Unartige Kinder

Am 7. Juli 2017 informierte das Bundeskriminalamt auf via Twitter über die Gründe für den nachträglichen Entzug von G20-Akkreditierungen – mehrere Journalisten waren aufgrund „sicherheitsrelevanter Erkenntnisse“ zum „Sicherheitsrisiko“ erklärt worden.

Welcher Art diese „sicherheitsrelevanten Erkenntnisse“ sind, wurde nicht mitgeteilt. Nicht mitgeteilt wurde auch, wie viele Journalisten betroffen sind. Grob irreführend ist die Implikation des Bundeskriminalamtes, die Sicherheitsüberprüfungen seien während des G20 durchgeführt worden – sie fand 2 Wochen vor dem Gipfel statt, die Akkreditierungen wurden nach der Sicherheitsprüfung erteilt, dann entzogen.

Inzwischen wurde bekannt, daß 32 Journalisten betroffen sind. Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio:

Am Tag zuvor hatte man an dieser Stelle nur seinen Akkreditierungs-Ausweis vorzeigen müssen. Nun hielten die Beamten eine zweiseitige Liste in der Hand und winkten einen erst freundlich durch, wenn der eigene Name nicht darauf stand.

Das alles geschah so beiläufig, dass es auch kein Problem war, den Polizisten über die Schultern zu blicken und sich die alphabetisch sortierten Namen anzusehen. Man konnte die Liste auch ganz offen aus der Nähe filmen. Auf dem Drehmaterial des ARD-Hauptstadtstudios sind viele Namen gut lesbar. Dabei war den Beamten schon klar, dass es sich um eine Schwarze Liste von Journalisten handelt, denen gerade die Akkreditierung für den Gipfel entzogen wurde: „Da möchten Sie nicht draufstehen“, meinte eine junge Beamtin zum ARD-Korrespondenten.

Die beiden eng beschriebenen Seiten waren vielfach kopiert und offensichtlich in größerer Auflage verteilt worden – ob vom Bundespresseamt oder vom Bundeskriminalamt ist noch ungeklärt. Jeder Polizist an den Kontrollpunkten besaß sein eigenes Exemplar. Die Beamten hatten nach eigener Auskunft weder Anweisung, sie diskret zu benutzen, noch sie nach Gebrauch überprüfbar zu entsorgen.

Dabei geht es um eine der brisantesten Listen dieser Art, die je zusammengestellt wurde. Denn sie enthält die Namen von 32 Journalisten, die vom Bundeskriminalamt via Twitter pauschal als Sicherheitsrisiko stigmatisiert wurden. „Die Sicherheitsbehörden überprüfen, ob sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorliegen, die gegen eine Akkreditierung sprechen. (…) Das war in einigen Fällen gegeben.“ Immerhin müssen diese vermeintlichen Erkenntnisse so gravierend gewesen sein, dass sie einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf Pressefreiheit rechtfertigen würden. …

Regierungssprecher Seibert teilte gestern lediglich mit, neun Journalisten sei die Akkreditierungen abgenommen worden, 23 weitere hätten ebenfalls auf der Liste gestanden, wären aber nicht am Pressezentrum erschienen. Dabei wissen bis heute nicht einmal die Betroffenen, warum sie plötzlich zum Sicherheitsrisiko erklärt wurden. Alle hatten spätestens zwei Wochen vor dem Gipfel die Akkreditierungsunterlagen eingereicht und wurden danach bereits einer intensiven Sicherheitsprüfung unterzogen.

Der Fotograf Rafael Heygster, der für den Bremer „Weser-Kurier“ tätig ist, bekam anschließend sogar einen privilegierten Zugang für das Festkonzert in der Elbphilharmonie, ein anderer Fotograf durfte bei der Ankunft von Donald Trump mit auf das Rollfeld vom Flughafen. In beiden Fällen ist deshalb davon auszugehen, dass auch die US-Behörden einen strengen Blick auf die Bewerbungen geworfen haben.

Abgesehen von der Brandmarkung von Journalisten als „Sicherheitsrisiko“ und der datenrechtlichen Schweinerei kommt es aber noch doller:

Auch Chris Grodotzki von „Spiegel Online“ und Björn Kietzmann von der Fotoagentur ActionPress wurden vom Bundespressamt lediglich mit einem Formschreiben an das BKA verwiesen. Dass sie aber beide auf der Schwarzen Liste auftauchen, ist zumindest auffällig. Denn beide waren im Oktober 2014 kurzzeitig in der Türkei festgenommen worden, als sie die Gefechte um die syrische Grenzstadt Kobane fotografiert hatten.

Für die weitere Berichterstattung der beiden Bildjournalisten war dieser Vorfall in Deutschland danach nie ein Problem: Kietzmann hatte bis Ende 2016 zum Beispiel eine Jahresakkreditierung vom Bundespresseamt. Damit steht nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für Experten der Verdacht im Raum, dass die vermeintlich „neuen“ Erkenntnisse gar nicht vom BKA, sondern vom türkischen Geheimdienst kamen.


 

Am Oberlandesgericht in München läuft derzeit ein Terror-Prozess gegen 10 deutschtürkische Kommunisten, darunter eine Nürnberger Ärztin, die in München-Stadelheim 4 Monate in Isolationshaft gehalten wurde und ein Mann, der in türkischer Haft schwer gefoltert wurde – eine Art Auftragsverfahren für Recep Tayyip Erdoğan. Vorgeworfen wird ihnen, Spenden für die in der Türkei als Terrororganisation geltenden Kommunistischen Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch, kurz TKP/ML gesammelt zu haben. Die TKP/ML ist in Deutschland nicht verboten, der Bundesverfassungsschutz bewertet sie als unbedeutend.

Annette Ramelsberger, Süddeutsche:

Nun verdichtet sich die Vermutung, dass Beweise gegen die zehn Angeklagten auf ungesetzlichem Weg gesammelt wurden – unter Verletzung deutscher Strafvorschriften, schlicht durch Spionage des türkischen Geheimdienstes in der Bundesrepublik.

Das geht aus einem Schreiben der Generalpolizeidirektion Istanbul hervor. Darin bezieht sich die Polizeidirektion zweimal explizit auf „geheimdienstliche Informationen“, die angeblich ergeben, dass sich in Deutschland ein rund 700 bis 800 Personen starker Kader der Terrororganisation TKP/ML gebildet hat und sich bei Veranstaltungen bis zu 2000 Sympathisanten treffen. Und dann listen die Türken in ihrem Schreiben vom September 2013 die Geheimdienstinformationen auch noch stolz auf, mit Namen, Daten, Anschriften von Personen in Deutschland, „die nach Einschätzung in den zirkulierenden geheimdienstlichen Informationen“ in der Bundesrepublik aktiv sind. …

Der Verteidiger der Nürnberger Ärztin, Peer Stolle, kritisiert die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, die auch auf den türkischen Geheimdienst-Informationen beruhen. „Damit bestätigt sich der lang gehegte Verdacht, dass es den deutschen Strafverfolgungsbehörden egal ist, unter welchen Bedingungen die Informationen in der Türkei erlangt worden sind. Selbst vor der Verwertung von Informationen aus geheimdienstlicher Spionagetätigkeit in Deutschland wird nicht zurückgeschreckt.“

Schwer wiegt aus Sicht der Verteidigung auch, wer diese Informationen an die Deutschen geschickt hat – der seinerzeitige Direktor der Abteilung für Terrorbekämpfung, Ömer Köse. Der sitzt seit zwei Jahren in Haft, ausgerechnet wegen des Vorwurfes der Dokumentenfälschung, der illegalen Telefonüberwachung, Verletzung der Privatsphäre, Beweisfälschung und der Preisgabe von Ermittlungsinformationen. Die Verteidigung kämpft dafür, diese Informationen deswegen nicht im Gericht zu verwenden und verweist auch auf das Bundesamt für Verfassungsschutz, das davon ausgeht, dass der türkische Geheimdienst MIT versucht, die öffentliche Meinung in Deutschland durch Desinformation zu beeinflussen.

Andreas Förster, Der Freitag:

Zu dem Prozess konnte es nur kommen, weil die Bundesregierung 2014 eine von der Bundesanwaltschaft beantragte „Verfolgungsermächtigung“ gegen die Angeklagten erteilt hatte. Eine solche Ermächtigung war kürzlich auch Grundlage für das Ermittlungsverfahren gegen … Jan Böhmermann. Im Fall des Strafgesetzbuch-Paragrafen 129b ist eine Strafverfolgung gegen Mitglieder von Terrorgruppen aus Nicht-EU-Ländern nur zulässig, wenn das Justizministerium dem zustimmt.

Was die Verbindung der Bundesregierung zum türkischen Geheimdienst angeht, hält man sich bedeckt – Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke (26.10.2015):

6. Inwieweit und in welchem Umfang stützt sich das Wissen der Bundesregierung über die TKP/ML und die ihr zur Last gelegten möglichen Straftaten auf türkische Sicherheits- oder Justizbehörden, etwa über den Weg des polizeilichen Informationsaustausches (bitte angeben, um welche türkischen Behörden es sich gegebenenfalls handelt)?

Diese Frage ist Gegenstand eines laufenden Ermittlungsverfahrens des GBA. Die Bundesregierung äußert sich nicht zu den Einzelheiten laufender Ermittlungsverfahren, um den Fortgang der Ermittlungen nicht zu gefährden. Trotz der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen, tritt hier nach sorgfältiger Abwägung der betroffenen Belange das Informationsinteresse des Parlaments hinter die aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Pflicht zur Durchführung von Strafverfahren und die damit verbundenen berechtigten Geheimhaltungsinteressen in einem laufenden Ermittlungsverfahren zurück.


 

Die Medienberichterstattung zu den entzogenen G20-Akkreditierungen ist bislang dürftig, ganz nach der bedauerlich üblichen Haltung vieler deutscher Journalisten zur Pressefreiheit: ich habe doch eine, wozu brauchen andere Journalisten Pressefreiheit? Von Solidarität keine Spur.

Wenn die Pressefreiheit eingeschränkt wird, weist das immer und überall darauf hin, daß Recht und Demokratie in Gefahr sind und auch andere Grund- und Menschenrechte verletzt werden. Was man aber nicht so gern in der Zeitung lesen möchte.

Daß die Bundesregierung und ihre Organe gemeinsame Sache mit einem Autokraten und seinen Organen macht, läßt darauf schließen, daß die Bundesregierung mit allen, nicht aber mit transparent und rechtstaatlich zu nennenden Mitteln unartige Kinder züchtigen will. Dazu passen auch die Forderungen nach „Trockenlegung des Sumpfes“, „Schließung der Roten Flora“, „europäischer Extremistendatei für Linke“ und die allgemeine Skandalisierung der Gewalt in Hamburg. Während die Welt brennt.

 


Die Karikatur ist von 1849: zu den unartigen Kindern, die der Schulmeister züchtigt, gehören u.a. Pressefreiheit Redefreiheit und das Recht der freien Versammlung.


34 Kommentare zu „Unartige Kinder

  1. Hatte ich übersehen: Heribert Prantl gestern im Interview mit Antje Allroggen, Deutschlandfunk: „Pressefreiheit ist kein Schönwettergrundrecht“

    Allroggen: Neben diesen gewalttätigen Übergriffen wurde ja auch einigen Journalisten die Akkreditierung entzogen. Ist das ein geläufiges Verfahren bei solchen Dingen? Wenn es eng wird, müssen die Journalisten leider draußen bleiben?

    Prantl: Ich halte es für völlig intolerabel. Es ist gar nicht so, dass die Pressefreiheit dann beiseite springen muss, wenn die Polizei mit Blaulicht daherkommt oder das Blaulicht einschaltet. Es gibt kein Supergrundrecht, das sich innere Sicherheit nennt, dem sich alle anderen Grundrechte unterordnen müssen. Da ist die Presse und Journalisten Teilnehmer an einem großen demokratischen Konzert, und in diesem Konzert spielt jeder seine Rolle, und die Polizei ist nicht in der Rolle des Dirigenten, die jetzt einen einzelnen Mitspieler in diesem demokratischen Konzert des Saales verweist.

    Hier, glaube ich, spielt eine völlige Verkennung der Rolle des Grundrechts der Pressefreiheit vor. Die Pressefreiheit und die Medienvertreter, die Journalisten, sind nicht Störer im demokratischen Konzert. Sie sind Mitspieler und Mitwirkende, und ich denke, das hat man in Hamburg verkannt, so wie man auch verkannt hat, dass das Demonstrationsgrundrecht zu schützen ist, auch vor den Gewalttätern, vor den Randalieren, vor den Plünderern, von den Steinewerfern.

    Allroggen: Sie haben jetzt ganz oft das Wort Pressefreiheit in den Mund genommen. Ich will auch gleich noch darauf zurückkommen. Aber noch mal nachgefragt, was dieses Prozedere anbetrifft: Offiziell halten sich ja Bundespresseamt und Bundeskriminalamt mit der Angabe von Gründen zurück. Es heißt dann nur so, die Akkreditierung sei dort entzogen worden, wo sicherheitsrelevante Erkenntnisse vorlägen. Wie kann so etwas denn überhaupt sein? Ich meine, im Zuge einer Akkreditierung wird doch eigentlich schon überprüft, welche Journalisten zugelassen werden und welche nicht.

    Prantl: So ist es. Offensichtlich hat man hier unter dem Druck der Ereignisse versucht, Pressefreiheit kleinzudrehen. Es ist ein völlig intolerables Verfahren, und man tut hier in diesen Kontext ohne schlüssige Begründung so, als wären Journalisten womöglich Nahesteher von Gewalttätern. Ich halte das für völlig intolerabel, auch mit einer derart nichtssagenden Begründung, gegen die man auch rechtlich nicht auf die Schnelle vorgehen kann.

    Allroggen: Und warum ist eigentlich das Bundeskriminalamt für Presseakkreditierung zuständig?

    Prantl: Das frage ich mich auch. Natürlich werden Sicherheitsbehörden einbezogen, wenn abgeklärt wird, wer eine Akkreditierung kriegt, aber hier auf einmal Polizeibehörden zum Zensor von Pressearbeit zu machen, ist mit der demokratischen Aufgabe von Presse nicht vereinbar.

  2. Reuters: FDP will Überwachung von Linksextremismus-Unterstützern bis in Kanzleien

    Berlin (Reuters) – Die FDP fordert nach den G20-Krawallen eine Überwachung von Unterstützern linksextremer Gewalttäter bis hinein in Anwaltskanzleien.

    Es gebe „ein organisiertes Netz von Unterstützern“ bis in die bürgerliche Gesellschaft und in die Anwaltskanzleien hinein, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Montag in Berlin. Dieses Netz müsse stärker als bisher vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Natürlich gelte der Vertrauensschutz für einen Mandanten. In Sympathiekreisen, wo keine anwaltliche Beziehung bestehe, könne der Verfassungsschutz jedoch aktiv werden. „Ich erwarte, dass unser Inlandsnachrichtendienst jedem extremistischen Umtrieb nachgeht“, fügte er hinzu.

    Lindner forderte die „Räumung linksextremer Biotope“, aus denen heraus Gewalt geplant werde. Er nannte die „Rote Flora“ in Hamburg und die „Rigaer Straße“ in Berlin. SPD, Linke und Grüne forderte der FDP-Chef auf, „einen klaren Trennungsstrich zu dieser Form des gewaltbereiten Linksextremismus zu ziehen“. Eine Politik der falschen Toleranz gegenüber dem Linksextremismus müsse beendet werden.

    Hildegard Hamm-Brücher rotiert im Grabe.

  3. Pingback: Mut |
  4. Die Süddeutsche mit ein paar mehr Details: Schwarze Liste bei G 20: Journalisten arbeiteten in türkischen Kurdengebieten

    Von den 32 Journalisten, denen beim G-20-Gipfel am vergangenen Freitag plötzlich die Akkreditierung nachträglich entzogen wurde, haben nach Informationen der Süddeutschen Zeitung zuvor mindestens vier in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei gearbeitet.

    Bei den Journalisten handelt es sich dem Vernehmen nach großteils um Deutsche. Das Bundeskriminalamt (BKA) teilte neun von ihnen auch schriftlich mit, „im Benehmen zwischen den beteiligten Behörden“ sei entschieden worden, „Ihnen den Zugang zur Veranstaltung zu verweigern, die Akkreditierung zu entziehen und Sie von der Veranstaltung auszuschließen“. Darunter waren auch die vier Journalisten, die zuvor in der Türkei gearbeitet hatten.

    Bei den „beteiligten Behörden“ handele es sich ausschließlich um deutsche Stellen, betonte am Dienstag zwar Regierungssprecher Steffen Seibert. Zweifel daran löste allerdings der zeitliche Ablauf aus.

    Die deutschen Behörden hatten sich viele Wochen Zeit genommen, alle Anträge von Journalisten zu prüfen. Der Fotograf Björn Kietzmann etwa, der 2014 für den Tagesspiegel aus den türkischen Kurdengebieten berichtete, hatte seinen Antrag auf eine Akkreditierung bereits im Juni gestellt und war als Berichterstatter zum G-20-Gipfel zugelassen worden.

    Auch die US-Sicherheitsbehörden hatten in den zurückliegenden Wochen der intensiven Prüfung offenbar keine Einwände gegen die 32 Namen auf der Liste. Einer der dort aufgeführten Fotografen war sogar autorisiert worden, die Landung von US-Präsident Donald Trump auf dem Rollfeld aus der Nähe zu fotografieren. Ein anderer hatte die Erlaubnis, im Inneren der Elbphilharmonie das Konzert für die Staatsgäste zu dokumentieren.

    Dass eine Ablehnung dieser 32 Personen doch noch in letzter Minute kam, spricht für eine einzelne Quelle. Die Fotografen Björn Kietzmann und Chris Grodotzki etwa waren 2014 in der Kurdenhochburg Diyarbakır kurzzeitig in türkische Haft gekommen.

    Eine Anti-Terror-Einheit der türkischen Polizei hatte sie verdächtigt, Spione oder Provokateure zu sein. Erst nachdem sich das Auswärtige Amt für Kietzmann und Grodotzki eingesetzt hatte, waren sie freigekommen.

    Ähnliche Erlebnisse haben nach SZ-Informationen auch andere Journalisten gemeinsam, die sich nun beim G-20-Gipfel auf der „schwarzen Liste“ wiederfanden.
    … In den vergangenen Monaten gab es bereits Versuche des türkischen Auslandsgeheimdienstes MİT, das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz einzuspannen, um in Deutschland vermeintliche Regimegegner zu überwachen.

  5. Das Bundeskriminalamt gab gestern abend bekannt:

    Für einige Journalisten lagen zum Zeitpunkt der Akkreditierung Staatsschutzerkenntnisse ausschließlich deutscher Sicherheitsbehörden vor. In Abwägung zwischen dem hohen Gut der Pressefreiheit und der zu gewährleistenden Sicherheit der Gipfelteilnehmer haben Bundespresseamt (BPA) und Bundeskriminalamt trotzdem gemeinsam entschieden, diesen Personen zunächst eine Akkreditierung zu erteilen. Gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse und die Gesamtbeurteilung der aktuellen Entwicklungen der Gipfelsituation führten am Donnerstag, dem 6. Juli, und am Freitag, dem 7. Juli, zu einer Neubewertung mit dem Ergebnis, in 32 Fällen die Akkreditierung nachträglich zu entziehen.

    Zur Umsetzung der Entscheidung, die Akkreditierungen zu entziehen, mussten die an den Kontrollstellen eingesetzten Kräfte selbstverständlich die Namen der Betroffenen kennen. Ohne diese Kenntnis einschließlich der Möglichkeit, die Schreibweisen der Namen abgleichen zu können, hätte eine Zugangsverweigerung ohne Missverständnisse nicht gewährleistet werden können. Darum wurden Namensaufstellungen erstellt und an den Zugangskontrollstellen hinterlegt. Nur so konnte die Sicherheit des Gipfels und seiner Teilnehmer gewährleistet werden.

    In 9 Fällen kam es zum nachträglichen Entzug der Akkreditierung, die übrigen 23 Medienvertreter sind nicht am Medienzentrum erschienen.

    Öffentliche Ausführungen zu den Gründen, die dieser Entscheidung im Einzelfall zugrunde lagen, sind zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen nicht möglich.

    Das steht im Widerspruch zur Verlautbarung des Regierungssprechers, der betonte, es habe sich ausschließlich um eigene Erkenntnisse gehandelt, die zum nachträglichen Entzug der 32 Akkreditierungen führte.

    Das BKA liest sich für mich so, als hätten die eigenen Erkenntnisse eine Akkreditierung ermöglicht, während gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse und die Gesamtbeurteilung der aktuellen Entwicklungen der Gipfelsituation zu deren Entzug führten.

    Aber wie beruhigend, daß man sich im BKA – bißchen spät, aber doch – an den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen erinnert.

    1. Das BKA dementierte heute morgen den Widerspruch zum Regierungssprecher auf Twitter:

      Aufgrund von Nachfragen: Auch „gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse“ stammten ausschließlich von deutschen Behörden.

      Dann muß es wohl so sein, daß die ausschließlich deutschen Behörden nicht miteinander und schon gar nicht mit dem BKA sprechen.

  6. Ah, die taz ist auch schon wach – aus dem Kommentar von Malte Kreutzfeldt: Völlig verrutschte Maßstäbe

    Völlig verrutscht sind die Maßstäbe im Umgang mit den Medien bei diesem Gipfel auch aufseiten der Polizei. Viele Pressevertreter wurden von Beamten massiv behindert und teilweise beleidigt, bedroht oder auch verletzt. Das bisweilen unübersichtliche Einsatzgeschehen oder die Übermüdung mancher Polizisten darf dabei nicht als Entschuldigung gelten. Das Grundgesetz schützt die Freiheit der Berichterstattung grundsätzlich – und nicht nur, wenn es der Polizei genehm ist.

    Die vielen Vorfälle legen den Verdacht nahe, dass ein hartes Vorgehen gegen die Medien von der Einsatzleitung gedeckt wurde. Dass selbst das Bundespresseamt den Eindruck erweckt, manche Journalisten seien ein Sicherheitsrisiko, dürfte sie in dieser Haltung bestärken.

  7. „Nannyjournalismus“ hat eine neue Bedeutung bekommen – Cerstin Gammelin, Ronen Steinke, Süddeutsche: Journalisten werden offenbar seit zehn Jahren beobachtet

    … erklärte also Seibert am Mittwoch: Die 32 Journalisten hätten zu jenen gezählt, die sich bei diesem Gipfeltreffen ohnehin nur in „Begleitung“ durch BKA-Beamte in Sicherheitsbereichen bewegen durften. Von vornherein. So wie es gängige Praxis sei. Und der Sprecher des Bundesinnenministeriums ergänzte: Nein, neue Erkenntnisse über diese 32 Journalisten habe man dann nicht plötzlich erhalten, „sondern über die Verhältnisse“. … Die BKA-Sicherheitsleute hätten einsehen müssen, dass sie die Eins-zu-eins-Überwachung verdächtiger Journalisten nicht würden leisten können, also schloss man diese eben ganz aus.

    Es gehe den Sicherheitsleuten nicht darum, auf die Inhalte der Berichterstattung Einfluss zu nehmen, hieß es auch in Sicherheitskreisen. Man wolle die Pressefreiheit auf diese Weise nicht schwächen, sondern stärken. Das Vorgehen habe den Sinn, die Anwesenheit auch solcher Journalisten bei internationalen Gipfeln zu ermöglichen, die „etwas auf dem Kerbholz“ hätten. …

    Wie viele Journalisten in der Vergangenheit auf diese Weise durch das BKA „begleitet“ worden sein sollen, war zunächst nicht zu erfahren. Interessant ist freilich, dass die ganze Praxis bislang verborgen geblieben ist. Wenn es denn stimmt, dass BKA-Beamte sich bei Großereignissen an bestimmte Reporter heften, so wurde den Betroffenen davon nichts gesagt. Weder bei früheren Gipfeln noch bei diesem hätten ihm BKA-Leute erklärt, ihn „begleiten“ zu wollen, sagt zum Beispiel Adil Yiğit, der für die taz und die Online-Zeitung Avrupa Postasi arbeitet.

    So wie er machen sich auch andere Betroffene Sorgen um ihre Quellen, der Fotograf Rafael Heygster vom Weser Kurier, oder der Online-Redakteur Alfred Denzinger aus Stuttgart. Die Journalisten, die nun beim G-20-Treffen zurückgewiesen wurden, erzählen der SZ, dass das BKA ihnen nichts von einer „Begleitung“ gesagt habe. „Ich hätte das gar nicht akzeptiert“, sagt Chris Grodotzki. „Ich hätte sofort meine Gewerkschaft angerufen.“

    Eine Aufsicht der Polizei über einzelne Journalisten, während diese ihrer Arbeit nachgehen – wenn es das gab, dann stellt sich die Frage, auf welcher gesetzlichen Grundlage es fußt.

    In Sicherheitskreisen wurde am Mittwoch nur die allgemeine Klausel des Paragrafen 5, BKA-Gesetz, genannt. Demnach „obliegt“ es den BKA-Leuten, Verfassungsorgane und deren Gäste zu beschützen. Wie, steht dort nicht. Vom besonderen Schutz für Journalisten, wie er andernorts in Sicherheitsgesetzen ausbuchstabiert wird, steht dort auch nichts.

    Was dann noch an Details zu erfahren war, machte das ganze Bild eher noch eigenartiger. Von den 32 Journalisten, die aus Sicht der BKA-Sicherungsgruppe beim G-20-Gipfel ein Risiko darstellten, soll letztlich kein einziger „begleitet“ worden sein in Hamburg. So weit sei es nie gekommen, denn keiner der verdächtigen Journalisten habe einen Sicherheitsbereich betreten. Und der Fotograf, der ans Rollfeld des US-Präsidenten durfte, ganz ohne Aufseher? „Eine Panne“, heißt es.

    Die Deutsche Journalisten-Union will im Namen von acht betroffenen Journalisten eine Klage gegen Seiberts Bundespresseamt einreichen, um Aufklärung zu bekommen.

    1. Cerstin Gammelin kommentierte dazu in der Süddeutschen:

      Das Schweigen führt freilich unweigerlich zu der Frage, was die als hohe Güter gepriesenen Grundrechte praktisch wert sind in zugespitzten Situationen, die internationale Gipfeltreffen zwangsläufig mit sich bringen. Steht die Sicherheit der Staatschefs über allen anderen Rechten?

      Das Ausmaß der Überwachung ist alarmierend. Offenbar ist es seit dem G-8-Gipfel von Heiligendamm gängige Praxis, verdächtige Journalisten auf Gipfeln durch sogenannte Begleiter zu beschatten. Beamte des Bundeskriminalamtes werden abgestellt, um zu überwachen. Zwar beteuern sie, die beschatteten Journalisten würden vorab informiert. Aber bisher hat kein Kollege davon berichtet, dass sich sein persönlicher Schatten bei ihm vorgestellt habe.

      Und was bedeutet das alles für die Berichterstattung von Großereignissen wie G 20? Seit Jahren schon sind die Staats- und Regierungschefs dort nur noch auf Leinwänden zu sehen, kaum direkt zu sprechen oder zu beobachten. Wird jetzt auch noch hingenommen, dass willkürlich Journalisten aussortiert werden dürfen, ist die Pressefreiheit ernsthaft in Gefahr.

    2. Malte Kreutzfeldt, taz:

      Aufgekommen war der Verdacht, weil zahlreiche betroffene Journalisten in der Vergangenheit ins Visier türkischer Behörden geraten waren – drei waren bei der Berichterstattung in kurdischem Gebiet festgenommen worden, zwei weitere hatten mit ihrer Berichterstattung Kritik türkischer Behörden ausgelöst. Insgesamt lag bei sechs von bisher acht namentlich bekannten Journalisten ein Türkei-Bezug vor.

      Verstärkt wurde der Verdacht durch widersprüchliche Erklärungen des Bundespresseamts und des Bundeskriminalamts (BKA), die beide am Akkreditierungsprozess beteiligt sind. Während das von Seibert geleitete Presseamt am Dienstagnachmittag erklärt hatte, dass die Sicherheitsbedenken, die die Grundlage für den Ausschluss waren, komplett „aus eigenen Erkenntnissen deutscher Behörden resultierten“, las sich das beim BKA zunächst anders: Dort hieß es, es „lagen zum Zeitpunkt der Akkreditierung Staatsschutzerkenntnisse ausschließlich deutscher Sicherheitsbehörden vor“.

      Später habe es aber „gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse gegeben“. Woher diese stammten, blieb dabei offen.

      Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dem das BKA unterstellt ist, sagte lediglich: „Es ging bei verschiedenen Personen um nicht unerhebliche Straftaten.“ Details würden nur den Betroffenen selbst mitgeteilt.

  8. Eine Nichtregierungsform, unartige Kinder zu züchtigen – Norbert Wallet, Stuttgarter Zeitung: Morddrohung gegen Linke-Chef Riexinger

    In einer Mail, die am Dienstagabend an die Bundespartei unter der Betreffzeile „Todesurteil – wir lassen uns Zeit“ verschickt worden war und unserer Zeitung vorliegt, wird der Parteichef und seine Partei als „menschlicher Abfall“ bezeichnet. Sie hätten sich „nie eindeutig ernsthaft von linksextremer sinnloser Gewalt gegen den Staat und die Justiz“ distanziert. Das sei „Euer Todesurteil“. Die Mail steht offenbar im Zusammenhang mit der politischen Debatte im Nachgang der G20-Krawallevon Hamburg. Die Drohmail enthält sogar das exakte Kaliber der Waffe, mit der Riexinger getötet werden soll, eine Schweizer Spezialmunition für Waffen mit Schalldämpfer. Das Schreiben schließt mit der Ankündigung: „Wir werden Deutschland step by step still und leise und ordentlich von dieser manisch kranken Pazifismus-Epidemie befreien“.

  9. Georg Löwitsch kommentiert in der taz: Der Journalist als Bittsteller

    Seibert sagte, er habe den ganzen Dienstag nach dem Gipfel damit verbracht, „den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen“. Was ja bedeutet: In der Gipfelwoche hat man einfach dem Drängen des Sicherheitsapparates nachgegeben. Ohne den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen.

    Seibert sagt „Betroffener“, das BKA sagt „Petent“

    Den „Betroffenen“, wie er die Pressevertreter auf der Liste nun nennt, wollte Angela Merkels Sprecher nicht sagen, ob und warum genau sie auf der Liste standen. Er rate, sich an das Bundeskriminalamt zu wenden. Dass der Sprecher nur spricht, aber nichts sagt, ist schon bizarr. Aber es kommt noch eine Kleinigkeit hinzu.

    Die Polizei ist der gewählten Regierung untergeordnet. Die Geheimdienste sind es erst recht. Denn weil sie im Verborgenen arbeiten, kontrollieren Parlament und Gerichte sie nur sehr eingeschränkt. Sie sind in der Demokratie, zu deren Prinzipien die Kontrolle der Staatsgewalt zählt, im Grunde wesensfremde Gebilde. Und nun in dieser Stunde, da es gerade um das Verhältnis von Regierung und freier Presse geht, macht sich die Bundesregierung klein.

    Sie ist es, die sich Polizei und Geheimdiensten unterordnet. Die dürfen entscheiden, welche Informationen sie darüber herausrücken, dass sie den Zugang zur Berichterstattung verbieten ließen. Für die Information zuständig erklärt wird das Bundeskriminalamt. Dort haben die Journalisten einen neuen Namen: Seibert sagt „Betroffener“, das BKA sagt „Petent“.

    Der Journalist als Bittsteller – ja, herzlichen Glückwunsch!

    War’s das? Noch lange nicht. Der Journalist muss jetzt warten. Bis der Sicherheitsapparat ihm gnädigerweise mitteilt, weshalb für ihn in Hamburg die Pressefreiheit erst galt und dann doch nicht. Während er wartet, haben die Leute aus dem Sicherheitsapparat schon mal gestreut, was man den 32 auf der Liste so vorwirft.

    In den Datenbanken habe es Einträge zu Körperverletzungsdelikten, Haus- und Landfriedensbruch und „Mitgliedschaft in einer gewaltorientierten Gruppierung“, gegeben, haben sie der Welt gesteckt – natürlich anonym. Einer sei Reichsbürger, daneben gehe es um Landfriedensbruch, das Schmieren von Graffiti und andere Sachbeschädigungen sowie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, haben „Sicherheitskreise“ dem Tagesspiegel geflüstert – ebenfalls anonym.

    Wer wird welcher Tat beschuldigt? Gibt es Anklagen? Verurteilungen? Wie alt sind die „Einträge“? Und wer hat hier eigentlich was eingetragen? Während die Bundesregierung den Journalisten die Auskunft verweigert, dürfen sie nachlesen, wie ein eigentlich der Regierung untergeordneter Sicherheitsapparat sie mit einem Sammelsurium von Vorwürfen überzieht. Nicht einzeln, als Gruppe. Nicht detailliert, nein – pauschal.

    Weil die Kriminalbeamten und Schlapphüte nach ihrem Eingriff in die Pressefreiheit kritisiert worden sind, werfen sie die 32 Journalisten vorsorglich in einen Topf. Vorwürfe rein, umrühren, fertig. Erst akkreditiert, dann diskreditiert.

    All das lässt Angela Merkel geschehen. Dass bloß keiner kommt, sie stehe nicht voll zu Polizei und Geheimdiensten.

    Aber der Moment von Hamburg, als Journalisten auf eine Liste kamen, ist nicht irgendeiner. Es wurde ein grobes Instrument benutzt: das Verständnis von Pressefreiheit als etwas, das der Staat gewähren und wieder entziehen kann. Ganz ohne den Sachverhalt in seinen Einzelheiten zu durchdringen. Nun, nach einer Woche Sicherheitsdebatte, besteht die Gefahr, dass dieses Instrument dauerhaft in den Werkzeugkasten kommt.

  10. G20-Doku: Freiburger Journalist erhält Gefährderansprache

    Am 1. Juli erhielt ich die Bestätigung meiner Akkreditierung. Ich ging daraufhin am 2. Juli zu den Messehallen, um mir meinen Akkreditierungs-Ausweis abzuholen.

    Das war dann ja reine Formsache, oder?

    Das dachte ich auch, aber dem war nicht so. Nach einer Taschenkontrolle eines privaten Sicherheitsdienstes wurde ich von Schalter zu Schalter geschickt. In der Halle befanden sich nur MitarbeiterInnen des Bundespresseamtes und des BKA in zivil. Nachdem bereits ein Foto für den Ausweis angefertigt wurde, las die Polizistin offensichtlich ein Bemerkungsfeld auf ihrem Monitor und versteinerte.

    Sie las recht lange und blickte ab und zu ungläubig zu mir. Danach bat sich mich, mich auf eine der Wartebänke am anderen Ende des Raumes zu setzen. Auf meine Frage nach dem Grund erhielt ich die Antwort, dass meine Personalien noch überprüft werden müssten.

    Saßen dort noch andere Wartende?

    Ja, mehrere Journalisten warteten dort. Dann kam eine Frau, auf deren Ausweis „Polizei“ stand. Sie sagte, sie wolle mit mir reden und wir gingen ein paar Schritte in die Mitte des Raumes. Dort sagte sie: „Wir wissen, wer Sie sind. Wir kennen Ihre politische Überzeugung. Wir wollen einen störungsfreien Gipfel und wir werden sofort einschreiten, wenn Sie versuchen sollten, den Gipfel zu stören. Wir beobachten Sie!“

    Sowas ist dann eine Gefährderansprache?

    Das habe ich mich auch gefragt und deshalb explizit nachgefragt, ob das eine offizielle Gefährdersprache sei und wen ich zitieren dürfe. Die Polizistin meinte, dass es sich um eine Gefährderansprache des BKA handele.

    Und den Ausweis hast du dennoch bekommen?

    Ja, ich habe den danach bekommen und ich habe den auch immer noch.

    Warst du danach nochmal in den Messehallen?

    Ich habe mir das Medienzentrum am Freitag angesehen. Auf dem Weg zu den Messehallen erfuhr ich, dass bereits einigen JournalistInnen die Ausweise abgenommen worden waren. Ich wurde aber nicht kontrolliert und konnte unbehelligt die Messehallen betreten.

  11. Ralf Martin Meyer (Hamburger Polizeipräsident) gestern im Interview mit SPON:

    SPIEGEL ONLINE: Nach dem Gipfel klagten Berliner Polizisten über Kommunikationschaos. Und auch aus Ihrer Behörde hat uns Kritik erreicht, die Führung habe den Überblick verloren.

    Meyer: Solche Kommentare gibt es immer. Besserwisser ohne eigene Verantwortung. Bei der „Welcome to Hell“-Demo wäre mir lieber gewesen, der schwarze Block hätte nicht über die Hafenmauer flüchten können. Aber da kommen Leute von außen hinzu, helfen denen hoch – und schon kommt der Plan ins Straucheln. Hinterher will dann irgendwer den Eindruck erzeugen, es sei chaotisch gewesen, weil es nicht plangemäß lief. Das sind Leichtmatrosen, die bei ruhigem Seegang sagen, man hätte alles besser machen können.

    SPIEGEL ONLINE: Zitiert wurden Mitglieder von Hundertschaften, die hier im Einsatz waren.

    Meyer: Auch bei denen gibt es solche Schlaumeier. Mir sind keine Hamburger Führungskräfte bekannt, die das so empfunden haben.

    tldr: Polizisten, die (Selbst-)Kritik äußern, sind Besserwisser ohne eigene Verantwortung, Leichtmatrosen, Schlaumeier.

  12. Benedict Wermter, Daniel Drepper, Correctiv.org via Vice: Warum Polizisten so selten vor dem Richter landen

    Gegen Polizisten, die mutmaßlich eine Straftat begangen haben, ermitteln hierzulande Kollegen. Selbst die Vereinten Nationen kritisieren Deutschland dafür. Doch die Polizei sträubt sich gegen Änderungen.

    Wenn Polizisten beleidigen, drohen und schlagen, werden sie so gut wie nie bestraft. Oft kommt es gar nicht erst zur Anzeige, und wenn doch, dann erhebt die Justiz nur selten Anklage. Gegen etwa 4.500 Polizisten ermittelten die Behörden im Jahr 2013 wegen Straftaten im Amt. Weniger als jeder siebte Verdächtigte wird überhaupt angeklagt. Und fast alle kommen ohne Strafe davon.

    Und dann gibt’s eine Menge Zahlen und Grafiken, sehr lesenwert.

  13. Just a perfect day

    Sebastian Leber, Digital Present, Tagesspiegel: Die unerhörte Lüge des Olaf Scholz

    Natürlich gab es beim G20 in Hamburg Polizeigewalt. Ein Bürgermeister, der alle Bürger vertritt, würde das nicht leugnen.

    Ein Demonstrant liegt am Boden. Ein Polizist beugt sich über ihn und schlägt zu, mit der Faust ins Gesicht, ganze sieben Mal. Oder: Ein Demonstrant hockt auf dem Bürgersteig, ein Polizist nimmt Anlauf und tritt ihm gegen den Kopf. Oder: Ein Fotograf steht am Wegrand, im Vorbeilaufen beschießt ihn ein Polizist mit Pfefferspray. Oder: Ein Wehrloser liegt am Boden, zwei Beamte treten zu. Oder: Ein Mann krümmt sich vor Schmerz, drei Polizisten prügeln weiter mit ihren Schlagstöcken auf ihn ein …

    Es gibt Dutzende andere Szenen. Alle wurden von Augenzeugen gefilmt, als Video auf Youtube gestellt. Zwei Wochen nach G20 muss man schon sehr schlecht informiert oder sehr wenig an der Wahrheit interessiert sein, um Polizeigewalt während des Gipfels zu leugnen. Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, tut genau das. Er sagt: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben.“

  14. Anna Biselli, Netzpolitik: G20 heißt auch: Gipfel der Überwachung

    … auch technisch fuhren Polizei und der Hamburger Verfassungsschutz einiges auf. IMSI-Catcher, Funkzellenabfragen, Stille SMS, Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung. In welchem Umfang, das will der Hamburger Senat auf Anfrage der Abgeordneten Christiane Schneider in den meisten Fällen nicht beantworten. Das sagt er bereits vor der ersten Frage und fügt immer wieder einen Verweis auf diese Generalentschuldigung ein.

    Zur Häufigkeit verdeckter Maßnahmen müssten Akten händisch ausgewertet werden, das sei in der Antwortfrist einer parlamentarischen Anfrage nicht zu machen. Anderes lasse Rückschlüsse auf die Taktik der Polizei zu, auch dann könne man Details nicht offenlegen. Und einige Akten seien noch nicht bei der Staatsanwaltschaft erfasst, daher sei noch keine zuverlässige Auswertung möglich. Aus der Zuständigkeit des Hamburger Senats ergibt sich außerdem, dass die Antworten nur Aussagen über die Hamburger Polizei und den Landesverfassungsschutz enthalten können. Was Bundespolizei, Bundesverfassungsschutz und andere Länderbehörden an Technik nach Hamburg gebracht haben, kann man ihr nicht entnehmen.

  15. Ronen Steinke, SZ über einen aus der schwindenden Zahl der in Hamburg Inhaftierten: Mamma Mia

    Es ist das erste Mal, dass der Junge ohne Eltern ins Ausland fliegt. Bei der Buchung des Flugs am Tag zuvor hat ihm die Mutter geholfen. Als er abends in Hamburg ankommt, schreibt er ihr wie versprochen eine Whatsapp-Nachricht. Alles gut hier, keine Sorge. Es ist 23.18 Uhr. Die Mutter freut sich: „bene :)“

    Das Nachtlager, das er sich mit anderen G-20-Gegnern teilt, hat etwas Putziges, findet er, „alles so ordentlich hier“, schreibt der Junge der Mutter. Zu Hause in Italien würden bei so einem Protest die Zelte kreuz und quer stehen, es würde viel Bier geben, knutschende Leute und keine Toiletten. Aber hier? Toiletten, Duschen. Eine Küche, in der ein Schichtplan hängt. „Sono troppo tedeschi“, tippt er ins Handy – die sind sehr deutsch.

    Sieben Stunden später ist Fabio V., 18, in Haft. Der G-20-Gipfel ist für ihn vorbei, bevor er richtig begonnen hat. Ein Trupp Polizisten mit Brustpanzer und Helm hat ihn festgenommen. Die Beamten seien gleich im Morgengrauen „massiv“ mit Steinen, Flaschen und Böllern beworfen worden in einer Straße in Altona, dem Rondenbarg, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Aus einem Pulk heraus, in dem sich die verschiedensten Nationalitäten gemischt hätten und zu dem auch Fabio V. gehört habe, der eine schwarze Kapuzenjacke, eine grün-beige Cargohose und dunkle Turnschuhe trägt, um den Hals gewickelt ein Palästinensertuch. „Geschlossen agierende Gruppe“, schreibt ein Brandenburger Bundespolizist in seinem Bericht.

    Fabio V. ist einer von denen, die in Haft bleiben müssen, als andere schon wieder frei sind. Vier Wochen sind jetzt vergangen seit den G-20-Krawallen, von den anfangs 51 Haftbefehlen sind mittlerweile viele außer Kraft, weil die Beweise zu dünn waren, oder weil keine Fluchtgefahr bestand. 32 sind übrig geblieben. Die Gruppe schrumpft. Fabio zählt zu dem, was die Justiz für den harten Kern hält.

    In der Untersuchungshaft sitzen jetzt Demonstranten aus Russland, den Niederlanden, Österreich, Spanien, Ungarn, Senegal und Polen. Drei Franzosen sind dabei, die größte Gruppe aber bilden die sechs Italiener.

    Was sind das für Leute? Hooligans, die sich im Schutz der Vermummung ihrer Zerstörungslust hingeben, Selfies schießen, Flaschen werfen, Riot Porn filmen? Weit entfernt von Eltern, Kollegen, Leuten, vor denen sie sich genieren müssten? Oder sind das einfach Menschen, denen sich besonders leicht die Schuld zuschieben lässt?

    Fabio V. strahlt, als er in diesen Raum hereingeführt wird, ein sportlicher Teenager, der sich die langen Haare immer wieder aus dem Gesicht streicht. Seine Mutter darf ihn nur einmal die Woche besuchen, sie ist den Tränen nah, überdeckt ihn mit Küssen. Er will wissen, wie es den Freunden zu Hause gehe. Sie streichelt ihm über die Schulter. Sie ist Unternehmensberaterin, aber sie arbeitet seit ein paar Wochen nicht, um nah bei ihrem Sohn zu sein.

    Fabio V. und Maria R. gehören zu einer linken Gruppe in ihrem Centro Sociale in Belluno, einem besetzten Haus, wie es in Norditalien viele gibt. Höchstens zwanzig Leute sind sie, die Gruppe heißt il Postaz, ein derber, ironischer Name im Dialekt der Region Venetien. Grob übersetzt: Drecksloch. Wenn Fabio V. mit seiner Mutter Italienisch spricht, rollt er das „r“ nicht, sondern spricht es kratzig aus, fast deutsch.

    Antifa-Aktivisten hierzulande umschreiben die „strukturelle Gewalt“, gegen die sie kämpfen, oft strukturell oberschlau. Deshalb weiß man nicht recht, ob es nur an dem Umstand liegt, dass man mit Fabio V. auf Englisch spricht, oder an einem echten Kulturunterschied, jedenfalls kann er die Positionen von il Postaz ganz einfach erklären. In Norditalien demonstriere man oft gegen die Betreiber von Wasserkraftwerken. Weil sie die Natur zerstörten. Außerdem sei der Nahverkehr für arme Leute zu teuer.

    Über die Gewalt, sagt Fabio V., könne er wenig sagen, auch deshalb, weil er schon so früh inhaftiert wurde. …
    Und dann erzählt er von dem Tag, an dem er ins Gefängnis kam. Es begann bei Tagesanbruch, troppo tedeschi, um sechs gingen Maria R. und er los. Da fällt ihm die Mutter ins Wort. Wie der Zusammenstoß mit der Polizei ablief, das wird Fabio V. nicht erzählen, sagt sie. Das war die Vorbedingung für dieses Gespräch. Die Mutter lächelt: „Bitte verstehen Sie, die Anwältin wird mich sonst umbringen!“ Fabio V. hält ihre Hand.

    Auf einem Polizeivideo kann man gut sehen, wie sich der Demonstrationszug an diesem Morgen durch Altona bewegte. 200 Demonstranten sind es, so schätzt die Polizei, die jeden Schritt beobachtet. Von vorne sieht die Prozession vollkommen schwarz aus, die Leute tragen Kapuzen, Handschuhe, Schals, nur eine einzige rote Fahne ragt heraus. Weiter hinten ist die Menschenmenge heller und bunter. Fabio V. ist auf dem Video nirgends zu erkennen.

    Es gibt keinen Beweis dafür, dass Fabio V. einen einzigen Stein geworfen hat. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nur vor, dabei gewesen zu sein in der Menschenmenge, aus der Steine geflogen seien. Mitlaufen, das könne schon den Tatbestand des „besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs“ erfüllen. Das ist die juristische Retourkutsche für die schwarze Vermummung der Demonstranten, die ja zum Ziel hat, dass einzelne Leute für die Polizei nicht unterscheidbar sein sollen. Die Idee der Staatsanwaltschaft ist: Entweder hat Fabio V. sich selbst an Gewalt beteiligt. Oder er hat, als Mitläufer, andere ermutigt, „psychische Beihilfe“ geleistet, so oder so läge die Strafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren Haft. Wenn ein Richter bei dieser Idee mitmacht.

    „Wenn er sich wirklich nicht beteiligt hat an Gewalt, dann sind wir stolz auf ihn“, sagt seine Mutter. Fabio V.s Eltern sind früher selbst demonstrieren gegangen, gegen Atomkraft, gegen rechts. Sein Vater stand 1985, da war er so alt wie Fabio V. heute, vor einem Militärgericht in Padua, weil er sich geweigert hatte, zur Armee zu gehen.

    Viele deutsche G-20-Häftlinge sind inzwischen frei. Die Ausländer bleiben drin, weil die Richter bei ihnen Fluchtgefahr sehen. Da macht es auch keinen Unterschied, dass Fabio V.s Eltern bereit sind, 10 000 Euro Kaution zu hinterlegen. …

    Während der zweieinhalb Stunden am Tag, in denen die Zellen offen stehen, spielt Fabio V. Schach, „mein Lieblingssport“, mit einem russischen G-20-Demonstranten, mit dem er sich in keiner Sprache verständigen kann. Der bekommt keinen Besuch.

    Fabio V.s Mutter hat mit der Anstalt streiten müssen, bis man ihr erlaubt hat, ihrem Sohn italienische Bücher zu bringen. Fünf Stück. Er wünscht sich möglichst dicke, sagt Fabio V. zum Abschied. Wer weiß, wann es wieder neue gibt. Und wie lange er noch hier ist. „Die Brüder Karamasow“. „Der Herr der Ringe“. Politische Bücher sind den G-20-Beschuldigten verboten.

    1. Schauschau, sogar die Welt (Per Hinrichs) fragt in Sachen Fabio V.: Sind Hamburgs Richter überhart gegen die G-20-Häftlinge?

      Höchst interessant liest sich allerdings der Beschluss des Oberlandesgerichts, mit dem die Fortdauer der U-Haft gegen V. angeordnet wird. Die Entschiedenheit der drei Richter aus dem 1. Strafsenat, den Marc Tully leitet, ist aus jeder Zeile herauszulesen. Die zu erwartende Freiheitsstrafe werde „nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können“, schreiben Tully und Kollegen. „Menschenwürde, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Eigentum“ seien für den Häftling „erkennbar ohne jede Bedeutung“.

      Tatsächlich wird dem 18-Jährigen gar nicht vorgeworfen, Supermärkte geplündert, Autos angezündet oder Scheiben eingeworfen zu haben. …

      Der OLG-Senat geht noch weiter. Der „erkennbar rücksichtslosen und auf eine tief sitzende Gewaltbereitschaft“ schließen lassende Tatausführung komme „besondere Bedeutung“ zu. V. habe sich an „schwersten Ausschreitungen“ beteiligt, dies verdeutliche eine „charakterliche Haltung, welche die Annahme der Schuld rechtfertigt“. Weiter schreibt Tully von „schädlichen Neigungen“ und stellt „erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel fest, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen“.

      Erstaunlich ist, auf welche faktische Grundlage die Richter ihren Beschluss stellen. Denn der Inhaftierte hat sich bislang überhaupt nicht geäußert. Wie der Senat angeblich „Anlagefehler“ beim nicht vorbestraften Italiener ermitteln konnte, bleibt völlig offen. Überhaupt ist die mehrfach vorgenommene Behauptung, hier prägten „Neigungen“ oder „Anlagen“ den Charakter, höchst fragwürdig. Trotzdem weiß der OLG-Senat schon, was am Ende des Verfahrens herauskommen wird: „Eine absehbar empfindliche Freiheitsstrafe“, heißt es im Beschluss – als ob eine Hauptverhandlung nun verzichtbar wäre.

      Dabei spielt das Video, das die Polizei sogar Journalisten vorführte, bei der Entscheidungsfindung der Gerichte bislang überhaupt keine Rolle. Vielmehr verließen sich die Richter auf einen Vermerk eines LKA-Beamten, der den Film ausgewertet hatte. Dessen Wertungen („massiver Beschuss“) übernahmen die Richter, ohne sich ein eigenes Bild zu machen.

      „Der Beschluss macht meinen Mandanten für alles verantwortlich, was in Hamburg zum Gipfel passiert ist“, sagt Gabriele Heinecke, die Anwältin von V. Sie hat Verfassungsbeschwerde eingereicht und die Aufhebung der Untersuchungshaft beim Bundesverfassungsgericht beantragt: „Bei den Ausführungen des Senats handelt es sich um Vorurteile gespeist mit Vermutungen.“

  16. Anna-Sophie Schneider, SPON: „Wir werden nur einen Freispruch akzeptieren“

    Ein junger Pole sitzt seit dem G20-Gipfel in Hamburg in Untersuchungshaft. Nun wurde Anklage gegen ihn erhoben. Sein Anwalt spricht von einem „rechtspolitischen Skandal“.

    Stanislaw B. sitzt seit etwa vier Wochen in Untersuchungshaft, weil er laut Anklage in seiner Tasche unter anderem eine Taucherbrille, zwei Murmeln, mehrere Feuerwerkskörper sowie Reizgas bei sich trug. Die Behörden gehen davon aus, dass er sich damit auf dem Weg zu einer Demonstration befand.

    Verteidiger Burmeister sieht keine Fluchtgefahr und keinen Haftgrund gegeben: „Mein Mandant ist ein 24-jähriger Kunststudent, der in Warschau bei seiner Mutter wohnt. Er ist nicht vorbestraft und noch nie polizeilich aufgefallen.“

    Stanislaw B. habe sich während des G20-Gipfels auf der Durchreise in Hamburg befunden und weiter nach Spanien in den Urlaub fahren wollen. Am Morgen der Festnahme sei er auf dem Weg ins G20-Protest-Camp im Volkspark Altona gewesen. „Mein Mandant hat am Vortag seine Sachen im Camp gelassen, dann aber bei Freunden geschlafen. Er wollte nach seinen persönlichen Gegenständen schauen“, sagte Burmeister. Gründe für den Aufenthalt im Camp nannte er nicht. Auf dem Weg dorthin geriet Stanislaw B. in eine Personenkontrolle und wurde anschließend in die zentrale Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg gebracht.

    Burmeister erhebt nun Vorwürfe gegen die Justiz. Die Bedingungen in der Haftanstalt Billwerder, in der Stanislaw B. mittlerweile einsitzt, seien schlecht. Mehr als drei Wochen lang habe sein Mandant auf Flüssigkeit für seine Kontaktlinsen verzichten müssen. Auch saubere Unterwäsche habe man ihm demnach wochenlang nicht zukommen lassen. Einen Besuch der Mutter aus Polen habe er „erpressen“ müssen. „Ich habe damit gedroht, dass die Mutter vor dem Gebäude campt und wir die gesamte Presse informieren, dann wurde der Besuchsantrag doch genehmigt.“

    Auch seine Arbeit als Verteidiger sei behindert worden. Gegen eine Richterin, die ihn angeblich zweimal aus dem Anhörungsaal der Gefangenensammelstelle Hamburg-Harburg werfen ließ, habe er eine Dienstbeschwerde eingereicht. Auf Anfrage hat sich die Hamburger Justizbehörde bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.

  17. Martin Kröger, nd – G20-Kontrollen: Polizei verwechselte Zeugen mit Straftätern

    Der Polizei lagen Erkenntnisse vor, dass sich die Insassen der Reisebusse angeblich in einem Protestcamp zum Gipfel in Hamburg-Altona aufgehalten haben, von dort sollen schwere Straftaten begangen worden sein. Eine Führungskraft des Berliner Landeskriminalamtes ordnete deshalb an, die Identität der Reisenden als Zeugen feststellen zu lassen.

    So weit, so rechtmäßig. Nach einer Änderung der Strafprozessordnung kann auch die Identität von Zeugen festgestellt werden. Doch der dann folgende Einsatz war von schweren Pannen gekennzeichnet, wie aus der Antwort der Innenverwaltung auf zwei bislang nicht veröffentliche Schriftliche Anfragen der Abgeordneten Niklas Schrader und Hakan Taş (beide LINKE) hervorgeht, die »neues deutschland« exklusiv vorab vorliegen.

    Demnach führte die 25. Einsatzhundertschaft der Berliner Bereitschaftspolizei »aufgrund eines Übermittlungsfehlers«, wie es in der Antwort heißt, Kontrollen zur Identitätsfeststellung von Straftätern und nicht von Zeugen durch. Die Innenverwaltung erklärt: »Die dort eingesetzten Kräfte gingen irrtümlich davon aus, dass sich unter den zu kontrollierenden Personen Tatverdächtige schwerer Straftaten befanden, welche sich während des G20-Gipfels in Hamburg ereignet hatten.« Aber nicht nur im rechtlichen Status der kontrollierten Personen und der allgemeinen Rechtsgrundlage irrten sich die Beamten: Die 25. Einsatzhundertschaft befand sich darüber hinaus auch am falschen Rasthof. Statt in Stolpe in Mecklenburg-Vorpommern auf der Autobahn 24, wo am 9. Juli gegen 12.14 Uhr die Kontrolle begann, sollte die großangelegte Aktion der Berliner Polizei am Rasthof Stolper Heide in Brandenburg an der A111 stattfinden. Die Maßnahme in Mecklenburg-Vorpommern wurde dann auch kurzfristig um 12.28 Uhr wieder abgebrochen, um dann ab 14.10 Uhr bis 18.28 Uhr in Brandenburg fortgesetzt zu werden.

    Mit insgesamt 668 Polizisten war die Polizei am Rasthof Stolper Heide vor Ort. Auch hier wurde die Maßnahme der Identitätsfeststellung nach einer rechtlichen Prüfung wieder abgeändert. Die Anfertigung von Lichtbildern war nicht gerechtfertigt, alle vorab und ohne Einwilligung der Betroffenen angefertigten Lichtbilder mussten gelöscht werden. Insgesamt wurde an dieser Stelle von 284 Personen die Identität festgestellt – darunter auch die der 40 Personen, die bereits in Mecklenburg-Vorpommern in die Kontrolle geraten waren. Abschließende Zahlen zu den kontrollierten Personen und den durchsuchten Gepäckstücken liegen nicht vor, die Auswertung dauert an.

    Doch nicht nur die Politik dürfte der Einsatz der Polizei erneut beschäftigen. Nach nd-Informationen vernetzen sich derzeit Betroffene der Kontrolle, unter denen sich auch Reisende von zwei Linienbussen befanden. »Es geht um Fortsetzungsfeststellungsklagen mit dem Ziel, dass die Rechtswidrigkeit dieser Kontrolle festgestellt wird«, sagt der Rechtsanwalt Sven Richwin dem »nd«. Der Anwalt war seinerzeit bei der Kontrolle in Brandenburg vor Ort. Er berichtet von »eingekesselten Businsassen«, Menschen, die bei großer Hitze keine Getränke kaufen durften und nicht auf Toilette gelassen wurden. Also Formen von Gewahrsamnahmen, die bei einer Zeugenmaßnahme unverhältnismäßig seien. Zudem stellt sich aus Sicht des Anwalts auch die Frage, ob das Abkommen zwischen Berlin und Brandenburg die Kontrolle abdeckt: So sei von Brandenburger Polizisten nichts zu sehen gewesen.

  18. Ist noch übler als angenommen – Arnd Henze, Tagesschau:

    Unter den Journalisten, die das BKA als Sicherheitsrisiko erkannt hatte, sei auch ein sogenannter Reichsbürger, hatte der Sprecher des Innenministeriums verbreitet.

    Dabei hatte sich der angebliche Rechtsextremist zu diesem Zeitpunkt längst geoutet: Der NDR-Journalist Christian Wolf war durch eine schlichte Namensverwechslung auf die Schwarze Liste des BKA geraten. … Eine offensichtliche Panne gab es auch beim Hamburger Polizeireporter Frank Bründel. Der Journalist, seit 28 Jahren im Beruf, soll nach Angaben des Hamburger Verfassungsschutzes bei der Demonstration am 1. Mai als Angehöriger einer „gewaltbereiten Bewegung“ festgenommen worden sein – eine falsche Auskunft, die das BKA aber zunächst ungeprüft übernommen hatte.

    …für Regierungssprecher Steffen Seibert stand fest: Die Sicherheitswarnungen des BKA seien so gravierend gewesen, dass es verantwortungslos gewesen wäre, die Akkreditierungen nicht nachträglich zu entziehen.

    Das Innenministerium sprach von „etlichen Straftätern“ unter den 32 Journalisten. Die Mehrzahl von ihnen wartet trotz gegenteiliger Versprechungen immer noch auf Auskunft. Zwei Bescheide aber liegen dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vor. …

    Bei dem Berliner Fotografen Florian Boillot ist als einziger Vorgang ein Verfahren wegen Widerstands gegen Polizei-Vollzugsbeamte gespeichert – und zwar unter verschiedenen Aktenzeichen sowohl in der Datei „politische motivierte Kriminalität“ als auch in der Datei „Gewalttäter Links“. Dabei geht es, wie die Ermittlungsakten belegen, um einen eher banalen Vorgang: Im März 2016 hatte ihn eine Berliner Polizistin angezeigt, nachdem sie ihn zuvor bei einer Demonstration versehentlich gestoßen und er daraufhin mit einer Beschwerde beim Pressesprecher der Polizei gedroht hatte.

    In den Ermittlungsakten wird ausdrücklich festgehalten, dass Boillot in der Situation mit seiner Kamera fotografiert und sich gegenüber der Polizistin weder aggressiv noch beleidigend verhalten hatte. Das Verfahren endete im Mai 2017 mit einem Freispruch „aus tatsächlichen Gründen“, was umgangssprachlich einen „Freispruch erster Klasse“ bedeutet.

    Der Bochumer Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein hält die weitere Speicherung der Daten ab diesem Moment eindeutig für rechtswidrig. Nach dem BKA-Gesetz hätte der Eintrag sofort gelöscht werden müssen. Stattdessen zeigt das Datenblatt des BKA, dass der Eintrag frühestens im Jahre 2026 auf eine mögliche Löschung überprüft werden soll.

    Sehr viel ausführlicher ist der Bescheid für den Fotojournalisten Chris Grodotzki, der für Spiegel Online vom G20-Gipfel berichten sollte. Der Dateiauszug des BKA listet gleich acht Einträge aus verschiedenen Bundesländern aus. Doch auch in seinem Fall sind Experten alarmiert: Der älteste Eintrag stammt von 2007. Worum es dabei ging, weiß Grodotzki nicht. Denn aus den Unterlagen des LKA Mecklenburg-Vorpommern ist der Eintrag längst gelöscht, nicht aber aus der Datei „politisch motivierte Kriminalität“ des BKA.

    Erinnern kann sich Grodotzki aber an eine Plakataktion der Umweltorganisation Robin Wood ein Jahr später in Frankfurt. Das Verfahren wegen Hausfriedensbruchs wurde damals von einem Amtsrichter mit einer „Verwarnung mit Strafvorbehalt“ beendet – die niedrigste Sanktion, die das deutsche Strafrecht kennt. Trotzdem ist das Delikt in der Verbunddatei „politisch motivierte Kriminalität“ mit einem Aussonderungsdatum im Mai 2023 versehen worden – ein Zeitraum also von 15 Jahren.

    Die einzige Datei, die das BKA selber angelegt hat, betrifft ausgerechnet das besonders brisante Thema Türkei. Nach dem Entzug der Akkreditierungen hatten mehrere Betroffene den Verdacht geäußert, ausländische Geheimdienste hätten auf den Entscheidungsprozess Einfluss genommen. Die Bundesregierung hatte das wiederholt bestritten. Aus dem Eintrag geht nun hervor, dass Grodotzki vom BKA selber erst als Linksextremist eingestuft wurde, nachdem dieser im Oktober 2014 zusammen mit weiteren Journalisten im türkischen Diabakyir für kurze Zeit festgenommen wurde.

    Ausführlich und ohne jede Einordnung zitiert der Eintrag die Vorwürfe der türkischen Behörden und stellt dann lediglich fest, dass „den Journalisten kein strafbares Handeln nachgewiesen“ werden konnte. Schon im nächsten Satz heißt es dann aber: „In diesem (!) Zusammenhang wurde folgende Bewertung vorgenommen: Er ist als Angehöriger der linksextremistischen Szene und Umweltaktivist bekannt“.

  19. Es ist viel übler als sowieso schon angenommen, Arnd Henze Tagesschau:

    Der Skandal um den Entzug von Akkreditierungen für Journalisten beim G20-Gipfel ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch zahlreiche weitere BKA-Auskünfte, die dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegen, belegen fehlerhafte und rechtswidrige Einträge. Datenschützer und Verfassungsrechtler warnen schon lange und fordern Konsequenzen. …

    (Björn Kietzmanns) erweitertes polizeiliches Führungszeugnis … ist blütenweiß. Der Datenauszug des BKA, den der 37-jährige Fotograf nun in der Post fand, enthält dagegen gleich 18 Einträge, die den Journalisten sprachlos machen. Ins Auge sticht dabei vor allem der Vorwurf „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ in der Kategorie „politische motivierte Kriminalität“. Das klingt dramatisch – ist aber nachweislich falsch.

    Kietzmann hatte im Juli 2011 eine Demonstration fotografiert, als in seiner Nähe ein Feuerwerkskörper explodierte. Die Polizei hielt ihn für den Täter, nahm ihn fest und ließ in erkennungsdienstlich behandeln. Vier Kollegen, mit denen Kietzmann zum Zeitpunkt des Vorfalls zusammenstand, bestätigten gegenüber der Staatsanwaltschaft dessen Unschuld. Die Staatsanwaltschaft reduzierte die Ermittlungen daraufhin vom Vorwurf des Sprengstoffangriffs auf einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz und stellte auch dieses Verfahren nach kurzer Zeit ein. Was also bis heute in den Dateien als schwere Gewalttat gespeichert ist, hat erwiesenermaßen nichts mit dem Fotografen zu tun.

    Ähnlich falsch oder irreführend sind auch alle übrigen gespeicherten „Delikte“, die teilweise bis in das Jahr 2002 zurückreichen. Da finden sich zum Beispiel Einträge über angebliche Verstöße gegen das Urheberrecht: So hatte sich ein Polizist in Coburg beschwert, dass Kietzmann bei einer Demonstration eine Gruppe von Polizisten fotografiert hatte. Das ist zwar legal, führt aber immer wieder zu Anzeigen, die – wie auch bei Kietzmann – in der Regel zügig eingestellt werden. Trotzdem finden sich solche Beschuldigungen auch nach acht Jahren noch in den Datenbanken des BKA.

    Die einzige Verurteilung im Leben des Fotografen liegt bereits 14 Jahre zurück: Für einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz wurde Kietzmann im Januar 2003 zu einer Geldstrafe von 200 Euro verurteilt. Es ging um die Teilnahme an einem gewaltfreien Studentenprotest. In den Datenbanken der Polizei soll dieses Bagatelldelikt aus Jugendzeiten allerdings noch mindestens bis Juli 2021 gespeichert bleiben.

    Im Fall des Stuttgarter Online-Journalisten Alfred Denzinger ist zum Beispiel ein sieben Jahre alter Datensatz wegen „Beleidigung“ aufgeführt, der auf die Anzeige eines vorbestraften Rechtsextremisten zurückgeht. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens hatte sich allerdings schnell herausgestellt, dass nicht der Journalist eine Straftat begangen hatte, sondern der Rechtsextremist und ein Mittäter eine friedliche Mahnwache einer Schorndorfer Bürgerinitiative tätlich angegriffen hatten. Beide wurden dafür rechtskräftig zu Haftstrafen verurteilt, die Anzeige gegen Denzinger zurückgezogen. Doch in der Verbunddatei des BKA soll der Eintrag noch bis Februar 2020 gespeichert bleiben.

    Denn nun sei offensichtlich geworden, wovor Datenschützer seit Jahren warnen: dass die Vielzahl gespeicherter Daten erhebliche Nachteile für die berufliche und private Existenz von Bürgern haben kann. Und auch das Ausmaß an fehlerhaften und rechtswidrig gespeicherten Daten entspricht früheren Erfahrungen, die in den Tätigkeitsberichten längst dokumentiert sind.

    So hatte der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Jahre 2012 die Datenbank „PMK-links Z“, in der politisch motivierte Kriminelle gespeichert werden, überprüft und dabei viele Rechtsverstöße festgestellt. Das BKA löschte in der Folge rund 90 Prozent der Einträge. Statt 3819 Personen im März 2012 waren im Juli 2015 nur noch 331 Personen gespeichert. „Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Polizei mit den Kriterien, die eine Speicherung rechtfertigen, zu großzügig umgegangen war“, sagte Schaar.

    Experten sind überzeugt, dass sich eine ähnlich hohe Quote rechtswidriger Einträge auch für andere Dateien als die in 2012 geprüfte Datenbank gilt. Allerdings geht es bei den Fallzahlen um ganz andere Größenordnungen. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums sind allein in der Datei „Innere Sicherheit“ aktuell 109.625 Personen und 1.153.351 Datensätzen zu Delikten gespeichert. Das ist das 27-fache der 41.549 politisch motivierten Straftaten, die laut Kriminalstatistik im Jahre 2016 insgesamt begangen wurden. …

    Datenschützer verweisen vor allem auf die „Fallgruppe Rauschgift“, in der inzwischen mehr als 700.000 Personen mit Millionen von Datensätzen gespeichert sind. Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen liegen die Einträge mehr als zehn Jahre zurück.

    Die hohe Zahl rechtswidrig gespeicherter Datensätze ist vor allem das Ergebnis einer rechtlichen Unschärfe: Das Gesetz über das Bundeskriminalamt erlaubt im Paragrafen 8 auch die Speicherung von Ermittlungen, die nicht zu einer Verurteilung vor Gericht geführt haben – im Gegenzug wird dafür aber in jedem Einzelfall eine „Negativprognose“ gefordert: Es muss konkret begründet werden, warum von der Person auch in Zukunft Straftaten zu erwarten sind und die Speicherung früherer Ermittlungen deshalb wichtig ist. Nur dann gilt das als verfassungsrechtlich zulässig.

    Datenschützer kritisieren allerdings seit Jahren, dass diese Datensätze auch ohne eine solche „Negativprognose“ über Jahre gespeichert bleiben.

    Der frühere Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der die unrechtmäßige Speicherung von Daten zuvor schon als „skandalös“ bezeichnet hatte, fordert nun eine umfassende Aufklärung, die deutlich über den Fall der G20-Akkreditierungen hinaus reicht:

    Es geht um drei unterschiedliche Probleme: Wann muss eine Eintragung, selbst wenn sie anfänglich rechtmäßig war, aus allen Dateien entfernt werden, in die sie inzwischen gelangt ist? Zweitens: Reicht eine Eintragung als solche, um bei dem Betroffenen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründen zu können? Drittens: Die Polizei muss bei der Entscheidung über einen Eingriff gegen einen Journalisten berücksichtigen, dass Journalisten bei ihrer Arbeit der besondere Schutz der Medienfreiheit zusteht. Auf allen drei Ebenen scheinen Fehler begangen worden zu sein. Hier muss dringend für rechtsstaatliche Klarheit gesorgt werden.

    Von Notz sieht vor allem den Bundesinnenminister in der Verantwortung, der die Warnungen der Datenschützer über Jahre in den Wind geschlagen habe: „Seit Jahren dokumentiert das unionsgeführte Ministerium, wie egal ihm der Datenschutz ist. Der Datenschutz schützt aber keine Daten, sondern unsere Menschenwürde und Privatsphäre.“

  20. Übel auch die Justiz, ganz wie von Olaf Scholz bestellt (gibt ja nicht nur den Bierflaschenwerfer, der zu 2 Jahren, 7 Monaten Haft verurteilt wurde – ich spare mir jetzt die Suche, was für Verbrechen billiger sind) Katharina Schipkowski kommentiert in der taz: Bluten für die anderen

    Er wurde mehr als eine Stunde vor Beginn der friedlichen Großdemo „Grenzenlose Solidarität“ in 2,4 Kilometer Entfernung vom Startpunkt festgenommen, weil er Sachen dabei hatte, die man auf einer Demo nicht dabei haben darf: Pfefferspray, Böller und eine Taucherbrille. Das ist ein lächerlicher Vorwurf für eine Haftstrafe.

    Die Richter argumentierten jedoch in beiden Fällen, man müsse den „generalpräventiven Aspekt“ bedenken. Das heißt: Man muss Leute abschrecken, Straftaten zu begehen. Sie geben damit zu, dass das Gericht die Freiheit zweier Menschen opfert, um andere zu belehren. Wie kann das mit dem Rechtsstaat vereinbar sein?

    Hier werden Menschen in Sippenhaft genommen, indem sie für etwas bestraft werden, das andere getan haben. Die Richter nehmen, was sie kriegen können. Die, die randaliert haben, hat die Polizei nicht gekriegt. Für dieses Versagen müssen jetzt andere bluten.

  21. Es wird immer noch irrer: Arnd Henze, ARD-Hauptstadtstudio – Das große Löschen

    Als Po-Ming Cheung den Brief des Berliner Landeskriminalamtes las, traute er seinen Augen nicht: Von „besonders schwerem Landfriedensbruch“ war darin die Rede, begangen bei einer Berliner Demonstration im Juli 2011. Cheung kann sich an den Abend erinnern: Als Pressefotograf hatte er über die Krawalle berichtet: „Ich hatte keine Ahnung, dass so ein Vorwurf jemals im Raum stand“, versichert Cheung. „Ich renne doch nicht mit einer teuren Kamera auf eine Demo und mache Randale“.

    Weder wurden Cheungs Personalien an diesem Tag festgestellt noch wurde er dazu befragt. Dennoch war er in den Datenbanken des LKA sechs Jahre lang mit diesem Vorwurf gespeichert, zusammen mit zwei kleineren Vorgängen aus den Jahren 2005 und 2006, die ebenfalls nie zu einer Anklage geführt hatten.

    Das LKA Berlin teilte dem Fotografen nun mit, dass alle Datensätze vor kurzem gelöscht wurden. Eigentlich eine gute Nachricht für den Fotografen: „Es zeigt, dass an den Vorwürfen nichts dran war und mein Berufsverbot in Hamburg auf falschen Anschuldigungen beruhte.“

    Zugleich bedeutet die Löschung aber den nächsten schweren Rechtsbruch. Denn Cheung hat wie zahlreiche Kollegen gegen den Entzug der Akkreditierung geklagt und bei der Bundesdatenschutzbeauftragten Beschwerde eingelegt: „Wenn Daten gelöscht werden, um zu verhindern, dass die Rechtmäßigkeit ihrer Speicherung überprüft wird, handelt es sich um die Unterdrückung von Beweismitteln“, kritisiert der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte, Peter Schaar. Auch in der Berliner Datenschutzbehörde ist man alarmiert. Man könne den Vorgang wegen des laufenden Verfahrens allerdings nicht öffentlich kommentieren, heißt es.

    In einem anderen Fall löschte auch das LKA Mecklenburg-Vorpommern mindestens einen fehlerhaften Datensatz vor einer möglichen Prüfung. Deshalb wird wohl auch Cheungs Kollege Chris Grodotzki nicht mehr erfahren, was da vor Jahren als „Hausfriedensbruch“ den Weg in die Verbunddateien des BKA gefunden hat.

    Die Liste seiner angeblichen Delikte ist inzwischen von acht auf zwei geschrumpft. So kündigte allein das LKA Hannover die Löschung von vier Datensätzen an, sobald die Prüfungen der Datenschützer sowie das Verfahren vor Gericht abgeschlossen seien. Auf die Auskunft zu zwei Einträgen des LKA Hessen wartet Grodotzki noch. Auch in diesen beiden Fällen sind sich Experten sicher, dass die Speicherung keinen Bestand haben wird.

    Po-Ming Cheung und Chris Grodotzki zählen zu den 28 Journalisten, bei denen die Bundesregierung bis heute darauf beharrt, dass der gravierende Eingriff in die Pressefreiheit aus Sicherheitsgründen zwingend notwendig gewesen sei.

    Doch in allen der zwölf vom ARD-Hauptstadtstudio untersuchten Fälle erwiesen sich vor allem die gravierenden Vorwürfe wie „besonders schwerer Landfriedensbruch“ und „Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion“ als offensichtlich falsch.

    Immerhin hat der Fotograf Florian Boillot in der vergangenen Woche durch ein Schreiben der Bundesbeauftragten für den Datenschutz erfahren, dass die Bundesregierung ihn zu den vier Journalisten zählt, denen die Akkreditierung zu Unrecht entzogen worden sei. Wie das ARD-Hauptstadtstudio schon vor sieben Wochen berichtete, war er wegen „Widerstands gegen Polizeibeamte“ in den BKA-Dateien als „linksextremistisch motivierter Gewalttäter“ gespeichert worden, obwohl er längst wegen erwiesener Unschuld freigesprochen war.

    Auf die mehrmals angekündigte Entschuldigung von Regierungssprecher Steffen Seibert wartet er allerdings wie die übrigen Betroffenen weiter vergeblich. Das Bundespresseamt teilte auf Anfrage lediglich mit, dass eine solche Geste „zeitnah“ erfolgen werde – fast drei Monate nach dem Gipfel.

    Der hohe Anteil von Datensätzen, die nun außer der Reihe gelöscht werden, stützt Vermutungen, dass auch über den Kreis von Journalisten hinaus massenhaft Daten fehlerhaft oder illegal gespeichert werden.

    Empört zeigt sich Jelpke aber vor allem über die Auskunft, dass die Bundesregierung nicht einmal wisse, wie viele Personen in den vom Bundeskriminalamt geführten Staatschutzdateien gespeichert sind. Es sei „keine zentrale systemseitige Auswertung der Löschungen und Einrichtungstermine von Dateien möglich“, heißt es im Schreiben aus dem Innenministerium. Auch auf zahlreiche weitere Fragen zum Datenbestand des BKA liegen der Bundesregierung demnach keine Daten vor. So sei es nicht möglich zu unterscheiden, wie viele der als „Gewalttäter links“ eingestuften Personen tatsächlich verurteilt seien oder aus anderen Gründen weiter gespeichert würden.

    Ohne eine gründliche Bestandsaufnahme sei aber keine Korrektur von Fehlentwicklungen möglich, kritisiert Jelpke: „Bei der Aufarbeitung dieses Datenschutzskandals herrscht bei Bundesregierung und BKA reinste Arbeitsverweigerung.“

  22. So ein Unrecht, so eine Brutalität!

    Mehmet Yeşilçalı, ein politisch Verfolgter, wurde erst nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft in Stadelheim freigelassen. Die Schweiz hatte ihn an Deutschland ausgeliefert.
    Türkisches Folteropfer darf Gefängnis verlassen schreibt Annette Ramelsberger in der Süddeutschen.
    http://www.sueddeutsche.de/politik/justiz-tuerkisches-folteropfer-darf-gefaengnis-verlassen-1.3775148
    Gericht eskaliert die Auseinandersetzung mit dem schwerkranken Angeklagten Mehmet Yeşilçalı.
    https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/13-11-2017/

.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..