Über Täuschungen

When i was a young hippie, bin ich mal auf einen Mann reingefallen, aber wie! Eigentlich müßte ich für diese Geschichte Kinder kriegen, damit die wiederum Kinder kriegen, denen ich die ganze Posse erzählen kann.

Jetzt müssen eben Sie dran glauben.

Es begab sich in den 80ern, daß ich in Bayern sowieso nicht heimisch und in München zunehmend gelangweilt war. Ein Freund lebte damals in einer höchst interessanten Wohngemeinschaft in Moabit, in deren Räumen Jahre davor schon die Kommune 1 residiert hatte, die Küche war groß wie ein Ballsaal, die Mitbewohner ausnehmend nett und dann gab es da noch diesen multibegabten Mann, Liebster einer der Mitbewohnerinnen. Wir plauderten angeregt.

Zurück in München, viele Wochen später, klingelte eines Tages das Telefon, besagter Mann war dran und fragte – er mußte nach München – ob er bei mir übernachten könne? Na klar konnte er, ich wohnte zwar beengt, aber mein Interesse an ihm war schließlich strikt freundschaftlicher Natur, rein intellektuell, komplett unschuldig. Hm, das blieb auch einige Nächte so. Bis wir eines Nachts übereinander herfielen wie die Tiere.

Ich blieb in München, er reiste durch die Weltgeschichte, in die USA, nach Kamerun und nach England, später zurück nach Berlin, wo ich ihn einige Monate später in besagter Wohngemeinschaft wieder traf. Mein schlechtes Gewissen pochte laut und lauter, denn netten Frauen, die mich beherbergen, nehme ich nicht den Mann weg, niemalsnienicht. Und er hatte ständig neue Gründe, warum er ihr das jetzt nicht sagen konnte.

Um eine lange Geschichte abzukürzen (zog sich über mehr als ein Jahr und x Treffen hin): ich sagte es ihr. Sie und ihr Liebster waren nach ihrer Auffassung mitten in der Familiengründung. Sie packte, nachdem sie mich verdient und unangespitzt in den Boden gerammt hatte, seine Sachen und fuhr sie zum Atelier der ziemlich berühmten Malerin, bei der er arbeitete. Die wiederum kriegte sich kaum wieder ein vor lauter Lachen und verwies uns an diverse weitere Frauen, mit denen er kurz vor oder schon im Stadium ewiger Bindung inklusive Babymachen stand. Bei der 8. (in Worten: achten) – alles eigenständige, attraktive, starke, eindrucksvolle Frauen – hörten wir auf.

Er hatte bei jeder die genau richtigen Knöpfe gedrückt. Von der Malerin und mir abgesehen, war jede Frau felsenfest davon überzeugt, daß er eine exklusive Bindung mit ihr allein pflegte. Selbst meine prüden und bigotten Eltern, die bis dahin noch jeden meiner Prinzen zügig mit Hausverbot belegt hatten, waren beeindruckt und es mag auch ein bißchen umgekehrter Rassismus eine Rolle gespielt haben, denn er hatte dunkle Haut. Spielte aber so schön Klavier! Und war so höflich und gebildet!

Ich zog dann trotzdem nach Berlin und traf ihn noch zwei Mal wieder: Jahre später in Begleitung meiner Familie auf dem Tempelhofer Flugfeld zum japanischen Feuerwerk anläßlich der 750-Jahr-Feier/silbernen Hochzeit meiner Eltern, unter Millionen von Menschen muß ich ausgerechnet dem begegnen?! Und das letzte Mal ein weiteres Jahr später, als er schon sehr krank wirkte, ich hörte später, daß er kurz darauf starb.

Bei aller Scham über mein schäbiges Verhalten und meine Blödheit und allem Schmerz über eine zerscherbte Liebe kam ich nie umhin, allein schon seine logistische Meisterleistung zu bewundern: mindestens 10 anspruchsvolle und äußerst unterschiedliche Frauen parallel zu beglücken, mit der Betonung auf Glück.

 


 

Freitag abend ereignete sich in Klein-Bloggersdorf eine Implosion. Mlle Read On, x-fach prämierte Bloggerin, deren (inzwischen gelöschten) Blog ich immer gern gelesen habe, wurde von Martin Doerry/Der Spiegel der Hochstapelei bezichtigt (leider Paywall, ersatzhalber der Teaser und die Meldung im Tagesspiegel). Es scheint, als habe sie sich eine jüdische Identität und Familie erfunden, als sei die Sexual-Aufklärung für syrische Flüchtlinge (Zeit und FAZ, DLF Nova berichteten 2017/18) ebenso erfunden wie die Slum-Klinik in Dehli, die liebe C., die Mali-Tant und vielleicht auch die tägliche Postkarte an Deniz Yücel. Sie ging so weit, die Namen von 22 angeblichen Verwandten dem Archiv in Yad Vashem zu melden.

Doerrys Artikel finde ich z.T. befremdlich, für meinen Geschmack reichlich viel Küchen-Psychologisierei und zu viele Sätze wie der folgende:

Auf Fotografien wirkt die 31-Jährige mit ihren langen braunen Haaren mädchenhaft und keinesfalls prätentiös, Eitelkeit scheint ihr fremd. Ihr ganzer Habitus wirkt ebenso intellektuell wie bescheiden.

Er läßt seine Post-Relotius-Enthüllungsgeschichte enden mit:

Da bringen die Deutschen schon sechs Millionen Juden um. Und dann erfinden sie auch noch 22 Opfer hinzu.

 


 

Anke Gröner hat einen lesenswerten Blog geschrieben, daraus:

Und damit sind wir erneut bei der Fallhöhe.

Holocaust-Opfer zu erfinden, ist nicht nur geschmacklos, es ist gefährlich. Es ist Wasser auf den Mühlen der Holocaust-Leugner, es ist Wasser auf den Mühlen derer, die Opfern eine Mitschuld unterstellen, ganz gleich, von was sie Opfer geworden sind, es ist Wasser auf den Mühlen der Geschichtsverfälscher und -umdeuter, die im Nachhinein besser wissen wollen, was passiert ist und wie wir damit umgehen sollten

Während es auf Twitter unter #ReadOnMyFake alle sofort und im Grunde schon immer gewußt haben.

Ich nicht. Und ich habe auch in Zukunft vor, Ihre Blogs und Kommentare als das zu lesen, was Sie der Öffentlichkeit mitteilen und von sich preisgeben möchten. Ich halte es für etwas nahe am Menschenrecht, sich in der virtuellen Welt von mir aus auch mit mehreren Identitäten neu zu erfinden.

Wahrheit ist ein großes Wort. Wir alle haben uns mit der eigenen und höchst individuellen Wahrnehmung zu begnügen.

Und dem Fräulein wünsche ich Freunde, die ihr zur Seite stehen. Ach. Achachach.

 


 

Nachtrag 3.6.:

Staubtrocken, gründlich, vollständig: Klaus Graf, Archivalia

Lesenswert fand ich auch bei Geschichten und Meer: Ich kannte sie. Kannte ich sie? Ebenso bei Wald und Höhle: Fakes und Klicks, bei Bersarin: Von den Opferfiktionen und ausgedachter Vita und bei irgendwie jüdisch: Das Gewürz von Auschwitz

Deutsche Welle im Interview mit Micha Brumlik

„Kostümjuden“ gibt es öfter, als man glauben möchte: bekannt wurde z.B. Binjamin Wilkomirski, eigentlich Bruno Dössekker, der sich eine Kindheit im KZ erfand. Oder Irena Wachendorff (der link geht zur „Achse des Guten“, Jennifer Nathalie Pyka und ist entsprechend polemisch), Misha Defonseca aka Monique de Wael, Rosemarie Koczÿ, Karin Mylius, oder der ebenfalls von Martin Doerry enttarnte Wolfgang Seibert.

Kennen Sie Der bemalte Vogel von Jerzy Kosiński? Ist in weiten Teilen erfunden und das für mich eindrücklichste Buch über eine jüdische Kindheit während des 3. Reichs in Polen.

 

Ein Satz von Chajm von der Sprachkasse bringt es auf den Punkt:

Der Betrüger spiegelt oft auch das, was die Betrogenen sich wünschen.

Inzwischen (Nachtrag 5.6. 14h) hat er einen sehr lesenswerten Blog geschrieben, der Schluß:

Der Read-On Skandal erzählt viel darüber, wie draußen jüdisches gesehen wird, er erzählt vieles über das Verhältnis von Bloggern die es weit bringen wollen, zu ihren Lesern.
Er erzählt aber keine Geschichte darüber, wie ausschließlich ein Mensch alleiniger »Täter« war und alle anderen die arglosen Opfer.

Nachtrag 12.6. Sandra Schink (spricht mir aus dem Herzen): Ihr Freund Harvey oder: Irgendwas mit Geschichten, die einfach zu schön sind

 


 

Daniel Mendelsohn, New York Times: Stolen Suffering

In an era obsessed with “identity,” it’s useful to remember that identity is precisely that quality in a person, or group, that cannot be appropriated by others; in a world in which theme-park-like simulacra of other places and experiences are increasingly available to anyone with the price of a ticket, the line dividing the authentic from the ersatz needs to be stressed, rather than blurred.

That pervasive blurriness, the casualness about reality that results when you can turn off entire worlds simply by unsubscribing, changing a screen name, or closing your laptop, is what ups the cultural ante just now. It’s not that frauds haven’t been perpetrated before; what’s worrisome is that, maybe for the first time, the question people are raising isn’t whether the amazing story is true, but whether it matters if it’s true.

But then, we all like a good story. The cruelty of the fraudulent ones is that they will inevitably make us distrustful of the true ones — a result unbearable to think about when the Holocaust itself is increasingly dismissed by deniers as just another “amazing story.” Early on in my research for my book, another very old woman suddenly grew tired being interviewed. “Stories, stories,” she sighed wearily at the end of our time together. “There isn’t enough paper in the world to write the stories we can tell you.” She, of course, was talking about the true stories. How tragic if, because of the false ones, those amazing tales are never read — or believed.


 

Nachtrag 27.7.

Sophie Hingst hat sich vor etwa 10 Tagen wahrscheinlich selbst getötet.

Derek Scally, Irish Times – The life and tragic death of Trinity graduate and writer Sophie Hingst

“I am slightly jealous of all people who knew what they wanted to do, who knew words belong to them,” she wrote. “I only ever am a greedy thief, full of hunger for words. And, as you and the world at large can see, it didn’t end well.”

 


Bild (beschnitten): Kora27, Wikimedia Commons kein GIF, bewegt sich null, Ihre Wahrnehmung trügt Sie


44 Kommentare zu „Über Täuschungen

  1. Vollständig, staubtrocken – Klaus Graf, Archivalia mit links ohne Ende.

    Während es aus dem Artikel von Caroline Fetscher, Tagesspiegel nur so tropft – ob Schmalz, Schweiß, Blut und/oder Eiter, wer weiß das schon?
    Kostprobe:

    Gezielt arbeitet Hingst mit Themen, die von Tabus, Schuldgefühlen und Ängsten behaftet sind, und weitete den Radius klassischer Techniken etwa betrügerischen Spendensammelns ins Literarische aus, indem sie auf den besonderen Effekt jüdischer Leidensgeschichte setzte. Sie schien gewandt wie jene Bettler mit schmerzverzerrtem Gesicht, die humpelnd gehen, während sie den Hut für Münzen in der Hand halten, aber behände davoneilen, wenn das Ordnungsamt auftaucht.

    1. Ich finde – nebenher – die Archivalia recht interessant. Kommt aus einem Beruf, den ich vor langer Zeit mal ausgeübt habe.

  2. Martin Doerry (nicht Peter) habe ich gelesen. Ja, sicherlich nicht freundlich, aber befremdlich finde ich es nicht. Er tritt mit seinen Wahrheiten sehr nahe heran an die enthüllte Person.
    Aber, Martin Doerry ist ein Betroffener. Ich habe ein Hörbuch von ihm „Mein verwundetes Herz“, das – anhand von 500 hinterlassenen Briefen – über das Leben von Lilli Jahn, seiner jüdischen Großmutter berichtet. Ich habe irgendwo die Hörbuch CD und stelle sie gern – bei Gelegenheit – mal zur Verfügung. Erschütternd und bewegend.

    Nein, Spinnereien und Fantastereien vor diesem Hintergrund sind mir zutiefst zuwider, da habe ich überhaupt kein Verständnis. Da bin ich auf der Seite von Anke Gröner. Es hat was von
    1. Auf die Seite der Opfer schleichen
    2. Hochstapelei auf niedrigem Niveau

    Noch blöder finde ich dieses Haschen nach dem Außergewöhnlichen wie diese Geschichte mit der Sexualaufklärung. Och nee, wirklich. …

    Es mag ein Menschenrecht sein, sich mit mehreren Identitäten neu zu erfinden, aber ich halte nichts davon. Wer das tut, sollte es kundtun. So wie wir wissen, dass ein Nickname nicht die wirkliche Person ist. Wer aber im Netz so auftritt wie Frau Hingst, täuscht die Umgebung und das ist absolut unredlich.

    Dass es im Internet Anonymität geben muss, wird ja immer wieder erklärt. Ich persönlich finde es nicht gut , auch wenn ich die Notwendigkeit einsehe.

    1. Huhu Magda, long time no read nor see!
      Danke für die Korrektur, hab’s geändert, wie peinlich!

      Er tritt mit seinen Wahrheiten sehr nahe heran an die enthüllte Person.

      Womöglich haben wir an dieser Stelle eine ähnliche Meinungsverschiedenheit wie früher schon mal über Mariam Lau und ihre Idee der Edathy-Entblössung. Ob Frau Hingst unprätentiös auftritt oder nicht, ob sie lange Haare hat oder nicht, sind aus meiner Sicht für die Hochstapelei irrelevante Informationen. Das ist bestenfalls Folklore.
      Doerry hat vor einem halben Jahr schon einmal einen „Kostümjuden“ enttarnt: Wolfgang Seibert, dazu beispielhaft Jean-Philipp Baeck, taz und Daniel Killy, Salonkolumnisten. Das Hörbuch interessiert mich sehr!

      Die Geschichte mit der Sexualaufklärung ist aus meiner Sicht weniger Haschen nach dem Außergewöhnlichen, sondern eine Superidee, wäre nötig, nein?

      Wer aber im Netz so auftritt wie Frau Hingst, täuscht die Umgebung und das ist absolut unredlich.

      Frau Hingst trat in meiner Erinnerung bis zu ihrer Prämierung als goldene Bloggerin ausschließlich unter Pseudonym auf: als Mlle Read on bei Twitter und in ihrem Blog, beim Zeitmagazin als Sophie Roznblatt und bei dlfNova als Marie-Sophie Roznblatt.
      Um Mißverständnissen vorzubeugen: ich selbst käme nicht auf die Idee, mir mehrere Internet-Identitäten zuzulegen, wäre mir viel zu kompliziert. Und jetzt kommt das aber: ich weiß von x Bloggern, die Sie auch kennen, die mehrere Identitäten nutzen. Das kann alles mögliche sein: Spieltrieb, Lust an unterschiedlicher Sprache, Sockenpuppenbeifall usw.usf.

      Nichts aber entbindet mündige Mediennutzer vom Selberdenken und von der unterschätztesten aufklärerischen Tugend schlechthin: dem Zweifel.

      1. Sophie Roznblatt und Marie-Sophie Roznblatt sind wohl eher Falschidenditäten als Pseudonyme.
        Pseudonym wäre sowas wie Kat(h)rin Müller anstatt Marie Hingst, nicht ein Name, der die von ihr zusammengereimten jüdischen Vorfahren suggeriert. Da paßt der zitierte Schlußsatz von Martin Doerry durchaus.

        1. Ob Kurt Tucholsky mit seinem Pseudonym Kaspar Hauser suggerieren wollte, daß er ein rätselhaftes Findelkind und mit Theobald Tiger, daß er wild und gefährlich ist?
          Falschidentitäten wären es, wenn die jeweilige Redaktion nichts von der Verwendung eines Pseudonyms gewußt hätte, was aber mindestens auf die Zeit-Redaktion nicht zutrifft.

          Wir veröffentlichten den Text im Februar 2017 auf Wunsch der Autorin unter einem Pseudonym, weil sie, wie sie uns erklärte, um ihre Sicherheit fürchtete. Wir haben am Ende des Textes darauf hingewiesen, warum wir den Namen der Autorin und der Stadt nicht nennen – allerdings entgegen unseren schon damals geltenden Regeln nicht explizit genug gemacht, dass es sich beim angegebenen Autorennamen folglich um ein Pseudonym handelt.

          1. Bei Tucholsky sinds Künstlernamen, m.E. andere Kernobstsorte.
            Frau Hingst ist (vermutlich) mit ner falschen Idendität (nämlich der mit dem deutschjüdischen Stammbaum (im Sinne von „Deutschkatholik“ ) zur ZEIT gegangen und hätte sich auch gleich als Lisa Meitner oder Hannah Arendt pseudonymisieren lassen können. Und Mutter Theresa als Nickname für die Indien-Geschichten.
            Für die eigentliche alternativwahre Story über die Gespräche bzgl. Sexualität mit jungen Geflüchteten ist der suggerierte Familienstammbaum auch nicht relevant.

            Mein Nick ist der Name meines einen Opas, das hat der Vater einer Schulkameradin hier im Dorf losgetreten und seiner Tochter habe ich die Verbreitung in der Schule und in meiner „Crew“ zu verdanken. Wenn mein Opa Arthur gehießen hätte wie der eines anderen Schulkameraden wäre ich „Insidern“ darunter bekannt. Suggerieren tut das nix *schulterzuck*…

            1. Nein, Hugo. Bei Kurt Tucholsky waren es Pseudonyme, jede Menge übrigens: Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger, Kaspar Hauser, Paulus Bünzly, Theobald Körner, Horatio von Massarena, Die Claire, Schigolch und wahrscheinlich noch etliche mehr.
              Ein Künstlername ist kein Pseudo- sondern ein Synonym und ist amtlich, nämlich im Perso vermerkt.

              1. Wollte eigenlich Kunstfiguren schreiben; falls es in die Richtung gehen sollte; funktioniert m.E. als Argument bei Frau Hingst ned.
                Ich erzähl halt solche Geschichten wie die mit den Zahnbürsten auch mal im realen Leben, genauso wie Geschichten, die der Weltspiegel (Sonntag auf der ARD) bringt.
                Soviel Langeweile, jeden Scheiß nachzurecherchieren, hab ich ned; die ZEIT als Aufpasser und ne größere Leser*innenschaft wie bei dem gelöschten Blog (also hier dann auch die Aufnahme in die Lesetipps unten links) reichen mir gemeinhin als Glaubwürdigungsnachweis. Da fühl ich mich halt schon verarscht, auch wenn mensch anerkennen muß, daß die Geschichten gut sind, sonst wären sie ja ned so beliebt gewesen.

  3. Ist das die wo über Indien und mal so ne Initiative mit später dann gebrauchten Zahnbürsten, die besser als neue wären weil die neuen zu neu und deshalb wertvoll sind um die zu benutzen, schrieb?
    Ob literarisch und/oder ne ausgeschmückte wahre Begebenheit; hat mich zumindest zum Nachdenken angeregt…

      1. Habe grade: „read on gebrauchte zahnbürsten indien slum“ bei google eingeben, da kommts trotz gelöschtem Blog bis jetzt noch: (aus google rauskopiert, wie mensch nen screenshot hier einfügt, weiß ich nicht und wills grade auch nicht wissen:
        Die Sache mit den Zahnbürsten | READ ON MY DEAR, READ ON.
        https://readonmydear.com/2017/05/28/die-sache-mit-den-zahnbuersten/

        28.05.2017 – Zahnbürsten mit Kappen für den Slum … Damals als der S. und ich die kleine Slumklinik in einem sehr großen Slum in Indien gründeten fiels …

  4. Ich fand den ersten Teil persönlichen deines Blogbeitrag sehr schön als Einstieg in das Leben multipler Persönlichkeiten. Und eine direkte Erinnerung an diese unschuldige Zeit, als mann und frau sich einfach so „zum Pennen“ in eine WG einladen konnte. Manchmal verirrten sich die Hände dann genau dorthin, wo sie hin sollten.

  5. An Geschichten und Meer mußte ich schon beim Schreiben des Blogs denken, wegen eines klugen Satzes von ihr:

    Dieses Blog heißt nicht „Wahrheit und Meer“, es heißt „Geschichten und Meer“. Das bedeutet: alles, was hier steht, könnte gelogen sein. Oder auch nicht.

    Ihre Geschichte mit Mlle Read On: Ich kannte sie. Kannte ich sie?

  6. Mlle ReadOn hat geschrieben was die Leute lesen wollten (240 000 Leser*innen).
    Lange schon wusste oder ahnte man zumindest, dass der größere Teil ihrer Geschichten (und Tweets) frei erfunden ist. Wer das nicht gesehen hat, wollte wohl glauben was er/ sie las.

    Auf einem anderen Blatt stehen das „stolen suffering“ und die (mutmaßliche) Urkundenfälschung. Darum werden sich nun wohl die entsprechenden Stellen kümmern.
    Ich finde nicht, dass die Blogger*innengemeinde ihr irgend etwas nachzutragen hat.

    Ich wünsche ihr, dass sie Menschen um sich hat, die ihr beistehen.

    1. Ich finde nicht, dass die Blogger*innengemeinde ihr irgend etwas nachzutragen hat.

      Das sehe ich auch so und bin sehr irritiert, wie viele, die Mlle Read on nur über ihre Texte kennen, das in welchem Maß tun.

      Hinter dem Gefühl des Höchstpersönlich-Betrogenwordenseins vermute ich zum einen Ungelenkigkeit im Virtuellen und zum anderen über die Bande gespielten Antisemitismus.
      Ob wer im www für mich °glaubwürdig° ist, ist meine und nur meine Entscheidung, die kann mir niemand abnehmen.

      1. Interessant und erschreckend (apropos Antisemitismus über Bande) auch, wie ein Person auf Twitter unmittelbar nach der Enthüllung auf Mlle Readons geschützen Account gegen Doerry wetterte und sich empörte, ob dieser (als Jude) das alleinige Rcht auf eine Vita mit Holocaustopfern für sich beanspruche.
        Da fällt mir nichts mehr ein.

        1. Ja. Und eine andere, die – nachdem sie zur Kenntnis nahm, daß Mlle Read Ons jüdische Identität gelogen ist – ihre Texte zu kitschig-rührselig findet. Mit anderen Worten: Juden schreiben rührseligen Kitsch.
          Runen-Denken °_O

    2. Genauer beleuchtet das die Sprachkasse: Der Read-On-Skandal

      Der Betrüger spiegelt oft auch das, was die Betrogenen sich wünschen.
      Ja, gibt es einen »Markt« für den sanften Schauder, wenn auf die Familiengeschichte zurückgeblickt wird. Es gibt auch einen »Markt« für diejenigen, die ohne Schranke an dem teilhaben wollen, was sie für jüdisches Leben halten. Die Projektion wird angenommen und genau das geliefert, was man sich wünscht.
      Vielleicht kann man enttäuschte Erwartungshaltung auch in einem Text von Caroline Fetscher vom Tagesspiegel wahrnehmen. Der Text zur »Read On« Geschichte zeigt recht eindrucksvoll, mit welchen Konstrukten im Kopf die Leserinnen und Leser etwas »jüdisches« lesen. Aus den Zeilen scheint viel Enttäuschung zu sprechen. Statt zu thematisieren, dass es vielleicht um das süße Nektar »Aufmerksamkeit« geht, worum es natürlich immer geht, wenn man einmal davon gekostet hat und Blogger nun einmal Teil einer Aufmerksamkeitsökonomie sind, wird das ganze theoretisiert und künstlich aufgeladen.

      Der Read-On Skandal erzählt viel darüber, wie draußen jüdisches gesehen wird, er erzählt vieles über das Verhältnis von Bloggern die es weit bringen wollen, zu ihren Lesern.
      Er erzählt aber keine Geschichte darüber, wie ausschließlich ein Mensch alleiniger »Täter« war und alle anderen die arglosen Opfer.

    1. “I am slightly jealous of all people who knew what they wanted to do, who knew words belong to them,” she wrote. “I only ever am a greedy thief, full of hunger for words. And, as you and the world at large can see, it didn’t end well.”

  7. Für Don Alphonso habe ich sonst wenig übrig, hier aber hat er nicht nur einen Punkt.

    Was der Spiegel mit Trophäenbild, Skandalisierung, zweisprachigem Artikel und Konzentration auf zwei brisante Punkte – Familiengeschichte und Flüchtlingshilfe – daraus gemacht hat, ist etwas ganz anderes. Knallharte Aufklärung sollte das sein, nachdem der Spiegel das in eigener Sache wegen Relotius selbst machen musste. Es war die Zerstörung der Reputation, eine internationale Vorführung der Person, die zur einer der wichtigsten Bloggerfiguren gemacht wurde, weiter zum Shitstorm im Netz, natürlich auch Diskreditierung der Bloggerszene, gefolgt vom der panischen Aberkennung eines völlig irrelevanten Preises durch die Veranstalter, Panikreaktionen bei der Betroffenen, Versuche, das Uneinfangbare noch einmal einzufangen, und dann das Verstummen gegenüber Bekannten, die bei ihr nachfragtren. Und jetzt ist sie nach Angaben der Irish Times gestorben.

    … Alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, hatten Angst, „sie könnte sich etwas antun“. Alle haben das gefühlt. Der Spiegel hatte die Fakten, aber kein Gefühl.

    1. Naja, der größte Rest ist überwiegend selbstverliebtes Geschwafel, es ist schäbig, sich in einem Nachruf anstatt der Verstorbenen (Selbstmord ist bis jetzt noch nicht bestätigt) selbst zu feiern.

      Da auch der Blog öffentlich ist: „Hinweis: Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder telefonseelsorge.de besuchen.“ (Ist der bei der taz: https://taz.de/Bloggerin-Marie-Sophie-Hingst-gestorben/!5613586/ , der vom Spiegel ist ausführlicher: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/suizid-hilfe-und-selbsthilfe-bei-gedanken-um-tod-auch-anonym-a-919068.html )

        1. „Die Frau, die in einem Beitrag des Spiegels als Fälscherin mit Drang nach öffentlicher Anerkennung dargestellt wird, war mir gegenüber eher schüchtern, eindeutig dezent, sehr wohlerzogen und mit dem rücksichtsvollen Verhalten gesegnet, das einen annehmen lassen kann, ein Besuch wäre sicher eine nette Sache. Nur bräuchte sie halt noch einen freundlichen Stups. Es hat sich zeitlich nicht ergeben, die Einladung jedoch stand für diesen Sommer.“
          Was der SPIEGEL genau schrob, weiß ich nicht (paywall); Don Alphonsos „Drang nach öffentlicher Anerkennung“ ist halt wenig subtil, das bedeutet aber nicht, daß Sophie Hingst den ned auch hatte. So wie mit Ausnahme irgendwelcher Mönche, Nonnen, Eremit*innen… alle Menschen.
          Auch war sie keine „Fälscherin“ sondern wenn dann „Täuscherin und Geschichtendiebin“: https://taz.de/Sexualpaedagogin-ueber-junge-Gefluechtete/!5610443&s=Sexualkunde+Gefl%C3%BCchtete/
          (Wobei bei dem taz-Interview keine Zeiträume genannt werden…)

  8. holy fruit salad – Marie-Sophie Hingst ist tot
    Kiki Thaerigen – Fair Game
    Marlis Prinzig, EJO – Das Opfer
    Peter Weissenburger, taz – Der Mensch hinter der Story
    Annika Schneider, Deutschlandfunk – Die große Verantwortung der Journalisten
    Rainer Stadler, NZZ – Der tragische Fall einer Fälscherin
    Sebastian Eder, FAZ – „Empörung bekommt man heute live mit“
    Caroline Fetscher, Tagesspiegel – Vom prekären Begehren, jüdisch zu sein

      1. Das Wort „Freitod“ finde ich bei Sophie Hingst unangebracht; dem SPIEGEL/Martin Doerry mehr oder weniger direkt (Mit-)Schuld an ihrem Tod zu geben wie viele sich Äußernde, geht zu weit, allerdings ist eine „mutmaßlich psychisch fragile Person“ nicht frei in ihren Entscheidungen.

        Wo ich sowohl bei Carolin Emke als auch Patrick Bahners mitgehe, ist, daß die Medien sich mit der Bebilderung hätten zurückhalten sollen; Sophie Hingst sah schon auf den Bildern zu dem Bloggerpreis aus wie im falschen Film gelandet. Ich finds schon immer blöd (und muß mich damit halt abfinden, daß das andere Leute anders sehen) wie die Tage auf der Geburtstagsfeier in meiner realen Filterblase, wenn da sinnlos photographiert wird; meiner Meinung nach sollte mensch so sparsam Photos von anderen Menschen machen wie zu Zeiten, wo mensch dafür einen Eselkarren für den Transport von der Photoausrüstung gebraucht hat, mal so am Rande

        1. Ich finde „Freitod“ IMMER angebrachter als „Selbstmord“. Und ob eine „mutmaßlich psychisch fragile Person“ grundsätzlich weniger frei in ihren Entscheidungen ist als Leute mit sonnigem Gemüt oder einem wie Schlachterhund, wäre auch diskussionswürdig. Aber nicht hier.

  9. Hab als pdf (nicht verlinkt, weiß ned, wie des mit Urheberrecht aussieht, findet mensch aber ganz schnell) „Jean Améry – Hand an sich legen; Diskurs über den Freitod“ über die Woche gelesen. Mensch muß sich ned auf das Buch beziehen, wenn sie*er einen Nachruf schreibt und das moralisch wertfreie „Suizid“ (im Sinne von Selbsttötung) vermeiden will. Was ich allerdings dann mit Carolin Emke besprechen müsste…

  10. Achim Spengler – Marie Sophie Hingst – Ein Nachruf

    Vom Vorschuß meiner Bewunderung, gar der Verliebtheit in den Ton und Duktus ihrer Sprache, die manchmal an Formen religiöser Erbauungstexte und kleiner Predigten erinnerten, von diesem Vorschuss sollte über das Ende hinaus etwas überdauern dürfen. Ich schuldete dem Fräulein Read On, diesem erzählenden Faszinosum, viel. Ich schulde ihr immer noch. Immer noch so viel. Und ich frage mich, warum das so ist und warum ich ihr verzeihe. Die einzige Antwort, die ich dafür habe, ist: Sie hat mich berührt. Etwas Humanes, Sorgendes, Sensibles hat mich angefasst. Etwas Aufrichtiges schien durch das Dickicht der Lügen. Die leise Melancholie ihrer Sätze hat mich ins Herz getroffen.

    „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“
    [aus: Max Frisch: Mein Name sei Gantenbein]

  11. und da ärgert es mich so manches mal, ein dummes ehrliches schaf zu sein. wer meine blogidentität kennt und mich eines tages trifft, sagt sehr oft: genau SO hab ich mir dich immer vorgestellt.
    keine chance auf geheimnisvolle dramaqueen. offenbar einfach zu nett, zu direkt, zu platt.
    aber vielleicht auch ganz ok so.

  12. Ich hoffe es geht Ihnen gut und ich hoffe Sie schreiben irgendwann einmal wieder.
    Ich bin vor unzähligen Jahren bei Zon Ihren menschenfreundlichen und klugen Kommentaren gefolgt, später beim Freitag und dann hier, und Sie fehlen mir – als kluge Stimme im alltäglichen Chaos die ich immer sehr gerne gelesen habe.

    1. Herzlich willkommen Laura! Und vielen Dank für das überaus freundliche Feedback.

      Keine Ahnung, ob ich irgendwann wieder blogge. Weil ich mich nur noch wiederhole, es ist alles gesagt. Zum Schreiben über Tagespolitik fehlt mir die Lust und ich mißtraue meiner Aufregerei.

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