Reblog: „Ein Warlord als Türsteher zur Hölle“

Die EU zahlt und rüstet einen libyschen Warlord als „Küstenwacht“ aus, um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten.

Der Reporter Michael Obert war in der Nähe von Tripolis unterwegs mit hochbewaffneten, selbsternannten Milizen, die mit aufgerüsteten Küstenkontrollbooten tausende Flüchtlinge aus den Booten der Schlepper holen und zurück in libysche Lager zwingen. Im Auftrag der EU.

„ttt – titel, thesen, temperamente“ eröffnet so den Beitrag im Ersten vom vergangenen Sonntag um 23:05 Uhr. Die Bilder sind schwer erträglich, die Story ist es noch mehr. An Ihnen zu entscheiden, ob Sie sich das zumuten wollen: Hier, via Präsenz von „ttt“ oder in der Mediathek, wo der Film nach Auskunft des Senders bis 9.7.2018 verfügbar bleiben wird.

Oder zumuten sollten: „Wir haben von nichts gewusst“ gilt schon lange nicht mehr.

(entgegen anderslautender Ankündigung ist der Beitrag bei der ARD leider nicht mehr abspielbar, deswegen am 18.7.17 13h durch ein Youtube-Video ersetzt. Am 21.7.2017 18h durch ein anderes YouTube-Video ersetzt (weil das vorige gelöscht worden war) und das, liebe ARD/HR, mache ich so lange, wie es nötig ist. Ich halte es für einen Skandal erster Ordnung, genau diesen Beitrag aus Ihrer Mediathek zu nehmen, statt ihn, wenn Ihnen Rechte fehlen, bzw. Sie nicht dafür bezahlen wollten, so neu zu schneiden, daß er, wie angekündigt, ein Jahr in Ihrer Mediathek abrufbar ist. Ist ja nicht so, daß es einen Mangel an schlimmen Bildern aus Libyen gäbe)


Beitragsbild: Abdurahman Salem Ibrahim Milad, genannt Al Bija, Screenshot



Reblog mit freundlicher Erlaubnis von Marian Schraube, Tragwerkblog (den ich Ihnen sowieso wärmstens für die Blogroll empfehlen möchte)


15 Kommentare zu „Reblog: „Ein Warlord als Türsteher zur Hölle“

  1. Die libysche Küstenwache, darunter Warlords, Vergewaltiger, Sklavenhalter erhalten nicht nur die Unterstützung unserer Regierung in Form von Geld, Booten, Waffen. Sondern nun auch tätige Hilfe von deutschen, französischen, italienischen, österreichischen Hipster-Nazis.

    Den Identitären ist es trotz der Sperrung ihres Paypal-Kontos inzwischen gelungen, 110.000 Euro einsammeln, aufgerufen waren ursprünglich 50.000. Das von den Identitären gecharterte Boot C-Star befindet sich offenbar seit Dienstag auf dem Weg von Djibouti (Ostafrika) nach Sizilien, um dort noch weitere Aktivisten an Bord zu nehmen. Dann soll das Boot Kurs auf die libysche Küste nehmen.

    Kira Ayyadi, Belltower News:

    Die IBler wollen nach eigenen Angaben vor die libysche Küste fahren und der Küstenwache ihre “Hilfe bei der Beendigung des NGO-Wahnsinns” anbieten. Sie geben vor, Menschen aus dem Mittelmeer fischen zu wollen und sie an die libysche Küste zu bringen.

    Der Umgang der libyschen Regierung mit Geflüchteten ist jedoch alles andere als human. Libyen werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Ende Mai hat ein Boot der libyschen Küstenwache eines der Italiener beschossen und sich dann mit dem Hinweis entschuldigt, dass man gedacht habe, das sei ein Flüchtlingsboot gewesen. Diplomaten warnen vor “KZ-ähnlichen Verhältnissen”, in denen Geflüchtete nach ihrer Rückkehr nach Libyen leben würden. Die Rede ist von systematischen Vergewaltigungen, Folter, Sklaverei und Morden in Libyen.

    Entgegen ihrer eigenen Bekundung ist es jedoch offensichtlich, dass die Hipster-Rechtsextremen durch Blockaden vor allem die Arbeit der Seenotretter_innen behindern wollen. Zwar behauptet Martin Sellner, Sprecher der “Identitären”, in einem Facebook-Live-Video vom 10. Juli, dass sie in “gar keinem Fall irgendeine Rettungsaktion behindern werden”. Er betont hier allerdings auch, dass es um laufende Einsätze geht. Somit behält er es der Aktion vor, Seenotrettungsschiffe am Auslaufen zu hindern, was Hunderte von Menschenleben kosten könnte.

    Dabei ist die Lage der Seenotretter_innen im Mittelmeer auch ohne Störversuche der Rassist_innen bereits brisant genug. Das libysche Militär weigert sich seit Herbst vergangenen Jahres, konsequent zu helfen und auch die Italiener haben vor einigen Tagen die Auflagen an die NGOs verschärft. Es drohen massive Behinderungen und Verzögerungen von Rettungsoperationen. Dazu gibt es vermehrt mediale Angriffe gegen die Seenotretter.

    1. Heute Karikatur auf der ersten Seite der in Rom erscheinenden Tageszeitung Il Fatto Quotidiano, Innenminister Marco Minniti abbildend, der libysche Bürgermeister zur Aufnahme von Flüchtlingen bewegen will (siehe „Flüchtlinge: Italien plant Abkommen mit libyschen Bürgermeistern“):

      „Libyen – Migranten werden ausgeraubt, gefoltert, vergewaltigt, getötet:
      ‘Wir verlangen von den Libyern größere Anstrengungen!‘“

  2. Michael Obert im SZ-Magazin (8.6.17): Die Menschenfänger

    „Wir sind die einzige funktionierende Küstenwache in Westlibyen.“

    Seit fast zwei Jahren kontrolliert Commander Al Bija mit der 16 Meter langen Tileel, ein paar Schlauchbooten und seiner winzigen Truppe die Küstengewässer von der tunesischen Grenze bis nach Dschansur kurz vor Tripolis – ein Territorium fast dreißig Mal so groß wie der Bodensee. „Unsere Mission“, sagt Al Bija: „Flüchtlinge aus Seenot retten, Schleuser aufspüren, notfalls töten.“

    Mehr als 37 000 Menschen hat Al Bija mit seinen Leuten seit August 2015 nach eigenen Angaben vom Mittelmeer nach Libyen zurückgebracht. Allein am 18. März 2016, an einem einzigen Tag, hätten sie insgesamt 2700 Menschen aus zwölf Schlauchbooten und einem großen Holzboot gerettet. Das libysche Verteidigungsministerium bestätigt diese Zahlen.

    Ist Commander Al Bija also der Verbündete, nach dem Europa dringend sucht? Merkels Mann in Libyen? Die Kanzlerin hat auf dem Gipfeltreffen der Regierungschefs auf Malta mitbeschlossen, die libysche Küstenwache auf europäischen Kriegsschiffen und an Land im bewaffneten Grenzschutz und im Umgang mit Flüchtlingen auszubilden. Damit sie das Geschäft der Schleuser beenden, stellen Italien 200 Millionen Euro und die EU-Kommission in einer ersten Phase weitere 200 Millionen Euro bereit.

    „Wir brauchen kein Training“, sagt Al Bija in der Kommandozentrale im Hafen von Zawiya. „Wir wissen, wie man navigiert, wie man kämpft und tötet.“ Was will er dann? „Wenn wir für Europa die Drecksarbeit erledigen sollen, dann soll Europa uns dafür bezahlen.“ Der Preis für seine Dienste: „Ein Rettungsschiff für bis zu tausend Menschen, Schnellboote, Ersatzteile, Treibstoff, Sold.“

    Um die Küste von Schleusern zu befreien, seien Hunderte gut ausgebildeter Leute nötig, sagt Al Bija. Aber wer soll diese Männer auswählen? Die schwache Einheitsregierung in Tripolis? Die EU? „Ich“, sagt der Commander. „Ich kenne die Richtigen.“

    Seine Geschichte erzählt er so: 2011 hat die Revolution Al Bijas Studium an der Marineakademie in Tripolis beendet. Er schloss sich den Rebellen gegen Gaddafi an, wurde neun Mal schwer verwundet, verlor bei einem Granatenangriff zwei Finger der rechten Hand. Er zieht leicht sein linkes Bein nach, seine Hüfte sitzt schief. Wenn er sich unbeobachtet fühlt, schluckt er Schmerztabletten.

    Im Sommer 2015 saß der Sohn eines ehemaligen Armeeoffiziers, der eigentlich Abdurahman Salem Ibrahim Milad heißt und Al Bija als Kampfnamen führt, mit seinen Revolutionskameraden in einem Café im zerbombten Zawiya. Gaddafi war schon vier Jahre tot, Libyen ein gescheiterter Staat. Arbeit gab es keine. Perspektiven auch nicht. Da kam ihnen eine Idee: „Warum machen wir nicht etwas Großes und übernehmen den Hafen?“

    Ihr selbsterklärter Feind: Schleuser. Die Vereinten Nationen gehen von Dutzenden Banden aus, die an der libyschen Küste in einem Netzwerk organisiert sind. Sie halten Flüchtlinge und Migranten, die das Geld für die Überfahrt nach Europa nicht aufbringen können, oft monatelang fest, in Privatgefängnissen, in denen geschlagen, vergewaltigt, gefoltert und gemordet wird. Ein kürzlich bekannt gewordener interner Bericht der deutschen Botschaft in Niger spricht von „KZ-ähnlichen Verhältnissen“.

    Einer der mächtigsten Schleuser Westlibyens soll ein kaum dreißigjähriger Mann aus Sabratha sein. „Ahmed Dabbashi – VIP-Trips nach Europa!“, sagt Al Bija. „Gute Boote mit starken Motoren, eskortiert von einer eigenen Miliz – Ankunft in Italien garantiert.“ Dabbashis größtes Boot brachten sie am 5. Juli 2016 gegen vier Uhr morgens auf. „Ein Dutzend von denen kampfunfähig gemacht, Eskorte versenkt, 600 Afrikaner zurückgebracht.“ Seither wisse jeder in Libyen, sagt der Commander: „We don’t fuck around!“

    Und womit verdient er sein Geld? Er sei ein Pferdehändler, sagt Al Bija. Seine Kameraden: Ladenbesitzer, Bauunternehmer, Schlosser. „Ein Großteil unserer Einkünfte fließt in unsere Operationen.“ Später wird er sagen, sie seien 300 Tage im Jahr auf See.

    Wie also ernährt er wirklich seine Familie? „Wir beschlagnahmen illegale Fischerboote aus Ägypten und Tunesien, verkaufen ihren Fang und behalten sie, bis die Eigentümer das Strafgeld bezahlen.“

    Nach einer halben Stunde erreichen wir ein entlegenes Gehöft. Hinter einem Stahltor öffnet sich eine andere Welt: In gepflegten Ställen stehen prächtige Pferde. Zwei Koppeln mit akkurat gerechtem Sand, Weiden, eine Reithalle ist im Bau. In einer kleinen Villa mit Stuckdecke und Wandmalereien riecht es noch nach Farbe.

    Immer mehr gepanzerte Geländewagen mit Schießscharten in den geschwärzten Scheiben rollen ein. Männer mit verschlagenen Gesichtern, Goldschmuck und Leibwächtern steigen aus. „Wenn es Probleme zwischen Clans und Stämmen gibt“, sagt Al Bija, „dann regeln wir sie hier.“ Jetzt wird uns klar: Wir befinden uns im Zentrum der Macht.

    Al Bija zieht seine Schuhe aus, geht barfuß durch den Sand und holt eines seiner Pferde aus dem Stall: Jodran, der „Mutige“, ist ein grauer Hengst mit wohlgeformten Muskeln, mehrmals täglich wird sein Fell gestriegelt. Mit leuchtenden Augen legt ihm Al Bija einen roten Bauchgurt und rote Stutzen an.

    Was mag ein Hengst wie Jodran kosten? „50 000 Dollar!“ Alles von beschlagnahmten Fischerbooten?

    Doch gegen Al Bija werden schwere Vorwürfe erhoben. Zurück in der Kommandozentrale lesen wir vor, TRT World, eines der führenden türkischen Nachrichtenportale mit Sitz in Istanbul, vom 22. Februar 2017: „Al Bija ist der größte Player in der Mafia der Küstenwache, die das lukrative Geschäft des Menschenschmuggels in Zawiya und der umliegenden Küstenregion fest im Griff hat.“

    Al Bijas Blick verfinstert sich. Seine Männer lassen von ihren Handys ab. „Alle Schmuggler westlich von Tripolis bezahlen Al Bija seinen Anteil“, heißt es in dem Artikel. Wer sich weigere, den greife der Commander mit der Tileel an.

    Experten wie die italienische Journalistin Nancy Porsia, die seit Jahren aus Libyen berichtet, sind sich sicher: „Die Küstenwache der libyschen Marine ist am Menschenhandel beteiligt.“ Oberst Tarek Shanboor, der dem Innenministerium der Einheitsregierung in Tripolis untersteht, räumt ein: „Wir haben Schleuser in unseren Reihen, das ist ein echtes Problem.“

    Wenn Europa unter diesen Umständen die libysche Küstenwache stärke, mache es genau das Falsche, warnt Frank Dörner von der deutschen Hilfsorganisation Sea Watch. Statt Schleuser zu bekämpfen, riskiere der EU-Aktionsplan das Gegenteil: „Er macht eine gewaltsame Eskalation auf dem Wasser wahrscheinlicher. Damit wird die Situation für die Flüchtenden gefährlicher.“

    Commander Al Bija legt seine verstümmelte Hand auf den Tisch. „Lügen“, sagt er bedrohlich ruhig. „Von Schleusern in die Welt gesetzt.“ …

    Al Bija und seine Männer bringen die Afrikaner, die sie in den Booten der Schlepper auf dem Mittelmeer abfangen, in spezielle Lager der UN-gestützten Einheitsregierung – wie es die EU im Abkommen von Malta künftig in ganz Libyen plant. Im Surman-Camp, eine halbe Autostunde westlich von Zawiya, kauern in einer Halle mit rostigen Fenstergittern mehr als 200 Frauen am Boden, viele mit Babys. Ihre Knie haben sie an die Brust, die Kopftücher vor das Gesicht gezogen, die Augen starr auf ihre Füße gerichtet. Niemand wagt, sich zu bewegen. Nicht das leiseste Flüstern ist zu hören.

    Erst als der Wächter, ein Mann in Tarnuniform mit verwahrlostem Bart, geröteten Augen und Alkoholfahne, kurz hinausgeht, nimmt eine junge Frau ihren Mut zusammen, um mit uns zu sprechen. Sie sei aus Nigeria und seit mehr als zehn Monaten im Surman-Camp gefangen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Niemand wisse, wo sie sich befinde, ihre Familie glaube sicher, sie sei tot.

    Sie geht vor uns in die Knie, faltet die zitternden Hände. „Sie vergewaltigen uns!“, flüstert sie und zeigt uns ihre Arme. Sie sind mit blauen Flecken bedeckt, die Abdrücke einzelner Finger erkennbar. „Helft uns! Bitte!“ Sie hebt ihr Tuch. Ihr Trainingsanzug ist zwischen den Beinen bis zu den Knien mit Blut verschmiert. Wer hat das getan? „Alle von denen. Nacheinander.“

    Draußen wartet Colonel Ibrahim Ali Abdusalam, der Direktor des Frauenlagers. Offiziell untersteht er dem Innenministerium, in Wahrheit kontrollieren lokale Milizen das Camp. „Sehen Sie, wie still sie sind“, sagt er und lächelt. „Das bedeutet, dass sie sich bei uns wohlfühlen.“

    Warum hält er die Frauen monatelang unter diesen erbärmlichen Umständen fest? „Europa will diese Frauen nicht haben“, sagt er ruhig und ohne lange nachzudenken. „Gut, wir behalten sie hier.“ Aber es werde höchste Zeit, dass Europa endlich für sie bezahle: „Mobile Toiletten und Duschen, Schaukeln und Rutschen, Tampons, Windeln, Babymilch.“

    Allmählich begreifen wir: Je mehr Afrikaner sie zusammenpferchen und je schlechter es diesen Menschen geht, desto besser ist die Verhandlungsposition der Milizen gegenüber den europäischen Staaten. Längst ist ja auch in Surman angekommen, dass Europa seinen Grenzschutz nach Libyen verlagern und im großen Stil investieren will. Die libysche Küstenwache soll abgefangene Flüchtlinge und Migranten künftig in „angemessenen Aufnahmekapazitäten“ abliefern, so besagt es der Aktionsplan von Malta. Libyen soll die Menschen dann versorgen und eine Bürokratie aufbauen, um völkerrechtskonforme Asylverfahren durchzuführen.

    „Sie lassen uns hier verfaulen“, flüstert uns ein Mann aus seiner Zelle im Annasser Camp zu, das in einer ehemaligen Reifenfabrik in Zawiya untergebracht ist. Durch das winzige Sichtfenster in der Stahltür ist nur das Weiß seiner Augen zu erkennen. Ein beißender Geruch schlägt uns entgegen. Dann werden drinnen Streichhölzer angezündet, immer mehr verängstigte Gesichter leuchten in der Dunkelheit, nackte Oberkörper, übersät mit Hautkrankheiten und Wunden.

    Dicht gedrängt kauern die Männer am Boden. Weil es zu eng ist, um sich auszustrecken, schlafen sie im Sitzen. Es gibt keine Dusche, keine Toilette. Unter ihren Decken urinieren sie in kleine Wasserflaschen, die sie zuvor ausgetrunken haben. Ihren Stuhlgang verrichten sie in Plastiktüten.

    Al Bija erzählt, sein EU-Deal sei in vollem Gange. Kurz vor unserer Ankunft habe er in Tunis britische Diplomaten getroffen. Die spanische Regierung habe ihn nach Madrid eingeladen. Worum geht es in diesen Gesprächen? „Geheim!“ Einige seiner Forderungen verrät er uns noch: „Lebens- und Krankenversicherungen für mich und meine Männer. Und freie Visa – für zweiwöchige Erholungsurlaube in Europa.“

    Dann erfasst die Infrarotkamera im Bug, etwa 400 Meter entfernt, ein Boot. Commander Al Bija studiert die Umrisse auf dem Monitor. „Schlauchboot!“, sagt er schließlich, Triumph schwingt in seiner Stimme.

    Al Bija blickt sich vielsagend nach uns um. Bis zum Schluss kommen wir nicht dahinter, wer der Commander wirklich ist – der Mann, der in Berlin-Charlottenburg genas, um nach Libyen zurückzukehren und mit einem gekaperten Schiff und ein paar Männern die Küstengewässer zu erobern. Fest steht: Im kriegszerrütteten Libyen hat Al Bija ein Schlupfloch gefunden, um aus der Rettung von Flüchtlingen Kapital zu schlagen.

    Die wichtigsten Pfeiler des EU-Deals mit Libyen wackeln. Die Küstenwache: von dubiosen Akteuren durchsetzt. Sichere Auffanglager: derzeit nichts weiter als von Milizen gemanagte Lagerhallen für wehrlose Menschen, eine Ressource im Krieg um Libyen – und um die Millionen aus Europa.

    „Schnelle Lösungen gibt es nicht“, sagt Martin Kobler, der deutsche UN-Sonderbotschafter für Libyen. „Wir müssen alles tun, um Libyen zu stabilisieren.“ Dann würden viele, statt in die Boote zu steigen, in dem ölreichen Land bleiben, um dort wie früher unter Gaddafi zu arbeiten. Und den Menschenschmugglern würde die Ware knapp.

    Den 150 Menschen, die jetzt in Sichtweite der Tileel in dem überladenen Schlauchboot sitzen und gegen meterhohe Wellen kämpfen, helfen langfristige Lösungen nicht. Wir haben sie fast erreicht, da rast aus der Nacht das Schnellboot auf uns zu, die Schlepper eröffnen das Feuer, wir werfen uns auf den Boden.

    Commander Al Bija rennt durch den Kugelhagel, feuert zurück, zieht einen Verwundeten aus der Schusslinie, robbt zu uns herüber. Seine verstümmelte Hand berührt unsere Schultern. Leben wir noch? Er wirkt, als hinge das Gelingen seiner Mission davon ab.

    Dann ist es plötzlich still. Vorsichtig heben wir die Köpfe. Mit einem Haken ziehen Al Bija und seine Männer das Schnellboot heran. Drei Schlepper liegen erschossen am Boden, zwei sind schwer verwundet.

    „Glaubt ihr uns jetzt?“, schreit der Commander. „Glaubt ihr uns jetzt, dass wir nicht zu denen gehören?“ Wir sind uns sicher: Um sich als Partner Europas zu zeigen, hat Al Bija nicht nur sein Leben und das seiner Männer riskiert, sondern auch unseres. Und das der Menschen im Schlauchboot.

    Wie versteinert sitzen sie im Licht unserer Taschenlampen. Keiner von ihnen scheint verletzt. Frauen haben die Hände zum Gebet gefaltet. Weinende Kinder vergraben die Gesichter in den Jacken ihrer Mütter. Sie zurück in den Hafen zu ziehen würde Stunden dauern. Die Schlepper hatten mit einem Satellitentelefon noch ihre Basis verständigt. Gegen ihre Flotte aus schwer bewaffneten Schnellbooten hätte die Tileel keine Chance.

    „Zu riskant“, sagt Commander Al Bija und stößt mit dem Fuß das Schlauchboot ab. Das Wasser steht ihnen bis zu den Waden. Warum nimmt er nicht einige von ihnen an Bord? Zumindest die Kinder? Statt zu antworten, gibt Commander Al Bija volle Fahrt zurück nach Zawiya. Die Menschen im Schlauchboot treiben davon und verschwinden in der Dunkelheit.

  3. Warum macht die EU mit der, äh, umstrittenen libyschen Regierung ned wenigstens Verträge, daß EU-Schiffe die Leute in den libyschen Gewässern aufnehmen und zurückbringen, die Internierungslager von EU-Armisten betrieben werden und die Armee Amtshilfe leistet bei der Bekämpfung der Schlepper? Die Kohle und die Ausrüstung ist ja da, nur hilft das keinem Schwarzafrikaner, wenns in den Taschen sehr fragwürdiger Libyer verschwindet. Ein EU-Soldat ist dort halt genauso wie die in Afghanistan, Mali usw. ein Fremder in einem failed state…
    Das ist zwar (moralisch) immernoch scheiße, nur sollte es ja in erster Linie drum gehen, daß die Flüchtlinge weder jämmerlich ersaufen noch vielfach mißhandelt vor sich hinsiechen unter mehr als menschenunwürdigen Bedingungen.

    1. Lieber Hugo,
      das Warum beantworten Sie sich in Ihrem Kommentar doch selbst (der mit Minimalwissen über komplizierte, oft langjährige Fluchtwege (wohin bitte ist zurück?), EU-Politik nach Mare Nostrum und Reichweite/Durchsetzungkraft der, äh, umstrittenen libyschen Regierung überflüssig wäre. Sie denken öffentlich-schriftlich vor sich hin und das nicht zu Ende. Statt vorher zu lesen, zu denken und dann erst zu kommentieren, nix für ungut)

      1. „wohin bitte ist zurück?“ Libyen
        Und klar klingt das erstmal naiv, nur, mal kurz vorstellen; die Vulkanier (Star Trek) beobachten uns schon länger ohne hier einzugreifen und nehmen erst in ca. 150 Jahren Kontakt auf (Erfindung WARP-Antrieb= Überlichtgeschwindigkeit möglich, soll hier aber keine Trekkie-Nerd-Stunde werden ;) ), was denken die sich?
        Problem: haufenweise Leichen am heimischen Strand, Aufnahme aller Flüchtlinge nicht dem Volke vermittelbar
        Ganz mieser Kompromiss: Geld und Material blind an Verbrecher auf der anderen Meerseite verteilen, sollen die sich kümmern. Daheim weniger Leichen, dafür dort Elend der armen Schweine aber weniger Volkszorn diesseits des Meeres.
        Mieser Kompromiss: Sich selber kümmern auf der anderen Seite des Meeres. Weniger Leichen daheim, Leute verrecken dort nicht mehr unter erbärmlichen Zuständen, Problem ist aus den Augen des eigenen Volkes.
        .
        .
        .
        Human: Hm, mit dem WARP-Antrieb sind die schneller, jede Wette…

        1. Ich verstehe Sie nicht, @Hugo.

          „wohin bitte ist zurück?“ Libyen
          Und klar klingt das erstmal naiv …

          Nö, nicht naiv, sondern – mit Verlaub – im besten Fall noch brunzdumm.
          Die allermeisten der Boat People aus Libyen kommen nicht aus Libyen, sondern haben bereits eine Monate und Jahre andauernde Flucht hinter sich, wenn sie dort landen. Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört, daß Flüchtlinge gute Gründe haben, nicht nur aus ihrem Herkunftsland, sondern auch aus Libyen zu fliehen? Auf der Flucht können eine Menge zusätzliche Fluchtgründe (die 1a-Asylgründe sind, z.B. Folter, Zwangsarbeit, Zwangsprostitution usw.) entstehen. In Libyen werden Menschen mit dunkler Haut extrem diskriminiert, seit Gaddafi schwarze Söldner aus dem Sudan gegen die libysche Bevölkerung einsetzte – zu Zeiten, als Libyen noch Gastarbeiterland für halb Afrika war. Heute sind alle Menschen aus subsaharischen Ländern das reine Freiwild für Sklavenhalter und -händler, Schlepper, Vergewaltiger, Warlords. Nicht nur in den im Film/SZ-Artikel beschriebenen Lagern.

          Dem Volk™ ist auch nicht vermittelbar, warum es Steuern und Tempolimits gibt. Wurden die deswegen jetzt auch kürzlich abgeschafft?

  4. Der Tragwerkblog ist der Unveröffentlichung des ttt-Beitrags (entgegen der Ankündigung, der Beitrag stünde bis 19.07.2018 in der Mediathek) nachgegangen: Flüchtlinge, deutsche Medien und das „Prinzip Hoffnung“

    Angeblich waren es die Bildrechte, die nur für eine Woche gezahlt gewährt wurden.

    Hmnuja, beim ARD sitzt man zwar bekanntlich in der ersten Reihe, die haben aber offenbar keinen Schnitt mehr, der andere Bilder in den Beitrag hätte schrauben können. Ist ja nicht so, daß es einen Mangel an üblen Bildern aus Libyen gäbe.

    1. Mittlerweile hat der Hessische Rundfunk ein wenig ausführlicher reagiert

      Sehr geehrter Herr Schraube,

      da 140 Zeichen auf Twitter nicht ausreichten, hier eine ausführliche Antwort unserer ttt-Redaktion:

      Das Thema spielt nach wie vor für uns eine wichtige Rolle, nicht zuletzt deshalb hatten wir uns auch entschieden, mit diesem Beitrag in die Sendung einzusteigen. Leider durfte der Film aber nur für den Zeitraum von 7 Tagen in der Mediathek verbleiben, da wir darin Material verwendet haben, für das wir lediglich diese begrenzte Online-Lizenz vom Rechteinhaber erwerben konnten. Gerne hätten wir den Beitrag – wie die meisten unserer Filme – 1 Jahr online gestellt, aber die rechtlichen Bedingungen haben dies in diesem Fall nicht möglich gemacht. Den ausführlichen Text und damit auch den Inhalt sowie die Argumentation des Beitrags können Sie aber weiterhin bei uns auf der Homepage finden:

      http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-09072017-102.html

      Mit freundlichen Grüßen

      Ihr ttt-Team vom hr

      und damit ziemlich genau Ihren Kommentar bestätigt.

  5. Ulrich Ladurner hat einen Vorschlag: Schickt Kriegsschiffe!
    Ein Teil ist interessant:

    Es ist höchste Zeit, Europa daran zu erinnern, dass es zwei europäische Länder – Frankreich und Großbritannien – waren, die 2011 auf eine Intervention in Libyen drängten. Italien wie auch die USA zogen zögerlich mit. Deutschland hielt sich raus, auch dank des damaligen, inzwischen verstorbenen Außenministers Guido Westerwelle.

    Es geht hier nicht um rückblickende Rechthaberei. Es geht um Tatsachenfeststellungen. Dazu gehört: Die intervenierenden Mächte hatten damals beste Kontakte zur bewaffneten libyschen Opposition. Der Informationsfluss war hervorragend, die Kooperation blendend. Nur deshalb konnten sie am Ende den bis auf die Zähne bewaffneten Gaddafi stürzen. Mit anderen Worten: Die europäischen Militärs und Geheimdienste kennen jeden Warlord, der in Libyen Macht hat. Und man darf annehmen, dass dieselben Leute, die damals gegen Gaddafi rebellierten, sowie jene, die für ihn kämpfen, heute am Menschenschmuggel-Business beteiligt sind – jedenfalls ein großer Teil von ihnen.

    Die europäischen Regierungen wissen also genau, mit wem sie sprechen müssten. Sie kennen Namen und Adressen. Sie wissen, auf wen man Druck ausüben müsste. Die Regierungen wollen es nur nicht tun, weil sie sich vor den Konsequenzen fürchten.

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