Universalkuchen

Meine eine Oma strickte, um ihre Enkel zu erfreuen und die andere hätte das besser auch getan. Stattdessen buk sie Sandkuchen, der seinem Namen alle Ehre machte und nur mit Hilfe reissender Ströme von Zitronen(instant)tee durch Mund und Kehle in den Magen rutschte. Ein winziger Bissen Kuchen, eine halbe Tasse Tee – fatal war, vor dem Ent-Desertifikations-Schluck angesprochen zu werden und antworten zu müssen – erhöhte die Feinstaubemmission enorm.

Kurz: mir war der Sandkuchen der anderen Oma verhasst. Ich fürchte, sie war einfach geizig, verwendete zuviel Mehl und statt Butter zu wenig Margarine und maximal ein Ei, dafür aber rauhe Mengen an künstlichem Zitronen- und Vanillearoma.

Dabei gibt es ein artverwandtes Rezept, das watscheneinfach, leicht zu merken, unendlich zu variieren und flott in die überaus köstliche Tat umgesetzt ist. Das Maß aller Zutaten ist das Ei, für den Pfundkuchen, Pound Cake, Gâteau Quatre-Quarts, Queque Seco.

Nur die wenigsten kommen in die Verlegenheit, 2 Kilo Kuchen auf einmal zu verfüttern, er besteht in jedem Fall zu gleichen Teilen aus Ei, Zucker, Butter und Mehl. Da Größe und Gewicht von Eiern keine ganz exakte Wissenschaft ist, schlage man im Zweifel zuerst die Eier auf, wiege deren Inhalt und bemesse die übrigen Zutaten danach. Im Mittel wiegt so ein Ei um die 50 Gramm. Man nehme also für eine Springform mit 20cm Durchmesser (oder eine kleine Kasten- oder Gugelhupfform):

150g Butter (weich)

150g Zucker

3 Eier (Zimmertemperatur)

150g Mehl

1 Teelöffel Backpulver

1 großzügige Prise Salz

Der Backofen wird auf 175°C Ober-/Unterhitze vorgeheizt und der Boden der Springform mit Backpapier versehen und in die Form geklemmt. Damit der Kuchen gleichmäßig aufgeht, werden die Seiten der Springform nicht gefettet und mehliert – der Kuchen würde darauf quasi ausrutschen und in der Mitte buckelförmig aufgehen.

Die weiche Butter wird ausdauernd cremig gerührt, mit dem Zucker weiter und weiter und weiter gerührt, anschließend werden die Eier einzeln eingerührt und schließlich Mehl, Backpulver und Salz nur kurz untergemengt. Bei den ersten drei Zutaten lohnt es sich (auch nach der Erfindung des Backpulvers im 19. Jahrhundert), das Rühren bis zum get no auszudehnen – je ausdauernder, desto fluffiger und leckererer wird der Kuchen. So weit das Grundrezept.

Die Zahl der Variantionsmöglichkeiten geht ins Unendliche: man kann zum Beispiel einen Teil der Butter durch Öl, Quark oder Frischkäse ersetzen, wird nach den Eiern und vor dem Mehl kurz in den Teig gerührt. Man kann auch ein Drittel des Teigs mit 2 Eßlöffeln schwach entöltem Kakao oder mit einer großen Handvoll pürierter und entkernter Himbeeren versehen und auf diese Weise Marmorkuchen machen. Man kann frische oder getrocknete Früchte oder Orangeat in den Teig mengen, einen Teil des Mehls durch geriebene Nüsse oder Mandeln ersetzen, mit Hilfe von 4 Eßlöffeln Kakao und zusätzlichen Schokoladenstückchen dem Endorphinhaushalt aufhelfen, das Grundrezept durch verschiedene Gewürze wie Vanille, Zimt, Tonkabohne usw. variieren, den fertigen Kuchen mit Aprikosenmarmelade, Kouvertüre, Ganache, Sirup oder Zuckerguß überziehen und ihn nach Herzenslust mit frischen, getrockneten oder kandierten Früchten, Mandel- oder Haselnussplittern, Blüten, Mokkabohnen, Krokant, geraspelter dunkler Schokolade usw.usw. dekorieren.

Für eine kleine Torte wird der aus der Springform gelöste und abgekühlte Kuchen mit einem großen Messer oder einem Draht horizontal halbiert und die untere Hälfte mit steifgeschlagener Sahne, italienischem Baiser, Lemoncurd, Butter- Mandel-, Schokoladen, Nougat- oder Quarkccreme bestrichen, die obere Hälfte wird darauf gesetzt und ihrerseits gepimpt und zum Beispiel mit frischen Früchten belegt, die Seiten kann man nackig lassen oder mit der zuvor schon verwendeten Schnatze bestreichen.

Das Rezept nimmt kaum etwas übel, experimentieren Sie!

Eine Variante, die ich sehr gern habe, ist ein feiner Zitronenkuchen. Dazu fügt man den Grundzutaten 2 Bio-Zitronen (und 3 Eßlöffel Puderzucker, später) hinzu und ersetzt ein Drittel des Mehls durch geriebene Mandeln, es schadet gar nichts, wenn es ein paar Mandeln mehr sind. Mandeln und die abgeriebene Schale der Zitronen kommen mit dem Mehl in den Teig und werden auch nur eben untergerührt. Von den nackigen Zitronen wird alles Weiße entfernt, die Enden werden abgeschnitten und der Rest in je 6 dünne Scheiben geschnitten. Die Scheiben der einen Zitrone werden auf das Backpapier drapiert – 5 außen, eine in die Mitte, der Teig darauf verteilt und mit den übrigen 6 Scheiben gekrönt. Es schadet gar nicht, ein bißchen hellen Karamellsirup auf die Zitronenscheiben zu kleckern.

Die Springform kommt für 35-45 Minuten in den Backofen. Die sind bekanntlich Individualisten und betrügen oft mit der Temperatur, nach einer halben Stunde sollte man einen Stäbchentest machen und u.U. die Oberfläche abdecken, falls sie zu dunkel zu werden droht.

Inzwischen mischt man aus den 3 Eßlöffeln Puderzucker und dem Saft aus den Zitronenenden einen dünnflüssigen transparenten Zuckersirup. Falls der Saft nicht reichen sollte, ist auch irgendein anderer Zitrussaft lecker, bei mir war es gestern der Saft einer Mandarine, die ich irgendwie vergessen hatte und deren Schale steinhart geworden war. In den Sirup kommt eine weitere großzügige Prise Salz, die bei Zitronenkuchen für das entscheidende Pitzeln auf der Zunge sorgt.

Wenn kein Teig mehr am Stäbchen klebt, nimmt man den Kuchen aus dem Ofen, piekt ihn an vielen Stellen ein und pinselt Sirup auf die heiße gelöcherte Oberfläche. Anschließend öffnet man die Springform und löst den Kuchen vorsichtig mit einem Messerrücken von den Seiten der Form, legt einen Teller darauf, wendet den Kuchen, sirupifiziert auch Seiten und jetzige Oberseite und läßt ihn auskühlen. Das Rezept klappt übrigens genau so gut mit Orangen oder, noch besser, mit Blutorangen (dann eher kein Salz in den Sirup).

Schmeckt am besten, wenn er einen Tag oder über Nacht durchziehen kann und hält – falls er so lange hält – eine knappe Woche. Enjoy, es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit!

 


Bild: Ren West, Wikimedia Commons


 

13 Kommentare zu „Universalkuchen

    1. Genau!
      Auch ich stand der Backerei jahrzehntelang sehr skeptisch gegenüber, fuchse mich erst seit ein paar Jahren ein und bin begeistert von Rezepten, die einfach, variierbar und oberlecker sind.

  1. Mit der Innenausstattung meiner Kopfkinokonditorauslage könnte ich jetzt richtig Staat machen, denn darin stelle ich eine zahllos bunte Vielfalt von endorphinfördernde Back-Variationen dreier Eier aus. In unserer Sippe gibt es einen Spruch: ‚ es hat sich schon mal jemand tot gerührt, der wohnte in Ummeln. Ach so, Ummeln…?
    Ummeln, Nizza, Paris, deshalb ausgerechnet Ummeln.
    Dieses sprachliche Sandkuchenfeuerwerk Lasse ich mir jetzt noch einmal unter den Augen zergehen und verkrümele mich in die Koje. Danke für diese feine Nachtlektüre! Süße Grüße von der Fee✨

    1. Herzlich willkommen karfunkelfee (Sie hatten bei mir schon mal kommentiert, oder? Egal, doppelt hält besser), hoffentlich hatten Sie nicht etwa schwere Träume!
      Als Kind war das Märchen vom Schlaraffenland – dabei besonders der Breiwall – 1a Stoff für Alpträume für mich. Was auch mit der anderen Oma zu tun hat, die als Kind schlimm gehungert haben muß und ihren Enkeln in jeder wachen Minute irgendetwas in den Mund schob – Bananen und Griesbrei gehen bis heute nicht mehr in mich rein.
      Das übrigens gar nicht so weit von Ummeln entfernt – erst Detmold, später Bad Oeynhausen.

      1. Wie? Verlese ich heimatlich westfälisch-lippische Klänge von einer Weltdame? Das ist ja schön und die Welt ist Ummeln.:-)
        Ich habe heute Nacht geträumt, ich hätte einen riesengroßen Hunger und nichts zu essen dabei. Kein Kuchen. Heute Morgen, in meinem ersten bewussten Moment knurrte eine Etage tiefer mein Magen. Im Gegensatz zu meinem Verstand hat mein Bauch ein Gedächtnis wie ein Elefant, der von Sandkuchen träumt. Meine Omas konnten backen wie die Weltmeister. Sie zauberten einfach alles aus ein paar nach Gefühl gemengten Zutaten. Das bewundere ich immer noch bei Leuten, die viel und routiniert backen. Mein Breialptraum der Nachkriegsgeneration, deren Kind ich bin, waren die Sachen, die gegessen werden ‚mussten ‚ weil sie ‚noch gut‘ waren und aber dabei schon nicht mehr wirklich frisch waren. Ein Erbe schlimmer Hungerzeiten. So musste ich nie hungern, doch ich kann heute nachvollziehen, warum Kriegskinder kein Essen wegwerfen können und bei Sirenenalarm umkippen vor Schreck. Darum verstehe ich, dass sich Kuchentafeln bis heute unter vielen Torten und Braten biegen – denn es ein Zeichen, dass es gut geht. Essen war Wohlstand, Heizung auch. Puh, es war immer tüchtig eingeheizt bei der kleinen Schlesien-Oma.
        Hui, langer Kommi geworden. Ich schreibe zurzeit viele alte Erinnerungen auf. Damit sie bewahrt bleiben.
        Ich lese immer Ihre Beiträge und immer sehr gerne.
        In Plauderlaune mit herzlichen Grüßen, die Fee✨

        1. … waren die Sachen, die gegessen werden ‚mussten ‚ weil sie ‚noch gut‘ waren und aber dabei schon nicht mehr wirklich frisch waren.

          Jajaja! Die andere Oma hortete Lebensmittel und sie muß dabei oft den Überblick verloren haben, denn Milch mit Stich, ranzige Wurst, braune Bananen usw. waren eher die Regel als die Ausnahme. Heizung hingegen galt ihr als verweichlichender Luxus, ebenso warmes Badewasser.
          Es dauerte viele Jahre, bis ich zu Mitgefühl mit ihrem harten und ziemlich lieblosen Leben kam.
          Vielen Dank für Ihr freundliches Feedback, herzliche Grüße zurück!

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