Scheißestürmer

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Sie kennen die Werbeagentur Scholz & Friends? In deren Berlin-Dependance arbeitet Gerald Hensel, der sich anläßlich der Ankündigung von BreitbartNews, sich nach Europa und auch in Deutschland ausbreiten zu wollen, Gedanken über die Finanzierung rechter bis rechtsradikaler Medien durch Werbeeinnahmen machte. Denn:

Es gibt ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber es gibt kein Grundrecht auf Werbeeinnahmen.

Zitiert aus seinem privaten Blog Davai Davai – der inzwischen nicht mehr öffentlich zugänglich ist, sondern vor dem Geheule besorgniserregender Bürger mit einem Paßwort gesichert werden mußte – vom 23.11.16:

Kein Geld Für Rechts. Lasst uns rechtsradikalen Medien den Geldhahn zudrehen.

Es gibt bekanntlich viele Gründe, warum die Neue Rechte so einen Siegeszug feiert.

Zumindest kommunikativ ist die Dominanz rechter Bot-Systeme und Fake News Mikro-Medien einer der vielen Gründe dafür. Während sich die bräsige, arrogante Liberal-Elite ich mein Info-Bedürfnis z.B. mit meinem ZEIT- oder meinem Le Monde Diplomatique-Lügenpressen-Abo abdecke, informiert sich der wackere neurechte Freiheitskämpfer gerne über Online-Medien wie die Achse des Guten oder Breitbart News,

Breitbart kennst du…aber so genau weißt du nicht, was es ist?

Um nur ein paar Artikel der amerikanischen Breitbart-Ausgabe (wie gesagt: bald auch in Deutschland) zu zitieren: “Birth Control makes women unattractive and crazy“, “Young Muslims in the west are a ticking time bomb, increasingly sympathising with radicals, terror” oder “Bill Kristol: Republican Spoiler, Renegade Jew“. Dank AfD, Brexit und Trump ist genau dieser Typ “Nachrichten” auf dem besten Weg Mainstream bei den Leuten zu werden, die ja “nichts gegen Ausländer haben, aber…” So schreibt Metropolico: “Breitbart.com besitzt heute mehrere Redaktionen in den USA und betreibt zudem ein tägliches Radioprogramm namens Breitbart News Daily. Ein neue TV-Show sei in Planung.  In Großbritannien und Frankreich berichtet Breitbart bereits kontinuierlich und decke – in englischer Sprache – sämtliche Themen des »deutschen Rechtspopulismus« ab, so die SZ. Breitbart berichte von der Migrations- und Flüchtlingspolitik der deutschen Bundesregierung, sowie über »angebliche kriminelle Taten von Migranten und islamistische Umtriebe«.

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Geh mal auf Breitbart News und schau dir die Seite an. Fällt was auf?

Genau. Da sind Banner drauf. Und diese Banner finanzieren Breitbart.

Aber warum machen Marken, die man im Supermarkt findet oder bei denen man online kauft, Werbung im Umfeld solcher Medien? Sind die am Ende alle rechts?

Nein, natürlich sind sie das nicht. Das Problem ist: Sie wissen es nicht einmal.

Es gab mal eine Zeit, da hat eine Marke (nennen wir sie den davaidavai-Markt) so genannte Platzierungen gebucht. Der davaidavai-Markt ist dann vielleicht über seine Media-Agentur zum Beispiel zu SPIEGEL Online gegangen, hat einen Betrag X bezahlt und dann einen Bannerplatz Y dafür erworben. Dort konnte er werben. Klingt einfach, oder?

Dieses System hat sich geändert. Und zwar massiv.

RTA heißt “Real Time Advertising” und war ein großer Paradigmen-Wechsel in der Art, wie Unternehmen Banner einkaufen. Der davaidavai-Markt geht heute nicht mehr direkt zum SPIEGEL um einen Bannerplatz zu erwerben. Er definiert stattdessen eine Wunschzielgruppe (“ich möchte alle Männer 39-56 erreichen”) und lässt Software automatisch die besten Bannerplätze suchen, finden und buchen. Das passiert in Echtzeit und muss man sich wie eine Auktion vorstellen, nur dass weder Käufer, noch Auktionator Menschen sind. Alles ist vollautomatisiert. Zielgruppenanforderungen, Bannerplatz und Bannerpreis werden rein technisch gematcht und verkauft. Kein Mensch ist bei diesem Prozess mehr vonnöten.

Das mag effizient sein. Es hat aber genau an diesem Punkt einen großen Nachteil: Marken haben durch dieses Prinzip heute kaum noch Kontrolle, wo sie wirklich Werbung schalten. Alles ist vollautomatisch. Das klappt so lange gut, wie die einzigen Messkriterien für Online-Werbung Effizienz sind. Nehmen wir aber an, dass der davaidavai-Markt ein Baumarkt ist, dann kann es durchaus sein, dass die Zielgruppe, an die wir durch unsere Banner verkaufen wollen, sich grundsätzlich nicht sonderlich von der Leserschaft von einer Wutbürger-Seite wie Achse des Guten unterscheidet. Der Banner wird automatisch gebucht und die “Achse des Guten” finanziert sich so über den davaidavai-Markt. Der weiß das im Zweifelsfall noch nicht einmal.

Wie ändern wir das?

In meiner kleinen blöden Welt herrscht Meinungsfreiheit. Zweifellos sind Seiten wie Breitbart News und die Achse des Guten, PI-News oder Compact legale Medien. Dennoch kann man Marken natürlich mal fragen, ob sie in der vollautomatisierten RTA-Mediabuchungswelt wissen, dass ihre Banner auf entsprechenden Seiten stehen und dort ihre Marke repräsentieren. These: Wenn einige von uns dort mal nachfragen, ob das im Sinne des Erfinders ist, wird die eine oder andere Marke sicher noch mal in ihren Buchungsplan schauen. Wie gesagt: Meinungsfreiheit gilt ja auch für den Teil der Gesellschaft, der nicht ständig mit hochrotem Kopf durch Dresden läuft und die Bundeskanzlerin aufhängen will. Für mich zum Beispiel. Vermutlich auch für dich.

Was kann man also tun?

1.) Wenn du für eine Marke oder eine Media-Agentur arbeitest:

Schau dir noch einmal sehr genau an, ob die “Blacklist” gepflegt ist und ob man Seiten, auf denen man sicher nicht zu finden sein will, auch nicht zu finden ist. Das ist natürlich nicht nur im Sinne der Political Correctness wichtig sondern durchaus auch bei der Frage, was die Zielgruppe denken soll. Die findet sowas nämlich sicher im Wahljahr 2017 wichtig.

Sollte dich deine Karriere in einer Media-Agentur etwas höher gebracht haben, könnte man das Thema ja vielleicht mal beim nächsten Media-Miteinander mit Kollegen ansprechen. 2017 ist Wahljahr. Ihr, liebe Kollegen, habt durchaus mit in der Hand, wer unsere Werbedollars bekommt.

2.) Wenn du Verbraucher bist:

  • Frag doch gerne mal bei einer bekannten Marke, die du auf einschlägigen rechtsradikalen Seiten findest, nach, ob sie wissen, wo sie werben. Ein Tweet, eine Facebook Nachricht oder ein E-Mail: manchmal wirken sie Wunder.
  • Solltest du dies über Twitter oder andere soziale Medien tun, kannst du an deinen Tweet gerne den Hashtag #KeinGeldFuerRechts anhängen. Dann kann man das schön aggregieren.

Also: Lange Rede, kurzer Sinn. Dass Marken werben ist normal. Technische Bedingungen haben dazu geführt, dass Marken heute zwar inhaltlich wissen, bei wem sie werben wollen, kaum aber noch, wo sie das tun. Wirklich illegale Seiten stehen auf Blacklists. Aber rechtsradikale Hetzpostillen eben nicht. Das System hinter Online-Werbung begünstigt derzeit, dass diese Seiten von uns finanziert werden.

Und ich finde, das kann man auch stoppen. Ganz einfach aus dem Ohrensessel – und so, dass es den Zukunftsvergiftern weh tut. Und wenn du magst, kannst du natürlich auch diesen Artikel teilen.

#KeinGeldFuerRechts

 

So weit, so sehr gut. In den USA war das bereits erfolgreich. Firmen wie u.a. Rewe, Telekom, Vapiano, Braun, Media-Markt, BMW und Kellog’s haben Breitbart.News und andere rechtsradikale Plattformen auf ihre schwarzen Werbe-Listen gesetzt. Herr Bannon rief seine Jünger auf, Produkte dieser Firmen nicht mehr zu kaufen.


 

Womöglich nicht gerechnet hatte Gerald Hensel aber mit der Tagesfreizeit und Ausdauer der Scheißestürmer von DasVolk™, motiviert vom Geheule des notorischen Henryk M. Broder (zu dessen „Achse des Guten“ ich aus Gründen nicht verlinke), getitelt mit Der Denunziant von Scholz & Friends (10.12.16) und Der schmutzige Erfolg der Denunzianten (12.12.16), daraus zwei Kostproben:

Der Schmock von „Scholz & Friends“ und seine kleinen Kapos machen sich nicht einmal die Mühe, „rechts“ wie auch immer zu definieren. So hat es McCarthy auch gemacht, allerdings andersrum mit „Kommunisten“.

Tapio Liller von der Agentur Oseon („Kommunikation für den Erfolg der Digitalisierung“) springt auf den Hashtag drauf und wendet sich direkt an den Energiekonzern „innogy“: „Sagt mal, @innogy, als nagelneue Marke wollt ihr wirklich auf einem neurechten Onlinemagazin werben?“ Das neurechte Onlinemagazin ist, Sie ahnen es, die Achse, seit 12 Jahren auf dem Markt, nicht mehr ganz neu, aber immer noch „neurechts“. Auch hier: kein Beleg, kein Beispiel, kein Nichts.  Für „innogy“ aber genug, um zu antworten: „Danke für den Hinweis. Das ist ohne unser Wissen geschehen. Wir haben die Agentur schon angewiesen, es sofort zu stoppen.“

Das ist der kurze Dienstweg in Merkels postfaktischem Neuen Deutschland. Ein klebriger Denunziant und eine Firma, die sich sofort in den Staub wirft, aus Angst, ebenfalls als „neurechts“ denunziert zu werden. Davai! Davai!

Das ist natürlich vollkommen „legal“. Dann wäre es aber auch legal, zu einem Boykott von „Scholz & Friends“, „innogy“ und „Oseon“ aufzurufen, weil sie nicht darauf achten, welche Läuse sie im Pelz haben. Ich mag ja etwas hysterisch sein, aber für mich hört sich „innogy, werbt nicht auf der Achse!“ wie „Deutsche wehrt euch, kauft nicht bei Juden!“ an.

und:

Es steht 1:0 für Scholz, Hensel & Freunde. Gerald Hensel, Stratege bei der Werbeagentur Scholz & Friends und Initiator der Kampagne „#KeinGeldfuerRechts“, hat auf seiner Seite „davaidavai.com“ deutsche Unternehmen dazu aufgerufen, „rechte Medien“ nicht durch Werbung zu unterstützen. „So soll rechten Webseiten die finanzielle Basis entzogen werden.“ Hensel wollte seinen Aufruf zum Boykott freilich nicht als Boykottaufruf verstanden wissen, nur als eine Art Orientierungshilfe für die angesprochenen Unternehmen. Er sagt: „Es wird oft so getan, als ob ich Volksaufklärer wäre oder Unternehmen sage, was sie zu tun haben. Das obliegt jedem Unternehmen selbst.“ Die Entscheidung, ob ein Unternehmen weiterhin auf einer bestimmten Seite Werbung schaltet oder nicht, bleibe dem jeweiligen Unternehmen überlassen.

Das klingt maßvoll, wie eine Empfehlung der Stiftung Warentest, beim Kauf einer bestimmten Waschmaschine auf den Energieverbrauch zu achten. Für welche Maschine der Kunde sich am Ende entscheidet, bleibe seine Sache. Man wolle dem Verbraucher nur bei einer „informierten Kaufentscheidung“ behilflich sein.

Man kann, finde ich, auch nicht mit absoluter Gewissheit behaupten, dass die feschen SA-Leute, die am 1. April 1933 vor jüdischen Geschäften Posten bezogen, einen Boykott jüdischer Geschäfte im Sinn hatten. Vielleicht wollten sie die Passanten nur darauf aufmerksam machen, wem die Geschäfte gehören, wobei es jedem Kunden überlassen blieb, ob er in dem jeweiligen Geschäft einkauft oder nicht.

Ich will damit weder suggerieren noch andeuten, dass Gerald Hensel, Stratege bei der Agentur „Scholz & Friends“, ein später Nazi sein könnte. Im Gegenteil, ich bin mir sicher, er hat keine Ahnung, dass der Spruch „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ die Mutter aller Hashtags war. Ich bin mir allerdings auch sicher, dass er den Namen „davaidavai“ nicht zufällig für seine Seite gewählt hat. Und der rote Sowjetstern, der darüber steht, hat auch keine dekorative Funktion. Das ist nicht der „radical chick“ eines linken Intellektuellen, der mit Frantz Fanon, dem kleinen roten Buch von Mao und filterlosen Gauloises aufgewachsen ist, es ist ein Bekenntnis, das Hensel symbolträchtig verpackt. Der Mann ist ein Kultur-Stalinist, einer, der das Gute will, so wie er es definiert, und alle anderen dazu zwingen will, es ebenfalls zu wollen.

Die „Achse des Guten“ taucht auf Hensels tatsächlicher Blacklist zwar gar nicht auf, die Werbekunden werden schon ihre eigenen Schlüsse aus der Broder-Kloake gezogen haben. Der bellt mal wieder den falschen Baum an, er sollte vielleicht seine Werbeagentur wechseln. Statt Scholz & Friends zu belästigen und zur Hexenjagd gegen sie und gegen vor allem Gerald Hensel aufzurufen.

Gerald Hensel hat wohl noch einen zweiten Fehler gemacht: vor Henryk M. Broder hatte er mal Achtung.


 

Scholz & Friends (repräsentiert von Stefan Wegner) stellten sich heute trotz oder wegen des rechtsradikalen Sperrfeuers hinter Gerald Hensel: Für Meinungsfreiheit und Respekt und Alf Frommer aka Siegstyle schrieb einen erfreulichen Blog, daraus:

Der politische Werber lebt.


Machen wir uns nichts vor: diese neurechten Biedermänner geben Brandstiftern das geistige Rüstzeug, mit dem sie körperliche Angriffe legitimieren. Insofern ist die Aktion #KeinGeldFürRechts meiner Meinung nach ein geeignetes Mittel, um brennende Asylbewerber-Heime zu verhindern. Das mögen die ach so intelligenten Autoren dieser Blogs anders sehen, aber am Ende landet man vom alarmistischen Text, beim Alarm der Feuerwehr, die nach einem Brandanschlag gerufen wird. Nichts anderes ist der Fall.

Jeder wehrhafte Demokrat hat dadurch meines Erachtens das Recht und die Pflicht etwas dagegen zu tun. Auch gegen die “Achse des Guten” (selbst wenn da nicht jeder Text neurechts ist). Jetzt wird Hensel als Blockwart beschimpft, der Nazi-Methoden benutzt, wie einst bei „Kauft nicht bei Juden“. Dieser Vergleich (wie viele Nazi-Vergleiche) hinkt an allen Ecken und Enden. Im April 1933 war Hitler an der Regierung, er stellte paramilitärische SA-Männer vor jüdische Geschäfte und drangsalierte deren Besitzer und deren Kunden. Nicht nur verbal, sondern körperlich. Und mit dem Gewalt-Monopol des Nazi-Regimes. Gerald Hensel dagegen, ist ein Aktivist ohne all deren Macht. Er kann Unternehmen nur auf deren Werbe-Partner hinweisen und sagen: „Meint ihr, dass ihr in diesem Umfeld werben wollt?“ Scheinbar wollen das viele der Firmen wirklich nicht. Denn auch die wissen, dass Hassprediger, AfD-Sympathisanten und Weltuntergangs-Herbeischreiber kein Umfeld sind, in dem weltoffene Unternehmen werben wollen und sollen. Diese Firmen ziehen also freiwillig ihre Budgets zurück und setzen diese an besserer Stelle ein. Ohne Zwang, ohne gröhlende Uniformträger, ohne Gewaltmonopol. Einfach aus Einsicht.

Jetzt bricht ein gewaltiger Shitstorm über Hensel hinein. Denn die Neurechten sind hervorragend im Netz organisiert und verstehen es ihre Peer-Group zu mobilisieren. Sie rufen ihrerseits zum Boykott auf: vor allem gegen die Werbeagentur, in der Gerald Hensel arbeitet. Dessen Arbeitgeber hat sich heute hinter seinen Mitarbeiter gestellt. Trotz tausender schlechter Bewertungen innerhalb weniger Tage auf ihrem Facebook-Kanal. Dafür gebührt Scholz & Friends Respekt. Vor allem deswegen, weil es eigentlich mehr politische Werber braucht. Intelligente, tolerante, kreative und vor allem weltoffene Menschen, die nicht einfach schweigen, wenn um sie herum gerade versucht wird gesellschaftliche Errungenschaften wie Gleichberechtigung, Inklusion oder Toleranz gegenüber sexueller Orientierung wieder zurückzudrehen.

Werber haben gelernt, wie man nicht abgehoben mit normalen Menschen sprechen kann. Der abgehobene links-intellektuelle Diskurs erreicht diese oft nicht. Für uns dagegen ist es Alltag, Botschaften zu entwickeln, die Herz und Kopf treffen – von Leuten wie Du und Ich. Wir sollten diese Kompetenz nutzen. Manche machen das: als Wahlkämpfer für demokratische Parteien. Andere können neue Wege finden, wie Gerald Hensel. Wichtig ist, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, weil die Neurechten sehr laut werden können. Und sehr hassvoll. Sie meinen zwar, dass es nur eine Einheitsmeinung gibt und sie keine Stimme hätten, dafür ist ihre Stimme im Netz zum Teil penetrant laut. Sie kapern die Kommetar-Spalten und machen sie zu einer Mono-Kultur ihrer Weltsicht. Aber auch hier gilt: Nur weil sie sich eben – qua ihres eingebildeten Minderwertigkeitsgefühls – besser mobilisieren lassen, sind sie nicht in der Mehrheit.

Der politische Werber ist nicht tot. Im Gegenteil, er fängt gerade erst an.

Finde ich so treffend wie ermutigend, Davai Davai.


Scheißbild: Stencil in Neuendettelsau, Foto (beschnitten) Moros


 

Update 15.12.16 11h:

Gerald Hensel hat bei Scholz & Friends gekündigt und residiert derzeit aus Sicherheitsgründen in einem Hotel nicht in Berlin. Der Stern hat ihn interviewt, sollte man lesen.

Stern: Auf Ihrer Website „davaidavai.com“ haben Sie eine Liste veröffentlicht mit Websites, die Sie als rechts klassifizieren.

Gerald Hensel: Es geht mir nicht darum, dass ein Kreuzzug gegen einzelne Seiten geführt wird. Es geht darum, dass die Leute, die Banner schalten, ein Verständnis dafür kriegen, wohin sie eigentlich ihre Werbegelder lenken. Es geht mir nicht um Blacklisting. Ich habe nie zu einem Boykott aufgerufen. Ich habe gesagt: „Werbeleiter dieser Welt, schaut mal wieder hin, wohin ihr euer Geld gebt. Ihr habt nämlich keine Ahnung mehr, wie eure Budgets funktionieren. Oft sind es eben manipulative Knoten, die Gesellschaften in Echtzeit in Hate-Mobs verwandeln.“

Stern: In der Liste taucht die „Achse des Guten“ nicht auf. In einem langen Text über Ihre Aktion stellen Sie den von Henryk M. Broder betriebenen Blog allerdings in einen Kontext mit „Breitbart“ und „Pi-News“. Warum haben Sie das gemacht?

Gerald Hensel: Ganz einfach, weil ich manchmal ein naiver Idealist bin. Ich bin ein Mensch, der eine Idee hatte. Ich habe einen definitiv nicht rechtsicheren Text geschrieben. Dennoch haben sich diese Leute demaskiert und gezeigt, wer sie wirklich sind.

13 Kommentare zu „Scheißestürmer

  1. Gerald Hensel am 18.11.2016 bei W & V Online: Wir dürfen nicht mehr unpolitisch sein

    AfD, Brexit, Trump – der Siegeszug von Populisten hat offensichtlich gesellschaftliche Werte und politische Institutionen auf den Kopf gestellt. In welche Richtung bewegt sich unsere Welt gerade? Diese Frage stellen sich plötzlich wieder viele von uns im Alltag. Aber wo schon Privatpersonen Unsicherheit verspüren, wie sieht es da mit der Wirtschaft aus? Agenturen spüren meist zuallererst eine ökonomische Schieflage. Die Sorge ist berechtigt:

    Wir laufen auf ein europäisches Wahljahr zu. Ein Wahljahr, vor dem die liberalen Teile der Gesellschaft und die Wirtschaft einsehen müssen, dass sie vor einer Richtungsentscheidung stehen, bevor es zu einem weiteren sehr bösen europäischen Erwachen 2017 kommt.

    Die Idee, wie politische Willensbildung funktioniert, hat sich gerade in den letzten Jahren radikal verändert. Dass Parteien als politische Monopolisten über große Medien Wähler von ihren Argumenten in einem freien Meinungswettbewerb überzeugen, wirkt mittlerweile fast hoffnungslos veraltet. Kein Wunder.

    Gerade konnte die Welt zuschauen, wie sehr Wahlkampf fast schon zu einem Internet-Schlachtfeld vieler kleiner und großer Akteure geworden ist. Micro-Meinungen, Content, Bot-Netzwerke, Fake-News: die von Obama kultivierte Idee des themengeleiteten Social-Media-Wahlkampfs ist zu einem wütenden, intransparenten, manipulativen Kampf um digitale Trending Topics degeneriert. Ob es sich dabei um frei erfundenen Nachrichten, um Halbwahrheiten oder echte News handelt, ist ebenso sekundär wie die Frage, ob dieser Content von Menschen oder von Bots geteilt wird.

    Als Regel gilt: Was digital im Umlauf ist, wird wahrgenommen und geglaubt. Ein ideales Spielfeld für neurechte Publikationen aus den Schatten des Netzes, teilweise mit Millionen von Fans und Followern, die fast unbemerkt das Spiel zu ihren Gunsten verändert haben – ein Spiel, das gerade für Vertreter der liberalen Mitte extrem schwierig zu führen ist: Demokraten sind nämlich üblicherweise keine großen Freunde von gezielter Massenmanipulation. Zu sehr glaubt man eben meist doch noch an einen politischen Diskurs, an gute Argumente und ein gesundes Menschenbild. Mit Halbwahrheiten oder waschechten Lügen arbeiten? Das passt nicht zu Luke Skywalker. Das passt zu Darth Vader.

    Bitte lesen Sie die folgenden Zeilen explizit als Wunsch und Empfehlung eines Privatmenschen, der für diesen Artikel zufällig in einer Agentur arbeitet. Ich würde diese Empfehlung auch als Ingenieur bei einem Autobauer geben: Ich wünsche mir, dass Wirtschaft und Agenturen explizit Stellung gegen die Neue Rechte beziehen und schnell aktiv ins Handeln kommen. Der globale Aufstieg der Neuen Rechten ist in vielerlei Hinsicht eine große Gefahr für eine sichere Welt, in der wir und kommende Generationen in Frieden und Wohlstand zusammenleben können. Dass wir uns als Privatleute dagegen stemmen, ist eine Sache. Hier schreibe ich allerdings in einem professionellen Kontext und möchte Agenturen wie Industrieunternehmen daran erinnern, dass eben auch sie eine Verantwortung für das Gemeinwohl tragen, von dem sie profitieren. Kurz: Unternehmen können von nun an zwischen einer Welt wählen wie sie bisher war – oder einer neuen.

    Zur Wahl stehen zwei politische Groß-Strategien für unsere Branche:

    Passiv: Hoffe ich, dass gerade die Media-Welt so vorausschauend und schlau ist, Obskuranten-Plattformen wie z.B. Breitbart (das rechte Netzwerk hinter Trump, das jetzt nach Europa expandiert) einer sehr genauen Überprüfung zu unterziehen. Hier sollte es eine Initiative geben, die ggf. Medien blacklistet, wenn diese systematische Falschmeldungen verbreiten, um so der Neuen Rechten auf Angst basierende Argumente zur Wahlbeeinflussung zu liefern. Ich hoffe hier sehr auf eine verantwortungsvolle Branche, die mit gutem Beispiel vorangeht.

    Aktiv: Sollten Unternehmen und Agenturen die These vom „Wir können unpolitisch sein“, hinter sich lassen. Es geht darum, sich klar für eine und damit auch klar gegen eine andere politische Zukunft zu entscheiden. Möglichkeiten dies zu tun, gibt es viele: Das kann in Statements passieren, die die liberalen Kräfte rückversichern und stützen. Das kann z.B. aber auch in inhaltlichen oder budgetären Zuwendungen gegenüber all den zivilgesellschaftlichen Akteuren passieren, die global wie auch lokal den Kampf gegen die Neue Rechte und ihre Folgen führen. Allzu oft im lokalen Rahmen, häufig unterfinanziert und dennoch oft mit viel Leidenschaft: Vereine, Vertreter der offenen Gesellschaft, Umwelt- und Klimaschützer, Behinderten- und LGBT-Organisationen, soziale Körperschaften, Flüchtlingsorganisationen, Einzelakteure – eben all die, die täglich vor Ort den Beweis erbringen, dass unsere Welt ein guter und offener Ort sein kann.

    Das ist keine Übung mehr. Es geht um nichts geringeres als die Verteidigung unserer Zivilgesellschaft: in Deutschland und in Zusammenarbeit mit unseren Freunden in Europa. Diesen Prozess werden die althergebrachten Institutionen keinesfalls alleine bewältigen können. Dazu haben sich die Regeln des Spiels, die Regeln des öffentlichen politischen Raums, zu sehr verschoben. Im privaten Leben und auch als Wirtschaftseinheiten müssen wir uns fragen, ob wir unsere Zukunft von der Mitte der Gesellschaft oder von ihren Rändern bestimmen lassen wollen.

    Ich hoffe, dass Ihnen diese Entscheidung leicht fällt. Und wenn nicht, dann lassen Sie uns gerne streiten. Eines sollten wir nicht tun: So lange warten, bis wir nächstes Jahr wieder mit schreckgeweiteten Augen vor den Ergebnissen zu großer Passivität stehen.

    Es liegt an uns, unsere Zukunft zu entwerfen und diese zu vermitteln – gerade in der Kommunikationsbranche.

    Der Autor: Gerald Hensel ist Executive Strategy Director bei Scholz & Friends in Berlin. Er ist studierter Politologe und hat ein Buch über Rüstungskontrollverhandlungen mit Nordkorea herausgegeben.

  2. Mehr W&V:
    8.12.16, Frank Zimmer (Redaktionsleiter): Shitstorm gegen Scholz & Friends

    Rabiate Unterstützer der umstrittenen Plattform Breitbart.com haben einen neuen Gegner entdeckt: Die Agentur Scholz & Friends. Seitdem S&F-Stratege Gerald Hensel über den Hashtag #KeinGeldfürRechts Marken und Mediaagenturen dazu aufruft, keine Werbung auf Breitbart und anderen rechtspopulistischen Plattformen zu schalten, steht auch sein Arbeitgeber in der Kritik.

    Ein Artikel von Henryk M. Broder im Attacke-Blog „Achse des Guten“ über „den Denunzianten von Scholz & Friends“ ließ die Stimmung endgültig kippen. Broder nennt Hensel dort einen „Schmock“, seinen Unterstützer, Oseon-Chef Tapio Liller einen „klebrigen Denunzianten“ , vergleicht die Aktion mit antisemitischer Hetze („Kauft nicht bei Juden“), wirft Hensel Gulag-Vokabular vor und deutet zum Schluss noch mit routinierter Rhetorik an, dass Scholz & Friends Politik für Angela Merkel und die EU betreiben könnte: „Scholz & Friends ist eine renommierte Agentur. Sie arbeitet unter anderem für die Bundesregierung und die EU-Kommission. Gerald Hensel arbeitet für Scholz & Friends. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

    Mehrere hundert Kommentare und über 300 negative Bewertungen erschienen seitdem auf der Facebook-Seite von Scholz & Friends. Die Kritik reicht von sachlich begründeter Sorge um die Presse- und Meinungsfreiheit bis hin zu brachialem Alarmismus mit islamophoben Vergewaltigungs-, Enthauptungs- und Weltkriegsfantasien.

    Scholz & Friends gilt traditionell als CDU-nahe Agentur. Der frühere CEO Thomas Heilmann war 2012 bis 2016 Justizsenator in Berlin.

    12.12.16, nochmal Frank Zimmer: Achse des Guten: Wie sich ein Blog zu Tode empört

    Kaum ein W&V-Artikel hat in diesem Jahr für so viele Kommentare gesorgt, wie „Shitstorm gegen Scholz & Friends“. Mehrere Leser und Kommentatoren wollen wissen, wie ich persönlich zu Gerald Hensels Initiative #keingeldfürrechts stehe. Wahrscheinlich fragen sich gerade viele Menschen in der Marketingbranche, ob die Aktion gut für unser Land ist oder eine Gefahr für die Meinungsfreiheit, und es ehrt jeden, wenn er sich länger damit beschäftigt und nicht schon nach fünf Minuten eine Antwort herauspostet.

    Also: Ist es legitim, Werbungtreibende vor der Unterstützung rechtspopulistischer Seiten zu warnen?

    Nach den Erfahrungen, die ich in den vergangenen Tagen in Kommentarspalten und auf der Website Achgut.com machen durfte, bejahe ich das. Es ist legitim. Aber nicht, weil eine bestimmte Seite „rechts“ ist, sondern weil sie demagogisch und manipulativ ist. Eine „bürgerliche“, „konservative“, „libertäre“, „unabhängige“ Seite – die Adjektive sind in diesen Tagen besonders geduldig – sollte unseren Respekt genießen, auch wenn uns ihre Meinung vielleicht nicht passt. Gerade dann. Aber eine polemische, aggressive, Menschen herabwürdigende Seite ist kein Gewinn für Medienpläne und kein Umfeld für seriöse Marken.

    14.12.16, Stefan Wegner (als Gastautor): Scholz & Friends: Jetzt spricht der Chef von Gerald Hensel

    Scholz & Friends hat sich die Initiative #keingeldfürrechts nicht ausgedacht und sie auch nicht unterstützt. Sie ist eine Idee von Gerald Hensel, der bei uns seit vielen Jahren einen tollen Job macht. Er ist ein sehr guter Digitalstratege, ein politischer Kopf und Querdenker.

    Von der starken Resonanz der Aktion waren wir alle, auch Gerald, überrascht. Viele Unternehmen reagierten sehr schnell und positiv auf den Hinweis, ihre Werbeumfelder zu überprüfen. Aber auch die Kritiker und Betroffenen meldeten sich sofort und lautstark zu Wort. Der „Shitstorm“ erfasste Gerald selber und sehr schnell auch Scholz & Friends. Wir sammelten innerhalb weniger Tage über 2.000 negative Bewertungen auf Facebook. Wir wurden beschimpft als „ekelhafte Denunzianten“ und „Propaganda glorifizierende Giftzwerge“. Wir bekamen Drohanrufe in der Agentur. Unsere Kunden erhielten massenhafte Mails mit Boykottdrohungen in Bezug auf ihre Produkte sowie der Aufforderung, das Vertragsverhältnis mit Scholz & Friends zu kündigen. Gerald bekam Morddrohungen.

    Wir haben uns in dieser Situation als Arbeitgeber hinter Gerald gestellt. Warum? Im Namen der Meinungsfreiheit versuchen die Gegner der Aktion einen unserer Mitarbeiter mundtot zu machen („Schmeißt ihn sofort raus!“). Im vermeintlichen Kampf gegen einen Boykott freier Medien rufen sie selber zu einem Boykott unserer Agentur und unserer Kunden auf. Zur angeblichen Verteidigung der Demokratie verwenden sie Mittel der Einschüchterung, Bedrohung und Beleidigung. Das ist menschenfeindliches und undemokratisches Verhalten. Und dagegen stellen wir uns. Wir machen uns damit aber ausdrücklich nicht zum Absender der kontrovers diskutierten Aktion.

    Im Rahmen der Meinungsfreiheit ist diese Aktion legitim und muss auszuhalten sein. Sie findet im öffentlichen Raum statt. Sie ruft zur freien Meinungsbildung auf. Sie stellt sich zur Diskussion. „Demokratie ist eine ständige, gegenseitige Zumutung“ schreibt Roland Tichy. Das stimmt. Auch in diesem Fall.

    Für uns waren die vergangenen Tage so eine Zumutung. Scholz & Friends wurde mit unendlich vielen falschen Behauptungen überschüttet: von der Verschwörungstheorie mit Hinweis auf unsere Regierungskunden bis zur falschen Unterstellung, Initiator von Boykottaufrufen zu sein. Das sind wir nicht und werden es auch in Zukunft nicht sein.

    Was wir aber sind, ist eine Agentur, die für eine freie und angstfreie Meinungsäußerung eintritt. Und für eine offene Gesellschaft, in der kontrovers gestritten werden kann, ohne dass der persönliche Respekt im Umgang miteinander verloren geht.

    1. Zur Stellungnahme von Stefan Wegner pflegt Michael Gassmann, Welt eine recht eigenwillige Lesart: Scholz & Friends geht auf Abstand zu #keingeldfürrechts (ich hätte schwören können, daß da gestern abend noch ‚Hensel‘ statt ‚#keingeldfürrechts‘ stand)

      Scholz & Friends geht nun öffentlich auf Abstand zu Hensels Aktion. Wegner erklärte zwar allgemein, seine Agentur setze sich für respektvolle und „angstfreie Meinungsäußerung“ ein, stellte aber zugleich mit Bezug auf Hensels konkretes Vorgehen klar: „Scholz & Friends hätte diesen Weg nicht gewählt.“ Zugleich heißt es, die Agentur habe sich als Arbeitgeber hinter Hensel gestellt. Wie lange diese Aussage noch gilt, blieb zunächst offen.

      (Fettung dvw)

      Zum Vergleich noch einmal Stefan Wegners Text (nahezu wortgleich veröffentlicht auf mindestens 3 Plattformen:

      Wir haben uns in dieser Situation als Arbeitgeber hinter Gerald gestellt. Warum? Im Namen der Meinungsfreiheit versuchen die Gegner der Aktion einen unserer Mitarbeiter mundtot zu machen („Schmeißt ihn sofort raus!“). Im vermeintlichen Kampf gegen einen Boykott freier Medien rufen sie selber zu einem Boykott unserer Agentur und unserer Kunden auf. Zur angeblichen Verteidigung der Demokratie verwenden sie Mittel der Einschüchterung, Bedrohung und Beleidigung. Das ist menschenfeindliches und undemokratisches Verhalten. Und dagegen stellen wir uns. …

      Was wir … sind, ist eine Agentur, die für eine freie und angstfreie Meinungsäußerung eintritt. Und für eine offene Gesellschaft, in der kontrovers gestritten werden kann, ohne dass der persönliche Respekt im Umgang miteinander verloren geht.

      Auf Twitter haben Broder- und Tichy-Jünger eine Nachtschicht eingelegt, Hensels Tweets nach antisemitisch interpretierbarer Israelkritik gescannt und glauben, im Juli 2014 fündig geworden zu sein. Beliebte hashtags: #deutschekauftnichtbeijuden #Antisemitismus

  3. Telepolis, Florian Rötzer (13.12.16): Die Achse des Guten im Kampf gegen das linke Böse

    Die Initiative #KeinGeldfuerRechts hat die Werbeschaltungen für Achgut.com und Tichys Einblick ausgetrocknet

    Großes Wehklagen gibt es gerade auf dem Blog Achse des Guten und gleichermaßen bei Tichys Einblick. Die beiden konservativen Blogs, die mitunter scharfe Polemik betreiben, sich antiislamisch geben, gegen links, grün und Merkel sowie allen „Gutmenschen“ und den herrschenden Mainstream ausschlagen, aber für den freien Markt, die USA und Israel sind, was immer sie machen, werden angeblich von der Werbe-Branche geschnitten. Wenn es ums Geld geht, greift man schon zu harten Tönen und plustert sich auf, als würde es sich um die Leuchttürme der Meinungs- und Pressefreiheit handeln.

    Offenbar wirkte die Initiative, auch gefördert von Artikeln im Spiegel über die Erfolge der Kampagne in den USA. Tichys Einblick und auch die Achse des Guten sollen seit letztem Freitag einen „massiven Anzeigen-Einbruch“ durch den „Boykott“ der Werbe-Branche erfahren haben, heißt es. Gleich alle Kunden von Achgut.com hätten ihre Buchungen zurückgezogen, ähnlich soll es bei Tichys Einblick aussehen. Maxeiner, Mitgründer von Achgut.com, bestätigte, dass sich alle Anzeigenkunden zurückgezogen haben. Das ist eine Kränkung.

    Wahrscheinlich hat es auch die Junge Freiheit getroffen, die erzürnt von „Blockwart & Friends“ und von einer „schmierigen linkspopulistischen Denunziationskampagne“ schreibt oder sich beklagt. Angeblich geht es gegen „unabhängige Netzmedien, die nicht von Staatsaufträgen und Zwangsgebühren leben“. Die würden aber nun mehr Spenden erhalten (wollen) und ihre Leser auffordern, bei den Kunden der Agentur nachzufragen.

    Die Initiative, die fragwürdig ist, allerdings in einem Feld agiert, in dem private Unternehmen und Agenturen die Freiheit haben zu entscheiden, wo sie werben wollen, was der große Unterschied zu einer staatlichen Zensur wäre, kitzelt natürlich die Wutbürgermedien heraus, als die sich Achgut.com oder Tichys Einblick geben.

    Broder hat dies schon lange zu seiner Rolle gemacht. Wenn jetzt ihre Medien weniger Anzeigenschaltungen haben, dann holt man die Rhetorik heraus, dass man als avantgardistische, die Wahrheit vertretende Minderheit, die für Freiheit und Vielfalt eintritt, unterdrückt wird. Das kann in dem noch vom Kalten Krieg und Antikommunismus geprägten Wutbürger-Weltbild irgendwie nur von Links erfolgen, wo das Böse haust und wo sich auch die Union unter Merkel begeben hat.

    Aber der Chef der Guten, Henryk Broder, muss den Aufschlag selbstverständlich überbieten und zieht die gewohnt wenig argumentativen Register, um die gegeißelte Denunziation noch besser zu denunzieren. Der „schmutzige Erfolg der Denunzianten“ ist es, dass nun sein Projekt etwas weniger Geld einfährt. Broder zieht sofort die billige Nazi-Keule, darunter geht es nicht, die funktioniert in Deutschland.

    Broder vergleicht Hensels Initiative mit dem Nazi-Boykott jüdischer Geschäfte, um die Minderwertigkeit von ihm zu suggerieren, weil er ja die historische Dimension, die Broder natürlich für sich vereinnahmt, nicht kenne und keine Ahnung habe, „dass der Spruch ‚Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!‘ die Mutter aller Hashtags war“. Das ist gute sophistische Rhetorik und sollte Hensel zufriedenstellen, der noch am 6. Dezember sagte, er hätte mehr Widerstand von den „Schlechtmenschen“ erwartet.

    Für Broder, dessen Welt, wie gesagt, in der Vergangenheit liegt, ist Hensel ein „Kultur-Stalinist“. Und er ist kein Demokrat, weil er „nicht zwischen rechts, rechtsradikal und rechtsextrem“ unterscheidet. Wo also würde sich Broder einordnen, bei rechts? Es sei schließlich „kein Makel, rechts zu sein“. Das gehöre zur Demokratie, rechts sei, wenn man die „Willkommenskultur für eine Form der kollektiven Psychose“ hält, aber nichts über Völkisches, Nationalistisches oder Rassistisches sagt, das damit schnell einhergeht. Broder, der wackere Kämpfer für Rechts und die Freiheit, muss dann auch zeigen, wie demokratisch er ist, in dem er Hensel als „Würstchen“ beschimpft.

    Aber Broder reicht die persönliche Beleidigung nicht, er muss auch noch weiter ausschlagen, weil er gerade so schön in Fahrt ist und das schon länger ein Thema der Rechten und auf Achgut.com ist, etwa durch die wackere Vera Lengsfeld, die nicht nur das „Netz-Gegen-Nazis“, sondern auch die Ex-Stasiinformantin Anetta Kahane und die Amadeu Antonio Stiftung geißelt. Broder findet es nicht gut, wenn die auch von der AfD attackierte Stiftung unter der Kategorie „Beliebte rechtspopulistische Blogs“ neben Nazi-Websites auch Achgut.com, Roland Tichy und Vera Lengsfeld eingeordnet hat.

    Da Broder sich selbst als rechts bezeichnet, wäre es wohl besser gewesen, eine Kategorie „Beliebte rechte Blogs“ aufzumachen. Die Stiftung zensiert allerdings nichts, auch nicht im Auftrag des Justizministeriums, so die Verschwörungstheorie.

    Aber bei aller aufgepumpten Aufregung über Denunziation und der Neigung zur Diffamierung Anderer kann sich Broder – natürlich ganz witzig – nicht enthalten, seine Widersacher zu bedrohen: „Seht Euch vor, ihr seid an den Falschen geraten. Euch mache ich, wenn es sein muss, am frühen Morgen fertig, noch bevor ich meinen Hund Gassi geführt habe.“

    Achgut, Broders Mitstreiter Dirk Maxeiner, auch ursprünglich von den Mainstreammedien kommend, erklärt, dass mit dem Rückzug der Werbekunden von Achtgut.com das „wertvollste demokratische Porzellan“ zerschlagen worden sei. Deutschlands wertvollstes Porzellan ist damit Achgut.com wohl an erster Stelle für Maxeiner.

    Der sieht die Nischenpublikation in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft: „Die Achse hat über eine halbe Million Leser und drei Millionen Seitenaufrufe pro Monat und wird eine immer lautere Stimme. Es geht in diesem Fall nicht um den Kampf gegen den gefährlichen rechten Rand unserer Gesellschaft, es geht um die Stigmatisierung und Einschüchterung der bürgerlichen Mitte.“

    Geradezu weinerlich und narzisstisch gekränkt meint Dushan Wegner auf Tichys Einblick: „Das Problem mit vorlaufender Zensur ist: So wie niemand das ungezeugte Kind vermisst, so vermisst niemand die ungesagte Wahrheit. Niemand fragt nach der Wahrheit, von der er nicht hörte. Ich sage Ihnen persönlich eine besinnliche Weihnachtszeit voraus!“

    In Florian Rötzers in Gänze lesenswertem Artikel finden sich drölfzig links, die ich hier nicht eingebastelt habe.

  4. Und der Bundesrichter haut – in anderem thematischen Zusammenhang, Stichwort Freiburg – ganz wundervoll auf die Kacke:

    Wer mit Migration nicht leben will und kann, ist vielleicht ein „besorgter“, auf jeden Fall aber ein besorgniserregender, in der neuen, globalisierten Welt nicht angekommener Bürger. Er ist, nach allen kriminologischen Erkenntnissen der letzten 150 Jahre, in hohem Maß gefährdet und gefährlich, denn er ist subjektiv desintegriert, enttäuscht, frustriert, objektiv auf der Verliererseite. Er neigt in deutlich überproportionalem Maß zum sozialen Rückzug, selbstdestruktivem Verhalten und Sucht, zu irrationalem Hass auf vermeintlich Schwächere und Minderheiten, zu Gewalttaten und zum Anschluss an totalitäre Glaubensgemeinschaften religiöser und politischer Art.

    1. Ein schwacher, aber immerhin ein Trost, das Fischer so etwas in der Zeit noch schreiben darf, ein beliebiger Kommentator mit dem gleichen Text würde wahrscheinlich schnell wegeditiert.

  5. Liane Bednarz über den Jargon von Roland Tichy und seinen Blogautoren und darüber, was im „Cicero“ gesagt werden darf: „Kriegs- und Auschwitz-Komplex“

    Liane Bednarz ist eine ausdrücklich konservative Publizistin und eine der wenigen, die sich – neben ihren Analysen von rechtsradikaler Rethorik – um präzise Abgrenzung zur Rechten bis Rechtsradikalen verdient macht.

    Franz Sommerfeld schreibt bei Carta über Tichys Boykott-Inszenierung und die Verrohung der Sitten, daraus:

    Nach der Initiative von Hensel müssen sich die Etat-Entscheider fragen, welche Positionen sie mit finanzieren wollen. Da wird Angela Merkel in Tichys Blog vorgehalten, „sich an ihrem Werk zu ergötzen, an der demokratisch nicht legitimierten, faktischen Enteuropäisierung Europas“. Merkel habe „die Opposition und damit die Demokratie abgeschafft.“ Sie sei „auf dem Weg, die freiheitlich demokratische Grundordnung zugunsten eines autoritären, prä-diktatorischen Systems außer Kraft zu setzen. Was Merkel noch fehlt zu ihrem Glück, ist der Notstand. Dann könnte sie ihre Politik als Sendbotin einer neuen Zeit nahtlos fortsetzen.“ Und so weiter und so fort. Man kennt das aus Berichten über Pegida Demonstrationen. Das alles fällt natürlich unter die Meinungsfreiheit.

    Aber Firmen werden sich fragen, ob sie dort werben wollen, weniger wegen dieser oder jener ihnen missfallenden Meinung, sondern weil ein solches doch irgendwie schmuddeliges Umfeld die Marke beschädigen könnte. Bei einem Medium ist nun einmal nicht nur die Reichweite entscheidend, sondern auch die Ausstrahlung. Es handelt sich also um notwendige und vernünftige wirtschaftliche Entscheidungen und nicht um einen politischen Boykott, wie ihn der Nazis auf dem Wege zur Vernichtung der Juden ausgerufen haben.

    Trotzdem wird Tichys Bilanz in diesem Streit unter dem Strich schwarze Zahlen vorweisen. Denn die Verluste der vermutlich sowieso nicht übermäßigen Werbeeinnahmen werden durch die wichtige Währung öffentlicher Aufmerksamkeit ausgeglichen. Hier lohnt ein Blick auf die entsprechenden Facebook-Seiten. Seine Anhänger scharen sich in empörter Solidarität noch enger um ihn und fühlen sich bestärkt. Das ist der Trump-Effekt. Er funktioniert auch in Deutschland und wird Tichys Blog stärken. Darum besteht eine Gefahr von Hensels Aufruf darin, dass viele, nicht nur auf der Linken, glauben werden, mit diesem hier zu Lande so beliebten Kampf gegen Rechts habe man seine Schuldigkeit getan und könne sich nun wieder seinem Alltag widmen. Ohne zu fragen, ob sie nicht auch selbst zur wachsenden Akzeptanz rechtspopulistischer Strömungen beigetragen haben.

    Wirklich schäbig an dem Vorgang bleibt aber die Unverfrorenheit, mit der Tichy versucht, sich als verspätetes Nazi-Opfer zu inszenieren.

  6. Gerald Hensel hat bei Scholz & Friends gekündigt und residiert derzeit aus Sicherheitsgründen in einem Hotel nicht in Berlin. Der Stern hat ihn interviewt, sollte man lesen.

    Stern: Auf Ihrer Website „davaidavai.com“ haben Sie eine Liste veröffentlicht mit Websites, die Sie als rechts klassifizieren.

    Gerald Hensel: Es geht mir nicht darum, dass ein Kreuzzug gegen einzelne Seiten geführt wird. Es geht darum, dass die Leute, die Banner schalten, ein Verständnis dafür kriegen, wohin sie eigentlich ihre Werbegelder lenken. Es geht mir nicht um Blacklisting. Ich habe nie zu einem Boykott aufgerufen. Ich habe gesagt: „Werbeleiter dieser Welt, schaut mal wieder hin, wohin ihr euer Geld gebt. Ihr habt nämlich keine Ahnung mehr, wie eure Budgets funktionieren. Oft sind es eben manipulative Knoten, die Gesellschaften in Echtzeit in Hate-Mobs verwandeln.“

    Stern: In der Liste taucht die „Achse des Guten“ nicht auf. In einem langen Text über Ihre Aktion stellen Sie den von Henryk M. Broder betriebenen Blog allerdings in einen Kontext mit „Breitbart“ und „Pi-News“. Warum haben Sie das gemacht?

    Gerald Hensel: Ganz einfach, weil ich manchmal ein naiver Idealist bin. Ich bin ein Mensch, der eine Idee hatte. Ich habe einen definitiv nicht rechtsicheren Text geschrieben. Dennoch haben sich diese Leute demaskiert und gezeigt, wer sie wirklich sind.

  7. Thomas Stadler, Internet-Law (15.12.16): War #KeinGeldFürRechts ein unzulässiger Boykottaufruf?

    … Nachdem sich auf Twitter auch eine juristische Diskussion darüber entwickelte, ob die Aktion Hensels einen rechtlich unzulässigen und wettbewerbswidrigen Boykottaufruf beinhaltet, möchte ich mich mit dieser juristischen Fragestellung hier näher befassen.

    Fraglich ist bereits, ob zwischen Gerald Hensel, auch wenn er Mitarbeiter einer bekannten Werbeagentur ist, und einem publitzistischen Blog wie „Achse des Guten“ ein Wettbewerbsverhältnis besteht und Hensel als Mitbewerber zu betrachten ist. Bereits das dürfte äußerst zweifehlaft sein, wobei dann immer noch ein unzulässiger Boykottaufruf nach allgemeinen, deliktsrechtlichen Vorschriften im Raum stehen könnte.

    Die nächste Frage ist die, ob überhaupt schon die Schwelle zu einem Boykottaufruf überschritten ist. Denn ein solcher Aufruf erfordert ein Maß an Einflussnahme, das über die bloße Information oder unverbindliche Anregung hinausgeht. Man könnte hier zwar argumentieren, dass der Slogan bzw. Hashtag „Kein Geld für Rechts“ deutlichen Appellcharakter hat. Andererseits hat Hensel gegenüber Werbetreibenden nur angeregt, sich anzuschauen, ob sie aufgrund automatisch gebuchter Werbung eventuell auch auf Seiten zu finden sind, auf denen sie nicht gefunden werden wollen. Man kann also auch bezweifeln, ob die Schwelle zum Boykottaufruf tatsächlich bereits überschritten ist.

    Aber selbst wenn man das unterstellt, ist nicht jedweder Boykottaufruf unzulässig, auch nicht nach den Maßstäben des UWG. Auch im Bereich des Wettbewerbsrechts ist in solchen Fällen eine umfassende Güterabwägung unter Berüsichtigung der grundrechtlichen Wertungen, insbesondere der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG vorzunehmen. Wesentlich sind hierbei auch die Motive und Ziele des Boykottaufrufs. Wenn es sich um eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung handelt und die eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht im Vordergrund stehen, sondern die Sorge um politische oder gesellschaftliche Belange, so spricht dies für die Zulässigkeit des Aufrufs (vgl. Köhler, in Köhler/Bornkamm, UWG, § 4, Rn. 4.123). Ein Aufruf, der sich gegen publizistische Plattformen richtet, die man in einem bestimmten weltanschaulichen, politischen Kontext verortet, ist in jedem Fall von allgemeiner, öffentlicher Relevanz. Hinzu kommt, dass Hensel keinen Druck ausgeübt hat, sondern sich auf die Mittel der geistigen Einflussnahme beschränkt. Auch das spricht für die Zulässigkeit.

    Wenn man die Aktion von Gerald Hensel also überhaupt als Boykottaufruf bewerten will, spricht nach meiner rechtlichen Bewertung vieles dafür, dass sie juristisch nicht zu beanstanden ist.

    Ich möchte an dieser Stelle aber auch nicht verschweigen, dass ich große Sympathie für die mutige Aktion von Gerald Hensel hege und der zum Teil wütenden Reaktion wenig abgewinnen kann.

    Lesenswert ist auch die Diskussion unter Stadlers Tweet.

  8. (ghoulies humming) as we walk into the shitstorm, we fear no reveal, for we have placed a statue of Voltaire in front of us, by all the free speech thrown at it, its looking really ugly, virtually, just like our species speeches.

    Solche Sachen sind der Grund warum sich kaum ein Ausserirdischer auf unseren Planeten traut, bei dem was man im Anflug schon alles so über die Bewohner lesen kann (und hören, danke für den audio-link), würde ich auch schnell abbiegen.
    greetings from the pit -abghoul

    1. Nicht nur Voltaire, rechtsradikale Scheißestürmer mißbrauchen inzwischen auch liebend gern:

      – Rosa Luxemburg: Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.

      – Martin Niemöller: Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.

      – Berthold Brecht: Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!

      – Ignazio Silone: Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‹Ich bin der Faschismus›. Nein, er wird sagen: ‹Ich bin der Antifaschismus›

      – die weiße Rose: Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique „regieren“ zu lassen.

      usw.usf.

  9. Meike Laaff, taz: Nicht mit meiner Marke mit interessanten Zahlen, nämlich u.a. zu den Firmen, die nicht mehr bei Breitbart werben möchten und dazu, was Gerald Hensel heute so macht, nämlich einen Verein namens ‚Fearless Democracy‘ gründen.

    Die Ziele: über populistische und neurechte Stimmungsmache in Sozialen Netzwerken und die Prozesse dahinter aufklären. Menschen helfen, die von derartigen Shitstorms betroffen sind. Und: Firmen und Institutionen helfen, sich in diesem Kommunikationsumfeld zu positionieren und sich für potentielle Angriffe zu wappnen.

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