch uns gegenüber seine Biografie offengelegt und dargelegt, wie er die Zeit damals erlebt und was er getan hat. Ich sehe nichts, was dieser Darstellung widerspricht.

    Aus seiner Akte geht hervor, dass er nicht beim Wachregiment seine Grundausbildung absolvierte, sondern in der Auswertungs- und Kontrollgruppe der Berliner Bezirksverwaltung.

    Er hat 1989 seine Grundausbildung gemeinsam mit ganz normalen Wehrdienstleistenden des Wachregiments absolviert, was ihn glauben ließ, dass er Angehöriger des Wachregiments war. Dass sich seine weitere Ausbildung danach von der anderer Wehrdienstleistender unterschied, hat er nie bestritten und damit begründet, dass er später hauptamtlicher Mitarbeiter werden sollte.

    Hätten Sie auf die Nominierung verzichtet, wenn Sie gewusst hätten, dass er hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi war?

    Ich denke nein. Ich habe Andrej Holm als anerkannten Fachmann für Wohnungs- und Mietenpolitik vorgeschlagen, weil er dazu beitragen kann und will, eine soziale Wohnungspolitik in der Stadt umzusetzen. Für die Nominierung und in der aktuellen Auseinandersetzung war und ist entscheidend, was Andrej Holm real in seiner kurzen Zeit beim MfS getan hat und wie er sich heute dazu positioniert. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass er gespitzelt hat beziehungsweise an Aktionen gegen Oppositionelle beteiligt war. Dass er kein normaler Wehrdienstleistender war, hatte er seinem Umfeld früh offenbart, der Öffentlichkeit war es nach seinem taz-Interview 2007 bekannt. Er selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er die damalige Entscheidung bereut und dass er dazu eine kritische Haltung entwickelt hat.

    Wenn Andrej Holm zurücktritt, wird er womöglich auch nicht mehr in seinen Job an der Humboldt-Universität (HU) zurückkönnen. Tragen Sie da auch eine Verantwortung?

    Es ist auch meine Verantwortung, deshalb setze ich mich für einen fairen Umgang ein. Aber für einen sachlichen Umgang mit Biografien gibt es eine darüber hinausgehende gesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen wegkommen von pauschalen und formalen Kriterien, wir müssen im Einzelfall bewerten, was jemand real getan hat und Menschen danach beurteilen.

    Nun liegt die Entscheidung bei der HU. Diese muss darüber entscheiden, ob seine Angaben im Personalbogen 2005 ein arbeitsrechtliches Vergehen waren. Wann rechnen Sie mit dieser Entscheidung?

    Ich habe dazu bisher keine Signale. Ich gehe davon aus, dass die HU alles für eine zügige Prüfung unternimmt.

    Wird Andrej Holm bis dahin überhaupt ernsthaft seinen Job als Staatssekretär für Bauen ausfüllen können?

    Die inhaltliche Arbeit hat bereits begonnen, und wir können uns dabei auf eine sachkundige Verwaltung stützen. Dass die Nominierung von Dr. Andrej Holm als Staatssekretär für Wohnen Gegenwind erzeugt, war mir und uns klar. Zugleich signalisieren viele Menschen aus Verbänden und Initiativen, aus der Wissenschaft und aus Kreisen der früheren Opposition in der DDR Unterstützung für Andrej Holm, weil sie mit dieser Personalie wie wir eine Veränderung in der Wohnungspolitik zugunsten der Mieterinnen und Mieter verbinden.

    1. Grmpf, vergessen: Bizim Kiez hat einige der medialen Vorwürfe gegen Andrej Holm gegengelesen und dagegen argumentiert:

      … Vorwurf 1 basiert auf der Einschätzung, dass jedwede Mitarbeit bei der Stasi (unabhängig von Alter, familiärem Hintergrund, Dienstgrad, Dauer, oder auch konkreten Formen und Inhalten der Mitarbeit) Personen lebenslänglich für öffentliche Ämter oder Positionen disqualifiziere. (siehe z.B.: https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/) Das ist eine Generalverurteilung, die selbst von vielen ehemaligen Dissident*innen so nicht geteilt wird, siehe z.B. Wolfgang Thierses Intervention, in der er die Vorwürfe gegen Holm als „einigermaßen unanständig“ bezeichnet. (http://www.berliner-zeitung.de/…/umstrittener-staatssekreta… und http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vergangenh…/14988788.html)

      Punkt 2 ist etwas komplexer. Holm hat schon lange ohne Beschönigung und ohne Not oder äußeren Druck über seine MfS-Mitarbeit gesprochen. (vergleiche hierzu das Statement seiner telegraph-kollegen: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/) Vor einer breiteren Öffentlichkeit äußerte er sich hierzu 2007 in einem sehr lesenswerten taz-Interview, u.a. mit Dirk Teschner (http://m.taz.de/!5189906;m/). Nach der Offenlegung seiner Kaderakte wird ihm nun vorgeworfen, bei seiner Selbstauskunft vor seiner Anstellung an der Humboldt-Uni seine MfS-Mitarbeit unzureichend genau bzw. falsch angegeben zu haben. Er hatte hier unter der Rubrik Wehrpflicht seine Ausbildung beim als solches bekannten Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ aufgelistet, eine Stasi-Mitarbeit aber verneint und auf den Eintrag zur Wehrpflicht verwiesen. (siehe dazu Andrej Holms Richtigstellung vom 14.12. 2016, z.B.: http://www.berliner-zeitung.de/25294840 und https://www.taz.de/Andrej-Holms-Stasi-Vergangenhe…/!5364040/). Vorgeworfen wird ihm nun genau genommen, die Ausbildung bei dem Stasi-Wachregiment nicht konform mit der stasiinternen Einordnung seines Dienstverhältnisses bereits als Stasi-Mitarbeit eingestuft zu haben (von der er damals durchaus nicht notgedrungen Kenntnis gehabt haben muss). (http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html). Bei Sven Kohlemeier von der SPD wird daraus dann kurzerhand „Lüge im Lebenslauf“ oder „Rumgeeier“ (http://www.sven-kohlmeier.de/?p=3048#more-3048).

      In der CDU, aus deren Reihen wenig überraschenderweise ein paar der lautesten Anfeindungen Holms kommen, lässt man im Umgang mit komplizierten DDR-Biografien der eigenen Mitglieder (wie auch der unrühmlichen Rolle der Ost-CDU als Teil des DDR-Staatsapparats) interessanterweise sehr viel mehr Milde walten. Vorwürfe gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich wurden 2008 z.B. vom Regierungssprecher als “eine gezielte Diskreditierung Einzelner” verurteilt. (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/stanislaw-tillichs-ddr-biografie-stueck-fuer-stueck-kommt-das-gedaechtnis-zurueck-a-592657.html). Wolfgang Schäuble machte im selben Jahr Wahlkampf für einen ehemaligen hochrangigen DDR-Grenzoffizier, der Art und Inhalte seines Dienstverhältnisses zunächst durch unspezifische Angaben verschleiert hatte. (https://www.welt.de/politik/article1619145/Schaeuble-macht-Wahlkampf-fuer-DDR-Grenzoffizier.html)

      Aufschlussreich und zugleich hochgradig ideologisch wird es bei Anschuldigung 3: Robert Ide setzt im Tagesspiegel gleich mal ohne jeglichen Anflug von Scham Anti-Gentrifizierungspolitik (inklusive bestehender Beschlüsse einer demokratisch gewählten Berliner Stadtregierung zur Zweckentfremdung) mit Stasi/Spitzelmethoden gleich: „Wenn nur genügend offiziellen und inoffizielle Mitarbeiter zum verschärften Überwachen und Strafen bereit stehen, könnte so mancher in der Ferienwohnungsindustrie bald aufheulen.“(http://www.tagesspiegel.de/…/berlins-neuer-st…/14969070.html) F.A.Z.-Journalist Rainer Meyer vermutet in der FAZ hinter der Personalie Holm und dessen politischem Richtungswechsel eine Wiedereinführung des Staatssozialismus (https://blogs.faz.net/…/linksruck-der-staatssekretaer-und-…/, siehe auch http://www.rbb-online.de/…/cd-mueller-soll-holm-als-staatss…). Über die Person Holm als „Hausbesetzender Investorenhasser mit STASI-Vorgeschichte” (ibid.) wird eine Kontinuität zwischen Stasiterror und DDR-Unrecht und heutiger linker politischer Arbeit herbeikonstruiert, die von den vielen linken, bzw. jenen links gebliebenen unter den Dissident*innen, Umwelt- und Friedensaktivist*innen der DDR als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden muss, von denen sich viele damals wie heute ein mutiges politisches Leben auf der immer wieder, immer noch falschen Seite der politischen Machtverhältnisse zugemutet haben. Eine solche konstruierte Kontinuität wird auch Holms Lebenslauf nicht gerecht, der sich nach 1990 in den bürgerbewegten Kontexten der Vereinigten Linken und des telegraph sicher einige Fragen zu seiner Biographie hat stellen lassen müssen (und, wie es in einer akutellen Stellungnahme des telegraph heisst, auch stellen hat: http://telegraph.cc/offene-diskussion-statt-schmutzkampagne/).

      Dass Andrej Holm sich im September 1989 für eine Laufbahn beim MfS entschieden hat, ist für viele, vor allem in der DDR-Aufgewachsene, schwer nachvollziehbar und wird das auch bleiben. Dennoch: Holm hat sich in der Vergangenheit und in den letzten Tagen auf nachvollziehbare, selbstkritische, sachliche und seinen Kritiker*innen gegenüber äußerst respektvolle Weise (siehe z.B.: http://www.tagesspiegel.de/…/stasi-vorwuerfe-…/14980672.html, oder auch taz 2007) zu seiner DDR-Vergangenheit geäußert und dafür Verantwortung übernommen. Die Teils mit äußerst unlauteren Mitteln und ideologischen Kampfbegriffen geführte Kampagne gegen ihn lässt sowohl den nötigen Respekt gegenüber den gern zitierten Opfern des DDR-Unrechts (die hier wieder einmal ungefragt und oft entgegen ihren eigenen politischen Ansichten zu dem Thema instrumentalisiert werden) vermissen, als auch jede Verhältnismäßigkeit in ihren Verurteilungen und den daraus abgeleiteten Konsequenzen.

      (die links im Text gehen nicht in einem neuen zusätzlichen Fenster auf, anders als sonst hier)

  16. Carola Bluhm (Fraktionschefin der Linken) mit einem angenehm ruhigen und differenzierenden Artikel im Tagesspiegel: Stasi-Debatte um Staatssekretär Andrej Holm. „Berlin braucht diese schmerzhafte Debatte“

    Andrej Holm ist freiwillig den schwierigen Weg gegangen und hat seine Vergangenheit in Diskussionen mit DDR-Bürgerrechtlern aufgearbeitet. Er sagt, seine persönliche Schlussfolgerung aus seiner Biografie sei die Überzeugung, dass eine freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft allen anderen vorzuziehen ist. Dieses gelebte Leben mit seinen Brüchen, Fehlern und Korrekturen sollte in der Diskussion eine wichtige Rolle spielen. Stattdessen fällen viele ein schnelles Urteil, das sich allein an Kreuzen auf einem Personalbogen festmacht. Woher kommt die Sicherheit in vielen Bewertungen, er habe hier gelogen? Entspricht das wirklich seinem persönlichen Umgang mit der eigenen Geschichte?

    Ich möchte in einer Stadt leben, in der wertgeschätzt wird, wenn jemand den Mut hat, offen und reflektiert mit der eigenen Biografie umzugehen. In der man nicht Angst haben muss, Fehler einzugestehen, sondern aus Fehlern lernen kann.

    Wir können und wollen dieser Debatte nicht ausweichen, auch wenn sie als belastend für die Koalition wahrgenommen wird. Denn wir leben in einer Stadt, die davon geprägt ist, jahrzehntelang geteilt gewesen zu sein. Entsprechend erleben wir in der aktuellen Debatte eine starke Polarisierung der Meinungen. Aber wie soll Berlin vorankommen, wenn wir jetzt nicht darüber reden, sondern mit einem schnellen Urteil einen Schlussstrich ziehen? Wir sollten die Diskussion gemeinsam aushalten, auch wenn das ein schmerzhafter Prozess ist. Uns die Möglichkeit dieser Debatte nicht zuzugestehen, macht uns alle nur verletzlicher.

  17. Jörn Boewe im Freitag: Dann hätte ich die Stasi-Akten mit verbrannt

    Zwei Monate bevor Andrej Holm am 1. September 1989 seine Grundausbildung beim Wachregiment Feliks Dzierzynski begann, um sich auf eine Karriere bei der „Auswertungs- und Kontrollgruppe“ (AKG) in Berlin vorzubereiten, war ich ins Visier der AKG der Stasi-Bezirksverwaltung Rostock geraten. Die Akte über die „Operativinformation: Negative Tätigkeiten eines Studenten der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock in Verbindung mit einer Organisation der BRD“ kannte ich noch nicht, als ich Anfang Dezember 1989 mit ein paar hundert Leuten aus der Bürgerbewegung vor der Stasizentrale in Rostock stand. Wir hatten mitbekommen, dass sie drinnen angefangen hatten, Akten zu verbrennen. Wir wollten verhindern, dass Beweismittel vernichtet werden. Wir wollten, dass die Funktionsweise dieses monströsen Überwachungsapparates öffentlich gemacht wird und dass Täter für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Es ging nicht um Rache, und schon gar nicht an Rache an irgendwelchen kleinen Lichtern. Tatsächlich konnten wir einen Großteil der Akten retten, und ähnlich war es in den anderen Bezirkshauptstädten der DDR und in der Stasizentrale in Berlin.

    Ich habe damals nicht geahnt, wie diese Akten in den kommenden Jahrzehnten benutzt werden würden. Wenn mir jemand prophezeit hätte, dass diese Akten im Kern bleiben würden, was sie waren – nämlich Instrumente zur Einschüchterung, Erpressung und Ausschaltung „feindlich-negativer Elemente“ – ich hätte ihn für verrückt erklärt.

    Aber so ist es gekommen. Die Mehrheitsgesellschaft des Rechtsstaates Bundesrepublik Deutschland und ein Teil unserer damaligen Bürgerbewegung, der sich mit dieser Situation sehr gut arrangiert hat, ist bis heute nicht reif, einigermaßen fair und demokratisch mit dem gesammelten Stasi-Datenmüll umzugehen. Hätte ich das damals geahnt, ich hätte wahrscheinlich dem Heizer im Keller geholfen, soviel wie möglich von diesem Zeug zu verbrennen. Es wäre das kleinere Übel gewesen.

  18. Lorenz Maroldt, Christoph Twickel, Zeit Online im Gespräch mit Andrej Holm:

    ZEIT ONLINE: Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen jetzt für 10 Euro pro Quadratmeter neu bauen – wie soll das gehen? Angesichts steigender Bodenpreise und Baukosten und kostspieligen Klimaschutzauflagen kommt man doch schon auf Erstellungskosten nicht unter 13 Euro pro Quadratmeter…

    Holm: Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Es gibt auch in der Innenstadt Berlins Wohnungsbauprojekte, bei denen gezeigt wurde, dass man auch für 4,50 pro Quadratmeter bauen kann. Die Wohnungsbaugesellschaften bekommen in jedem Fall Unterstützung: Grundstücke werden in den Bestand der Wohnungsbaugesellschaften überführt und sie bekommen eine Eigenkapitalaufstockung um finanziell leistungsfähiger zu sein und stärker investieren zu können.

    ZEIT ONLINE: Wenn die Bauwirtschaft darauf hinweist, dass man kaum unter 13 Euro pro Quadratmeter netto kalt bauen kann – das ist bloß kapitalistische Propaganda?

    Holm: Wenn ich den Profit rausrechne, wird es schon preiswerter. Außerdem hängen die Mietkosten nicht nur an den Baukosten – auch wenn wir die Bauauflagen soweit verändern würden, dass man günstiger bauen kann, gibt’s keine Garantie dafür, dass im privaten Wohnungsbau tatsächlich auch ein günstigerer Mietpreis herauskommt.

    ZEIT ONLINE: Ist das unanständig, Rendite auf Wohneigentum? Oder gibt’s eine Höhe der Rendite von der Sie sagen würden, die ist unanständig?

    Holm: Nein, so funktioniert Verwertung eben. Aber wir werden natürlich da wo es preiswerte Mieten gibt, auch bei Bestandswohnungen und im privaten Wohnungsmarkt versuchen, die Mieterinteressen so stark wie möglich zu schützen. Der Bestand bei den Städtischen Wohnungsbaugesellschaften soll auf 400.000 Wohnungen angehoben werden und wir haben zurzeit über 100.000 Sozialwohnungen, die wir dauerhaft sichern wollen als bezahlbaren Wohnraum.

    ZEIT ONLINE: London, Paris, New York – Metropolen, in denen das Wohnen unbezahlbar für Normalverdiener ist, gibt es viel. Haben Sie ein Vorbild einer Stadt, die besonders gut funktioniert?

    Holm: Nein. Ich könnte mir einen großen gemeinnützigen Sektor wie in Wien und die Mitsprachemöglichkeiten der Bewohnerschaft wie im dänischen Genossenschaftswesen vorstellen. Ich will weder das ganze Kopenhagen noch das ganze Wien haben. Im Moment sind wir dabei, uns mit vielen Instrumenten aus anderen Städten zu beschäftigen und zu überlegen, wie kann man die übertragen, ohne dass es eine Kopie einer anderen Stadt wird. Berlin ist einfach Berlin.

    ZEIT ONLINE: Könnte diese wohnungspolitische Wende in Berlin, falls sie denn klappt, Modellcharakter haben?

    Holm: Das wäre schon schön, zumal ja viele Städte mit diesem starken Verdrängungsdruck und dem sozialen Versorgungsproblem zu tun haben. Die Neoliberalisierung der Stadtpolitik ist ein globaler Trend – wir hoffen, dass wir in Berlin eine Alternative finden. Sozialen Fragen den Vorrang vor privaten Profiten zu geben und mehr Bürgerbeteiligung und Mitbestimmung zu gewähren – das sind schon zwei ziemlich gute Grundprinzipien, die wir jetzt umsetzen müssen.

    ZEIT ONLINE: Das klingt nicht so, als ob Sie erwarten, demnächst Ihren Hut nehmen zu müssen…

    Holm: Selbst, wenn ich davon ausgehen würde, würde ich es vermutlich in einem Interview nicht formulieren. Ich würde mir ja diesen ganzen Stress auch nicht antun, wenn ich nicht der Überzeugung wäre, dass ich hier was erreichen kann. Ich brauche weder einen unbefristeten Job, noch habe ich einen Lebensstil, der ein höheres Einkommen verlangt. Wir haben eine Chance, das Wohnen in Berlin anders zu gestalten als bisher – und darauf habe ich Lust.

    ZEIT ONLINE: Ist das nicht auch der zentrale Grund, warum ein Staatssekretär Holm verhindert werden soll – die wohnungspolitische Wende hin zum Sozialen?

    Holm: Na ja, das ist sicher ein Politikwechsel, der nicht allen gefällt. Wenn sich Politik tatsächlich substantiell ändert, hat es im Großen und Ganzen immer auch mit Umverteilung zu tun – und bei Umverteilung gibt es Gewinner und Verlierer. Das ist aber der Kern einer demokratischen Gesellschaft – dass man Dinge auch mal verändern kann, dass man sagen kann: Wir wollen jetzt einen Wechsel.

  19. Anja Kühne, Amory Burchard, Tilmann Warnecke, Tagesspiegel: Humboldts Nöte mit Holm

    Was kommt auf Bau-Staatssekretär Andrej Holm zu? Verliert er am Ende seine unbefristete Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stadtsoziologie der Humboldt-Universität und dann wohl auch sein Amt als Staatssekretär? Die Humboldt-Universität (HU) hat, wie berichtet, inzwischen die von ihr gewünschten Auskünfte von der Stasiunterlagenbehörde erhalten. Bis zum 9. Januar hat Holm Zeit, dazu seine Stellungnahme einzureichen. An der HU wünschen ihm viele, dass er zu seiner Verteidigung sehr gute Ideen entwickelt, um seine Entlassung abzuwenden. Denn Holm wird als brillanter Forscher und sehr engagierter akademischer Lehrer geschätzt. Doch es ist fraglich, ob die HU ihm die Falschangaben zu seiner Stasi-Tätigkeit durchgehen lassen kann. „Wir sind in einer blöden Situation“, heißt es aus der HU.

    Die Linke hat unter dem Druck der Koalitionspartner im Senat als Kompromiss durchgesetzt, die Entscheidung über den Staatssekretär von der Entscheidung der HU über ihren Wissenschaftlichen Mitarbeiter abhängig zu machen. Dabei dürfte die HU nicht über mehr Informationen verfügen als Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), die sich ihrerseits bei der Stasiunterlagenbehörde informiert hat und so gut wie die HU weiß, dass Holm den Fragebogen falsch ausgefüllt hat. Statt eine eigene Entscheidung über den Staatssekretär zu treffen, delegiert Lompscher das politische Schicksal Holms aber lieber an die HU-Präsidentin.

    An der HU stößt dieses Vorgehen der Linken denn auch auf Kritik. „Verfehlt“ sei es, sagt Holms Institutskollege. Die HU habe schließlich lediglich zu prüfen, „ob Holm als Dozent in der Stadtsoziologie noch geeignet ist oder nicht“.

  20. Robert Ide, Zeit Online, Übernahme vom Tagespiegel: Andrej Holm: Von der Stasi geschult

    Er machte sich mit den „Anforderungen an einen Tschekisten vertraut“: Der umstrittene Berliner Staatssekretär Holm wusste, auf welche DDR-Karriere er sich einließ.

    Im Fall des wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittenen Bau-Staatssekretärs Andrej Holm werden neue Details bekannt. Die Stasi-Unterlagen-Behörde gab am Mittwoch die 197 Seiten umfassende Stasi-Akte von Holm für die Medien frei. Schlüsse auf seine Tätigkeiten als Offiziersschüler bei der Stasi-Bezirksverwaltung Berlin (BV Berlin) lassen sich aus den Unterlagen, die dem Tagesspiegel vorliegen, nicht ziehen. Für die Frage der Glaubwürdigkeit Holms im Umgang mit seiner Biografie finden sich aber interessante Indizien.

    Ich habe Ides soundsovielten Holm-Demontierungsversuch mehrfach gelesen, um heraus zu finden, welche Details und interessanten Indizien das jetzt gewesen sein könnten. Wahrscheinlich die beiden folgenden:

    Neben der handschriftlichen Verpflichtungserklärung Holms für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gibt es viele interne Berichte über die Vorbereitung auf seine Offizierslaufbahn. So wird erstmals offensichtlich, dass Holm eine Art Schulungskurs für seine Stasi-Tätigkeit bei der staatlichen Jugendorganisation FDJ durchlaufen hat.

    Die Stasi notierte dazu: „Im Rahmen der Aktivitäten im FDJ-Bewerberkollektiv der BV Berlin, der Betreuung und Schulung, zeigte er kontinuierlich großes Interesse und machte sich mit den außerordentlich hohen Anforderungen an einen Tschekisten vertraut.“ Tschekist war der interne Begriff für Stasi-Angestellte.

    Holm, dessen Vater ebenfalls bei der Stasi tätig war, dürfte also von Anfang an gewusst haben, auf welche Karriere er sich einlässt. Wie berichtet, hatte Holm in der Wendezeit im Herbst 1989 als Offiziersschüler bei der DDR-Geheimdienstpolizei begonnen. Nach einer militärischen Grundausbildung hat er nach eigenen Angaben in einer Schreibstube Betriebsberichte zusammengefasst und verfasst. Dabei hat er, so beteuert Holm, keine Berichte über Oppositionelle geschrieben.

    Das neue Detail/interessante Indiz: Holm hat einen FDJ-Lehrgang erfolgreich absolviert. Whow. So also geht investigativer Journalismus.

    Interessanter fand ich das:

    Zudem wird deutlich, dass die Stasi die Offizierslaufbahn von Holm zu verschleiern suchte. So wurde seine begonnene Stasi-Zeit in seiner Bewerbung für ein Journalistik-Studium nur als Wehrdienst im Ministerium des Innern gekennzeichnet.

    Interessanter, weil: was, wenn Holm gegenüber der HU gar nicht gelogen hat, sondern sich auf das verließ, was ihm die Stasi bescheinigt hat, nämlich „Wehrdienst im Ministerium des Inneren“?

    Aber in der BRD, dem Land, wo ohne Bescheinung gar nichts geht, erlöschen ja bekanntlich alle Bescheinigungen von Unrechtsregimen automatisch und Journalisten beteiligen sich niemalsnienicht an Kampagnen.

  21. Robert Ide, Tagesspiegel – im schon gewohnten Kampagnenton – über die Podiumsdiskussion mit Andrej Holm und Ilko-Sascha Kowalczuk am 6.1. in der Aula der Volkshochschule im Prenzlauer Berg: „Ich war Teil eines Unterdrückungsapparates“ und „Man erinnert sich an das, an was man sich erinnert“

    Am Ende bleib eine wichtige Frage im Raum stehen: Was kann die Gesellschaft aus der gegenwärtigen Debatte für ihren Umgang mit der Vergangenheit zukünftig lernen? Kowalczuk fand dazu ein gutes und wohl leider auch treffendes Schlusswort: „Ich bin Historiker geworden – aber nicht, weil ich glaube, dass die Menschheit aus Geschichte lernen kann.“

    Robert Ide scheint allerdings zu meinen, speziell er hätte alles aus der Geschichte gelernt und müsse das der Welt nun unbedingt mitteilen, als Journalist und Historiker.
    Werch ein Illtum.

  22. Lesenswert: Ilko-Sascha Kowalczuk, Der Freitag: Täter und Opfer

    … Vielleicht erinnere ich mich deshalb auch anders an die Stasi als Andrej Holm. Aber genau wie nicht alle meine Erinnerungen nachträgliche Rekonstruktionen sein können, so können es auch nicht seine durchweg sein. Erst wenn man älter wird und womöglich Kinder in diesem Alter hat, weiß man, wie jung man mit 14, 16 oder 18 wirklich war. Entscheidungen in diesem Alter dürfen nicht lebensbestimmend sein. Mir hingen sie unerbittlich bis 1989 nach – das war Unrecht. Und Andrej Holm sollen sie noch 27 Jahre später unerbittlich verfolgen – das ist nicht gerecht.

    Zwischen 1990 und 1992 kam eine merkwürdige Allianz mit einer fragwürdigen Suggestion zustande: Die Staatssicherheit wurde zum historischen Sündenbock erklärt. Jeder kennt die Rede vom „Schild und Schwert der Partei“, das MfS war Schild und Schwert, die SED die Partei, also Arm, Hand und Kopf, die das Schwert führten. Wenn wir das ernst nehmen, müssen wir feststellen, dass Arm, Hand und Kopf seitdem kaum beachtet wurden.

    Es gibt keine einfache Lösung. Ob Rücktritt, Entlassung oder Status quo – jede Variante hat Vor- und Nachteile für die politische Kultur und den Aufarbeitungsdiskurs. Die schlechteste Option aber ist, der Humboldt-Universität den Fall zuzuschieben: Es geht um eine politische Entscheidung. Die muss Berlins Landesregierung treffen – und nicht etwa die Universität.

    Dazu kommentiert aus der FC Che Nie, was auch ich mir bei dem ganzen Gehühnere denke:

    Seltsam wie alle den Zusammenhang ignorieren! Herr Holm ist nicht zum Staatssekretär beim Senator für Inneres oder Justiz, wo ein ehemaliger Stasi-Offizier selbstverständlich naheliegende Fragen aufwerfen würde. Er ist Staatssekretär für Wohnen!

    Derweil dreht man im Berliner Abgeordnetenhaus ein ganz klein bißchen frei, die FDP stellt einen Mißbilligungsantrag gegen den gesamten Senat, eine Grüne will einen Ehrenrat und eine Überprüfung des gesamten Senates, Carola Bluhm (Linke) wird ausgelacht (als sie die Ernennung Holms zum Staatssekretär als „ein Zeichen, dass wir den Anspruch ‚Stadt für alle‘ ernst nehmen“ bezeichnete) und die CDU will nicht mehr warten (heute läuft die Frist der HU in Sachen Holm ab) und attestiert dem Regierenden Führungsschwäche. Auf Antrag der FDP wird heute abend über Holm diskutiert, der Stand der Dinge beim rbb.

    1. Den heutige Stand der Dinge beim Tagesspiegel: Berliner Opposition scheitert mit Anträgen gegen Holm und beim rbb: Holm reicht Stellungnahme bei Humboldt-Universität ein (fristgerecht) und die HU prüft das jetzt erst einmal.

      Christoph Twickel, SPON: Ein Traum für Gentrifizierungskritiker

      Und womöglich fordern nicht alle Holm-Kritiker den Rücktritt des umstrittenen Staatssekretärs ganz uneigennützig: Der Berliner SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier, der als erster Sozialdemokrat erklärte, Holm sei „nicht tragbar“, betreibt beispielsweise als Anwalt eine Kanzlei für Immobilienrecht. „Neubauwohnungen, Altbauwohnungen, Villen, Mietshäuser oder Wohn- und Geschäftshäuser sind besonders gefragte Immobilieninvestments“, heißt es auf der Website. „Wir unterstützen Sie dabei, Ihre Traum-Immobilie in Berlin rechtlich abgesichert zu erwerben.“

      Bei Twitter fiel mir gestern abend auf, daß zur Abwechslung mal nicht Eier, sondern Nutzer mit unterschiedlichen Namen und Fotos, geringfügig unterschiedlichen Profiltexten und großem Interesse am „Stromvergleich“ ein- und denselben üblich-infamen Blog von Don Alphonso zu Andrej Holm verbreiten und auch sonst auffällig gleichförmig agieren. So viele vergleichsweise aufwändig gestaltete Bots auf einem Haufen sind mir noch nie untergekommen, rund 85 Profile geblockt.

  23. Erklärung des Staatssekretärs Dr. Andrej Holm zur Stellungnahme gegenüber der Humboldt-Universität zu Berlin

    13.01.17, Pressemitteilung
    Die Stellungnahme zur Anhörung gegenüber der Humboldt-Universität habe ich gestern, am Donnerstag, den 12.01.2017 fristgerecht eingereicht.

    Ich habe im September 1989 meine Ausbildung beim Ministerium für Staatssicherheit mit einer militärischen Grundausbildung und einer kurzen Dienstzeit in einer Abteilung der Bezirksverwaltung Berlin begonnen. Anschließend sollte ich nach einem Volontariat ein Studium der Journalistik als Berufsvorbereitung für meine Tätigkeit beim MfS absolvieren. Durch die politische Wende und die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes in der DDR endete meine Ausbildung bei der Staatssicherheit nach 5 Monaten im Januar 1990.
    Bis auf einen vom MfS legendierten Eintrag „Angestellter des MdI“ im sogenannten SV-Buch hatte ich keine Dokumente aus der Zeit beim MfS und habe mich in der Einordnung meines Status und meiner Diensteinheiten auf meine Erinnerungen verlassen. Eine begonnene Ausbildung zur Vorbereitung auf eine hauptamtliche Tätigkeit beim MfS entsprach 2005 meinem Wissensstand und Selbstbild. Entsprechend habe ich den Zusatzfragebogen zum Personalfragebogen 2005 ausgefüllt.

    Mir war bewusst, dass dies mit der Entscheidung für ein öffentliches Amt zu Diskussion führen wird. Ich stelle mich dieser Diskussion und wenn dabei in den letzten Wochen durch unsensible Wortwahl oder unangebrachte Vergleiche, insbesondere bei den Opfern des Repressionsapparates der DDR der Eindruck entstanden sein sollte, ich wolle erlittenes Unrecht relativieren, so möchte ich hier klarstellen: Das lag nicht im Entferntesten in meiner Absicht und ich möchte mich dafür entschuldigen.

    Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner als 18jähriger gefällten Entscheidung für eine Laufbahn beim Ministerium für Staatssicherheit Teil eines Repressionsapparates war und damit strukturell Verantwortung für die Überwachung und Repression in der DDR übernehmen muss. Diese historische Schuld nehme ich auf mich und bitte insbesondere diejenigen, denen in der DDR Leid zugeführt wurde, um Verzeihung. Ich habe großen Respekt vor all jenen, die in der DDR einen unangepassten Weg gingen. Ich habe für mich aus der Wendezeit die Lehre gezogen, fortan den Mut zu finden, selbst auch kritisch und unangepasst zu sein.

    Der Humboldt-Universität zu Berlin, bei der ich mit kürzeren Unterbrechungen fast 20 Jahre als kritischer Wissenschaftler und Hochschullehrer gearbeitet habe, möchte ich für ihre jederzeit offene und unterstützende Haltung mir gegenüber danken.

    Mein Abschied von der Humboldt-Universität ist ein Wechsel in eine andere Welt: Statt Seminaren mit Studierenden gibt es Routinen mit Verwaltungsbeamten, statt wissenschaftlicher Texte muss ich Gesetze und Verordnungen schreiben, statt durch Anerkennung für einen schlauen Gedanken wird meine Arbeit nun an Kennzahlen und Taten gemessen. Der Abschied von der Wissenschaft ist aber vor allem ein Aufbruch zu einer anderen Verantwortung. Zu einer Verantwortung für die Gestaltung der Wohnungspolitik in Berlin. Der Koalitionsvertrag und auch das Regierungsprogramm haben hohe Erwartungen für die Bewältigung der stadtpolitischen Herausforderungen geweckt. Insbesondere die sozialen und öffentlichen Belange sollen künftig den Vorrang vor privaten Gewinninteressen erhalten. Für die dabei zu erwartenden Konflikte brauche ich als Staatssekretär Wohnen eine klare politische Rückendeckung.

    Ich hatte vor Abgabe meiner Stellungnahme gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin einen Auflösungsvertrag erwogen, um eine politische Entscheidung, die sich nicht hinter einer arbeitsrechtlichen einreihen sollte, möglich zu machen. Da jedoch Diffamierungen und Vorwürfe gegen mich wortgewaltig und öffentlich vorgebracht wurden, die die arbeitsrechtliche Situation bewertet haben, halte ich in der aktuellen Situation eine arbeitsrechtliche Klärung parallel zu der politischen Entscheidung für unerlässlich.

    Anja Kühne, Melanie Berger, Tagesspiegel: Andrej Holm entschuldigt sich und will im Amt bleiben

    Robert Allertz, Junge Welt: Die mediale Inquisition gegen Andrej Holm

    Ellen Wesemüller, nd: Hausgemachte Zwickmühle

    Dass es so weit kommen konnte, hat sich die LINKE jedoch auch selbst zuzuschreiben. Es ist eben kein Missverständnis der Journalisten, sondern schlicht unverständlich, warum die Bausenatorin die Entscheidung der HU abwartet, statt sich klar zu Holm zu bekennen. So macht einmal mehr die Bewegung den Job, den eigentlich die Partei machen müsste.

    (die mit Frau Wagenknechts Werbungen um Wählergunst rechtsganzweitaußen meinetwegen sowieso nach Hause gehen kann)

  24. Die Entwicklung, http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/andrej-holm-darf-doch-an-der-humboldt-universitaet-bleiben-a-1134024.html :
    „Grund für die Entlassung war laut HU auch nicht Holms Tätigkeit für die Stasi gewesen, sondern, dass er ‚hinsichtlich seiner Biographie getäuscht und auch an dem wiederholt vorgebrachten Argument der Erinnerungslücken festgehalten hat'“.
    Diese Zwischentöne werden wiederum im kollektiven Gedächtnis wohl eher nicht im Gedächtnis haften bleiben.

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