Die „3. Spielzeit“ in Marseille aus der Sicht eines russischen Hooligans. (Nachtrag 15.6. 13h YouTube hat das Video inzwischen gelöscht, mit den Worten: „Dieses Video wurde entfernt, weil es gegen die YouTube-Richtlinien zu Spam, irreführenden Praktiken und Betrug verstößt.„)
Das geschnittene Video, das zudem stark mit Zeitraffer-Effekten arbeitet, zeigt in gut sechs Minuten, wie eine Gruppe russischer Hooligans offenbar weitgehend unbehelligt von Polizei und Sicherheitskräften durch die Marseiller Innenstadt rund um den Hafen zieht – und mehr oder weniger auf alles einschlägt, was ihnen in die Quere kommt. Mehrfach werden Opfer zu Boden gebracht und gnadenlos zusammengeschlagen. Auch Stühle, Tische, Mülleimer und anderes herumliegende Gegenstände werden als Waffen eingesetzt. Mehrfach agiert der filmende Täter an vorderster Front und beteiligt sich an Schlägereien.
Gut zu erkennen ist außerdem, dass es sich bei der Gruppe um eine offenbar organisiert vorgehende Schlägertruppe handelt. Weder wirken die Angreifer betrunken, noch entsteht ihre Gewalt spontan aus Kneipenschlägereien oder Ähnlichem. Gezielt laufen sie auf der Suche nach Gegnern, beziehungsweise Opfern durch die Straßen, einzelne Szenen lassen zum Teil auf geübte Kampfsportler schließen. Auffällig zudem: Einer der Täter ist der „Mann mit dem Hut“, der laut ARD auch maßgeblich an der lebensgefährlichen Verletzung eines englischen Fans beteiligt war: Der Mann, der anhand seiner Kleidung gut wiederzuerkennen ist, agiert offenbar auch im Hooligan-Video die meiste Zeit in vorderster Reihe.
BGH-Urteil: Hooligan-Gruppe kann kriminelle Vereinigung sein
„Weil die Gruppierung der Angeklagten gerade auch auf die Ausübung von Tätlichkeiten im Rahmen von Schlägereien ausgerichtet war, bestand ihr Zweck und ihre Tätigkeit daher in der Begehung strafbarer (gefährlicher) Körperverletzungen“, heißt es in einem BGH-Urteil. Körperverletzung – auch bei freiwilligen und geplanten Zusammenstößen verfeindeter Hooligan-Gruppen – sei sittenwidrig und strafbar.
Laut Jahresbericht 2014/15 der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze der Polizei: Allein in Deutschland wurden knapp zweieinhalb Millionen Polizei-Einsatzstunden zur Sicherung der Fußballspiele der 1. – 3. Liga geleistet und auf alle Steuerzahler umgelegt. Dazu kommen Fakt und Kosten für mehr als 1.500 Verletzte bei den Spielen von Bundes- bis Regionalliga, darunter ungefähr 450 Unbeteiligte, mehr als 300 verletzte Polizisten und etwa 100 Ordner. Der Steuerzahler trägt auch die Kosten für mehr als 8.300 Strafverfahren. Es wurden 980 bundesweit wirksame Stadionverbote ausgesprochen, ingesamt waren im September 2015 2.218 Stadionverbote in Kraft, die offenbar nicht oder nur unvollständig an die UEFA weitergemeldet wurden.
Nur in Bremen werden inzwischen Rechnungen an die DFL geschickt, bei Spielen zwischen Vereinen, deren Fans für „Risikospiele“ sorgen. Für ein Spiel zwischen Werder Bremen und HSV wurden zum Beispiel 425.000€ in Rechnung gestellt. Die DFL möchte – Überraschung – nicht zahlen.
Die Bundesliga macht einen Jahresumsatz von mehr als 2,5 Milliarden Euro.
Das auch mal zum Thema Parallelgesellschaft. Muß man wohl verstehen, daß nicht genug Polizei zur Verfügung steht, um die geradezu täglich brennende Flüchtlingsunterkunft zu verhindern^^
Nicht nur der FC Ostelbien Dornburg hat ein Naziproblem.
In eigener Sache
Ein Jahr lang hatte Fussball-gegen-Nazis.de von August 2014 bis August 2015 eine eigene Redaktion aus einer halben Stelle, finanziert aus den Mitteln des Programms „PFiFF“ der Deutschen Fußball-Liga. Wie Sie bestimmt bemerkt haben, sind in dieser Zeit viele spannende Artikel hier erschienen, und mit der Broschüre „Fairplay statt Hass – Was wir gegen Menschenverachtung und rechtsextreme Ideologien im Fußball machen können“ ist zum Abschluss auch ein spannendes Print-Produkt entstanden. Leider ist die Förderung ausgelaufen.
Fußball-Europameisterschaft 2016: Wieder Zeit für abwertende Ausfälle – Woche 1
Beim ersten Bild von „Deutschland-Fans“ mit Reichskriegsflagge, dass Netz-gegen-Nazis.de auf Facebook postete, fragte ein Nutzer: „Warum machen Sie dafür auch noch Werbung?“ Nein, wir machen keine Werbung von rassistische, neonazistische, nationalistische Ausfälle während der Fußball-EM 2016 in Frankreich. Wir dokumentieren sie, um zu zeigen, wie schnell Party-Patriotismus in abwertenden Nationalismus, Rassismus oder gar Rechtsextremismus schwappt. Denn wir glauben, dass Fußball-Freude auch ohne Abwertung möglich ist.
Von Simone Rafael
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Diesmal ging die Instrumentalisierung von Fußball für rassistische und islamfeindliche Hetze schon vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich los.
- Zuerst empörten sich Anhänger_innen von „Pegida Baden-Württemberg“ über die nicht-weißen Kinder auf Kinderschokoladen-Tafeln – bis sie verstanden, dass es sich um Kinderbilder der Spieler der deutschen Nationalmannschaft handelte, und dann peinlich berührte ihre Facebook-Seite löschten, während ihnen die Hashtag-Kampange #CuteSolidarity zeigte, wie allein sie mit ihrer Wahrnehmung in Deutschland sind (siehe ngn).
- Während früher (2006) die rechtsextreme NPD mit „WM-Planern“ mit dem Titel „Weiß – nicht nur eine Trikot-Farbe. Für eine echte NATIONAL-Mannschaft“ von sich reden machte, wollte diesmal die „Alternative für Deutschland“ die Bühne Fußball für rassistische und islamfeindliche Hetze nutzbar machen.
- So äußerte AfD-Brandenburg-Vorsitzender Alexander Gauland gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, „die Leute“ wollten einen wie Innenverteidiger Jerome Boateng nicht zu Nachbarn haben – und reagierte auf Kritik, dass er einen in Deutschland geborenen Christen nicht zum Nachbarn haben wolle, mit der interessanten Aussage, er habe ja nicht einmal gewusst, dass Boateng eine schwarze Hautfarbe haben. Was ja im Folgeschluss heißen müsste, dass er ihn nur wegen seines Namens nicht zum Nachbarn haben wollte – auch ein schöner Beleg für Alltagsrassismus in Deutschland.
- Während Gauland für seine Aussage der Gegenwind ins Gesicht blies, suchte sich eine Kollegin aus der AfD Sachsen gleich den nächsten Fußball-Bezug für islamfeindliche Hetze. Andrea Kersten, Kreisvorstand der AfD Mittelsachsen, nannte eine Reise von Stürmer Mesut Özil nach Mekka eine „öffentlichkeitswirksame Pilgerfahrt“, die ein „antipatriotisches Signal“ sei – und dies alles nur, weil Özil ein Foto seiner Reise auf Facebook veröffentlichte. Auch hier zeigten allerdings die Reaktionen von Millionen anderer Menschen, was sie von der AfD-Attacke hielten – nämlich nichts (vgl. Welt).
- Kein Wunder, dass verwirrte Patrioten in der AfD daraufhin beschlossen, die Facebook-Gruppe „AfD-Fußballfreunde der Nationalmannschaft“ zu gründen – denn offenbar ist das in der AfD ja nicht Konsens, die aktuelle Nationalmannschaft zu unterstützen. Die Gruppe hat 470 Fans, ist sehr schwarz-rot-gold, aber tatsächlich bisher ohne Ausfälle.
- Die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz forderte „Fußballfans, Fahnen runter“, um abwertendem Nationalismus entgegen zu treten (vgl. Welt) – und erntete dafür Beschimpfungen und Todesdrohungen. Ein CSU-Generalsekretär beschimpfte sie als „Idioten“ (ND)
Hier noch eine Collage von Reaktionen, zusammengestellt von Schland-Watch.
- Dann kam das erste Deutschland-Spiel und dazu auch die ersten rechtsextremen Ausfälle.
- Bereits mittags posierten rechtsextreme Hooligans mit Reichskriegsflagge und „Dresden Ost“-Schal in Lille, sangen „Wir sind wieder einmarschiert“ und skandierten „Deutsche Hooligans“ (Tagesspiegel). Dann kam es auch zu gewalttätigen Krawallen, bei denen mehr als 50 deutsche Hooligans am späten Nachmittag in der Nähe des Bahnhofs friedlich feiernde ukrainische Fans angriffen. Zwei Menschen wurden nach ersten Angaben leicht verletzt. Dabei hatte die Bundespolizei bereits in der Grenzregion von Rheinland-Pfalz 21 Hooligans gestoppt, davon 18 einschlägig bekannte Hooligans aus Dresden, die auch Sturmhauben und Mundschutze im Auto hatten, und 3 Hooligans aus Kaiserslautern. . Wie ein Sprecher am Sonntag in Trier sagte, wurde zunächst eine 18-köpfige Gruppe einschlägig bekannter Gewalttäter aus Dresden an der Ausreise gehindert. Unter den 50 randalierenden Hooligans sollen ihrer Schals und T-Shirts nach Hooligans aus Dresden und Leipzig gewesen sein (Frankfurter Rundschau, Spiegel Online, mdr).
@tspsport @KatharinaKoenig alles ganz feine Party Patrioten. pic.twitter.com/siJmKDSemx
— Störungsmelder (@stoerungsblog) June 12, 2016
- Oliver Pocher versuchte, Aufmerksamkeit mit rassistischem Blackfacing zu erregen:
- Noch ein paar Eindrücke, die User_innen in Sozialen Netzwerken sammelten, etwa das T-Shirt „Nach Frankreich fahr ich nur auf Ketten – EM 2016“:
Weitere #schlandunverkrampft Eindrücke aus den sozialen Netzen. pic.twitter.com/uMDmgeFnpD
— Danny Marx (@dannytastisch) June 12, 2016
- Jens Eckleben von der AfD Hamburg sieht derweil auf Twitter im EM-Sieg des kroatischen gegen das türkische Team „einen großen Sieg für das christliche Abendland“
- Und eine Leserin der Frankfurter Rundschau weiß schon ganz genau, wer an den Hooligan-Krawallen in Frankreich schuld ist – aber die „Lügenpresse“ schreibt es ja wieder nicht:
Ergänzung:
Wir wollen nicht den Sexismus vergessen, der sich entlud, weil eine Frau (!!), nämlich Claudia Neumann, als TV-Kommentatorin zur EM eingesetzt wird.
Zusammenstellung von hr-info auf Facebook.
P.S. Kann ich bitte einen aktiven Fußballblocker für alle Medien haben?
Zeit Online, AFP, dpa, Reuters, AP: Uefa bestraft Russland mit EM-Ausschluss auf Bewährung
Zwei Artikel über Geschichte und Gegenwart der Nazis im polnischen Fußball: Nazis auf den Rängen, Teil 1 und Teil 2
Lesenswert die neue Kolumne von Margarete Stokowski im Spiegel Gewalt: Es ist ein Junge
„Kommt es zu einer Gewalttat, fragen wir nach der Geschichte des Täters, nach seiner Herkunft, nach seiner Ideologie und seiner Motivation. Nach dem Geschlecht zu fragen, haben wir uns abgewöhnt. Warum?
…Wir verfügen über einen riesigen Apparat aus Rechtfertigungsstrategien für Gewalt durch Männer. Mal greifen wir tief in die Kiste der Naturphänomene, bei denen es um Triebe und Hormone und im Zweifel um die Erhaltung der gesamten Menschheit geht. Mal ist es die Religion, also eine Glaubenssache, die sich auf übernatürliche Art jeglichen weiteren Fragen entziehen kann, weil sie sich im Bereich des Irrationalen bewegt. Mal ist es Kultur und Bildung, das Versagen der Kindergärten und Schulen im Vorleben diverser Männlichkeitsrollen, und mal ist es schlicht Alkohol. All diese Gründe können zwar auf ihre Art und im jeweiligen Kontext ihren kleinen Teil dazu beitragen, ein Verhalten zu erklären – aber nie, es zu entschuldigen. Es ist schlicht nicht damit getan.“
Grüßle, Diander
Genova hat einen hübschen Text geschrieben: Pornographie im Petersdom, in der Moschee und auf dem Fußballplatz, daraus:
Jürgen Busche, Der Freitag: Eine Frage des Staatsinteresses
Der Stern berichtet heute über die Verbindung der russischen Schläger in höchste Politikkreise:
„Ein Drahtzieher der Gewalt soll der Vorsitzende des Dachverbands russischer Fußballfans (VOB) sein, Alexander Schprygin. Nach übereinstimmenden Berichten von „Spiegel online“ und „Bild.de“ verfügt der Mann über gute Verbindungen in die russische Politik. Zudem ist Schprygin ein bekannter Rechtsextremist. In den 1990er-Jahren war er demnach ein führendes Mitglied der russischen Neonazi-Szene und Anführer der Dynamo-Moskau-Hooligans. Es gibt ein Foto aus dieser Zeit, die Schprygin mit dem Hitler-Gruß zeigt (oben im Tweet zu sehen). Noch im vergangenen Jahr, so berichtet es „Spiegel online“, forderte er in einem Interview, dass in der russischen Nationalelf nur slawische Spieler spielen sollten.
Seit 2007 ist Schprygin Vorsitzender des von ihm gegründeten VOB, den er offensichtlich zu einem Sammelbecken für rechte Hooligans und Ultras machte. Er ist parlamentarischer Mitarbeiter des Politikers Igor Lebedew, Vize-Vorsitzender der Duma, und Sohn des Rechtsextremisten Waldimir Schirinowski. Es war Lebedew, der nach dem Krawallen in Marseille den russischen Schlägern via Twitter gratulierte: „Ich sehe nichts Schlimmes daran, wenn sich Fans prügeln. Ganz im Gegenteil: Unsere Jungs haben das gut gemacht!“ „
Das den Blog einführende Video wurde von YouTub entfernt, „weil es gegen die YouTube-Richtlinien zu Spam, irreführenden Praktiken und Betrug verstößt“. Und jetzt die Spielquiz-Frage: Was ist an den Clip Spam, irreführende Praxis und Betrug, wenn es das wiedergibt, was eine Live-Cam aufgenommen hat?
Dass ich jetzt an den Kurosawa-Effekt denke, ist nicht wirklich ein Zufall.
Btw.: Ich bin sehr geneigt, diese Social-Media künftig als YourTub zu bezeichnen: Der letzte zieht den Stöpsel.
Tja, anderswo wird sowas von der Plattform garnicht kommentiert, „weil das bei uns nicht üblich ist“.
SCNR
correction; von der Plattforn genommen