Freimachen

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burkini2 Fotos: Screenshots bei Daily Mail

Die Frau, eine ehemalige Stewardess aus Toulouse, saß mit ihrer Familie am Strand in Cannes, sie trug Leggings, Kopftuch und einen dazu passenden Überwurf, um sich vor der Nachmittagssonne zu schützen. Sie hatte nicht vor, schwimmen zu gehen. Die Familie lebt in mindestens 3. Generation in Frankreich.

Der Bußgeldbescheid (38 Euro) sagt aus, sie hätte Kleidung getragen, die „die guten Sitten und die Säkularität nicht respektiert„. Wegen der nach den islamistischen Anschlägen angespannten Stimmung in Frankreich könne dies „Störungen der öffentlichen Ordnung“ auslösen.

Eine Zeugin der Szene (Journalistin, France 4 TV): „Ich sah 3 Polizisten, die den Strand beobachteten. Einer von ihnen hatte den Finger am Auslöser seines Gaskanisters, der zweifellos Pfefferspray enthielt“ … „Das Traurigste war, daß Leute „Geh nach Hause!“ riefen und der Polizei applaudierten. Ihre Tochter weinte.

Denn: zum Frauenfreimachen benötigt man bewaffnete Polizisten und ein rassistisches Publikum.


Falls eine jetzt gern Burkini tragen möchte: große Auswahl, très chic.


21 Kommentare zu „Freimachen

  1. Mely Kiyak: Die Arroganz der Beleidigten

    Wie das wohl beim Gegenüber ankommt? Burka verbieten. Kopftuch verbieten. Burkini verbieten. Moscheen verbieten. Minarette verbieten. Handschlagverweigern verbieten. Doppelpass verbieten. Beschneidung verbieten. Erdoğan-Anhimmeln verbieten. Fusselbarttragen verbieten. Auf-Arabisch-Beten verbieten. Auf-Türkisch-Beten verbieten. Auf der Straße, auf dem Schulhof und auf der Beschilderung von Läden türkische und arabische Sprache verbieten. Schweinefleischverbot verbieten. Nennen wir das Ganze der Einfachheit halber und zusammengefasst so: Burkaverbot

    In den vergangenen Jahrzehnten ist der Ausländer stets auf der Grundlage von Verboten verhandelt worden. Dabei war der Ausländer genau genommen nie ein Ausländer. Er wurde bloß als Fremder wahrgenommen. Und darum geht es in dem ganzen Dilemma. Immer kommt irgendwer und nimmt etwas wahr, das ihn stört. Liest man Interviews, Kommentare, Meinungen und Kolumnen, ist das dominierende Argument immer die eigene Wahrnehmung. Nach 30 Jahren noch kein Wort Deutsch gelernt? Wohl nicht gewollt. Immer noch keinen deutschen Pass? Wohl deutschenfeindlich. Predigt auf Türkisch? Steckt wohl ein Aufruf zum Dschihad dahinter?

    Auf diese Weise hat man hat viel gelernt über die Leute. Nicht den Ausländer. Aber über die Deutschen. Der Kopftuchdiskurs – von einem Gespräch kann wahrlich nicht die Rede sein – ist eine Debatte, in der es keine Sekunde lang um die Muslime geht. Er erzählt immer nur davon, was der Nichtmuslim denkt, fühlt, vermutet und wovon er sich bedroht oder beleidigt sieht.

    Das Kopftuchverbot wird oft wie ein Angebot zur Befreiung behandelt. Was aber will die Trägerin? Man weiß es nicht. Will sie befreit werden? Will sie eine Gruppe von Fürsprechern haben, die immer abfällig über ihre vermeintliche Kultur redet, die ihre Väter und Brüder degradiert? Und muss der Kampf um Freiheit nicht immer angeführt werden von denjenigen, um die es geht? Emanzipation ist ein Vorgang des Sich-selbst-Befreiens. Und des Suchens nach Verbündeten. Diese Emanzipation geschieht ja übrigens auch. Im Iran, in der Türkei, ja sogar in Saudi-Arabien. Der Feminismus ist keine Erfindung der Deutschen. Der Widerstand der Frauen gegenüber tradierten Formen von Familie, Sexualität, Erziehung und Partnerschaft findet selbstverständlich auch innerhalb der Migrantencommunitys statt. Immer schon.

    Das Ringen um die Anerkennen eigener Bedürfnisse geschieht allerdings an zwei Fronten. Einerseits in den Familien, mit denen man neue Regeln bezüglich der Abnabelung von Traditionen verhandelt. Und gleichzeitig in Distanzierung zur sogenannten Mehrheitsgesellschaft. Es ist ein Suchen nach dem, was man selbst will, und nicht was einem die Medienöffentlichkeit weismachen will, wonach es als unterdrückte, vom Patriarchat geknebelte Frau zu streben gelte.

    Doch völlig abgesehen von allem: Man muss lieben, was man befreien will. Und jeder, der mit einem Kopftuchverbot gemeint ist, spürt, dass er nicht respektiert wird. Der deutsche öffentliche Diskurs ist geprägt von Arroganz und Verachtung. Und von Beleidigtsein. Sagt die Kopftuchträgerin: „Danke, nein, von Ihnen will ich nicht befreit werden“, reagiert der Befreier beleidigt und aggressiv und mit Verboten. Denn er ist mit seinem Latein am Ende.

    Ganz lesen, Supertext!

  2. Elsa Koester, nd: Beim Burkastreit geht es nicht um Frauen

    Frauen sehen aus. Männer sprechen an. Ihre Haare, ihre Augen, ihre Brüste, ihren Po: Jederzeit erfassen männliche Blicke auf der Straße, mit was für einer Frau sie es hier zu tun haben. Prüfen. Einschätzen. Kommentieren. Die Straße: der Heiratsmarkt und stetige Körper-TÜV des Westens. Ein Fleischmarkt, um in den Worten der britischen Feministin Laurie Penny zu sprechen, bei dem es darum geht, sich als möglichst fickbar darzustellen.

    Eine burkatragende Frau ist damit der Inbegriff der Ablehnung des westlichen Geschlechtsmodells. Eine Totalverweigerung. Sie lässt keine prüfenden Blicke zu, gewährt keine Transparenz, keine Kontrolle der neoliberalen Körperperfektionierung. Und noch schlimmer: Sie nimmt dem westlichen Genderregime, den westlichen Männern die Kontrolle über das weibliche Gebaren – und hält es fest in der Hand muslimischer Männer. Die Burka ist ein Symbol im Kampf um die kulturelle Deutungshoheit über das Heiligste im Patriarchat: die Frau.

    Was selbige denkt, will und vorhat, spielt in der Diskussion um Burka und Burkini so gut wie keine Rolle. Um das einmal klarzustellen – nicht, dass das ernsthaft umstritten wäre: Natürlich ist die Burka ein brutaler Ausdruck von Geschlechterungleichheit. Allerdings einer unter vielen. Es stellt sich zum einen die Frage, ob bei der extrem niedrigen Anzahl burkatragender Frauen in Europa die Diskussion um Gesichtsverschleierung tatsächlich die dringlichste in Sachen Sexismus ist. Mir würden da ganz andere einfallen: die Verhinderung von Vergewaltigungen auf dem anstehenden Oktoberfest zum Beispiel. Wenn den Pegida-Männern der Schutz von Frauen so wichtig ist, wieso zerbrechen sie sich jetzt nicht den Kopf, wie die alljährlichen sexuellen Übergriffe auf dem Bierfest endlich beendet werden könnten?

    Zum anderen führt die Burkadiskussion wohl kaum dazu, dass weniger Frauen Burka tragen müssen. Denn dass der Westen von der Verschleierung nichts hält, ist für Muslime nun wirklich nichts Neues. Die Diskussion um Burka, Niqab und Hijab müssen muslimische Frauen schon selber führen – und das tun sie längst.

    Und drittens scheint mir die unausgesprochene Erwartung nicht etwa zu sein, dass Frauen keine Burka tragen müssen, sondern folgende: Frauen sollen keine Burka tragen dürfen. Denn auch für die muslimische Frau soll gefälligst das westliche Unterwerfungsprinzip gelten. Sie soll sich als Objekt zeigen. Und über den westlichen Sexismus – der Kampf um Ausschnitte, Bäuche, Brüste und Ärsche, um Bein- und Schambehaarung, um Dominanz und Löhne, sexuelle Übergriffe und Diskriminierung –, über den haben selbst die Herren von AfD oder Pegida jahrelang mitzuentscheiden. Der geht also klar.

    Im kulturellen Diskurs um die Burka spielen viele Aspekte eine Rolle: eine diffuse Angst vor einer kulturellen Überfremdung durch den Islam, auf die ein Burka-Verbot eine praktische, überblickbare Reaktion zu sein scheint. Eine Ohnmacht gegenüber den Amokläufen und Attentaten und der Wunsch, Handlungsmacht zu erlangen. Dass im Ergebnis auf die Regulierung der Frauenrolle gezielt wird, ist jedoch kein Zufall. Eine zentrale Rolle spielen dabei patriarchale Strukturen und Dominanzgebaren auch der westlich sozialisierten Männer. Um die burkatragenden Frauen und ihre Perspektive geht es dabei am wenigsten. Es geht darum, wer hier über die Frauen bestimmt: das westlich-patriarchale Kulturmodell oder das muslimisch-patriarchale. Ein Revierkampf.

  3. Editorial, Guardian: ugly politics on the beach

    So this is what liberation looks like: four armed officers ordering a woman to undress in public. France’s prime minister, Manuel Valls, has backed the mayors ordering “burkini bans” on their beaches by arguing, among other things, that the garment is part of the enslavement of women. The photos from Nice, in which a Muslim woman removes her tunic under duress, show that claim of upholding women’s rights to be as erroneous as the others advanced in support of the measures – variously, that covering up for religious reasons while at the seaside or while swimming is unhygienic, or a “provocation”, or contrary to French values. The images are preposterous as well as ugly, highlighting the profound mismatch between stated ideals and their consequence; and an imagined threat to the national community and the means used to subdue it, with multiple gun-toting policemen required to confront one sunbathing woman. Which French values are being defended is unclear. Not liberation; nor equality; nor fraternity – since women who wish to wear the burkini (or, it seems, the hijab and loose-fitting clothes) are confronted with a choice between dressing as they feel fit or removing themselves from a public space.

    Though the political backdrop is complex, the issue remains simple. Women’s right to dress as they feel comfortable and fitting should be defended against those coercing them into either covering or uncovering. Their bodies are their business.

  4. Mashable: French official threatens to sue social media users who share burkini ban photos

    An official in Nice, France, is threatening to sue social media users who share photos and videos of police enforcing a new burkini ban, claiming the photos led to defamation and threats against the officers.

    Hmnuja, vielleicht sollten französische Polizisten mit Haßkappen ausgerüstet werden, wenn sie Frauen am Strand bedrohen und zur Entkleidung nötigen.

  5. Allison Kaplan-Sommer, Haaretz: The Burkini Ban Is a Gift to ISIS. Images Like These Prove It

    The enforcement of this law is not just insensitive and immoral, it feeds the hate that drives some into the open arms of ISIS recruiters.

    Imagine for a moment, that an ISIS European recruitment committee was meeting this week. Times, as we know, are getting tough for them. As they lose traction on the ground in Syria in recent months, the group no longer looks like it is on an invincible march to expand its hold in the Middle East, let alone conquer the world.

    What, they might wonder, might be the best strategy to really fire up the grassroots, and keep motivating young men not only to join ISIS, but to turn ideology into action and go out and commit terror attacks.

    Surely, the brainstorming session at this imaginary meeting surely couldn’t come up with a better way to whip up fury than widely circulating photographs of armed policemen on a beach in southern France forcing Muslim women to publicly strip off their modest bathing gear and headscarves, exposing their bare shoulders and heads to those around them, violating their religious commitment to modesty. After all, what could be a better way for their cause to send the message that European governments – in this case, France – are, indeed, the heartless and merciless enemies of Islam and that devoted Muslims must fight back with all their might?

    Let’s leave aside the politically correct arguments against the burkini ban: the feminist position that women should be able to put on or take off, the culturally sensitive stand that it represents militant secular intolerance, and turns a legitimate fear of terrorism into a message of xenophobia and hatred.

    On an utterly practical level, the burkini laws are a terrible idea because not only do they fail to fight terrorism in any way, they actively encourage it. The boomerang effect of open harassment and oppression of observant Muslim women will surely not end well, creating more fury and anger in Europe’s Muslim population, both immigrants and native-born. It is wrong-headed enforcement of a wrong-headed law that essentially hands ammunition to the very forces the French government claims to be trying to fight.

    One would assume that Jews, who have historically been the victims of humiliation for expressing their faith through their appearance, would take the side of those suffering from oppressive behavior at the hands of the French authorities. After all, a huge leap doesn’t need to be taken between scenes of German officers in the 1930’s cutting off the beards and side curls of Jews in the streets of Berlin and French authorities undressing a Muslim woman on the beaches of Nice in 2016.

    Unfortunately, at least one prominent French rabbi has shamefully chosen the wrong side of history and has publicly supported the burkini ban saying that the bathing suits are “not innocent.” Rabbi Moshe Sebbag has stood behind the French mayors who banned the burkini, saying that they “understood this is not about women’s liberty to dress modestly, but a statement as to who will rule here tomorrow” and that “there’s a religious war, a takeover of the secular establishment of the French republic, and this is what they find unacceptable.”

    Such a stance isn’t just insensitive and immoral, it is utterly misguided. Even those who firmly believe that a religious war for Islamic supremacy in Europe is raging and feel terror needs be fought by any means necessary must recognize that shaming tactics like a burkini ban will ultimately do far more harm than good. They are doomed not only to fail, but to backfire.

  6. Wie ist das eigentlich, mit einem Burkini zu baden? Selbstversuch am Timmendorfer Strand von Viktoria Morasch

    Ich habe meinen Burkini in Neukölln gekauft, am Hermannplatz. In einem Sanitätshaus. Die Verkäuferin berlinerte bei der Beratung: „Top UV-Schutz“, sagte sie. „Von den Kundinnen hab ick nur Jutet jehört.“ Die Burkinis gingen gut weg. Trotz des Preises. Einer kostet um die hundert Euro.

    Eine Gruppe von Frauen geht neben mir ins Wasser. Sie sind alle um die fünfzig, tragen Bikinis, schauen mich an. Die eine sagt: „Diese Burkas, ich weiß auch nicht.“ Die andere: „Kann sie ja machen. Sie hat ja ein hübsches Gesicht.“ Ich freue mich, mal was gehört zu haben. Vielleicht freue ich mich auch über das komische Kompliment. Auch wenn ich es nicht verstehe. Die Ostsee liegt grau und ruhig vor mir. Das Coole an meinem Burkini: Zum Pommeskaufengehen bin ich schon angezogen.

    „Die große Portion.“ Wenn ich spreche, verändert sich der Blick der Menschen. Aha, akzentfrei. Fritten kosten zwei fünfzig. Eine ältere Frau kommt halb gebückt auf mich zu, sie scheint sich über irgendwas zu freuen. „Machen Sie Tauchen?“, fragt sie mich. „Nein, das ist ein Burkini“, sage ich. „Wie heißt das?“ – „Burkini.“ – „Ja, das kennen wir hier nicht. Aber finde ich gut. Sieht super aus.“ Die alte Frau streichelt mir aufmunternd mit ihrem Regenschirm über den Unterarm. „Weiter so!“, sagt sie noch.

    Schnell ins Wasser, Achtung Produkttest: Mein Burkini ist high quality, das merkt man sofort. Er kommt aus Australien und ist von der Marke der Erfinderin des Burkinis. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis der Stoff nass wird. Ich gehe ins Wasser und merke nicht, wie kalt es überhaupt ist. Verdammt, das Ding ist genial.

    Jetzt geht mir das Wasser schon bis zur Hüfte, ich sehe das, aber ich spüre es nicht. Dann lasse ich mich nach vorne fallen und gleite auf ein Kissen aus warmer Luft. Ganz langsam sickert das Wasser durch, berührt mich. Alles ist verzögert, was für ein Trip. Auch beim Rausgehen friere ich nicht. Ich trockne den Stoff ab anstatt mich.

    Aus dem Nichts kommt eine Gruppe sturzbetrunkener Polen vorbei. Ein paar Meter neben mir legt sich einer kurz in den Sand. Dann streckt er mir seine Hand entgegen, ich schüttele den Kopf, ein anderer macht ein Foto von seinem Freund und der Burkini-Frau. Der Typ, der meine Hand wollte, sagt „Kurwa“ und geht weiter. Kurwa heißt Schlampe.

  7. Bénédicte Jeannerod, Human Rights Watch:

    The Council of State, France’s highest administrative court, is considering an appeal against the bans by the French Human Rights League. Previous efforts to challenge the bans in court have so far failed. In Nice, the administrative court rejected the appeals brought before it by the French Human Rights League and the Collective against Islamophobia in France, and instead confirmed a previous decision taken on August 13. The judges ruled that banning the burkini is “necessary, appropriate and proportionate to the aim pursued in terms of the protection of public order and security” in the context of terrorist threats.

    Instead of encouraging all French people to live together peacefully and promoting equality and fundamental freedoms, which is the responsibility of the public authorities, the burkini ban and the revival of the endless controversy on religious symbols linked to Islam merely stigmatize practicing Muslim women, exclude them from public spaces – and sharing those spaces with their families and friends – and deprive them of their rights to autonomy, to leisure activities, to wear what they chose and of course to practice their faith.

    Not to mention the ridiculous argument about hygiene: how can one seriously think that burkinis are less hygienic than wet suits, or long-sleeve T-shirts worn by kids to protect them from the sun?

    But the burkini bans are more than just unfair and discriminatory, they are also dangerous. Because linking a bathing suit to terrorist threats, without any facts to justify such a statement, endorses false and harmful narratives about Muslim communities and risks increasing tensions between communities, while hardening the feeling of injustice felt by some Muslims in France.

    When the Nice administriatve court argues that police cannot “in the context of the state of emergency (…) protect the expression of religious belief” – particularly, it seems, when it relates to the Muslim community – the burkini ban is also a concrete example of the very real dangers an extended state of emergency poses to basic rights and equality: a risk of which Human Rights Watch has repeatedly warned.

    As it’s dominated the French political and media landscape for the past few weeks, the burkini ban has gone from a laughing-stock to a source of deep shame. During a time of national emergency, surely French police have better things to do than humiliate women on the country’s beaches.

  8. Ein Sommerloch ist ein Objekt, dessen Gravitation so extrem stark ist, dass aus diesem Raumbereich kein vernünftiger Gedanke nach außen gelangen kann. Anzutreffen bei Politikern, Journalisten, Flics, maskulinen Frauenbefreiern usf.

    1. Sommerlöcher werden normalerweise gefüllt mit Alligatoren in Kiesgruben, nicht mit absichtsvoller sexistischer und rassistischer Bösartigkeit zum Zwecke des Stimmenfanges am bräunlich-übelriechenden Rand.

      Davon mal abgesehen: wenn diesen Sommer irgendetwas auszeichnet, dann die Abwesenheit jedes Sommerloches.

  9. Hatice Kahraman, bento:

    Der Burkini ist ein langer Badeanzug. Mehr nicht. Ein Burkini ist kein religiöses Symbol und auch keine aufgezwungene Kleiderordnung. Das Prinzip des Burkinis ist nämlich ganz einfach: Frau zieht es an und verbringt einen schönen Tag am Strand oder im Schwimmbad. (Was sie ohne Burkini wahrscheinlich nicht getan hätte.)

    Deswegen ist die Diskussion für mich vor allem eins: unnötig. Es geht dabei nicht um die Frau. Es geht nicht um ihr Recht auf Selbstbestimmung oder um demokratische Werte. Es geht um die westliche Gesellschaft, die sich langsam verändert.
    Denn wenn wir ehrlich sind, wurden muslimische Frauen mit Kopftuch bis jetzt nur geduldet. Solange sie als Putzfrauen gearbeitet haben oder zu Hause blieben, war alles in Ordnung.

    Über die muslimische Frau, über ihr Kopftuch, Niqab oder Burkini diskutieren wir erst, seitdem sie studiert, in Ämtern und Universitäten arbeitet und wie jede andere Frau ihr Leben genießt. Um es kurz auszudrücken: Seitdem sich die muslimische Frau integriert hat.

    Wäre da nicht ein Stück Stoff auf dem Kopf, das jede Diskussion bestimmt.

    Denn das Kopftuch passt nicht in das Bild des Westens. Die Strände, in denen sonst nur Bikinis, Badeanzüge und Shorts zu sehen waren, verändern sich. Vereinzelt sitzt da zwischen eine Frau mit einem langen Badeanzug. Das passt für einige Menschen nicht ins Weltbild. Deswegen wird es verboten.

    Was keiner dabei bedenkt: Muslimische Frauen sind keine Außerirdischen. Sie sind keine Sklavinnen muslimischer Männer, sie symbolisieren auch nicht die Unterdrückung. Keiner muss sie befreien – und ihr dabei neue Verbote aufdrücken, die ihr alltägliches Leben einschränken.

    Muslimische Frauen sind normale Frauen mit eigener Persönlichkeit. Sie haben Hobbys, Berufe, Träume und Wünsche. Aber um das zu verstehen, muss man sie zu Wort kommen lassen, sich mit ihr auseinandersetzen. Vor allem: Sie müssen am alltäglichen Leben teilhaben. Auch im langen Badeanzug am Strand.

  10. Jetzt wird man in Frankreich feinsinnig, dw:

    Doch was genau ist an diesem Dienstag um circa elf Uhr morgens am Strand von Nizza passiert? Haben die Polizisten die Frau wirklich dazu gezwungen, ihr Oberteil auszuziehen? Nein, sagt zumindest die Stadtverwaltung. „Die Frau wollte zeigen, dass sie einen Badeanzug trägt – aber keiner hat sie dazu gezwungen, ihr Oberteil auszuziehen“, sagt Erwann Le Hô, Sprecher der Stadt Nizza der Deutschen Welle. „Die Polizisten haben ihr gesagt, dass sie nur ohne die Tunika am Strand bleiben darf. Aber sie hat sie wieder angezogen. Also musste sie eine Strafe von 38 Euro zahlen. Kurze Zeit später hat sie den Strand verlassen – friedlich.“

    Ein Sprecher der Polizei stimmt dem zu. „Bei einem einfachen Erlass dürfen wir Menschen gar nicht zu irgendetwas zwingen – außer, um die Identität von jemandem zu kontrollieren. Sie hat das Oberteil aus freien Stücken ausgezogen“, sagt Philippe Steeve von der Gewerkschaft der Streifenpolizisten SDPM zur Deutschen Welle.

  11. Süddeutsche:

    Das höchste französische Verwaltungsgericht hat das in einigen französischen Orten geltende Burkini-Verbot vorerst gestoppt. Es stelle eine ernsthafte und illegale Verletzung von Grundfreiheiten dar, heißt es in der Begründung. Die Verunsicherung nach den Terroranschlägen im Land reiche nicht aus, um die Verordnung zu begründen.

    Die Entscheidung des Staatsrates gilt zunächst nur für die an der Riviera gelegene Stadt Villeneuve-Loubet und setzt das dortige Burkini-Verbot aus. Eine endgültige Entscheidung folge noch, teilte das Gericht mit.

  12. Laurie Penny, New Statesman: Keep the Burkini, ban the beach

    Whatever women wear, it’s always provocative to someone, and it’s always our fault – particularly if we’re also seen to be shamelessly enjoying ourselves without prior permission from the patriarchy and the state. If we wear too little, that’s a provocation, and we deserve to be raped or assaulted. If we wear too much, that’s a provocation, and we deserve racist abuse and police harassment.

    It’s never about women’s choices – it’s about how women’s choices make men feel, and men’s feelings are routinely placed before women’s freedom, even the simple freedom to wear things that make us feel comfortable as we queue up for overpriced ice cream. It’s not about banning the Burkinis, or banning the bikini. It’s about stopping women from occupying public space, curtailing our freedom of expression, and letting us know that whoever we are, we are always watched, and we can never win.

  13. Margarete Stokowski, SPON: Journalistische Burkini-Selbstversuche: Wer nicht zuhören will

    Es gibt keine genauen Zahlen dazu, wie viele Frauen in Deutschland aus religiösen Gründen Vollverschleierung tragen oder im Burkini schwimmen gehen. In diesem Sommer gibt es ganz besonders ungenaue Zahlen, weil unter jedem Nikab und in jedem Ganzkörperbadeanzug auch eine Reporterin mit einer besonders frischen Idee stecken könnte: ein Selbstversuch und ein mutiger dazu. Bei 30 Grad!

    Die geniale Idee, den Gesprächsstoff des Sommers einfach mal anzuziehen, hatten unter anderem die „Welt“, die „Zeit“, stern.de und das „Flensburger Tageblatt“.

    „Wie fühlt man sich in einem Burkini?“, fragte die Titelseite der „Welt kompakt“ vom Montag. Antworten auf diese Frage kriegt man, indem man Frauen fragt, die einen Burkini tragen – oder indem man für ein paar Stunden selbst einen anzieht. So weit, so logisch.

    „Ich trage einen Ganzkörperbadeanzug und sehe aus wie ein Lycra-Spermium im Kleidchen“, stellt die „Welt“-Reporterin fest. Sie fühlt sich alt im Burkini und ist gar nicht begeistert: „Der Burkini ist ein misanthropes Stück Stoff. Denn er steht zwischen einem selbst und dem Leben.“ Ziemlich angetan ist dagegen die Autorin der „Zeit“: „Ich gehe ins Wasser und merke nicht, wie kalt es überhaupt ist. Verdammt, das Ding ist genial.“ Und die „Stern“-Mitarbeiterin stellt – in auffallend ähnlichen Sätzen wie die „Zeit“-Autorin – fest, dass die Haare unter der Burkini-Kapuze irgendwie nerven.

    Ähnliche Versuche gab es auch schon mit Nikab statt Burkini: Fürs „Flensburger Tageblatt“ lief eine Reporterin im Nikab durch die Stadt und stellte fest, dass Eis essen nicht so einfach ist am ersten Tag mit Schleier, und für „Galileo“ testete eine Reporterin die volle Packung: erst einen Nikab („Man kriegt kaum Luft“) und dann einen Burkini („Man ist sehr weg von seinen Sinnen und sehr eingeschränkt“). Das „eingeschränkt“ fühlt man direkt mit.

    Die Frage „Wie fühlt man sich als Autofahrer?“ würde man als Nichtautofahrer am ehesten beantworten, indem man viele verschiedene Autofahrer fragt oder einen Führerschein macht und dann eine Weile Auto fährt – und nicht, indem man eine einzelne Fahrstunde nimmt und feststellt, wie kompliziert so eine Gangschaltung ist. Aber beim Nikab oder Burkini gelten andere Regeln. „Daher, dass das jetzt das erste Mal für mich im Burkini ist, bin ich schon sehr aufgeregt“, erzählt die Kollegin auf bz-berlin.de, komplett egal, sie hätte sich den Trubel auch sparen können und direkt ein paar Burkiniträgerinnen fragen können, dann wäre weniger peinlicher Journalistinnen-Fasching dabei rausgekommen.

    Es ist nicht nur ein Denkfehler, wenn man meint, man müsse eine blonde Journalistin in einen Burkini stecken, um zu erfahren, wie es ist, einen zu tragen, es ist sicher auch eine berechtigte Neugier: Wie nass wird man? Ist es kalt oder warm? Aber um einen gewissen Rassismusverdacht kommt man nicht herum. Die Frauen, die das tragen, können doch alle reden. Niemand muss so tun, als seien sie unnahbar und als müssten sich jetzt aufgeregte Reporterinnen in das ungewohnte Stück Stoff hüllen, wie die sechs Teilnehmenden der Nasa-Studie, die ein Jahr lang unter Mars-Bedingungen am Hang eines Vulkans auf Hawaii lebten – die mussten das machen, die konnten nicht einfach ein Marsmännchen interviewen.

    Wenn ich mir vorstelle, dass jemand einen Tag lang meine Kleidung trägt und dann eine Reportage schreibt, wie sich das anfühlt, fühle ich mich komplett verarscht. Das einzig Gute für die Burkiniträgerinnen ist, dass sie wahrscheinlich bald günstig auf Ebay einen Zweitburkini shoppen können: Kaum Gebrauchsspuren, nur einmal kurz aus beruflichen Gründen getragen.

  14. Seda Basay-Yildiz, Süddeutsche: Verbot als Befreiung?

    Deutschland geht es gut. Das freut mich sehr. Brexit, Griechenland, Flüchtlingskrise – das ist alles vorübergehend vergessen. Uns geht es so gut, dass wir unsere gesamte Aufmerksamkeit auf Burka-Trägerinnen – gemeint sind wohl Niqab-Trägerinnen – verwenden können.

    Mit Erstaunen nehmen insbesondere in Deutschland lebende Musliminnen zur Kenntnis, dass über sie gestritten wird, ohne dass sie in diese Diskussion mit einbezogen werden. Ich kenne nur zwei Niqab-Trägerinnen, und die sind mit Sicherheit keine Frauen, die keine eigene Meinung haben oder denen die Verschleierung von einem Mann vorgeschrieben wurde. Eine von ihnen gibt als Grund an, sie wolle sich nicht zum Lustobjekt degradieren lassen. Ob das durch das Tragen einer Burka abgestellt werden kann, sei dahingestellt. Man erregt nun einmal mit einer Burka viel mehr Aufmerksamkeit als ohne Burka, wenn auch vielleicht nicht als Lustobjekt. Aber es war und ist ihre freie Entscheidung, und die hat noch nicht einmal mit Religion zu tun. Übrigens ist diese Frau eine „biodeutsche“ Konvertitin aus katholischem Elternhaus.

    Die gegenwärtig geführte Diskussion in Deutschland ärgert mich. Mit Erstaunen nehme ich als in Deutschland geborene Muslimin und Deutsche zur Kenntnis, dass auf dem Rücken der Muslime ein Pseudo-Streit entfacht wird, der eigentlich gar keiner ist. Halbwissen dient dazu, ein gesetzliches Verbot zu fordern. Wenn wir wegen 0,002 Prozent der Frauen in diesem Land unsere Gesetze ändern und neue Regelungen schaffen, dann frage ich mich, was als Nächstes kommt.

    Ich nehme diese Stimmen jedenfalls sehr ernst – weil sie Ressentiments fördern. Wir haben jahrzehntelang ohne Verbote in Deutschland leben können. Die „Burka“ gab es schon immer. Nach dieser offensichtlich aufgebauschten Debatte aber werde ich mehr und mehr gezwungen, als Muslimin und türkischstämmige Deutsche Loyalität zu bekennen – als stünde meine Loyalität in Frage.

    Inzwischen fordern alle möglichen Seiten von mir, Position in der Frage der Burka zu beziehen. Warum, frage ich mich, soll ich mich eigentlich wegen 0,002 Prozent der Bevölkerung erklären? Warum soll ich es schon wieder tun? Das soll ich schließlich nach jedem Terroranschlag, nach jeder Islamdebatte, und nun auch zum sogenannten Burka-Verbot.

    Auf einer Veranstaltung wurde ich vor Kurzem gefragt, wie ich zu „meinem“ Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, stehe. Daraufhin entgegnete ich, dass mein Präsident Joachim Gauck heiße. In der Gruppe folgte betretenes Schweigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert von den Deutschtürken ein hohes Maß an Loyalität zu Deutschland. Wie aber sieht es eigentlich mit ihrer Loyalität zu „uns“ aus? Offensichtlich haben wir noch einen langen Weg zu beschreiten.

    Ich bin als Deutsche und Juristin jedenfalls stolz auf unsere durch die Verfassung garantierten Freiheitsrechte. Diese gilt es zu verteidigen – für alle. Meinungs- und Religionsfreiheit sind hohe Güter. Wenn wir auf andere Länder schauen, wo diese Freiheiten zunehmend eingeschränkt werden, verweisen wir immer wieder und zu Recht auf unsere Verfassung.

    Müssen wir uns also nicht eher mit den Frauen solidarisieren, die sich durch die Burka vor sexistischen Sprüchen schützen wollen? Müssen wir sie nicht dabei unterstützen, wenn ausgerechnet Männer ihnen vorschreiben wollen, wie sie sich zu kleiden haben? Wir vermuten, dass ihnen das Tragen der Burka vorgeschrieben wird – und dann schreibt ihnen jemand anders vor, was sie tragen sollen oder eben nicht? Müssen wir diese Art von Einmischung nicht unterbinden?

    Der Streit um die Burka facht die Integrationsdebatte erneut an. Die Burka sei ein Integrationshindernis, heißt es oft. Aber ist die „biodeutsche“ Konvertitin aus katholischem Elternhaus nicht integriert? Und sicherlich können Menschen auch ohne Burka „Integrationsverweigerer“ sein, indem sie beispielsweise die Sprache nicht lernen und so am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen. Deutschland hat wichtigere gesellschaftliche Probleme zu bewältigen als das Burka-Verbot. Wir Frauen sollten uns jedenfalls nicht von Männern missbrauchen lassen, die sich aus parteipolitischen oder populistischen Gründen für die vermeintlichen Frauenrechte einsetzen.

    Nach meinem Rechtsverständnis soll jeder selbst entscheiden, wie er oder sie sich kleidet. Ein generelles Verbot ist unnütz. Sogar wenn die Entscheidung, die Burka zu tragen, keine eigene, sondern fremdbestimmt ist, so ist es letztlich auch die eigene Entscheidung, sich das gefallen zu lassen.

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