Das Bundesverfassungsgericht verbietet die NPD nicht, auch im zweiten Anlauf nicht. Weil: zwar verfassungswidrig, aber nicht geeignet, die Demokratie zu beseitigen.
In der BRD-Vergangenheit wurden zwei Mal Parteien verboten, 1952 die Nachfolgepartei der NSDAP, 1956 die KPD. Es gab drei weitere unerfolgreiche Parteiverbotsversuche, gegen die FAP und gegen die Nationale Liste, bei denen aber die Parteieigenschaften höchstrichterlich angezweifelt wurden.
Und eben die beiden NPD-Verbotsversuche, der erste gescheitert an den V-Leuten von Diensten und Polizei, der zweite gescheitert am ersten. Nämlich am Umstand, daß NPDler knapp 16 Jahre Zeit hatten, die Partei bedeutungslos werden zu lassen und sich stattdessen zu den diversen Muslimhasser-Gruppierungen, den Reichsbürgern, den Identitären, in die AfD oder in den Untergrund zu verfügen und sich bestens zu vernetzen. Die vermeintlich Bürgerlichen unter den deutschen Rechtsradikalen wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sehr erfreuen, denn es wirkt wie ein demokratisches Gütesiegel.
Klüger wäre gewesen – allerspätestens 2003, nach dem Scheitern des ersten Verfahrens – der NPD den Geldhahn zuzudrehen und das Parteienfinanzierungsgesetz so zu reformieren, daß keine Partei mehr zu ausgedehntem Wahlkampf in der Lage ist. Das hätte der damit verbundenen optischen und akustischen Umweltverschmutzung und der Bürgerverarschung und -verblödung entgegen gewirkt und wäre womöglich auch glatt inhaltlicher politischer Arbeit zugute gekommen, für die zugunsten persönlicher Profilierung und Machtgeilheit in mindestens 2 von 4 Jahren Legislaturperiode kaum Zeit bleibt. Das hätte aber eben auch die freien, liberalen, demokratischen, sozialdemokratischen, christlichen Parteien betroffen und so weit gehen Antifaschismus und ‚Nie wieder!‘ nicht.
Hätte, hätte, Fahrradkette. Und: Gedanken lassen sich nicht verbieten, sie sind frei. Kein noch so erfolgreiches Parteiverbotsverfahren ließe auch die dazugehörigen Denker und deren Anhänger verschwinden.
Das mir bedeutsamer erscheinende der beiden erfolgreichen Parteiverbote ist das der KPD – die Sozialistische Reichspartei war schlicht und einfach zu plump mit ihrer Auffassung, die Gaskammern in den Konzentrationslagern seien eine „revolutionäre Methodik“ des 3. Reichs gewesen und auch in ihrer Personalwahl. Da ist man heute bei NPD, AfD & Co und in Schnellroda schon smarter.
Let’s face it: die Rechtsradikalen haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind erfolgreich mit der Revolution, zu der die Linken nicht in der Lage waren und sind. Diese Revolution wird auch nicht dadurch ausgebremst, indem von vorgeblich demokratischen oder gar linken Parteien an äußeren rechten Ränder gefischt, menschenverachtende Wortwahl übernommen und rechtsradikale Agenden vertreten werden. Nicht die Kopie, sondern das Original wird in der Abgeschiedenheit der Wahlkabine gewählt werden.
Der Staat aber hat damals wie heute mehr Angst vor dem Denken von Linken (wie der herbeigenötigte Rücktritt von Andrej Holm nebst Konsequenzen gerade in der Praxis zeigt) und daraus sollten alle Demokraten endlich Schlüsse ziehen, sich der Attraktivität und Nachhaltigkeit ihrer gemeinsamen Werte sicher sein, sie selbstbewußt und solidarisch vertreten und sich die ewigen Zweifel und Selbstzweifel gelegentlich verkneifen. Es ist kein Makel, daß der revolutionärste Rechtstext ever nächstes Jahr 70 wird. Auch weitere 70 Jahren werden nicht reichen, um sich daran abgearbeit zu haben. Die Menschenrechte sind nicht nur unvordenklich, sie sind und bleiben aktuell. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner (der alles andere als klein ist) von Demokraten und darunter sollte man es nicht machen.
Das ist der ganze Jammer: Die Dummen sind so sicher und die Gescheiten so voller Zweifel.
Foto (beschnitten): Jens Maus, Wikimedia Commons, gemeinfrei
Das mit dem Denken und dem Zweifel gilt btw. für unsere 4. Gewalt nicht unbedingt, die meldete vor lauter Clickgeilheit fast unisono, die NPD sei verboten worden. Ohne Worte…
Der guten Ordnung halber: ich habe den ersten link – ursprünglich zur Eilmeldung bei Zeit Online, jetzt zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts – ausgetauscht.
„Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele“ ist eine törichte Begründung. Als ob man eine NPD noch verbieten könnte, wenn sie in der Lage wäre, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durchzusetzen.
Genau.
Aber: ein Gericht hat nicht politisch zu denken oder gar politisch zu urteilen, sondern eine gut begründete Entscheidung in einem eng umgrenzten Rahmen zu fällen. Wenn politisch gedacht und geurteilt wird, kommt ein Gesinnungsurteil dabei heraus und das kann man angesichts des KPD-Verbotes nicht wollen.
Das mit dem engen Rahmen ist aber einer der vielen Punkte, warum mir die Welt der Justiz überaus unheimlich ist und wahrscheinlich immer ein Rätsel bleiben wird.
Medienlese:
Die blaue Narzisse zeigt Resthirn und gießt den über das Nicht-Verbot jubelnden „Patrioten“ Wasser in den Jetzt-erst-recht-Wein: NPD-Urteil: Ein verheerendes Signal an alle Patrioten (von Robin Classen und aus Gründen nicht verlinkt), daraus:
Zu ganz anderen Schlüssen kommen Dietmar Hipp, SPON: Narrenfreiheit für die Extremisten, daraus:
und Heribert Prantl in der Süddeutschen: Das NPD-Urteil ist bedauerlich falsch
Sonst wird das Urteil überwiegend als zu zahlender Preis unserer freiheitlichen Gesellschaft kommentiert (beispielhaft Tilmann Steffen bei Zeit Online: Diese Neonazis können wir aushalten) und es wird mal wieder mächtig gemahnt, keine national befreiten Zonen zuzulassen, zu verhindern, daß NPDler in andere Parteien oder in den Untergrund umziehen, sich Nazis in der Öffentlichkeit entgegen zu stellen – dann wäre alles im Lack. Als wäre das nicht längst passiert und als würden Antifaschisten nicht liebend gern als Verfassungsfeinde betrachtet und behandelt. SPON (Max Holscher) bringt es immerhin zu einem griffigen Titel: Sieg, geil!
Man bemüht sich allerseits um höchste Transparenz, wie es zur Falschmeldung über ein erfolgreiches NPD-Verbot kommen konnte, beispielhaft Zeit Online, Glashaus: Wie unsere falsche Eilmeldung zum NPD-Urteil zustande kam
Einen knappen Überblick über Politiker-Reaktionen gibt’s bei der Deutschen Welle: NPD-Urteil: Gemischte Reaktionen in Berlin und bei der taz (Konrad Litschko): Jetzt geht’s an die Kohle, Litschko kommentiert in Ein starkes Zeichen
Hörenswert fand ich eine Diskussion im dradio (Stefan Detjen dradio, Patrick Dahlemann (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern, Gudula Geuther, Deutschlandradio, Horst Meier, Freier Journalist und Autor, Erica Meijers, Chefredakteurin der Zeitschrift „De Helling“): Wie weiter nach dem Karlsruher NPD-Urteil