Daniel Binswanger, Republik – Avantgarde der Völker
Schon in der frühen Schrift «We refugees» (Wir Flüchtlinge) erklärte die deutsch-jüdische Philosophin: «Flüchtlinge repräsentieren die Avantgarde ihrer Völker.» Arendt hat aus ihren Untersuchungen (und ihrer Erfahrung) des Totalitarismus den Schluss gezogen, dass die Missachtung der Grundrechte in einer ersten Phase stets nur Flüchtlinge und schutzlose Minderheiten betrifft, bevor sie sich in einer zweiten Phase generalisieren kann. Historisch betrachtet war die Flüchtlingspolitik das Laboratorium der Barbarei. Erst zielt die Aufhebung der Menschenrechte nur auf Migranten – und irgendwann auf die gesamte Bevölkerung.
Wir sollten nicht so naiv sein, zu glauben, dass die namenlosen Tragödien, die sich Tag für Tag und Nacht für Nacht auf offener See abspielen, ohne Einfluss bleiben werden auf das Leben, die Politik und die Gesellschaft in Kontinentaleuropa. Wir sollten nicht so naiv sein, zu glauben, dass diese Toten nicht die unseren sind.
Die Dinge akzelerieren sich.
Nein, die Dinge akzelerieren sich nicht von selbst, sondern jüngst akzelerierte ein narzisstisch gekränkter Noch-nicht-ganz-Altenteiler, der absurderweise glaubte, die CSU stünde hinter ihm wie ein Mann, als er die Kanzlerin erpresste. In der CSU scheint es aber gedämmert zu haben, daß sie zu einer der rechtsradikalen Kleinparteien würde, die sich rund um die 5%-Hürde balgen und in Bayern nie wieder auch nur in die Nähe einer absoluten Mehrheit käme, träte nach dem Bruch der Union die CSU bundesweit und die CDU auch in Bayern an (ich hätte glatt Kleinspenden in Erwägung gezogen).
Übrig bleiben:
- eine erpressbare Kanzlerin (formerly known as mächtigste Frau Europas/Welt), die grobe Fehler macht
- ein vom Rücktritt zurück getretener, narzisstisch noch gekränkterer, emotional instabiler Noch-nicht-ganz-Altenteiler, absurderweise immer noch im Amt des Innen-, Bau-, Heimatministers, den man auch in Bayern nicht als Reklamation zurücknimmt
- eine „christliche“ Union, die alles mögliche und unmögliche ist, nicht aber Union, befriedet oder gar christlich
- eine SPD, die sich (nach Wochen konsequenter Funkstille) nicht im mindesten am rechtsfreien Raum der geplanten Transitzentren stört, auch nicht am rechtlich mehr als zweifelhaften Konstrukt einer Fiktion der Nichteinreise, sondern: nur am Wort Transitzentrum. Die SPD-Zustimmung zu Expresszentren kann aber als sicher vorausgesetzt werden, weil die SPD die Abwesenheit eines politischen Rückgrats schon mit dem Eintritt in die GroKo abschließend besiegelt hat und sowieso: Wer hat uns … usw.usf – war 1993 mit dem „Asylkompromiss“ so und wird jetzt nicht anders laufen
- CDU-koalitionsgeile Grüne, 5 vor Spaltung stehende Linke, zur bräunlich-neoliberalen Kenntlichkeit entstellte „Liberale“ und eine AfD, die Dank der Überholmanöver des narzisstisch Gekränkten auf der äußersten rechten Spur vor Kraft kaum noch laufen kann
- kollektives parlamentarisches Scheißen auf geltendes Recht
- aka Ermunterung für alle anderen Menschenrechtsfeinde (s.a. erpressbare Kanzlerin)
- 270.000 neue Flüchtlinge im südlichen Syrien (zusätzlich zu den 68,5 Millionen Menschen, die zu 85% in Länder/n der sog. „3. Welt“ fliehen, während die Zahl der in Europa Asylsuchenden kontinuierlich sinkt), während Israel niemanden aufnehmen möchte und in Jordanien und Libanon das Boot tatsächlich voll ist, seit Jahren
- ein zu mehr als 50% unterfinanzierter UNHCR, der zusätzlich zu seinen jetzt schon nicht mehr erfüllbaren Aufgaben noch den ex-territorialen Internierungslagern der Festung Europa den Anschein einer Legitimität verleihen soll
- eine afrikanische Union, die keine ex-territorialen EU-Internierungslager will
- kriminalisierte Seenotretter, beschlagnahmte Boote
- an deren Stelle eine libysche Küstenwache, inklusive Failed State, Schleppern, Menschenhändlern, Warlords und brandneuer SAR-Zone, exklusive SAR-Equipment, Koordinierungsstelle für SAR-Einsätze, Achtung der AEMR
- mehr als zweihundert im Mittelmeer Ertrunkene allein seit der Ausrufung der Rom-Wien-Berlin-(Tripolis-)Achse
- eine unbekannte Zahl von Toten in der Sahara, seit die EU ihre Festung ex-territorial ausweitet und den Druck immer weiter erhöht
- eine deutsche Bevölkerung, die immer noch nicht begreifen will, daß die Aushöhlung von Grundgesetz und Menschenrechten auch sie früher oder später treffen wird
- und die bittere Erkenntnis, daß Rechtsradikalismus und Menschenverachtung politisch effizient und wirkmächtig sind
Womöglich suchte man im Bundestag aber nur nach einem Patentrezept zur Erzeugung massenhafter Politikverdrossenheit. Immerhin das war erfolgreich. Nachdem schon das Vorrundenaus hingenommen werden mußte, ist das gefühlt ein Aufwasch.
Bild: Wikimedia Commons
Gremlitzas Kolumne aus 2013 immer noch aktuell.
„Es geht nicht darum, wer wie viele aufgenommen hat, wen wer was kostet, es geht nicht um Kontingente, Brot für die Welt und andere Peanuts. Es geht auch nicht nur um unterlassene Hilfeleistung. Es geht um staatlich konzessionierten Mord, Massenmord. Schon wer sich auf eine Diskussion um Quoten und Vergleiche einläßt, und wollte er nur der Lüge des Innenministers widersprechen, Deutschland sei das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt, beteiligt sich ungewollt an der Verharmlosung, wenn nicht Vertuschung dieses Verbrechens. “
Quelle: https://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-anlass-beitrag/items/ueber-leichen.html
Dana Schmalz, Verfassungsblog – Die Fiktion der Nichteinreise ist ein Instrument der Entrechtung (links nicht eingepflegt)
Beim Verfassungsblog ist man erfreulich fleißig – Mathias Hong – Die „Fiktion der Nichteinreise“ als Grundrechtseingriff durch normativen Tatsachenausschluss
Maximilian Pichl, Verfassungsblog – Die Fiktion der Souveränität in Transitzentren – Was ist eigentlich mit der Orbánisierung Europas gemeint?
Olaf Kleist, Verfassungsblog – Versionen fiktiver Migrationspolitik und was sie unterscheidet: Transitzentren, Flughafenverfahren und die australische non-Migration Zone
Auch die Gewerkschaft der Bundespolizei findet die Transitzentren-Idee Scheiße

(Screenshot auf Twitter, das Bild vergrößert sich, wenn man draufklickt)
Tagesschau
Dr. Stephan Dünnwald (Mitglied im bayerischen Flüchtlingsrat und im Labor für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung) mit einem Gastbeitrag auf der Seite der Friedrich-Ebert-Stiftung – Orte der Angstmache und Entrechtung (links nicht eingepflegt)
Süddeutsche – Malta behindert Flüchtlingsretter:
Die Iuventa wurde schon vor fast einem Jahr in Italien festgesetzt und das alles folgt dem Muster, das schon zum Ende der Cap Anamur führte (der Verein arbeitet heute – nach dem herbeigenötigten Verkauf des Bootes – ausschließlich an Land). Festgesetzte Schiffe können nicht nur nicht retten, sie kosten auch immense Liegegebühren (neben den Instandhaltungskosten), was sich zusammen mit der Kriminalisierung der Seenotretter nicht gerade positiv auf die Spendenbereitschaft auswirkt.
Ansa – Govt funding migrant ‚torturers‘-Saviano
Christoph Koch, brand eins – Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären?
Interessant, was Koch in brand eins schreibt. Die haben sowieso lesenswerte Ansätze. Man könnte damit arbeiten. Ich vermute zwar, dass man für jeden Punkt auch andere Zahlen bringen könnte – so ist das immer bei gobal wirksamen Themen – aber immerhin. Einwanderung nach Deutschland in Berufsbereiche, deren Bedarf hier nicht gedeckt werden kann, ist übrigens ziemlich simpel. Eine Krankenpflegerin kommt aus jedem Land der Welt einfach nach Deutschland, inklusive vom Staat bezahlten Sprachkurs.
Auch Pflegepersonal wird fleißig abgeschoben.
Das sind wahrhaft absurde Fälle. Bürokratie, die sich verselbstständigt hat, nicht nur bei Abschiebungen. Gleichzeitig kommen tausende ausländische Pflegekräfte nach Deutschland und besuchen Sprachkurse.
Absurd ist, daß es keinen Abgleich, keine Wechseloption zwischen den ohnehin engen Grenzen der Asyl- und der Einwanderungsgesetzgebung gibt. Ich halte das weder für absurde Einzelfälle noch für bürokratische Fehler (ist seit Jahrzehnten so) sondern für Absicht. Der/die Fremde mit der dunkleren Haut wird als abzuwehrender Feind betrachtet.
Das sehen unter anderen viele Handwerker anders, die händeringend nach Lehrlingen suchen. Eigentlich gäbe es die 3+2-Regelung, laut der Jugendliche auch nach einem Ablehnungsbescheid eine Ausbildung machen können und zwei Jahre danach ein Bleibe- und Arbeitsrecht erhalten. Das klappt nur in der Praxis null, weil unter anderen Bayern ihnen von vornherein keine Arbeitserlaubnis zum Antritt der Lehre zubilligt. Das trifft nicht nur Jugendliche aus Ländern ohne Asylperspektive, sondern auch Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die kein Asyl, sondern nur subsidiären Schutz bekommen. Wenn Du kein Gesetz ändern kannst, drehe einfach an den Verwaltungsstellschrauben, ist mindestens genauso wirksam und findet weniger prominent statt.
Spahn will jetzt ja viele Pflegekräfte mit dunkler Haut anwerben. So einfach ist das nicht mit dem Feind, der abgewehrt werden soll.
Sie widersprechen um des Widersprechens willen, oder?
Jens Spahn hat dringend dafür zu sorgen, daß Pflegepersonal angemessen bezahlt wird und unter Bedingungen arbeitet, aufgrund derer die meisten nicht nach 10 Jahren kaputtgearbeitet sind. Es ist sehr wenig sinnvoll, ausgebildete Pflegekräfte aus Osteuropa und dem Balkan anwerben zu wollen (wo m.W. nicht allzu viele mit dunkler Haut leben), deren Abschlüsse in Deutschland kaum anerkannt werden (obwohl sie sehr oft höherwertig sind als die deutschen) und die in ihren Herkunftsländern fehlen. Wesentlich sinnvoller wäre es, jugendliche Flüchtlinge in Pflegeberufen auszubilden. Statt sie jahrelang im Limbo zu halten und sie dann abzuschieben.
Ich meine gelesen zu haben, dass Spahn Anwerbeverträge mit den Philippinen und mit Tunesien schließen will. Dort haben die Menschen dunklere Haut und das widerspricht eben Ihrer These, dass die dunkle Haut grundsätzlich als der abzuwehrende Feind betrachtet wird. Saudis mit Milliarden in der Tasche werden hoffiert, wenn sie in München auf Shopping-Tour gehen.
Sabine Kebir, Freitag – Zentren und Gesetz
Claudius Seidel, FAZ – Die Fiktion der Einreise: Wer würde wirklich kommen, wenn alle Grenzen offen wären?
Christoph Schmidt-Lunau, taz – Vorbild für die „Transitzonen“: Das Niemandsland auf dem Flughafen
Stephan Hebel kommentiert in der Frankfurter
AllgemeinenRundschau – Worüber reden wir da eigentlich?Katja Thorwarth, ebenda – „Die CSU ist von allen guten Geistern verlassen“
Sarah Serafini, Watson im Interview mit Fabio Zgraggen – Schweizer Piloten dürfen keine Flüchtlinge mehr retten: «Jetzt steigt die Zahl der Toten»
Erklärung des Commissioners of Human Rights des Europäischen Rates (sofern ich „Council“ richtig verstehe)
European states must put human rights at the centre of their migration policies, in der so ziemlich alles zum Kotzen gefunden wird, worüber auch Sie und ich mich in den letzten Wochen aufgeregt haben.
Die aktuelle Sendung von Monitor befasst sich querbeet mit dieser ganzen Sauerei um Asylbewerber und Schutzsuchenden auf ihrem Weg nach Europa, dem ganzen im Grunde abgefrühstückten Populismus darum, der eigentlich bereits keine Grundlage mehr hat, weil die realen Zahlen längst niedriger sind als vor der „Flüchtlingskrise“, dem vermeintlichen BAMF-Skandal usw.
Obwohl mir die nüchternen Fakten längst bekannt sind, muss ich mich erstmal abregen, sowohl über die Verlogenheit der populistischen Schw…. und die Verdummungsversuche der Bevölkerung durch diese. Leider gehen viele dem Ganzen auf den Leim, weil sie sich nach wie vor „bedroht“ fühlen und Suggestivängste so toll dazu geeignet sind – wer fragt da schon noch nach der Wirklichkeit.
PS. Das Video selber steht ab Freitag zur Vefügung, dann vermutlic auch in der Mediathek.
PPS. Georg Restle ist aus meiner bescheidenen Sicht einer der raren Journalisten/Redakteure, die sich nicht nach dem Winde auch bei den ÖR drehen, auch den eigenen Sendeanstalten Kontra geben und dem Thema tatsächlich faktenbasiert und sachlich auf den Grund geht – leider:-(
Danke! Video war gestern abend schon abrufbar und ist in der Tat sehenswert.
Die Sozen feiern sich tatsächlich dafür, daß sie einer erneuten Verschärfung des Asylrechts und einem Mini-Fachkräfte-Einwanderungsgesetzchen zugestimmt haben, während sich Seehofer ein zweites Loch in den Hintern freut, daß so ziemlich alles, wofür er vor 4 Tagen noch zurück treten wollte, vom Tisch ist und Doro Bär öffentlich beklagt, daß die Asylpolitik der Bundesregierung aktuell viel zu sehr Thema der öffentlichen Debatte ist.
Allmählich könnte ich mich für obligate psychiatrische Begutachtung von Politikern erwärmen.
Die Gewerkschaft der Polizei meldet Zweifel an den vereinbarten Transitverfahren an:
Wolfgang Luef, SZ-Magazin – Der Untergang
Andrea Böhm, Zeit Online – Europas Flucht vor der Realität
Anfang und Ende eines äußerst lesenswerten Kommentars.
Georg Diez, SPON – Monsterworte
Dominik Peters, Christoph Sydow, ebenda – Libyens Sklavenmärkte. Das Erbe des arabischen Rassismus (der Artikel ist etwas älter, ich möchte aber bezweifeln, daß sich seit Dezember 2017 irgendetwas zum Besseren verändert hat)