Das Bauhaus trat 1919 an, um den werktätigen Massen einen kostengünstigen Zugang zu guter Gestaltung zu ermöglichen, Bauhausarchitektur und Gegenstände der Inneneinrichtung sollten ausdrücklich bezahlbar sein. Man glaubte an Gestaltung als moralische Anstalt, an eine Schule des Sehens, an Besserung des Menschen durch die ihn umgebenden Dinge. Auch aus diesem Grund setzte das Bauhaus den Schwerpunkt von Gestaltung und Fertigung auf serielle, auf industrielle Produktion. Anders als arts and crafts im großen britischen Königreich, wo es weit eher um die Autoren und um Unikate ging.
Beides wirkt bis heute nach. In England werden gute Kunsthandwerker eher universitär ausgebildet und mit allen zur Verfügung stehenden Techniken beballert, um möglichst früh zu einer unverwechselbaren Handschrift zu kommen und sich das dafür nötige Handwerk erst später draufzuschaffen. Englische Kunsthandwerker gelten sehr viel eher als Künstler und als Intellektuelle, sie verfügen über vielfältige Infrastrukturen von Präsentation und Verkauf und englische Zeitungen und Magazine sind sich nicht zu fein, um über sie und ihre Arbeit zu berichten.
In (West-)Deutschland herrscht der Fluch der Volkshochschulen. Weil man sich mal 6 Wochen den Hintern beim Töpfern plattgesessen hat und weil Kinder bereits in der Grundschule zum Muttertag dementsprechend formschöne Aschenbecher fertigen, glauben erstaunlich viele Leute, eine jahrtausendealte Hochkultur wie (Beispiel) Keramik sei keines Respektes und schon gar keiner angemessenen Bezahlung wert. Obwohl die tradierten Handwerke weitgehend aus der Handwerksrolle gestrichen wurden, sind in Deutschland 3jährige Lehre, 5 Gesellenjahre, ein Meisterbrief und anschließend noch ein Gestaltungsstudium eher die Regel als die Ausnahme in der Vita guter Kunsthandwerker. Erst wird traditionell das Handwerk erlernt, gute Gestaltung gilt als nachgeordnet. Museen für Kunsthandwerk gibt es nur wenige, Galerien immer weniger und keine große Zeitung und nur wenige Magazine halten es für nötig, fachkundig über angewandte Kunst zu berichten.
Anders verhält es sich mit Design und Architektur. Zwar entspringt jede fehlkonstruktierte optische Umweltverschmutzung in unserer Überflußwarenwelt, jede raumgreifende historisierende Bausünde dem Hirn eines Designers oder Architekten, aber die Ehrfurcht vor akademischer Ausbildung sitzt tief und Millionen Fliegen irren bekanntlich nicht, während gerade bei austauschbarer Massenware die Individualität stets betont wird.
Bauhausmöbel und -lampen gibt es seit den 1970er Jahren als Replikate zu absurden Preisen zu kaufen und wer Geld hat, sich aber keinen eigenen Geschmack traut, in dessen Wohnräumen steht garantiert irgendwo die (Beispiel) Wagenfeldleuchte herum (die btw. traurig fehlkonstruiert ist – gedacht war sie als Schreibtischbeleuchtung, die aber das Licht nicht richtet und also entweder hell genug ist, dann aber blendet oder eben vor sich hin funzelt). Erwähnt man das Bauhaus als Gestaltungsbezug und macht dabei deutlich, daß man nicht die gleichnamige Baumarktkette meint, hallt ungeachtet dessen ehrfurchtsvolles Ah und Oh von egal wo bis nach Dessau.
Die Nazis hatten bekanntlich andere Ideen der moralischen Anstalt und Besserung des Menschen, weswegen die Bauhausgestalter entweder ins Exil gingen oder im KZ endeten (nicht unbedingt als Auschwitzarchitekt).
(Nachtrag: Der vortreffliche Pantoufle hat sich ebenfalls aufgeregt: Kurz und dreckig 63, u.a. mit einer Auflistung, was mit welchem Gestalter nach der „Selbstauflösung“ des Bauhauses in Berlin 1933 passierte)
Das Bauhaus Dessau sei ein „Ort für alle Menschen unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Nationalität. Politische extreme Positionen, ob von rechts, links oder andere finden am Bauhaus Dessau keine Plattform, da diese die demokratische Gesellschaft – auf der auch das historische Bauhaus beruht – spalten und damit gefährden“
Das ließ die Stiftung Bauhaus Dessau Mitte der Woche verlauten und ludt mit dieser Begründung die Band Feine Sahne Fischfilet wieder aus, deren Konzert am 6. November im Rahmen der (seit 2011 mit mehr als 100 Konzerten bestehenden) Reihe ZDF@bauhaus bereits ausverkauft ist. Es gibt keine einzige andere Band, die sich so ausdrücklich und so erfolgreich für Antifaschismus engagiert. Danke dafür.
Mies van der Rohes Versuch einer betont unpolitischen Ausrichtung verhinderte die Schließung des Bauhauses durch den Dessauer Gemeinderat schon 1932 nicht. Verhindern konnte auch niemand, dass in Fortsetzung dieser NSDAP-Geschichte 2017 etwa 120 Neonazis gegen das Bauhaus demonstrierten.
Jetzt hatte die Neue Rechte einen Anlass, einen Shitstorm gegen Feine Sahne Fischfilet und das Bauhaus zu entfachen und Störungen anzudrohen. Unter anderem hatte die rechtsextreme Seite „Patriotisches Köthen“ dazu aufgerufen. Druck kam jedoch nicht nur von Nazis.
In schöner Eintracht forderten auch CDU-Landesgeneralsekretär Sven Schulze und der Dessauer AfD-Bundestagsabgeordnete Andreas Mrosek eine Absage des Konzerts. „Es ist ein Skandal, dass ein von Zwangsabgaben finanzierter und zur Ausgewogenheit verpflichteter öffentlich-rechtlicher Sender einer linksextremistischen Band ein solches Forum bietet“, wird Mrosek zitiert.
Davor, vor möglichen Aufzügen vor und vor einer Hakenkreuzschmiererei am Haus kapitulierte nun Stiftungsdirektorin Claudia Perren offenbar. Es muss Spekulation bleiben, ob ihr renitenterer Vorgänger Philipp Oswalt, der 2014 nicht ganz freiwillig abgelöst wurde, auch so entschieden hätte.
Sachsen-Anhalts auch für Kultur zuständiger Staatskanzleichef und Vorsitzender des Bauhaus-Stiftungsrates Rainer Robra (CDU) versteckte sich wiederum hinter der Entscheidung der Direktorin. Aber auch er sprach im MDR von einer „linksextremen Band“ und äußerte Sicherheitsbedenken.
Von den Nazis von AfD und „Patriotisches Köthen“ ist nicht mit Engagement für Kultur gleich welcher Art zu rechnen.
Aber wie kommen CDU-Mitglieder und die Stiftung Bauhaus Dessau (inzwischen auch das Theater Dessau) auf den schmalen Ast, Kunst hätte unpolitisch zu sein und Antifaschismus sei linksextrem? Antifaschismus ist die Basis unseres Grundgesetzes und Kunst ohne Anliegen überflüssig!
Ob an die jeweiligen Köpfe fliegende Hufeisen noch helfen könnten? Zur Notwehr gegen Spaltung und Gefahr und für die demokratische Gesellschaft?
Bild: Bauhaussignet, Entwurf: Oskar Schlemmer (1922) Wikimedia Commons gemeinfrei
kommentiert Holger Dambeck bei SPON
Zu erwähnen ist noch, daß gestalterisch-künstlerische Ausbildung in der DDR gleichzeitig dem Bauhaus und der Ausbildung in GB wesentlich näher war als im Westen. Freie und angewandte Künstler absolvierten das gleiche Grundstudium, die Studiengänge angewandter Kunst waren auf wesentlich höherem Niveau als im Westen und die Kunsthandwerker verdienten richtig Geld. Wurde nach der Wende weitgehend abgewickelt, übrig ist nur noch (abgespeckt) die Burg Giebichenstein in Halle und Weissensee/Berlin, kein Vergleich zu vor der Wende.
Danke für den Artikel. Ich habe gerade etwas Ähnliches geschrieben, naturgemäß weniger fundiert. Kommt morgen.
Unbedingt ganz lesen (ich gestern schon und heute gesucht wie blöd): Jens Balzer bei Zeit Online Die Perversion von Politik und Kunst
Sorry – aber jetzt muss ich hier auch noch herumsenfen;-)
„Korrekt ist, dass die Band zwischen 2011 und 2014 viermal im Verfassungsschutzbericht auftauchte, wegen vermeintlich staats- und polizeifeindlicher Passagen im Lied Staatsgewalt aus dem Jahr 2009.“
Wenn da alles und jeder, der mal mit diesem Verein zu tun hatte, verboten oder ausgeladen würde – ooh-ooh…
…was vom VS selbst zu halten ist, kann über die Pleiten-, Pech- und Pannenserien im rechten Spektrum über den NSU bis zur jüngsten Vergangenheit mit den provozierenden Worthülsen eines Herrn Maaßen nach den Übergriffen in Chemnitz betrachtet werden. Das alles zeigt quer durch die Zeiten, wes Geistes Kind die meisten der dort Beschäftigten waren, sind und auch in Zukunft sein werden. Dort kann sich der Herr Don Alphonso mal elitäre und totalitäre Strukturen abfassen – aber vom Feinsten;-)
Für diesen Laden ist Tatsache, dass der gesellschaftliche Schaden exponentiell niedriger ist, wenn es ihn nicht gäbe. Irgendwie gilt das sowieso für jeden Geheimdienst.
Zu DA, Bauhaus, Sozialismus und Punk habe ich bereits beim hier verlinkten Artikel etwas verbrochen und tippe das daher nicht nochmal.
PS. Auch von mir ein Dankeschön, Sie wieder mal zu lesen…
Feine Sahne Fischfilet bei Facebook (ich knips das mal):


Britt Schlehahn, Aiko Kempen, kreuzer: Geschichtsvergessen
so die Frankfurter Rundschau
Schön wieder von Ihnen zu lesen. Ich habe Sie ehrlich vermisst.
PS: Schöner Text u. wie immer tolle Links.
An Sie habe ich in den letzten 3 Wochen oft gedacht und bin froh, daß Sie heil und ganz sind, Grüße!
kommentiert Gerrit Bartels im Tagesspiegel
Geht doch!
(via Twitter)
Der einzige Schönheitsfehler an der Zurücknahme der Absage ist, daß FSF laut eigener Aussage nie im Dessauer Theater angefragt hat, s.u. Facebook-Screenshot.
Rabea Weihser und Johannes Schneider, Zeit Online in einem lesenswerten Interview mit Claudia Perren, Direktorin des Bauhaus Dessau, mit so schönen Fragen wie:
Ich sag’s nicht gern, aber Don Alphonso (Springer) hat zu den Bauhaus-Protagonisten den einen oder anderen Fleißige-Recherche-Punkt. Ungeachtet dessen steigt er schräg ein, zieht traurig dümmliche Schlüsse und Ton und Tenor sind sowieso erwartbar und öde: Druck auf das Bauhaus. Stalin, Ulbricht und dem NKWD gefällt das
Sie haben recht, sein Tenor ist erwartend öde („Elfenbeinturm“, „Brigade…“ und natürlich der „NKDW“ und selbstreden „Stalin“, der geht immer).
Bezeichnend ist aber für ihn, dass die DDR das „zweitschlimmste Regime“ auf „deutschen Boden“ war.
Ich brauche dafür noch nicht mal in die Abgründe der dt. Geschichte hinab zu steigen um spontan an die vordemokratische Zeit des Wilhelmismus zu denken (im Gegensatz hat die DDR nie einen Angriffskrieg gestartet).
Es ist genau dieses Geschichtsbild welches die „Neue Rechte“ anschlussfähig zum bürgerl. Konservativismus macht (oder auch umgekehrt).
Tut mir leid, es sind genau diese „dümmlichen Schlüsse“ und erwartbaren Analysen von DA, die es mir unmöglich machen eine Kolumne von ihm bis zum Schluss zu lesen.
Hat irgendwer noch nichts zu Bauhaus/FSF gesagt?
Lars Weisbrod, Feuilleton-Redakteur bei Zeit Online, wird inhaltlich: Mehr Präsentkörbe, bitte!
Guter Artikel.
FSF am 25.10. bei Facebook (in 3 Screenshots):



Bei der Stiftung Bauhaus Dessau wird’s und wird’s nicht besser.
klick
Wußten Sie, daß das Antifa-Logo dem Bauhaus entstammt (nämlich von Max Gebhard, unter Regie von Max Keilson, 1932)?
Ich auch nicht, bitte hier entlang.
Dazu passend: 100 Jahre Bauhaus: Weben am Mythos
Das 100-Jahr-Jubiläum setzt „das Bauhaus“ mit einer deutschen Moderne in eins. Das hilft dem Mythos, aber nicht der Ideengeschichte der Schule. Denn die legendäre Kunst- und Designschule war heterogener und widersprüchlicher als vielen lieb ist.
https://geschichtedergegenwart.ch/100-jahre-bauhaus-weben-am-mythos/
Willkommen Nichtauchdasnoch!