Human Rights Watch hat heute Vorher-Nachher-Satellitenbilder aus dem Norden von Rakhine (Myanmar) veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß in den letzten 6 Wochen mehr als 1.200 Rohingya-Häuser niedergebrannt wurden. Zehntausende Rohingya sind auf der Flucht vor der Gewalt des Militärs und der staatlich ausgebildeten und bewaffneten Bürgerwehren. Humanitäre Hilfe, Lebensmittellieferungen, Gesundheitsversorgung wurden vom Militär in Nord-Rakhine ausgesetzt, dort wurde der Ausnahmezustand verhängt und das gesamte Gebiet zur ‚Operation Zone‘ erklärt.
Aung San Suu Kyis Regierung erklärt hingegen, es seien rund 300 Häuser von Aufständischen zerstört worden, die „für Missverständnisse zwischen den Regierungstruppen und dem Volk sorgen wollen„. Gegenteilige Behauptungen wies sie als „Desinformationskampagne von Terroristen“ zurück.
Eine Chronologie der letzten 6 Wochen:
9. Oktober 2016: Laut Polizeiangaben werden drei Grenzschutzposten im Norden von Rakhine von hunderten islamistischer Milizionäre angegriffen, die 9 Polizisten getötet haben sollen. 8 Angreifer sollen während der Anschläge getötet worden sein. Die Polizei behauptet zunächst, die Angreifer hätten Verbindungen zu einer Gruppe namens ‚Rohingya Solidarity Organisation‘, eine militante Gruppe, die mit großer Wahrscheinlichkeit schon seit Jahrzehnten nicht mehr existiert. Das gesamte Gebiet wird zur ‚Operation Zone‘ erklärt und der Ausnahmezustand verhängt.
10. Oktober: Jede humanitäre Hilfe wird eingestellt. Rund 162.000 Menschen in der Region hängen von der Unterstützung aus dem World Food Programme und anderen U.N. Agenturen ab. Truppen werden in die Gebiete um Maungdaw, Buthidaung und Rathedaung in Nord-Rakhine entsendet und in Alarmbereitschaft versetzt.
Innerhalb von Tagen kommen mehr als 800 Buddhisten in der Landeshauptstadt Sittwe an. Mehr als 1.200 Muslime fliehen aus ihren Dörfern und suchten Schutz in der Stadt Buthidaung. Staatliche Medien berichten, daß Buddhisten mit einem Hubschrauber evakuiert wurden. Sie befürchteten, ihre Dörfer würden von Mobs bewaffneter Muslime überfallen.
Die New York Times berichtet, daß ein Dutzend Menschen seit den ersten Angriffen extra-legal hingerichtet worden sein könnten.
14. Oktober: Die Regierung sagt, die Angreifer seien Mitglieder einer jihadistischen Gruppe, Aqa Mul Mujahidin, die von einem von den Taliban in Pakistan ausgebildeten und von ausländischen Terrorgruppen finanziell unterstützten Mann geführt würden. Ein paar Tage später, während einer Reise nach Indien, sagt Suu Kyi der Hindustan Times: „Das sind nur Informationen aus nur einer Quelle, wir können nicht sicher sein, daß das absolut richtig ist.“
27. Oktober: Fiona MacGregor, eine schottische Investigativ-Journalistin, berichtet in der Myanmar-Times, daß Menschenrechtsgruppen Dutzende sexueller Übergriffe dokumentiert hätten, die von burmesischen Sicherheitskräften gegen Rohingya-Frauen in der Operation Zone begangen worden seien. Am folgenden Tag berichtet auch Reuters. Die Redaktion der Myanmar Times, die einzige private englischsprachige Tageszeitung in Myanmar, wird angewiesen, über die Situation in Arakan bis auf Weiteres nicht zu berichten. (wird erst wieder ab 18. November unter einer neuen Richtlinie fortgesetzt)
MacGregor wird vom ehemaligen Informationsminister Ye Htut und Präsidentschaftssprecher Zaw Htay in den Social Media angegriffen, Online-Belästigung folgt.
31. Oktober: MacGregor wird entlassen, weil sie „den guten Namen der Zeitung“ beschädigt habe. Sie hatte dort mehr als drei Jahren gearbeitet und eine populäre Kolumne geschrieben, die sich auf Frauenfragen konzentriert. Sie behandelt regelmäßig Themen wie sexuelle Übergriffe und die Gesundheit von Frauen, vor allem in den Konfliktzonen. MacGregor:
It is profoundly concerning for women’s rights, media freedom and democracy as a whole in Myanmar, that the civilian government is using bullyboy tactics to intimidate journalists and attempt to silence allegations of rape by the military. We should not forget that at the center of this propaganda war are real people who are allegedly the victims of the most horrible and brutal crimes.
Ihr Redakteur, Douglas Long, wird zwei Wochen später ebenfalls entlassen, weil er „die Mission der Zeitung untergraben“ hätte, kurz nachdem er über den Vorfall mit internationalen Medien und einem Vertreter des Committee to protect Journalists gesprochen hatte. Douglas Long, eine Woche vor seinem Rauswurf zu Time:
With each passing day the current government is starting to look more and more like the pre-2010 government.
1. November: Staatlich kontrollierte Medien beginnen Artikel zu veröffentlichen, die den Journalismus widerlegen sollen, der dem offiziellen Narrativ widerspricht, ganz wie in den Vor-Reformzeiten der Zensur und heftigen Propaganda. Diese Medien kolportieren, daß islamistische Milizen mit ihren Angriffen auf Sicherheitskräfte zu weit gegangen seien und sie eliminiert werden müßten.
Staatliche Medien beschuldigen auch internationale Medien, „in Absprachen mit terroristischen Gruppen zu arbeiten„, indem sie Falschmeldungen verbreiteten.
2. November: Eine Delegation aus neun Diplomaten und einem US-Offiziellen besuchen Teile von Maungdaw zum ersten Mal nach dem 9. Oktober. Die streng überwachte Reise dauert zwei Tage, während der sie vier durch die Regierung ausgewählte Dörfer besuchen. Mitglieder der fürsorglich belagerten Reisegesellschaft – darunter der US-Botschafter Scot Marciel und U.N. Resident Coordinator Renata Dessallien – dürfen mit einigen Dorfbewohnern sprechen. Die Behörden verhaften mindestens zwei Rohingya-Männer, noch während sie mit Mitgliedern der Delegation sprechen. Botschafter Marciel besteht darauf, daß sie sofort freigelassen werden. Verschiedene Rohingya-Quellen berichten, daß Dorfbewohner, die mit der Delegation gesprochen hatten, später festgenommen und geschlagen wurden.
Die Delegationsmitglieder lehnen es ab, ihre Beobachtungen direkt zu kommentieren und betonen, daß es sich nicht um eine Erkundungsmission handele. Sie fordern die Regierung auf, Menschenrechtlern, technischen Fachkräften und Journalisten den Zugang zu ermöglichen. Die Regierung kam dem bis heute nicht nach.
3. November: Der Chef der Staatspolizei Colonel Sein Lwin kündigt Bewaffnung und Ausbildung nicht-muslimischer Zivilisten durch die örtliche Polizei an. Das Trainingsprogramm für diese Bürgerwehren, von der International Commission of Jurists als „a recipe for disaster“ bezeichnet, soll am 7. November für etwa 100 Rekruten beginnen. Reuters berichtet, daß derlei bereits in der Landeshauptstadt Sittwe stattfindet.
12. November: Die burmesische Armee eröffnet das Feuer aus Hubschraubern in der Nähe von Dörfern in Maungdaw. Die staatlich kontrollierte Zeitung Global New Light of Myanmar berichtet, daß etwa 60 Angreifer, mit „Pistolen, Stöcken und Speeren“ bewaffnet, Soldaten angegriffen und einen getötet hätten. Das Militär schießt als Antwort von zwei Hubschraubern aus in die Felder. In zwei Tagen dieser Gewaltausübung werden schätzungsweise 15.000 Menschen vertrieben. Videos, die internationale Hilfsorganisationen erreichen, zeigen in den Feldern liegende Leichen. Laut Regierung wurden 69 ‚gewalttätige Angreifer‘ getötet und 234 verhaftet. Die Zahlen werden im Laufe des Tages immer höher.
Einige Beobachter nennen die Reaktion der Armee auf die angebliche terroristische Bedrohung „heavy-handed“, andere vergleichen sie mit der so genannten Four-Cuts-Strategie, die jahrzehntelang angewendet wurde, um Aufständische unter den vielen Ethnien in Myanmar zu isolieren. Laut Phil Roberston, dem stellvertretenden Asien-Direktor für Human Rights Watch, seien die Operationen gegen „ragtag Rohingya militants with a few guns, some sticks and spears“ anders. Roberston spricht gegenüber Time von „verbrannter Erde“:
The real comparison is the Tatmadaw’s penchant for scorched earth tactics when they feel like they are challenged in any way, and that’s why some of the Rohingya villages where the authorities suspect militants may have hidden are being targeted for looting and burning, and sweeps have taken away so many men and boys.
15. November: Die staatlichen Medien in Burma führen das „True News Information Team of Defense Services“ ein, das lokale und regionale Medien aussondert und herausstellt, die „fabrications“ über Opfer und beschädigtes Eigentum herausgegeben haben. Mindestens ein lokaler muslimischer Journalist wurde extremen Online-Belästigungen ausgesetzt, darunter auch Todesdrohungen.
18. November: Der Zugang für humanitäre Hilfe wurde in Maungdaw nicht wiederhergestellt. Nach dem diplomatischen Besuch Anfang November darf die U.N. in sieben Dörfern begrenzte Nahrungsmittelhilfe für etwa 7.200 Menschen leisten. Diese dürftige Auslieferung dauerte nur zwei Wochen an und läuft zu dem Zeitpunkt ab, als die Nahrungsmittelknappheit auf ihrem Höhepunkt ist. Die Lieferungen werden voraussichtlich in dieser Woche ganz enden müssen.
Laut Pierre Peron, Sprecher des U.N. Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten in Birma sind regelmäßige Nahrungsmittel-, Bargeld- und Ernährungshilfen für mehr als 150.000 Menschen seit dem 9. Oktober suspendiert. Während dieser Zeit haben mehr als 3.000 Kinder unter 5 Jahren keine Behandlung für schwere akute Mangelernährung erhalten, sodaß bis zu 50% dieser Kinder in Todesgefahr sind.
Jede Basisgesundheitsversorgung für bis zu 24.000 Menschen/Monat ist ausgesetzt. Peron hält das für „sehr besorgniserregend, wenn man bedenkt, daß die Säuglings-und Müttersterblichkeit in Maungdaw ohnehin bis zu viermal höher ist als im nationalen Durchschnitt.“
Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Birma, Yanghee Lee, forderte die Regierung am Freitag auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen. Lee:
The security forces must not be given carte blanche to step up their operations under the smoke screen of having allowed access to an international delegation.
Aung San Suu Kyi lächelt und schweigt lügt und der Genozid an den Rohingya nimmt weiter ungestört seinen Lauf.
Foto: Screenshot bei Twitter
Deutsche Medien sind komplett desinteressiert, except n-tv und Radio Vatikan (die aber die Meldung offenbar wieder gelöscht haben, war aber sowieso nur ein Fünfzeiler)
Artikel englischsprachiger Medien trage ich morgen oder so nach.
New York Times Editorial: Myanmar’s War on the Rohingya
Poppy McPherson, Guardian (18.11.16): ‘It will blow up’: fears Myanmar’s deadly crackdown on Muslims will spiral out of control
Press Release Fortify Rights (5.11.16): Scrap Plan to Arm Civilians in Rakhine State
BBC: Rohingya villages ‚destroyed‘ in Myanmar, images show
Washington Post: Another crisis for one of the most persecuted peoples in the world
Al Jazeera News: Myanmar accused of new destruction of Rohingya villages
Refugees International hat soeben einen Report zur Lebenssituation der aus Myanmar nach Malaysia und Thailand geflüchteten Rohingya veröffentlicht: Still Adrift – Failure to protect Rohingya in Malaysia and Thailand
In Myanmar leben noch etwa 1,1 Million Rohingya, etwa 1,5 Millionen sind im Exil. Der rassistische Plan in Myanmar geht auf – wir alle sehen einem Genozid zu und keinen interessierts. War da nicht mal was mit „Nie wieder“?
Aber die Rohingya haben einfach nicht die richtige Hautfarbe/Religion.
Die beiden folgenden Artikel beschließen die deutschspachige Berichterstattung über die Pogrome, man beachte eine Wortwahl wie „sogenannte Rohingya“ und den Umstand, daß es sich beim Beschuß aus Militärhubschraubern um „Aufständische“ und bei detailliert berichtenden Menschenrechtsorganisationen um „Aktivisten“ handelt.
Deutsche Welle: Myanmar – Militär geht nach Berichten brutal gegen muslimische Minderheit vor
ORF: Aktivisten: Über 1.000 Rohingya-Häuser in Myanmar zerstört
Reuters: Hundreds more Myanmar Rohingya flee to Bangladesh: aid workers
(Mit Salz->) PressTV: Bangladesh prevents 125 Rohingya Muslims from entering country
BangladeshNews24 bringt die Meldung auch:
Dhaka Tribune: Rohingya migration is an uncomfortable issue
The Financial Express: BGB push back 114 more Rohingyas to Myanmar
UCANews: No Bangladeshi welcome for fleeing Rohingya
Der Standard berichtet selber nicht, empfiehlt aber für Nachrichten aus Myanmar (unter „Burma“) u.a. die Seiten von Mizzima, „Nachrichten organisiert von burmesischen Exilanten“. Dort: More Rohingya villages razed in Myanmar’s Rakhine: HRW (ich glaube, den Link habe ich hier noch nicht entdeckt).
Und weiter wird wenigstens in anderen österreichischen Medien berichtet, hier z.B. unter Berufung auf HRW Tiroler Tageszeitung:
Danke, dass Sie Berichterstattung für Deutschland übernehmen (^^)!
Grüßle, Diander
Die taz hat heute berichtet
„Boykottiert Aung San Suu Kyi!“
http://taz.de/Bewaffnete-Kaempfe-in-Birma/!5356611/
„Der exilbirmesische Politikwissenschaftler und Menschenrechtsaktivist Maung Zarni warnt vor einem „Völkermord wie in Srebrenica“ und vor „Pogromen an den Rohingya“. Auf seiner Facebookseite fordert er: „Boykottiert Aung San Suu Kyi!““
Maungs Zarni’s blog http://www.maungzarni.net/
http://www.dw.com/de/tausende-rohingya-fliehen-nach-china/a-36477978
„Mindestens 3000 Angehörige der muslimischen Minderheit sind vom Norden Myanmars nach China geflohen, erklärte das Außenministerium in Peking. Seit Wochen bekämpft das Militär in Myanmar angebliche islamistische Milizen.“
Max Bearak, Washington Post: Rohingyas are fleeing a scorched-earth campaign in Burma. Bangladesh is sending them back
BBC: Myanmar wants ethnic cleansing of Rohingya – UN official
Oliver Holmes, Guardian: Rohingya flee to Bangladesh to escape Myanmar military strikes
amnesty international: Bangladesh pushes back Rohingya refugees amid collective punishment in Myanmar
ff.
Aus dem Wörterbuch des Unmenschen: Khin Maung Oo, The Global New Light of Myanmar: A Flea Cannot Make a Whirl of Dust, But—-
Im Stürmer hätte es kaum besser stehen können.
Ro Nay San Lwin, Twitter:
26.11.16:
27.11.16:
27.11.16:
Aus seinem Blog:
Woman Claiming to Have Been Raped By Myanmar Army. Says 100 More Rohingya Women Also Raped
Ist nicht alles schlecht in Myanmar:
Coconuts Yangon: Buddhist monk posts message of tolerance after visiting ‘Nowhere People’ exhibit
Kofi Annan besucht derzeit Myanmar, weswegen Aung San Suu Kyis Regierung schnell den Bock zum Gärtner machte und eine zweifelhaft besetze Kommission ins Leben rief, die die jüngsten Menschenrechtsverletzungen untersuchen soll – bestehend aus Militärs und ohne einen einzigen Rohingya. Detaillierter in der Bangkok Post:
Channel NewsAsia, aus einem Interview mit Aung San Suu Kyi, sie meint:
Auf den Einwand hin, daß nicht nur die internationale Community die Gewalt und die Regierungspolitik gegen die Rohingya kritisiert, sagt sie:
Dake Kang/AFP, The Seattle Times zum gleichen Thema:
Maung Zarni und Gregory Stanton, The Wire: Sorry, Aung San Suu Kyi, the Rohingya Crisis Is No Laughing Matter
Myanmar’s Rohingya campaign ‚may be crime against humanity‘ – Amnesty accuses military of burning homes and mowing down civilians from Muslim minority using helicopter gunships
https://www.theguardian.com/world/2016/dec/19/myanmars-rohingya-campaign-may-be-against-humanity
Vanessa Steinmetz, SPON: Der vergessene Völkermord