Am 7. Juli 2017 informierte das Bundeskriminalamt auf via Twitter über die Gründe für den nachträglichen Entzug von G20-Akkreditierungen – mehrere Journalisten waren aufgrund „sicherheitsrelevanter Erkenntnisse“ zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt worden.
Welcher Art diese „sicherheitsrelevanten Erkenntnisse“ sind, wurde nicht mitgeteilt. Nicht mitgeteilt wurde auch, wie viele Journalisten betroffen sind. Grob irreführend ist die Implikation des Bundeskriminalamtes, die Sicherheitsüberprüfungen seien während des G20 durchgeführt worden – sie fand 2 Wochen vor dem Gipfel statt, die Akkreditierungen wurden nach der Sicherheitsprüfung erteilt, dann entzogen.
Inzwischen wurde bekannt, daß 32 Journalisten betroffen sind. Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio:
Am Tag zuvor hatte man an dieser Stelle nur seinen Akkreditierungs-Ausweis vorzeigen müssen. Nun hielten die Beamten eine zweiseitige Liste in der Hand und winkten einen erst freundlich durch, wenn der eigene Name nicht darauf stand.
Das alles geschah so beiläufig, dass es auch kein Problem war, den Polizisten über die Schultern zu blicken und sich die alphabetisch sortierten Namen anzusehen. Man konnte die Liste auch ganz offen aus der Nähe filmen. Auf dem Drehmaterial des ARD-Hauptstadtstudios sind viele Namen gut lesbar. Dabei war den Beamten schon klar, dass es sich um eine Schwarze Liste von Journalisten handelt, denen gerade die Akkreditierung für den Gipfel entzogen wurde: „Da möchten Sie nicht draufstehen“, meinte eine junge Beamtin zum ARD-Korrespondenten.
Die beiden eng beschriebenen Seiten waren vielfach kopiert und offensichtlich in größerer Auflage verteilt worden – ob vom Bundespresseamt oder vom Bundeskriminalamt ist noch ungeklärt. Jeder Polizist an den Kontrollpunkten besaß sein eigenes Exemplar. Die Beamten hatten nach eigener Auskunft weder Anweisung, sie diskret zu benutzen, noch sie nach Gebrauch überprüfbar zu entsorgen.
Dabei geht es um eine der brisantesten Listen dieser Art, die je zusammengestellt wurde. Denn sie enthält die Namen von 32 Journalisten, die vom Bundeskriminalamt via Twitter pauschal als Sicherheitsrisiko stigmatisiert wurden. „Die Sicherheitsbehörden überprüfen, ob sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorliegen, die gegen eine Akkreditierung sprechen. (…) Das war in einigen Fällen gegeben.“ Immerhin müssen diese vermeintlichen Erkenntnisse so gravierend gewesen sein, dass sie einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Pressefreiheit rechtfertigen würden. …
Regierungssprecher Seibert teilte gestern lediglich mit, neun Journalisten sei die Akkreditierungen abgenommen worden, 23 weitere hätten ebenfalls auf der Liste gestanden, wären aber nicht am Pressezentrum erschienen. Dabei wissen bis heute nicht einmal die Betroffenen, warum sie plötzlich zum Sicherheitsrisiko erklärt wurden. Alle hatten spätestens zwei Wochen vor dem Gipfel die Akkreditierungsunterlagen eingereicht und wurden danach bereits einer intensiven Sicherheitsprüfung unterzogen.
Der Fotograf Rafael Heygster, der für den Bremer „Weser-Kurier“ tätig ist, bekam anschließend sogar einen privilegierten Zugang für das Festkonzert in der Elbphilharmonie, ein anderer Fotograf durfte bei der Ankunft von Donald Trump mit auf das Rollfeld vom Flughafen. In beiden Fällen ist deshalb davon auszugehen, dass auch die US-Behörden einen strengen Blick auf die Bewerbungen geworfen haben.
Abgesehen von der Brandmarkung von Journalisten als „Sicherheitsrisiko“ und der datenrechtlichen Schweinerei kommt es aber noch doller:
Auch Chris Grodotzki von „Spiegel Online“ und Björn Kietzmann von der Fotoagentur ActionPress wurden vom Bundespressamt lediglich mit einem Formschreiben an das BKA verwiesen. Dass sie aber beide auf der Schwarzen Liste auftauchen, ist zumindest auffällig. Denn beide waren im Oktober 2014 kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden, als sie die Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobane fotografiert hatten.
Für die weitere Berichterstattung der beiden Bildjournalisten war dieser Vorfall in Deutschland danach nie ein Problem: Kietzmann hatte bis Ende 2016 zum Beispiel eine Jahresakkreditierung vom Bundespresseamt. Damit steht nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Experten der Verdacht im Raum, dass die vermeintlich „neuen“ Erkenntnisse gar nicht vom BKA, sondern vom türkischen Geheimdienst kamen.
Am Oberlandesgericht in München läuft derzeit ein Terror-Prozess gegen 10 deutschtürkische Kommunisten, darunter eine Nürnberger Ärztin, die in München-Stadelheim 4 Monate in Isolationshaft gehalten wurde und ein Mann, der in türkischer Haft schwer gefoltert wurde – eine Art Auftragsverfahren für Recep Tayyip Erdoğan. Vorgeworfen wird ihnen, Spenden für die in der Türkei als Terrororganisation geltenden Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, kurz TKP/ML gesammelt zu haben. Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten, der Bundesverfassungsschutz bewertet sie als unbedeutend.
Annette Ramelsberger, Süddeutsche:
Nun verdichtet sich die Vermutung, dass Beweise gegen die zehn Angeklagten auf ungesetzlichem Weg gesammelt wurden – unter Verletzung deutscher Strafvorschriften, schlicht durch Spionage des türkischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik.
Das geht aus einem Schreiben der Generalpolizeidirektion Istanbul hervor. Darin bezieht sich die Polizeidirektion zweimal explizit auf „geheimdienstliche Informationen“, die angeblich ergeben, dass sich in Deutschland ein rund 700 bis 800 Personen starker Kader der Terrororganisation TKP/ML gebildet hat und sich bei Veranstaltungen bis zu 2000 Sympathisanten treffen. Und dann listen die Türken in ihrem Schreiben vom September 2013 die Geheimdienstinformationen auch noch stolz auf, mit Namen, Daten, Anschriften von Personen in Deutschland, „die nach Einschätzung in den zirkulierenden geheimdienstlichen Informationen“ in der Bundesrepublik aktiv sind. …
Der Verteidiger der Nürnberger Ärztin, Peer Stolle, kritisiert die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die auch auf den türkischen Geheimdienst-Informationen beruhen. „Damit bestätigt sich der lang gehegte Verdacht, dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden egal ist, unter welchen Bedingungen die Informationen in der Türkei erlangt worden sind. Selbst vor der Verwertung von Informationen aus geheimdienstlicher Spionagetätigkeit in Deutschland wird nicht zurückgeschreckt.“
Schwer wiegt aus Sicht der Verteidigung auch, wer diese Informationen an die Deutschen geschickt hat – der seinerzeitige Direktor der Abteilung für Terrorbekämpfung, Ömer Köse. Der sitzt seit zwei Jahren in Haft, ausgerechnet wegen des Vorwurfes der Dokumentenfälschung, der illegalen Telefonüberwachung, Verletzung der Privatsphäre, Beweisfälschung und der Preisgabe von Ermittlungsinformationen. Die Verteidigung kämpft dafür, diese Informationen deswegen nicht im Gericht zu verwenden und verweist auch auf das Bundesamt für Verfassungsschutz, das davon ausgeht, dass der türkische Geheimdienst MIT versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland durch Desinformation zu beeinflussen.
Andreas Förster, Der Freitag:
Zu dem Prozess konnte es nur kommen, weil die Bundesregierung 2014 eine von der Bundesanwaltschaft beantragte „Verfolgungsermächtigung“ gegen die Angeklagten erteilt hatte. Eine solche Ermächtigung war kürzlich auch Grundlage für das Ermittlungsverfahren gegen … Jan Böhmermann. Im Fall des Strafgesetzbuch-Paragrafen 129b ist eine Strafverfolgung gegen Mitglieder von Terrorgruppen aus Nicht-EU-Ländern nur zulässig, wenn das Justizministerium dem zustimmt.
Was die Verbindung der Bundesregierung zum türkischen Geheimdienst angeht, hält man sich bedeckt – Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke (26.10.2015):
6. Inwieweit und in welchem Umfang stützt sich das Wissen der Bundesregierung über die TKP/ML und die ihr zur Last gelegten möglichen Straftaten auf türkische Sicherheits- oder Justizbehörden, etwa über den Weg des polizeilichen Informationsaustausches (bitte angeben, um welche türkischen Behörden es sich gegebenenfalls handelt)?
Diese Frage ist Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens des GBA. Die Bundesregierung äußert sich nicht zu den Einzelheiten laufender Ermittlungsverfahren, um den Fortgang der Ermittlungen nicht zu gefährden. Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach sorgfältiger Abwägung der betroffenen Belange das Informationsinteresse des Parlaments hinter die aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Pflicht zur Durchführung von Strafverfahren und die damit verbundenen berechtigten Geheimhaltungsinteressen in einem laufenden Ermittlungsverfahren zurück.
Die Medienberichterstattung zu den entzogenen G20-Akkreditierungen ist bislang dürftig, ganz nach der bedauerlich üblichen Haltung vieler deutscher Journalisten zur Pressefreiheit: ich habe doch eine, wozu brauchen andere Journalisten Pressefreiheit? Von Solidarität keine Spur.
Wenn die Pressefreiheit eingeschränkt wird, weist das immer und überall darauf hin, daß Recht und Demokratie in Gefahr sind und auch andere Grund- und Menschenrechte verletzt werden. Was man aber nicht so gern in der Zeitung lesen möchte.
Daß die Bundesregierung und ihre Organe gemeinsame Sache mit einem Autokraten und seinen Organen macht, läßt darauf schließen, daß die Bundesregierung mit allen, nicht aber mit transparent und rechtstaatlich zu nennenden Mitteln unartige Kinder züchtigen will. Dazu passen auch die Forderungen nach „Trockenlegung des Sumpfes“, „Schließung der Roten Flora“, „europäischer Extremistendatei für Linke“ und die allgemeine Skandalisierung der Gewalt in Hamburg. Während die Welt brennt.
Die Karikatur ist von 1849: zu den unartigen Kindern, die der Schulmeister züchtigt, gehören u.a. Pressefreiheit Redefreiheit und das Recht der freien Versammlung.
Hatte ich übersehen: Heribert Prantl gestern im Interview mit Antje Allroggen, Deutschlandfunk: „Pressefreiheit ist kein Schönwettergrundrecht“
Auch diesen Artikel werde ich verlinken- danke für Ihren Fleiß!!!
herzlichst
Ulli
Danke für Ihren Support!
Herzliche Grüße zurück!
Reuters: FDP will Überwachung von Linksextremismus-Unterstützern bis in Kanzleien
Hildegard Hamm-Brücher rotiert im Grabe.
Die Süddeutsche mit ein paar mehr Details: Schwarze Liste bei G 20: Journalisten arbeiteten in türkischen Kurdengebieten
Lesenswert: Björn Kietzmann (Agentur Action Press) und Chris Grodotzki (SPON) bei Jetzt
Das Bundeskriminalamt gab gestern abend bekannt:
Das steht im Widerspruch zur Verlautbarung des Regierungssprechers, der betonte, es habe sich ausschließlich um eigene Erkenntnisse gehandelt, die zum nachträglichen Entzug der 32 Akkreditierungen führte.
Das BKA liest sich für mich so, als hätten die eigenen Erkenntnisse eine Akkreditierung ermöglicht, während gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse und die Gesamtbeurteilung der aktuellen Entwicklungen der Gipfelsituation zu deren Entzug führten.
Aber wie beruhigend, daß man sich im BKA – bißchen spät, aber doch – an den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen erinnert.
Das BKA dementierte heute morgen den Widerspruch zum Regierungssprecher auf Twitter:
Dann muß es wohl so sein, daß die ausschließlich deutschen Behörden nicht miteinander und schon gar nicht mit dem BKA sprechen.
Die Gewerkschaft der Polizei in Hamburg (Tweet wurde gelöscht):
Ah, die taz ist auch schon wach – aus dem Kommentar von Malte Kreutzfeldt: Völlig verrutschte Maßstäbe
Die Regierungserklärung von Olaf Scholz, Text und Video:
Diese 35 Minuten Lebenszeit sollte man investieren, um ganz genau zu wissen, wo die Reise auch bei der SPD so hingeht.
Und wenn Sie schon bei unangenehm verbrachter Lebenszeit sind, lesen Sie auch noch die Regierungserklärung der Grünen (
Bürgerrechtspartei)„Nannyjournalismus“ hat eine neue Bedeutung bekommen – Cerstin Gammelin, Ronen Steinke, Süddeutsche: Journalisten werden offenbar seit zehn Jahren beobachtet
Cerstin Gammelin kommentierte dazu in der Süddeutschen:
Malte Kreutzfeldt, taz:
Eine Nichtregierungsform, unartige Kinder zu züchtigen – Norbert Wallet, Stuttgarter Zeitung: Morddrohung gegen Linke-Chef Riexinger
Georg Löwitsch kommentiert in der taz: Der Journalist als Bittsteller
G20-Doku: Freiburger Journalist erhält Gefährderansprache
Ralf Martin Meyer (Hamburger Polizeipräsident) gestern im Interview mit SPON:
tldr: Polizisten, die (Selbst-)Kritik äußern, sind Besserwisser ohne eigene Verantwortung, Leichtmatrosen, Schlaumeier.
Benedict Wermter, Daniel Drepper, Correctiv.org via Vice: Warum Polizisten so selten vor dem Richter landen
Und dann gibt’s eine Menge Zahlen und Grafiken, sehr lesenwert.
Just a perfect day
Sebastian Leber, Digital Present, Tagesspiegel: Die unerhörte Lüge des Olaf Scholz
Anna Biselli, Netzpolitik: G20 heißt auch: Gipfel der Überwachung
Kluger Artikel von Simon Teune, Blätter für deutsche und internationale Politik: Das Scheitern der »Hamburger Linie«
Ronen Steinke, SZ über einen aus der schwindenden Zahl der in Hamburg Inhaftierten: Mamma Mia
Schauschau, sogar die Welt (Per Hinrichs) fragt in Sachen Fabio V.: Sind Hamburgs Richter überhart gegen die G-20-Häftlinge?
Anna-Sophie Schneider, SPON: „Wir werden nur einen Freispruch akzeptieren“
Martin Kröger, nd – G20-Kontrollen: Polizei verwechselte Zeugen mit Straftätern
Ist noch übler als angenommen – Arnd Henze, Tagesschau:
Es ist viel übler als sowieso schon angenommen, Arnd Henze Tagesschau:
Übel auch die Justiz, ganz wie von Olaf Scholz bestellt (gibt ja nicht nur den Bierflaschenwerfer, der zu 2 Jahren, 7 Monaten Haft verurteilt wurde – ich spare mir jetzt die Suche, was für Verbrechen billiger sind) Katharina Schipkowski kommentiert in der taz: Bluten für die anderen
Es wird immer noch irrer: Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio – Das große Löschen
So ein Unrecht, so eine Brutalität!
Mehmet Yeşilçalı, ein politisch Verfolgter, wurde erst nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft in Stadelheim freigelassen. Die Schweiz hatte ihn an Deutschland ausgeliefert.
Türkisches Folteropfer darf Gefängnis verlassen schreibt Annette Ramelsberger in der Süddeutschen.
http://www.sueddeutsche.de/politik/justiz-tuerkisches-folteropfer-darf-gefaengnis-verlassen-1.3775148
Gericht eskaliert die Auseinandersetzung mit dem schwerkranken Angeklagten Mehmet Yeşilçalı.
https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/13-11-2017/
In Stadelheim saß er eineinhalb Jahre, davor schon 1 Jahr in der Schweiz, wo er verhaftet wurde.