Laboratorium der Barbarei

Daniel Binswanger, Republik – Avantgarde der Völker

Schon in der frühen Schrift «We refugees» (Wir Flüchtlinge) erklärte die deutsch-jüdische Philosophin: «Flüchtlinge repräsentieren die Avantgarde ihrer Völker.» Arendt hat aus ihren Untersuchungen (und ihrer Erfahrung) des Totalitarismus den Schluss gezogen, dass die Missachtung der Grundrechte in einer ersten Phase stets nur Flüchtlinge und schutzlose Minderheiten betrifft, bevor sie sich in einer zweiten Phase generalisieren kann. Historisch betrachtet war die Flüchtlingspolitik das Laboratorium der Barbarei. Erst zielt die Aufhebung der Menschenrechte nur auf Migranten – und irgendwann auf die gesamte Bevölkerung.

Wir sollten nicht so naiv sein, zu glauben, dass die namenlosen Tragödien, die sich Tag für Tag und Nacht für Nacht auf offener See abspielen, ohne Einfluss bleiben werden auf das Leben, die Politik und die Gesellschaft in Kontinentaleuropa. Wir sollten nicht so naiv sein, zu glauben, dass diese Toten nicht die unseren sind.

Die Dinge akzelerieren sich.

Nein, die Dinge akzelerieren sich nicht von selbst, sondern jüngst akzelerierte ein narzisstisch gekränkter Noch-nicht-ganz-Altenteiler, der absurderweise glaubte, die CSU stünde hinter ihm wie ein Mann, als er die Kanzlerin erpresste. In der CSU scheint es aber gedämmert zu haben, daß sie zu einer der rechtsradikalen Kleinparteien würde, die sich rund um die 5%-Hürde balgen und in Bayern nie wieder auch nur in die Nähe einer absoluten Mehrheit käme, träte nach dem Bruch der Union die CSU bundesweit und die CDU auch in Bayern an (ich hätte glatt Kleinspenden in Erwägung gezogen).

Übrig bleiben:

  • eine erpressbare Kanzlerin (formerly known as mächtigste Frau Europas/Welt), die grobe Fehler macht
  • ein vom Rücktritt zurück getretener, narzisstisch noch gekränkterer, emotional instabiler Noch-nicht-ganz-Altenteiler, absurderweise immer noch im Amt des Innen-, Bau-, Heimatministers, den man auch in Bayern nicht als Reklamation zurücknimmt
  • eine „christliche“ Union, die alles mögliche und unmögliche ist, nicht aber Union, befriedet oder gar christlich
  • eine SPD, die sich (nach Wochen konsequenter Funkstille) nicht im mindesten am rechtsfreien Raum der geplanten Transitzentren stört, auch nicht am rechtlich mehr als zweifelhaften Konstrukt einer Fiktion der Nichteinreise, sondern: nur am Wort Transitzentrum. Die SPD-Zustimmung zu Expresszentren kann aber als sicher vorausgesetzt werden, weil die SPD die Abwesenheit eines politischen Rückgrats schon mit dem Eintritt in die GroKo abschließend besiegelt hat und sowieso: Wer hat uns … usw.usf – war 1993 mit dem „Asylkompromiss“ so und wird jetzt nicht anders laufen
  • CDU-koalitionsgeile Grüne, 5 vor Spaltung stehende Linke, zur bräunlich-neoliberalen Kenntlichkeit entstellte „Liberale“ und eine AfD, die Dank der Überholmanöver des narzisstisch Gekränkten auf der äußersten rechten Spur vor Kraft kaum noch laufen kann
  • kollektives parlamentarisches Scheißen auf geltendes Recht
  • aka Ermunterung für alle anderen Menschenrechtsfeinde (s.a. erpressbare Kanzlerin)
  • 270.000 neue Flüchtlinge im südlichen Syrien (zusätzlich zu den 68,5 Millionen Menschen, die zu 85% in Länder/n der sog. „3. Welt“ fliehen, während die Zahl der in Europa Asylsuchenden kontinuierlich sinkt), während Israel niemanden aufnehmen möchte und in Jordanien und Libanon das Boot tatsächlich voll ist, seit Jahren
  • ein zu mehr als 50% unterfinanzierter UNHCR, der zusätzlich zu seinen jetzt schon nicht mehr erfüllbaren Aufgaben noch den ex-territorialen Internierungslagern der Festung Europa den Anschein einer Legitimität verleihen soll
  • eine afrikanische Union, die keine ex-territorialen EU-Internierungslager will
  • kriminalisierte Seenotretter, beschlagnahmte Boote
  • an deren Stelle eine libysche Küstenwache, inklusive Failed State, Schleppern, Menschenhändlern, Warlords und brandneuer SAR-Zone, exklusive SAR-Equipment, Koordinierungsstelle für SAR-Einsätze, Achtung der AEMR
  • mehr als zweihundert im Mittelmeer Ertrunkene allein seit der Ausrufung der Rom-Wien-Berlin-(Tripolis-)Achse
  • eine unbekannte Zahl von Toten in der Sahara, seit die EU ihre Festung ex-territorial ausweitet und den Druck immer weiter erhöht
  • eine deutsche Bevölkerung, die immer noch nicht begreifen will, daß die Aushöhlung von Grundgesetz und Menschenrechten auch sie früher oder später treffen wird
  • und die bittere Erkenntnis, daß Rechtsradikalismus und Menschenverachtung politisch effizient und wirkmächtig sind

Womöglich suchte man im Bundestag aber nur nach einem Patentrezept zur Erzeugung massenhafter Politikverdrossenheit. Immerhin das war erfolgreich. Nachdem schon das Vorrundenaus hingenommen werden mußte, ist das gefühlt ein Aufwasch.

 


Bild: Wikimedia Commons


27 Kommentare zu „Laboratorium der Barbarei

  1. Gremlitzas Kolumne aus 2013 immer noch aktuell.
    „Es geht nicht darum, wer wie viele aufgenommen hat, wen wer was kostet, es geht nicht um Kontingente, Brot für die Welt und andere Peanuts. Es geht auch nicht nur um unterlassene Hilfeleistung. Es geht um staatlich konzessionierten Mord, Massenmord. Schon wer sich auf eine Diskussion um Quoten und Vergleiche einläßt, und wollte er nur der Lüge des Innenministers widersprechen, Deutschland sei das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt, beteiligt sich ungewollt an der Verharmlosung, wenn nicht Vertuschung dieses Verbrechens. “

    Quelle: https://www.konkret-magazin.de/aktuelles/aus-aktuellem-anlass/aus-aktuellem-anlass-beitrag/items/ueber-leichen.html

  2. Dana Schmalz, Verfassungsblog – Die Fiktion der Nichteinreise ist ein Instrument der Entrechtung (links nicht eingepflegt)

    Das Grundgesetz stellt vor und über alle weiteren Regeln die Würde des Menschen – es ist die Bekräftigung der universalistischen Grundlage modernen Rechts, und es ist der Versuch in eine Formel zu fassen, dass nicht passieren darf, was im nationalsozialistischen Deutschland passierte: Dass in detaillierten formalrechtlichen Konstruktionen Menschen ihrer Rechte beraubt werden. Dass juristisch penibel begleitet der größte Schrecken vonstatten geht, ohne dass im Namen des Rechts Einwände erhoben würden. Konstrukte wie die Fiktion der Nichteinreise erinnern an diese geregelte Entrechtung. Sie sind im Einzelnen europarechtlich und völkerrechtlich angreifbar, weil wir heute eine stärkere Einbettung in überstaatliche Rechtsgarantien haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dürfte von der Fiktion der Nichtanwesenheit von Personen wenig beeindruckt sein und Rechtsverletzungen gegebenenfalls rügen, über das Verbot der willkürlichen Inhaftierung, das Verbot der Kollektivausweisung, das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung. Aber diese Rügen können immer nur im Nachhinein die Verletzung von Rechten feststellen – derartig offensichtlich widerrechtliche Konstrukte erfordern Widerstand hier und jetzt. Für den Schutz von Asylsuchenden und für die Bewahrung von Grundrechtsgarantien überhaupt.

    1. Beim Verfassungsblog ist man erfreulich fleißig – Mathias Hong – Die „Fiktion der Nichteinreise“ als Grundrechtseingriff durch normativen Tatsachenausschluss

      Der Rechtsordnung sind normative Vermutungen und Fiktionen zwar keineswegs fremd. Eine normative Tatsachenfeststellung, die das Nichtvorliegen grundrechtsverletzender Tatsachen mit verbindlicher Wirkung feststellen soll, greift jedoch in den Gewährleistungsinhalt des jeweiligen Grundrechts ein.

      Ein Rechtsakt etwa, der mit unwiderleglicher Bindungswirkung feststellen wollte, dass in Deutschland keine Folter stattfindet, würde damit zwar nicht das rechtliche Verbot der Folter selbst beseitigen. Mit dem Versuch, das Vorliegen der Tatsachen, auf die die Norm reagieren soll, normativ auszuschließen und die Norm so gleichsam von der Wirklichkeit abzukoppeln, würde er jedoch die Wirksamkeit des Folterverbotes nicht weniger effektiv beeinträchtigen, als wenn er das rechtliche Verbot selbst beseitigt hätte.

    2. Maximilian Pichl, Verfassungsblog – Die Fiktion der Souveränität in Transitzentren – Was ist eigentlich mit der Orbánisierung Europas gemeint?

      Die geplanten Transitzentren an der bayerischen Grenze haben ein Vorbild, über das es sich zu reden lohnt: die Transitzone an der ungarisch-serbischen Grenze. Die Regierung unter Viktor Orbán ließ ab dem Sommer 2015 einen elektrischen Grenzzaun zu Serbien und später auch zu Rumänien bauen, der polizeilich überwacht wird. Zugleich wurde eine Transitzone in Röszke eingerichtet, die der einzige Ort ist, in dem Flüchtlinge einen Asylantrag stellen können. Seit kurzem darf nur ein Flüchtling pro Werktag in der Transitzone Asyl beantragen. Viele Flüchtlinge werden ohnehin brutal an der Grenze zurückgewiesen. Wer die zentralen Plätze im serbischen Belgrad besucht hat, sieht dort zahlreiche Flüchtlinge, die deutliche Verletzungen davongetragen haben, als sie versuchten, die ungarische Grenze zu überwinden. Wie wird die deutsche Bundespolizei reagieren, wenn Flüchtlinge sich weigern, in die geplanten Transitzentren zu gehen? In der ungarischen Transitzone dürfen sich Anwälte nicht frei bewegen und für viele Menschenrechtsorganisationen ist der Zugang vollständig verwehrt. Das jüngste sog. „Stop-Soros Gesetz“ sieht zudem Haftstrafen für diejenigen vor, die Flüchtlinge unterstützen. Insofern die CSU in den vergangenen Wochen eine offene Hetze gegen Asylrechtsanwält/innen unter dem Schlagwort „Abschiebeverhinderungsindustrie“ betrieb, zeigt sich, wohin die Reise geht, wenn dieser Kriminalisierungskampagne kein Einhalt geboten wird.

      Olaf Kleist, Verfassungsblog – Versionen fiktiver Migrationspolitik und was sie unterscheidet: Transitzentren, Flughafenverfahren und die australische non-Migration Zone

      Doch wo am Flughafen zwar die Fiktion der Nicht-Territorialität herrscht, wo also weder Waren noch Menschen eingereist sein sollen, aber die Bundespolizei das souveräne Hoheitsrecht ausübt (und mithin ja weder Dublin noch Asyl völlig ausgesetzt sind), wird zumindest noch das universale Gleichheitsrecht anerkannt: die fiktionale Nichteinreise gilt für alle gleichermaßen. Nun ist auch das Gleichheitsrecht in gewisser Weise fiktional. Für jene mit dem richtigen Pass ist die Transitzone wie die Grenze kaum als Ausnahmegebiet auf dem Territorium im Ankunftsstaat merklich. Es ist hier wie mit dem Verbot, unter Brücken zu schlafen, das für Obdachlose und Millionäre gleichermaßen gilt. Trotz der realen Ungerechtigkeit, und diese ist durchaus im Fall des Flughafenverfahrens zu kritisieren, wird zumindest das Prinzip der Gleichheit nicht angetastet. Dies wäre im Fall der Transitzentren aber anders.

      Nun gibt es allerdings ein unschönes Beispiel, wie zumindest eine Fiktion der Gleichheit auch bei der Einreise an den Außengrenzen aufrechterhalten werden kann und dennoch die Rechte von Asylsuchenden eingeschränkt werden: indem die Transitzone des Flughafens einfach auf das gesamte Grenzgebiet ausgeweitet wird. 2001 erklärte Australien alle seine Inseln und später auch das gesamte Küstengebiet zu einer non-Migration Zone. Bootsflüchtlinge, die hier ankamen, konnten kein Asyl mehr beantragen und unbestimmt interniert werden. Diese Zonen hatten keinen anderen Sinn, als Asylanträge von irregulären Migranten zu verhindern und hielten doch, wie im Flughafenverfahren, die Fiktion der Gleichheit aufrecht – schließlich könnte hier niemand, auch Bürger nicht, Asyl beantragen. Hieraus erwuchs später die Pacific Solution, die die Internierung von Asylsuchenden auf die Inselstaaten Nauru und Manus Island verlagerte. Die fiktionale non-Migration Zone, die zur Umgehung des Asylrechts eingeführt wurde, hatte die totale Entrechtlichung von Flüchtlingen zur Folge, einschliesslich Kinder, die gerade bei einer Unmöglichkeit der Rückkehr ins Herkunftsland unbefristet inhaftiert bleiben. Australien muss sich dafür dem Vorwurf der Vereinten Nationen aussetzen, durch die Internierung schwere Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Die auf Fiktionen aufgebaute Migrationspolitik führt zu realem Leid und Unrecht.

      Nun ist für einige Protagonisten schon seit langem die australische Lösung Vorbild für die europäische Flüchtlingspolitik. Die Entrechtlichung und Exterritorialisierung des Flüchtlingsschutzes ist jedoch bislang am europäischen Menschenrechtsgerichthof gescheitert. Anders als die EU kennt Australien keine verfassungsmäßigen Grundrechte, auf die sich Betroffene berufen können. Der EGMR machte hingegen 2012 im Fall Hirsi klar, dass schon allein durch die Hoheitsgewalt eines europäischen Staats über Migranten, sei es auch auf Hoher See, dieser für den Schutz von deren Rechten verantwortlich sei. „Transitzentren“ würden dies Grundsatzurteil nicht in internationalen Gewässern, sondern im territorialen Hoheitsraum eines europäischen Staats in Frage stellen, selbst wenn eine fiktionale Gleichheit an den Außengrenzen wie in Australien aufrecht erhalten würde. Dass das EGMR eine non-Migration Zone an deutschen Außengrenzen erlauben würde, deren einziger Zweck – anders als am Flughafen – im Vermeiden von Asyl bestünde, ist zweifelhaft. Die rechtliche Fiktion der Gleichheit wäre in dem Fall nicht mehr als Augenwischerei einer Migrationspolitik, um Flüchtlingsrechte auszuhebeln.
      Implikationen einer fiktiven Migrationspolitik

      Sollten die Rechte von Asylsuchenden in Lagern in Deutschland durch die Fiktion der Nichteinreise eingeschränkt werden, sei es durch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes wie aktuell geplant oder eine wie auch immer in Deutschland angewandte australische Lösung, so könnte dies durchaus der Beginn sein, Asyl in Europa gänzlich abzuschaffen. … Ist es Staaten in Europa erst einmal möglich, Zonen zu schaffen, in denen Grundrechte von Asylsuchenden ausgesetzt werden, so betrifft dies den Anspruch auf Flüchtlingsschutz logisch als nächsten Schritt. Zeitliche Befristungen, wie 48 Stunden Bearbeitungszeit, sind politische Zugeständnisse angesichts eines potentiell unbefristeten Ausnahmezustands.

  3. Tagesschau

    In den geplanten sogenannten Transitzentren soll nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel innerhalb von zwei Tagen entschieden werden, ob Flüchtlinge in andere EU-Staaten zurückgeschickt werden sollen. „Man muss mit 48 Stunden hinkommen, das sagt das Grundgesetz“, sagte die CDU-Vorsitzende in der ARD-Sendung „Farbe bekennen“. „Ansonsten ist diese Prozedur, dieses Verfahren über das ‚Transitzentrum‘, nicht möglich.“ Wenn es nicht gelinge, innerhalb dieser Zeit zu entscheiden, müssten die Flüchtlinge in eine normale Aufnahmeeinrichtung verlegt werden.

    Dr. Stephan Dünnwald (Mitglied im bayerischen Flüchtlingsrat und im Labor für kritische Migrations- und Grenzregimeforschung) mit einem Gastbeitrag auf der Seite der Friedrich-Ebert-Stiftung – Orte der Angstmache und Entrechtung (links nicht eingepflegt)

    Schon im Herbst 2015 wurden in Manching/Ingolstadt und Bamberg große Lager für Geflüchtete errichtet, die „Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen“ (ARE). Anfangs waren diese Einrichtungen nur für Personen aus den „sicheren Herkunftsländern“ Südosteuropas gedacht, aber die Zielgruppe wurde bald ausgeweitet.

    In die seit 2017 auch als „Transitzentrum“ bezeichnete Einrichtung in Manching/Ingolstadt und zwei weitere, neue „Transitzentren“ in Regensburg und Deggendorf kommen inzwischen auch Asylsuchende aus Afghanistan, Äthiopien, oder Nigeria. Was sie dort erwartet, sind nicht die von der Politik versprochenen beschleunigten Verfahren, sondern eine lange Liste an Problemen – von zum Teil rechtswidrigen Restriktionen über unfaire Asylverfahren bis hin zu gewaltsamen Übergriffen des Security-Personals.

    Die Transitlager sind so angelegt, dass das gesamte Asylverfahren vor Ort stattfinden kann. Die Asylsuchenden haben aber wegen zahlreicher Einschränkungen kaum Zugang zu rechtlicher Unterstützung. Auf dem Gelände der Lager ist die Zentrale Ausländerbehörde, eine Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sowie eine Stelle des zuständigen Verwaltungsgerichts, wo gegen einen ablehnenden Bescheid geklagt werden kann. Allerdings ist es für die Geflüchteten fast unmöglich, sich unabhängig beraten zu lassen. Das liegt unter anderem daran, dass die Anhörung durch das BAMF oft wenige Tage nach der Einweisung durchgeführt wird. Regelmäßig bekommen die Betroffenen allein schon wegen der Kürze der Zeit keine Verfahrensberatung. Nur in Ingolstadt und Bamberg ist je eine Anwältin vor Ort, andere Rechtsbeistände können die Betroffenen auch wegen ihrer eingeschränkten Bewegungsfreiheit oft nicht erreichen. Ein faires Asylverfahren ist hier von Beginn an nicht gegeben.

    Darüber hinaus ist das Verhältnis zwischen Geflüchteten und Security-Angestellten in den Transitzentren deutlich angespannt. Gegen Mitarbeiter_innen der Security-Firma in Bamberg laufen Ermittlungsverfahren wegen gewalttätiger Übergriffe und Körperverletzung. In Manching/Ingolstadt werden Geflüchtete bei Zimmerkontrollen oder Kontrollen an der Pforte oder Kantine regelmäßig eingeschüchtert. Eine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, gibt es nicht. Beinah täglich kommt es zu Polizeieinsätzen wegen Konflikten zwischen Insass_innen oder Insass_innen und Security oder Verwaltungsangestellten.

    Mit Blick auf die bayerischen Transitzentren drängt sich der Verdacht auf, dass es um Segregation und Abschreckung der Asylsuchenden geht, nicht um die Beschleunigung der Verfahren, die praktisch genauso lang dauern wie in anderen Unterkünften.

  4. Süddeutsche – Malta behindert Flüchtlingsretter:

    Die maltesischen Behörden hätten ab sofort alle Flüge in das Rettungsgebiet vor Libyen untersagt, teilte die Berliner Organisation „Sea-Watch“ am Mittwoch mit. Die „Moonbird“ dürfe nicht mehr von Malta aus zu Erkundungsflügen starten. Ein Regierungssprecher in Valletta bestätigte dies. „Sea-Watch“ betreibt die Propellermaschine vom Typ Cirrus SR 22 nach eigenen Angaben seit dem Frühjahr 2017 gemeinsam mit der Schweizer Humanitären Piloteninitiative. 2017 hat die „Moonbird“ den Rettern zufolge 119 Boote in Seenot gesichtet und so 20 000 Menschen gerettet. Mit der Entscheidung Maltas seien Aufklärungsflüge in der Region vor der libyschen Küste nun nicht mehr möglich, erklärte die Organisation. Vergangene Woche hatte Malta alle seine Häfen für Schiffe von Nicht-Regierungsorganisationen geschlossen.

    Malta hat bereits dem Rettungsschiff „Sea Watch 3“ das Auslaufen untersagt. Das bestätigte die Regierung der Zeitung Times of Malta, allerdings ohne Gründe für die Entscheidung zu nennen.

    Zuvor wurde die „Lifeline“ festgesetzt, ebenfalls ein Rettungsschiff einer deutschen Hilfsorganisation.

    Derweil sterben im Mittelmeer immer mehr Flüchtlinge. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in diesem Jahr im Mittelmeer bereits mindestens tausend Menschen ums Leben gekommen. „Es gibt einen alarmierenden Anstieg der Todesfälle vor der libyschen Küste“, erklärte der Leiter der IOM-Mission in Libyen, Othman Belbeisi. Libyen ist Hauptdurchgangsland für Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, die auf dem Seeweg in die EU gelangen wollen. Die Schleuser würden die Angst der Menschen ausnutzen, dass Europa demnächst „eine härtere Gangart bei Mittelmeerüberquerungen einlegt“, sagte Belbeisi.

    Allein am Dienstag sind vermutlich 63 Menschen ertrunken. Ihr Schlauchboot sei gekentert, sagte der Sprecher der libyschen Marine, General Ajub Kacem, der Nachrichtenagentur AFP in der Nacht zum Dienstag. An Bord des gesunkenen Bootes befanden sich demnach 104 Menschen. 41 von ihnen konnten gerettet werden.

    Die Iuventa wurde schon vor fast einem Jahr in Italien festgesetzt und das alles folgt dem Muster, das schon zum Ende der Cap Anamur führte (der Verein arbeitet heute – nach dem herbeigenötigten Verkauf des Bootes – ausschließlich an Land). Festgesetzte Schiffe können nicht nur nicht retten, sie kosten auch immense Liegegebühren (neben den Instandhaltungskosten), was sich zusammen mit der Kriminalisierung der Seenotretter nicht gerade positiv auf die Spendenbereitschaft auswirkt.

    Ansa – Govt funding migrant ‚torturers‘-Saviano

    Anti-mafia and pro-migrant writer Roberto Saviano said Wednesday that Italy was funding „torturers“ by financing the Libyan coast guard. „Funding the Libyan coast guard, which according to UNHCR coincides with people traffickers, means fomenting the traffic and not stopping it,“ he said. „It means funding torturers“.
    Saviano, who has accused the government of responsibility for recent migrant drownings, said „you will have no help from me: I will never be your accomplice“.

  5. Christoph Koch, brand eins – Was wäre, wenn alle Grenzen offen wären?

    Die erstaunlichste Folge wäre ein deutlich höherer Wohlstand für alle. Wirtschaftsforscher ermittelten in vier unterschiedlichen Studien, dass sich das weltweite Bruttoinlandsprodukt um einen Wert zwischen 67 und 147 Prozent erhöhen würde.

    Aktuell gaben … 14 Prozent an, gern dauerhaft in einem anderen Land leben zu wollen. Das entspricht ungefähr 710 Millionen Migrationswilligen, der Anteil war mit 17 Prozent vor rund 10 Jahren schon einmal höher. Sierra Leone (62 Prozent), Haiti und Albanien (jeweils 56 Prozent) sind die Länder, aus denen die meisten Befragten wegwollen. Rund ein Fünftel der Migrationswilligen möchte in die USA. Deutschland (6 Prozent) und Kanada (5 Prozent) folgen mit großem Abstand. Wie viele Menschen diese Absicht tatsächlich umsetzen würden, lässt sich schwer sagen. 97 Prozent der Weltbevölkerung leben in dem Land, in dem sie geboren wurden – eine Zahl, die seit mehr als 100 Jahren konstant ist.

    Was offene Grenzen für die öffentliche Sicherheit bedeuten, ist schwierig vorherzusagen: In den USA begehen Migranten weniger Verbrechen und landen fünfmal seltener im Gefängnis als US-Amerikaner. Selbst als die Zahl der Einwanderer ohne Papiere sich zwischen den Jahren 1990 und 2013 auf mehr als elf Millionen verdreifachte, sank die Kriminalität. In Deutschland hat die Kriminalstatistik gezeigt, dass gegen noch nicht anerkannte Flüchtlinge häufiger Strafanzeige erstattet wird als gegen die Durchschnittsbevölkerung. Allerdings werden junge Männer generell häufiger straffällig als der Rest der Bevölkerung – und je schwieriger die Einreise, umso höher der Anteil junger Männer an den Migranten. Bei offenen Grenzen würden sich mehr Frauen, denen Gutachten eine „gewaltpräventive, zivilisierende Wirkung“ zuschreiben, auf den Weg machen.

    1. Interessant, was Koch in brand eins schreibt. Die haben sowieso lesenswerte Ansätze. Man könnte damit arbeiten. Ich vermute zwar, dass man für jeden Punkt auch andere Zahlen bringen könnte – so ist das immer bei gobal wirksamen Themen – aber immerhin. Einwanderung nach Deutschland in Berufsbereiche, deren Bedarf hier nicht gedeckt werden kann, ist übrigens ziemlich simpel. Eine Krankenpflegerin kommt aus jedem Land der Welt einfach nach Deutschland, inklusive vom Staat bezahlten Sprachkurs.

      1. Einwanderung nach Deutschland in Berufsbereiche, deren Bedarf hier nicht gedeckt werden kann, ist übrigens ziemlich simpel. Eine Krankenpflegerin kommt aus jedem Land der Welt einfach nach Deutschland, inklusive vom Staat bezahlten Sprachkurs.

        Auch Pflegepersonal wird fleißig abgeschoben.

        1. Das sind wahrhaft absurde Fälle. Bürokratie, die sich verselbstständigt hat, nicht nur bei Abschiebungen. Gleichzeitig kommen tausende ausländische Pflegekräfte nach Deutschland und besuchen Sprachkurse.

          1. Absurd ist, daß es keinen Abgleich, keine Wechseloption zwischen den ohnehin engen Grenzen der Asyl- und der Einwanderungsgesetzgebung gibt. Ich halte das weder für absurde Einzelfälle noch für bürokratische Fehler (ist seit Jahrzehnten so) sondern für Absicht. Der/die Fremde mit der dunkleren Haut wird als abzuwehrender Feind betrachtet.

            Das sehen unter anderen viele Handwerker anders, die händeringend nach Lehrlingen suchen. Eigentlich gäbe es die 3+2-Regelung, laut der Jugendliche auch nach einem Ablehnungsbescheid eine Ausbildung machen können und zwei Jahre danach ein Bleibe- und Arbeitsrecht erhalten. Das klappt nur in der Praxis null, weil unter anderen Bayern ihnen von vornherein keine Arbeitserlaubnis zum Antritt der Lehre zubilligt. Das trifft nicht nur Jugendliche aus Ländern ohne Asylperspektive, sondern auch Kriegsflüchtlinge aus Syrien, die kein Asyl, sondern nur subsidiären Schutz bekommen. Wenn Du kein Gesetz ändern kannst, drehe einfach an den Verwaltungsstellschrauben, ist mindestens genauso wirksam und findet weniger prominent statt.

              1. Sie widersprechen um des Widersprechens willen, oder?
                Jens Spahn hat dringend dafür zu sorgen, daß Pflegepersonal angemessen bezahlt wird und unter Bedingungen arbeitet, aufgrund derer die meisten nicht nach 10 Jahren kaputtgearbeitet sind. Es ist sehr wenig sinnvoll, ausgebildete Pflegekräfte aus Osteuropa und dem Balkan anwerben zu wollen (wo m.W. nicht allzu viele mit dunkler Haut leben), deren Abschlüsse in Deutschland kaum anerkannt werden (obwohl sie sehr oft höherwertig sind als die deutschen) und die in ihren Herkunftsländern fehlen. Wesentlich sinnvoller wäre es, jugendliche Flüchtlinge in Pflegeberufen auszubilden. Statt sie jahrelang im Limbo zu halten und sie dann abzuschieben.

                1. Ich meine gelesen zu haben, dass Spahn Anwerbeverträge mit den Philippinen und mit Tunesien schließen will. Dort haben die Menschen dunklere Haut und das widerspricht eben Ihrer These, dass die dunkle Haut grundsätzlich als der abzuwehrende Feind betrachtet wird. Saudis mit Milliarden in der Tasche werden hoffiert, wenn sie in München auf Shopping-Tour gehen.

              2. Sabine Kebir, Freitag – Zentren und Gesetz

                Verdächtig oft wird in Bezug auf nordafrikanische „Auffanglager“ davon gesprochen, dass die Einreise in die EU vor allem dann gestattet werden soll, wenn die Antragsteller eine „realistische Bleibeperspektive“ hätten. Es ginge also nicht vorrangig um politisches Asyl, sondern mindestens ebenso um Selektion für den europäischen Arbeitsmarkt – weshalb die gewünschten Auffanglager von einer algerischen Internetplattform auch bereits als „Sklavenmärkte“ bezeichnet werden.

                Bislang ist offenbar niemandem eingefallen, dass die nordafrikanischen Länder die Migrationszentren auch deshalb ablehnen, weil sie Ärzten, medizinischem Personal, Ingenieuren, IT-Spezialisten und anderem ausgebildeten Personal aus dem eigenen Land die Emigration in die Europäische Union erheblich erleichtern würden.

    2. Claudius Seidel, FAZ – Die Fiktion der Einreise: Wer würde wirklich kommen, wenn alle Grenzen offen wären?

      Unter dem Titel „Was, wenn alle Grenzen offen wären“ hat vor zweieinhalb Jahren die „Neue Zürcher Zeitung“ den Stand der Migrationsforschung referiert, unter fast demselben Titel hat das Magazin „brand eins“ in seiner neuesten Ausgabe diesen Stand aktualisiert. …

      … Dass, erstens, die meisten Menschen lieber zu Hause bleiben, aus den oben genannten Gründen. Dass, zweitens, Migration den Wohlstand fördert – im Herkunfts- wie im Ankunftsland; die Ökonomen sind nur nicht einig darüber, ob das Wachstum bei offenen Grenzen etwas weniger oder sogar mehr als hundert Prozent ausmachte.

      Dass, drittens, die Frage, ob die Grenzen durchlässig oder geschlossen seien, auf die Migration einen ähnlichen Einfluss hat, wie es Verbote auf den Drogenkonsum haben: Die Migration nimmt nicht ab, aber die Kollateralschäden steigen, und die Mafia der Schlepper hat den Profit. Und viertens befördern durchlässige Grenzen, wie das mexikanische Beispiel zeigt, die sogenannte zirkuläre Migration: Menschen, die genug Geld verdient haben, kehren zurück und mehren den Reichtum ihrer Heimat.

      All das sind Aussagen, die sich nicht hundertprozentig beweisen lassen; immerhin sind sie seriöser als alles, was dem entgegensteht: Kontrollverlust, Unterwanderung, Bevölkerungsaustausch, Islamisierung, Asyltourismus. Mehr Paranoia als Politik.

      Bleibt die Angst vor der kulturellen Unvereinbarkeit: Warum so verzagt, möchte man aber, als traditionsverliebter Konservativer, fragen: Glaubt ihr wirklich nicht daran, dass Menschenrechte attraktiver sind? Habt ihr vergessen, dass das Wesensmerkmal der literarischen und musikalischen Klassik, auf die ihr angeblich so stolz seid, nicht deren Deutschheit, sondern deren Universalität war?

      Wäre es, in diesem Sinn, nicht deutscher, die Leute von Beethoven zu überzeugen, als den Muezzin zum Schweigen zu bringen?

  6. Christoph Schmidt-Lunau, taz – Vorbild für die „Transitzonen“: Das Niemandsland auf dem Flughafen

    Juristen nennen das, was hier geschieht, eine „fiktive Nichteinreise“. Obwohl die Ankommenden deutschen Boden betreten haben, bleiben sie im Transitbereich, reisen formal also nicht ein. Es gibt eine amtliche Überprüfung des Einzelfalls. Wenn kein begründeter Asylantrag vorliegt oder die Einreise aus anderen Gründen verweigert werden kann, muss der oder die Reisende Deutschland umgehend verlassen. Er oder sie wird „zurückgeführt“, muss also in das Land zurückfliegen, aus dem er oder sie kam. Hat jemand Geld, muss er den Rückflug selbst bezahlen. Hat er keins, muss die Fluglinie dafür aufkommen, die ihn eingeflogen hat. Bis über einen Fall entschieden ist, darf der oder die Betroffene die Einrichtung nicht verlassen.

    In den ersten beiden Tagen des Aufenthalts müssen die Mitarbeiter des Bundesamts die Angekommenen anhören. Spätestens nach 19 Tagen dürfen die Menschen die Einrichtung wieder verlassen – in die eine oder die andere Richtung.

    Die überwiegende Zahl derer, die das Flughafenverfahren durchlaufen haben, werden anschließend in die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gebracht, weil sich die komplizierten Fragen von Asyl und Bleiberecht in der kurzen Frist oft nicht endgültig klären lassen. Nach einem Bericht des Hessischen Rundfunks durften im vergangenen Jahr von 380 Personen 300 zunächst bleiben, lediglich 80 wurden direkt vom Flughafen aus wieder abgeschoben.

    Stephan Hebel kommentiert in der Frankfurter Allgemeinen Rundschau – Worüber reden wir da eigentlich?

    Man tue für einen Augenblick das, was deutsche Asylpolitiker offenbar niemals tun: Man versetze sich in die Lage eines Menschen, der auf der Flucht vor Verfolgung, Krieg, Hunger oder auch vor der Armut seines Landes ist. Man stelle sich vor, er hat irgendwie Deutschland erreicht. Aber dann kommt ein Polizist oder sonst ein Beamter und sagt dem Geflüchteten: Nach deutschem Recht sind Sie gar nicht da. Beziehungsweise: Deutsches Recht tut so, als wären Sie nicht da. Dann sind Sie nämlich schneller wieder weg. Und jetzt ab ins Transitzentrum.

    Für die furchtbare Idee, so zu tun, als wäre jemand nicht angekommen, obwohl er da ist, haben deutsche Politiker und Bürokraten einen ebenso furchtbaren Begriff erfunden: „Fiktion der Nichteinreise“. Und eins steht fest: Wer so mit der Sprache umgeht, wenn es um Menschen geht, hat sich ganz sicher nie in deren Lage versetzt.

    „Fiktion der Nichteinreise“, „Ankerzentrum“, „Ausschiffungsplattform“: All diese Wort-Erfindungen sind ja nicht deshalb so schrecklich, weil sie den kalten Umgang mit Menschen treffend beschreiben würden. Im Gegenteil: Sie dienen dazu, diese Politik hinter Kürzeln und Floskeln so wirksam zu verstecken, dass wir beim Sprechen vergessen, worüber wir eigentlich reden.

    Katja Thorwarth, ebenda – „Die CSU ist von allen guten Geistern verlassen“

    Während in Berlin Machtkämpfe zelebriert und um Begriffe debattiert wird, macht Bayern in Sachen Abschiebung längst kurzen Prozess. Der Bayerische Flüchtlingsrat schlägt Alarm, weil der Freistaat aktuell mehr Menschen als alle anderen Bundesländer nach Afghanistan abschiebt, obwohl in dem Land am Hindukusch nach wie vor der Terror der Taliban und immer stärker auch der Terror durch den „IS“ regieren. In einem im März veröffentlichten Sicherheitsbericht der Bundesregierung heißt es, die Lage sei so gefährlich, dass eine zivile Hilfe nicht mehr möglich sei.

    Trotzdem startete am 3. Juli der bislang größte Abschiebeflug nach Afghanistan von München aus, 51 der 69 Insassen waren Menschen aus Flüchtlingsunterkünften in Bayern. Zunächst war es eigentlich Konsens, dass nur Straftäter, Gefährder und Menschen, die ihre Identität nicht preisgeben wollen, in das Krisengebiet abgeschoben würden – bis Kanzlerin Merkel am 6. Juni in ihrer Fragestunde diese informelle Einschränkung als nicht mehr erforderlich einordnete. …

    So wurde ein 19-jähriger Berufsschüler aus einer Jugendeinrichtung heraus verhaftet. Ein anderer Afghane, der seit sieben Jahren in Deutschland lebt und seit fünf Jahren einen Arbeitsvertrag hat, wurde im Krankenstand in einer psychiatrischen Klinik an die Polizei ausgeliefert.

    Ein weiterer Fall ist der des 27-jährigen Esam aus München, der seit 2015 versucht, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen. Er hatte ein Praktikum in einer Bäckerei absolviert, das Unternehmen hatte dem jungen Mann einen Ausbildungsvertrag angeboten, doch die Behörden zögerten den Bescheid einer Ausbildungserlaubnis um beinahe ein Jahr hinaus. Mit dem Ergebnis, ihn in Abschiebehaft zu nehmen und ein Ticket nach Afghanistan zu buchen. Am 3. Juli wurde Esam abgeschoben. Verständnis will für diese Maßnahme schon gar nicht bei der betroffenen Bäckerei aufkommen, denn Handwerksbetriebe suchen händeringend nach Auszubildenden.

    Nach Angaben des Flüchtlingsrates begründeten die Behörden die Abschiebehaft wie folgt: „Der Versuch, eine Arbeits- und Ausbildungserlaubnis zu erhalten, wird als eindeutiges Zeichen gedeutet, nicht freiwillig auszureisen.“ Damit werde die Abschiebehaft vor der eigentlichen Abschiebung gerechtfertigt. Tatsächlich war Esam rechtskräftig abgelehnt worden, doch gilt in anderen Bundesländern eine Ausbildungsduldung, die es auch abgelehnten Menschen erlaubt, eine Lehre zu absolvieren, die Sprache zu erlernen und ihre Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis durch Integration zu verbessern. Diese Duldung kommt in Bayern nicht vor, der Lebenssituation des Einzelnen wird kein Wert beigemessen. … „Die CSU ist von allen guten Geistern verlassen. Der Fall Esam zeigt, dass die bayerische Regierung auch gewillt ist, handfeste wirtschaftliche Interessen zu ignorieren, wenn es um die Durchsetzung der Abschiebung geht. Es ist höchste Zeit, wieder zu einer pragmatischen Flüchtlingspolitik zurückzukommen, die auch die Integrationsleistungen von Flüchtlingen, Ehrenamtlichen und Betrieben würdigt.“

  7. Sarah Serafini, Watson im Interview mit Fabio Zgraggen – Schweizer Piloten dürfen keine Flüchtlinge mehr retten: «Jetzt steigt die Zahl der Toten»

    Fabio Zgraggen, Ihrer humanitären Piloteninitiative wurde die Startbewilligung für Rettungsflüge vor der libyschen Küste entzogen. Warum?

    Fabio Zgraggen: Das kam von einem Tag auf den nächsten und ohne eine Erklärung. Zwei Jahre lang konnten wir unsere Suchaktionen vor der libyschen Küste problemlos durchführen. Vor zwei Wochen intervenierte die maltesische Behörde.

    Woher rührt das plötzliche Umdenken?

    Darüber können wir nur spekulieren. Ich vermute aber, dass politischer Druck dahinter steckt.

    Worauf stützen sich die Malteser in ihrem Entscheid?

    In einem Brief schreiben die Behörden, Such- und Rettungsflüge würden nicht bewilligt, sofern es dafür keine Aufforderung von Malta oder Italien gibt. Das Absurde daran ist, dass es für solche Rettungsflüge gar keine Bewilligung braucht. Wir sind privat organisiert und finanziert. Wir brauchen keine Aufforderung von einem Land für unsere Einsätze.

    Also handelt die maltesische Behörde unrechtmässig?

    Aus unserer Sicht schon. Wir besitzen sämtliche nötigen Papiere, haben ausgebildete Piloten und erfüllen alle Anforderungen, um unser Flugzeug zu betreiben. Von den Behörden haben wir Antworten gefordert, doch wir werden total abgeblockt. Man kommuniziert nicht mit uns.

    Seit zwei Wochen fliegen Sie also keine Einsätze mehr im Mittelmeer. Hat das Konsequenzen für die Situation vor der libyschen Küste?

    Ein grosses Problem ist, dass nun niemand mehr weiss, was dort passiert. Es entsteht ein riesiger blinder Fleck auf dem Meer. Das Einzige, das wir beobachten können, ist, wie die Zahl der Toten ansteigt. Und das massiv.

    Erklärung des Commissioners of Human Rights des Europäischen Rates (sofern ich „Council“ richtig verstehe)
    European states must put human rights at the centre of their migration policies, in der so ziemlich alles zum Kotzen gefunden wird, worüber auch Sie und ich mich in den letzten Wochen aufgeregt haben.

  8. Die aktuelle Sendung von Monitor befasst sich querbeet mit dieser ganzen Sauerei um Asylbewerber und Schutzsuchenden auf ihrem Weg nach Europa, dem ganzen im Grunde abgefrühstückten Populismus darum, der eigentlich bereits keine Grundlage mehr hat, weil die realen Zahlen längst niedriger sind als vor der „Flüchtlingskrise“, dem vermeintlichen BAMF-Skandal usw.

    Obwohl mir die nüchternen Fakten längst bekannt sind, muss ich mich erstmal abregen, sowohl über die Verlogenheit der populistischen Schw…. und die Verdummungsversuche der Bevölkerung durch diese. Leider gehen viele dem Ganzen auf den Leim, weil sie sich nach wie vor „bedroht“ fühlen und Suggestivängste so toll dazu geeignet sind – wer fragt da schon noch nach der Wirklichkeit.

    PS. Das Video selber steht ab Freitag zur Vefügung, dann vermutlic auch in der Mediathek.

    PPS. Georg Restle ist aus meiner bescheidenen Sicht einer der raren Journalisten/Redakteure, die sich nicht nach dem Winde auch bei den ÖR drehen, auch den eigenen Sendeanstalten Kontra geben und dem Thema tatsächlich faktenbasiert und sachlich auf den Grund geht – leider:-(

  9. Die Sozen feiern sich tatsächlich dafür, daß sie einer erneuten Verschärfung des Asylrechts und einem Mini-Fachkräfte-Einwanderungsgesetzchen zugestimmt haben, während sich Seehofer ein zweites Loch in den Hintern freut, daß so ziemlich alles, wofür er vor 4 Tagen noch zurück treten wollte, vom Tisch ist und Doro Bär öffentlich beklagt, daß die Asylpolitik der Bundesregierung aktuell viel zu sehr Thema der öffentlichen Debatte ist.
    Allmählich könnte ich mich für obligate psychiatrische Begutachtung von Politikern erwärmen.

    Die Gewerkschaft der Polizei meldet Zweifel an den vereinbarten Transitverfahren an:

    Die GdP weist auch darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof und deutsche Gerichte besonders für Bulgarien, Griechenland und Italien beim Umgang mit Migranten Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention festgestellt haben. Diese Hindernisse bestünden weiter, selbst wenn es Abkommen zur schnelleren Rücknahme von Migranten durch diese Länder gebe. „Das würde zu einer langen und nicht zu rechtfertigenden Festhaltung in den ‚Transitzentren‘ führen“, warnt die GdP.

    Schließlich erinnert die Gewerkschaft daran, dass die EU die aktuellen Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich derzeit nur bis Mitte November genehmigt hat.

  10. Wolfgang Luef, SZ-Magazin – Der Untergang

    An der Grenze unseres Grundstücks verläuft eine Straße, und aus irgendeinem Grund verunglücken dort täglich mehrere Fahrradfahrer schwer. Keiner von uns Mietern kann etwas dafür, dass diese Menschen dort verunglücken, keiner hat sie gebeten, hier vorbeizufahren. Vielleicht sind wir sogar ausdrücklich dagegen, dass hier überhaupt jemand langfährt. Aber wäre es vorstellbar, die Nachbarn dafür zu kritisieren, dass sie in dieser Situation den Notarzt rufen? Wäre es vorstellbar, den Notarzt zu verklagen und einzusperren, weil er den verunglückten Radfahrern hilft? Wäre es vorstellbar, oben am Fenster zu stehen und zu argumentieren: Erst wenn es da unten genügend Tote gegeben hat, werden andere lernen, dass man hier nicht langfährt? …

    Doch genau das passiert gerade in Europa. Plötzlich gibt es im öffentlichen Diskurs zwei unterschiedliche Meinungen darüber, ob man Menschen in Lebensgefahr helfen soll, oder ob man sie lieber sterben lassen soll. »Je mehr man rettet, desto mehr kommen doch«, das sagt man plötzlich laut und ungeniert. Der Satz hat sich von den hasserfüllten Kommentarspalten auf Facebook in die angsterfüllte Mitte der Gesellschaft geschlichen.

    Es ist der erste Schritt in die Barbarei. Prozesse gegen diejenigen zu führen, die tausende Menschen vor dem Tod gerettet haben, ist der zweite Schritt dorthin. Den dritten möchte ich mir lieber nicht vorstellen.

  11. Andrea Böhm, Zeit Online – Europas Flucht vor der Realität

    Vielleicht war ich wirklich zu lange auf der anderen Seite des Mittelmeeres, zu nah dran an wirklichen Krisen. Jedenfalls muss mir das mal jemand erklären: Da beschließen europäische Regierungen, darunter die deutsche, die europäische Festung gegen Flüchtlinge und Migranten mit Methoden auszubauen, die selbst einem Donald Trump imponieren. Gleichzeitig räuspern sich – kaum hörbar – die deutschen Minister für Arbeit, Gesundheit und Familie und erinnern daran, dass der dramatische Notstand in der Pflege nur mithilfe von Arbeitskräften aus dem Ausland zu beheben sein wird. Zunächst aus Albanien und dem Kosovo, also muslimischen Ländern. Später vielleicht auch aus Nigeria, Tunesien oder Marokko.

    Mitten in der politischen Farce um Transitzonen, Ausschiffungsplattformen und sogenannte intelligente grenzpolizeiliche Handlungsansätze blinkte also kurz die längst bekannte Einsicht auf, dass Europa aufgrund seiner demographischen Überalterung auf junge Migranten angewiesen ist. Anders ausgedrückt: Auch der AfD-Wähler wird sich im fortgeschrittenen Alter damit abfinden müssen, dass womöglich eine Muslima oder ein Muslim seine Windeln wechseln wird und das Abendland trotzdem nicht untergeht.

    Aber bis dahin wird eine zunehmend verbrecherische Politik betrieben, die eine einzige Flucht vor der Realität ist.

    Bevor jetzt alle ihre Aufmerksamkeit wieder zum nächsten Fußballspiel nach Russland lenken, noch ein kurzer Hinweis auf eine echte Flüchtlingskrise in meiner nahöstlichen Nachbarschaft: Seit Wochen lässt WM-Gastgeber Russland Gebiete von Regimegegnern im Süden Syriens, darunter die Stadt Daraa, bombardieren. Die USA und Russland hatten das Gebiet vergangenes Jahr zu einer Deeskalationszone mit Waffenstillstand erklärt, was Moskau nun nicht mehr schert.

    Inzwischen sind fast 300.000 Menschen an die Grenze zu Jordanien und den israelisch besetzten Golan-Höhen geflohen, wo sie in der Wüste festsitzen und von Hilfsorganisationen abgeschnitten sind. Israel weigert sich kategorisch, Syrer aufzunehmen. Die jordanische Regierung bislang ebenso mit dem Hinweis, sie sei mit über einer Million Kriegsflüchtlinge längst überlastet.

    Die Jordanier protestieren übrigens gerade heftig gegen Korruption, Arbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten. Und gegen die Abschottung ihrer Regierung gegen Flüchtlinge. In den sozialen Medien läuft seit Wochen eine Kampagne unter dem Hashtag: #Öffnet die Grenzen.

    Anfang und Ende eines äußerst lesenswerten Kommentars.

  12. Georg Diez, SPON – Monsterworte

    Politik ist Sprache, und wenn die Sprache sich verändert, verändert sich auch das Wesen der Politik – die Verrohung durch Taten beginnt mit der Verrohung von Worten, die Abstumpfung, das Ressentiment, die Ausgrenzung, der Rassismus, die Kälte, die Kriminalisierung, schließlich der Tod, hingenommen oder geplant, all das, was mit Menschen gemacht wird, bereitet sich vor durch Worte.

    Europa hatte sich für eine polizeistaatliche Lösung entschieden, durch Frontex, die das klare Ziel hatte, nicht Menschenleben zu retten, sondern Migranten abzuschrecken. Durch die neue italienische Regierung und die Hafenschließungen für Rettungsboote, veranlasst von Innenminister Matteo Salvini, der von Geflüchteten als „Menschenfleisch“ spricht, gibt es nun eine Kettenreaktion, die die mühsam verschleierte Grausamkeit des gegenwärtigen Umgangs mit Geflüchteten deutlich macht. Die wahrhaft zynische Logik ist es dabei, wenn man die, die fliehen wollen, zuerst in die Illegalität treibt und sie dann der Illegalität beschuldigt.

    Und so werden sich spätere Generation mal wieder wundern über uns, über das Maß an Wirklichkeitsverleugnung, Werteverweigerung, hingenommenem Sterben, befördert durch gezielte Wortverdrehungen.

    Dominik Peters, Christoph Sydow, ebenda – Libyens Sklavenmärkte. Das Erbe des arabischen Rassismus (der Artikel ist etwas älter, ich möchte aber bezweifeln, daß sich seit Dezember 2017 irgendetwas zum Besseren verändert hat)

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