Wahlkampf ist, wenn eine demokratische Partei ihrem politischen Gegner und seiner Ein-Mann/Ein-Themen-Partei den Wahlsieg anträgt, indem sie seinen Forderungen nachkommt und Versammlungs- und Meinungsfreiheit zu Schönwetterrechten erklärt.
Wahlkampf ist auch, wenn man einem im In- und Ausland wahlkämpfenden Despoten noch Vorwände liefert, weiter an der Eskalationsschraube zu drehen, seine Chancen auf einen Wahlsieg erhöht und seine demokratische Opposition aktiv schwächt.
Es ist zweifellos schwer auszuhalten, daß AKP-Politiker Wahlkampf für die Abschaffung der Demokratie mit demokratischen Mitteln machen, auch außerhalb der Türkei. Man könnte Wahlkampfauftritte im Ausland grundsätzlich verbieten, damit sich kein Möllemann mehr mit dem Fallschirm auf nichtsahnende Mallorca-Urlauber stürzen und kein Obama an der Siegessäule sprechen wird, auch nicht als Privatperson.
Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss darauf verwiesen, dass sich ausländische Regierungspolitiker in Deutschland zumindest in amtlicher Funktion nicht auf das Einreise- und Rederecht berufen könnten. Schon die Genehmigung zur Einreise in Deutschland falle in die Zuständigkeit der Bundesregierung.
Unerträglich ist die Verbreitung von Fake News durch deutsche Medien über das Wahlverhalten der in Deutschland lebenden Türken und zum Grad ihrer Integration.
Oftmals ist da die Rede von „60 Prozent aller Deutschtürken“, die angeblich die AKP wählen. Das aber stimmt rein rechnerisch nicht. Betrachtet man nämlich die Zahlen der stimmberechtigten türkischen Wählerinnen und Wähler in Deutschland, so waren es bei den letzten Wahlen 1.411.198 Stimmberechtigte, von denen 575.564 gewählt hatten. Also etwas mehr als ein Drittel. Von diesem Drittel wählten die zitierten 60 Prozent die AKP. Das ist ein Unterschied.
Fun-Fact: könnten alle in Deutschland lebenden Türken hier an Wahlen teilnehmen, würden sie zu knapp 70% SPD wählen.
Es ist nicht hinnehmbar, daß rund 40.000 Türken im Rahmen von Erdogans andauerndem Putsch-Putsch inhaftiert, mehr als 100.000 Beschäftigte u.a. des öffentlichen Dienstes, der Justiz, der Polizei und des Militärs entlassen oder suspendiert wurden, daß 155 Journalisten in türkischen Gefängnissen sitzen und im Schatten der Ereignisse auch noch eben die „Kurdenfrage“ gelöst wird (wobei ich es für schon gefährlich naiv halte, den Schlächter zur Untersuchung seines Schlachtens aufzufordern).
Dagegen kann und muß sich jeder Demokrat engagieren.
An der Stelle des nötigen Demokraten-Engagements aber die Grundrechte einzuschränken und die eigene Demokratie zu beschneiden, geht selbst als Wahlkampf-Kalkül in die Hose.
Denn in der Stille und Abgeschiedenheit einer Wahlkabine wird das Original gewählt, nicht die Fälschung.
Bild: Francisco de Goya, Wikimedia Commons, gemeinfrei.
El sueño de la razón produce monstruos – der Schlaf der Vernunft erzeugt Ungeheuer
Kommt wie gerufen, Can Dündar hat was passendes geschrieben: Wider die Verbotspolitik!
Lesenswert finde ich den Freitext von Norbert Niemann: Feindschaft als letzte Freiheit
Die Woche: wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
dame.von.welt, Kommentar unter https://dvwelt.wordpress.com/2017/02/18/aus-dem-land-mit-der-groessten-pressefreiheit-der-welt/ : „Ich habe sogar jede Menge dagegen einzuwenden, daß Politiker im Ausland Wahlkampf betreiben. Auch schon, als sich noch Möllemann selig im Fallschirm auf nichtsahnende Mallorca-Urlauber stürzte.“
Was nun, untersagen oder nicht? Wie mensch es macht, macht ers eh verkehrt?
Dem Dündar widerspreche ich: „Verbote und Empörung sind ein Heimspiel für Erdoğan. Demokratie und Dialog sind für ihn ein Auswärtsspiel. Um dieses Spiel zu gewinnen, müssen wir ihn auf unseren Platz holen, statt auf seinem mitzuspielen.“ Um bei der Methapher zu bleiben, die Sportart ist ne andere, da bringt auch ein gemeinsames Spielfeld nix.
Und „die Deutschen“ haben nicht alle was gegen Auftritte ausländischer Politiker, da sollte auch Herr Dündar differenzieren. Zwischen „Absage“ und „Verbot“ liegen, mal am Rande, Welten. Auch wenn es Dündar schwerfällt , wer, wenn nicht Leute wie der kann da als Kenner der Materie Sachlichkeit in die Diskussion reinbringen?
Hm, das Zitat war Teil meiner Antwort auf Ihre Ausbürgerungswünsche.
Yassin Musharbashs Empfehlung möchte ich mich anschließen:

Can Dündar kann nichts dafür, daß Sie seine Metapher nicht verstehen, ich möchte auch bezweifeln, daß er Sie als Berater für Sachlichkeit engagiert.
Generell: es steht Ihnen frei, jede Ihnen genehme Meinung zu haben. Sie müssen sie aber nicht unbedingt hier äußern.
In Gänze lesenswert – Caspar Thomas, Zeit Online: Mark Rutte hat das liberale Erbe der Niederlande verspielt
Joseph Seidl, Blog bei Der Freitag: Vermeidbare Eskalation
Deniz Baspinar, Zeit Online erklärt Erdogans psychologische Rolle in der Türkei und für in Deutschland lebende Türken: Ödipus auf Türkisch, unbedingt lesen!