Deutschlandfunk Kultur, Ulrike Timm im Gespräch mit Gianni Jovanovic – „Ich fühlte mich komplett fremdbestimmt“ (heißer Dank an den kleinen König, der mir den link geschickt hat)
Rebecca Erken, Zeit Online – „Roma und schwul, geht das überhaupt?“
Seine Geschichte sei nicht generalisierbar, sagt Jovanovic. Die Roma, von denen Schätzungen zufolge rund 120.000 in Deutschland leben, seien keine homogene Masse. Man könne sie genauso wenig über einen Kamm scheren wie Bayern oder Rheinländer. Es gebe mehr als 60 unterschiedliche Dialekte der Romanes-Sprache und viele unterschiedliche Religionszugehörigkeiten innerhalb der Roma.
Den Mann gibt es auch als Roman: Katja Behrens, Nachts, wenn Schatten aus dunklen Ecken kommen, erschienen bei Edition Faust.
Nur sehr wenige Sinti und Roma wurden nach dem Porajmos entschädigt, kaum ein NS-Täter wurde verurteilt. Im Gegenteil – unter Verwendung der im 3. Reich erstellten Akten führten viele Täter die staatliche Verfolgung der Sinti und Roma fort. Nachzulesen z.B. in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte (1997, ab Seite 757), Gilad Margalit – Die deutsche Zigeunerpolitik nach 1945
Vorbild Bayern:
„Die Zigeunerpolizeistelle“ des bayrischen Landeskriminalamtes, die bis 1938 unter derselben Bezeichnung firmiert hatte, wurde in „Landfahrerzentrale“ umbenannt, und diese erhielt am 22.12.1953 mit der „Landfahrerordnung“ wieder eine Grundlage für ihre rassistische Sondererfassung. In wesentlichen Punkten gleicht diese „Landfahrerordnung“ dem Gesetz von 1926. Auf dieser Grundlage genoss die bayrische Landfahrerzentrale seit 1953 de facto Bundeszuständigkeit. Alle Bundesländer übermittelten ihre Daten über kontrollierte Sinti und Roma fortan nach München. Der Leiter der „Landfahrerzentrale“, Josef Eichberger, war im Reichssicherheitshauptamt der hauptverantwortlicher Organisator von „Zigeuner“-Deportationen gewesen.
Durch den Erlass der „Bayrischen Landfahrerordnung“ wurden die Sinti gezwungen, ein Landfahrerbuch zu führen, in dem unter anderem die Fingerabdrücke aller Familienmitglieder eingetragen waren. Sie wurden fotographiert und Details ihres Privatlebens wurde protokolliert. Erst 1970 wurde diese diskriminierende Verordnung aufgehoben.
Sein Ziel sei mehr Sicherheit, sein Vorbild sei Bayern, sagte Seehofer. „Bayern gehört zu den sichersten Regionen in Europa. Das muss auch für ganz Deutschland möglich sein“.
Er plane „null Toleranz gegenüber Straftätern“, sagte Seehofer der Zeitung. Deutschland dürfe „keine rechtsfreien Räume mehr dulden“. Konkret forderte er Videoüberwachung an Orten mit erhöhter Kriminalität. „Bilder aus Überwachungskameras haben schon viele Straftaten aufgeklärt.“ Für die geplanten Maßnahmen wolle er alle Bundesländer einbeziehen.
Außerdem soll häufiger und schneller abgeschoben werden, sagte Seehofer der Zeitung. Vor allem gegen straffällig gewordene Asylbewerber und sogenannte Gefährder müsse härter durchgegriffen werden. Dafür plane er einen „Masterplan für schnellere Asylverfahren und konsequentere Abschiebungen“. Die Grenzkontrollen an deutschen Grenzen sollen verlängert werden. „Erst wenn die EU-Außengrenzen wirksam geschützt sind, können die Kontrollen an unseren Grenzen wegfallen.“ sagte Seehofer. „Wir wollen ein weltoffenes und liberales Land bleiben. Aber wenn es um den Schutz der Bürger geht, brauchen wir einen starken Staat.“
Seehofer kommentierte auch die Debatte um die neue Zuständigkeit des Innenministeriums für das Ressort Heimat. Es ginge dabei nicht „um Dirndl oder Lederhose“, sondern um gesellschaftlichen Zusammenhalt.
In Seehofers Vorbild Bayern wird wahrscheinlich in Kürze ein Polizeiaufgabengesetz in Kraft treten, das die Polizei zu einer gigantischen Überwachungsbehörde aufrüsten und ihr mehr Macht als je zuvor seit 1945 einräumen, das staatliche Schnüffelei bis in die privateste Privatheit erlauben und eine vorbeugende Unendlichkeitshaft einführen wird.
Das alles ist eigentlich unvorstellbar; bei diesem Gesetz „zur Überwachung gefährlicher Personen“ denkt man an Guantanamo, Erdogan oder die Entrechtsstaatlichung in Polen. Die Haft ad infinitum wurde aber im Münchner Landtag beschlossen. Die CSU sollte sich schämen; die Opposition, deren Aufstand nicht einmal ein Sturm im Wasserglas war, auch. Dieses Gesetz ist eine Schande für einen Rechtsstaat.
Es führt im Übrigen auch die Fußfessel für Personen ein, von denen eine Gefahr ausgeht. Man sollte die Fessel, am besten auch für die Hände, den Abgeordneten anlegen, die für so ein Gesetz stimmen.
Handfesseln bitte gern auch für die SPD, die die GroKo ermöglicht und für alle, die Horst Seehofer nur für ein kurioses bayerisches Unikum halten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt zum Erhalt der eigenen Idee von Heimat, Zuhause, ist mir völlig egal, wie Sie Ihren Lebensraum und Ihre Werte nennen, ist bitter nötig!
Falls Sie zufällig kein Roma, kein Asylbewerber, kein Einwanderer, kein „Gefährder“, nicht homosexuell, nicht links, nicht antifaschistisch sein sollten – für den HeimatHorst geht z.B. auch die Vergewaltigung in der Ehe in Ordnung.
Am bayerischen Wesen soll jetzt wohl die Nation genesen. Es sieht aus, als ob sie diesmal eine besonders dicke Scheibe von der Salami namens Freiheitlichkeit absäbeln wollen. Nach den beharrlich über viele Jahre geleisteten Vorarbeiten seiner Amtsvorgänger kann #HeimatHorst jetzt richtig hinlangen.
Eine (unke ich mal) künftige AfD-Regierung würde dann dem Beispiel Polens und Ungarns nacheifern in Sachen Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz, Gewaltenteilung usw. Aber wer beschützt uns dann vor dem gängelungswütigen Nulltoleranzstaat? Auch als „zufällig kein Roma, kein Asylbewerber, kein Einwanderer, kein „Gefährder“, nicht homosexuell“ und zumindest nicht optisch als irgendwie links oder antifaschistisch erkennbarer Normalbürger wird mir mulmig.
P.S.: für den HeimatHorst geht z.B. auch die Vergewaltigung in der Ehe in Ordnung
Was soll daran auch falsch sein, haben wir schon immer so gemacht, ist also praktisch Leitkultur. Prost!
Gegen das bayerische Wesen wäre nichts einzuwenden!
(Videolinks nachträglich hinter Worte gelegt, da mir andernfalls zu dominant, dvw)
Aus der heutigen Süddeutschen, Wolfgang Görl – So half die Münchner Polizei bei der Ermordung von Sinti und Roma
Wann kam eigentlich die Bitte um Entschuldigung (zugunsten ihrer Erklärung) aus der Mode und wem nützen Entschuldigungen gleich nochmal? Genau: wer Schuld auf sich geladen hat, darf um Ent-Schuldigung bitten, der Geschädigte allein entscheidet, ob er sie gewähren kann oder nicht.
Anderer SZ-Artikel, Jakob Wetzel – Gedächtnislücken – gleiches Thema:
Apropos „ein solches müsse man sich durch aktiven Widerstand gegen die Nazis verdient haben„: jede/r weiß wenigstens ein bißchen über den Aufstand im Warschauer Ghetto. Aber und unter anderen über den Aufstand der Sinti und Roma in Auschwitz-Birkenau am 16. Mai 1944?
Der Standard, Ethel Brooks, Patricia Pientka – Unerzählte Geschichten
Um die Kulturen der Roma und Sinti zu zeigen und um endlich selbst Akteur der Geschichtsschreibung zu werden, wurde letztes Jahr in Berlin das (von deutschen Medien über Agenturmeldungen hinaus wenig beachtete) European Roma Institute for Arts and Culture gegründet. Am Beispiel eines Artikels im Tagesspiegel läßt sich das Fortschreiben antiziganistischer Ressentiments bestens sehen:
Da isser wieder, der selten nach Sesshaftigkeit strebende, der „wandernde Zigeuner“. Ein realitätsfernes Ressentiment, das in seiner exkludierenden Bösartigkeit dem vom ewig wandernden Juden in nichts nachsteht.
Holt die Wäsche rein.
Moin
Sieht so aus, als ob der Bücherstapel gerade wieder um eines höher wird.
Die vorurteilsbehafteten Ansichten gegenüber diesen Menschen wurden auch schon in Grete Weisskopfs Ede und Unku thematisiert. Davon gibt es inzwischen ganz aktuell ein neues Buch von Janko Lauenberger. Dieser ist ein Nachfahre der Titelheldin Unku und auch das Buch steht bereits auf der Wunschliste.
Solche Figuren wie Seehofer beschränken sich nicht auf Bayern. Ein Strobl in Ba-Wü, ein Henkel ehemals in Berlin oder ein Scholz in Hamburg sind ebenfalls heisse Kandidaten, aber längst nicht alle.
Mal sehen, wieviel der bayerischen „Erfolge“ der jüngeren Zeit Seehofer auf Bundesebene vesucht einzubringen.
Dabei war ich der irrigen Annahme, dass ein TdM als Innenminister nicht mehr zu toppen ist…
Womit mein Bücherstapel um zwei höher geworden ist, danke!
Ich bin beeindruckt, was in der DDR Schulpflichtlektüre war. Wäre im Westen zumindest in meiner Schulzeit nicht denkbar gewesen, in den 70ern bewegte man sich fröhlich zwischen Romantisierung und Diskriminierung der Sinti und Roma hin und her und der Nazifaschismus galt als besiegt und abgehakt. Bilder von leicht bekleideten „Zigeuner“-Mädchen hingen in zahllosen Schlafzimmern, Dunja Rajter und Alexandra trällerten von der Romantik eines nichtsesshaften Lebens, das gleichnamige Schnitzel war so exotisch wie beliebt und Sinti und Roma mit Müll und Kriminalität gleichgesetzt. Je älter ich werde, desto bewußter wird mir, daß ich – Jahrgang 63 – gerade mal einen Wimpernschlag nach dem 3. Reich geboren wurde und wie weit das Ausloten der menschlichen Möglichkeiten der Nazis in die Jetztzeit ragt.
Über das Buch von Janko Lauenberger und Juliane von Wedemeyer gibt’s einen aktuellen Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung, die Autoren stellen es am 18.3. (13 Uhr, Forum Sachbuch) auf der Leipziger Buchmesse vor.
Ich dachte mir schon beim Innenfriedrich, daß da nix mehr getoppt werden kann, falscher Fehler. Wir müssen uns alle warm anziehen und es ist Aufgabe der noch-nicht-Diskriminierten, sich für die Rechte von Diskriminierten einzusetzen. So viel ich an Angela Merkels Politik auszusetzen habe, aber nach ihr wird es garantiert noch viel übler. Es ist gar kein gutes Zeichen, daß sie mit gerade mal 9 Stimmen Mehrheit wiedergewählt wurde und ich wäre auch nicht überrascht, wenn sie noch vor Ablauf ihrer Amtszeit hinwirft.
Leo Fischer, nd – Bayern
Verena Bogner, Vice über Antiziganismus in Österreich (halte ich für nahtlos auf Deutschland übertragbar), über SS-Runen, brennende Zelte und „Zigeuner“-Beschimpfungen
Fariafariaho.
Heute ist Welt-Roma-Tag.
Andrea Grunau, Deutsche Welle: Sinti und Roma in Auschwitz: „Das willst du gar nicht wissen“
In Berlin findet im Gorki-Theater vom 7.-10 April die erste Roma-Biennale statt, Hannah El-Hitami, taz: Nicht die Carmen am Lagerfeuer