„Reisegenuss“

Gestern abend in Clausnitz, ein Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle, Sachsen: Pöbelnder Mob begrüßt verängstigte Flüchtlinge

Ohne Worte. Außer: Liebermann, der Vielbemühte.

Update 19.2. 18h15:

Nein, mit Worten und zwar denen von Patrick Gensing: Es war noch viel schlimmer.

Ein Video aus Clausnitz hat bundesweit für Empörung gesorgt. Nun ist ein weiteres Video aufgetaucht, in dem zu sehen ist, was vor den “Wir sind das Volk”-Rufen passiert: Polizisten holen Flüchtlinge gewaltsam aus dem Bus, weil die Menschen offenkundig und nachvollziehbarerweise an diesem Ort und angesichts des Mobs nicht aussteigen wollten.

Die Polizei Sachsen rühmte sich übrigens in Sozialen Medien noch mit dem Einsatz. Sicher, man kennt nicht die ganze Geschichte, diese Bilder werfen jedoch einige Fragen auf – die im Freistaat sicherlich nach bewährter Manier nicht beantwortet werden.


 

Nachtrag 20.2.2016

Inzwischen ist bekannt, daß der Heimleiter der Clausnitzer Flüchtlingsunterkunft mit dem schönen Namen Thomas Hetze AfD-Mitglied ist und – Überraschung – besorgniserregende Bürger-Reden schwingt. Er war außerdem einer der wenigen, der die genaue Ankunftzeit des „Reisegenuss“-Bus kannte. Es ist schon ziemlich wahrscheinlich, daß er die an seine braunen Freunde durchstach, damit sie auch prompt zur Stelle sind, um den Bus stundenlang blockieren und dessen Insassen aus unmittelbarer Nähe bepöbeln zu können.

Nachtrag 21.2.2016, 23h: Die rechtzeitige Bereitstellung von DasVolk blieb übrigens gleich in der Familie, der Bruder vom Heimleiter Hetze hat’s mitorganisiert.

Ohne Jan Böhmermann, der die Ereignisse in Clausnitz prominent machte, wäre es übrigens bei diesem Polizeibericht geblieben (danke an Christian Storch):

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Der Bericht wurde von der Polizei Sachsen inzwischen gelöscht , bei Facebook wurde gestern auf Nachfrage von Philipp Bö verlautbartWir als Polizei müssen die Neutralität in unseren Einsätzen wahren“ und es schließt sich eine Frage an: wie viele Clausnitze gibt es? Täglich, andauernd, nicht nur in Sachsen, überall?

DasVolk ist das eine, mit dem werden wir alle leben müssen und um das mögen sich Sozialarbeiter, Lehrer, Justiz, Antifa bemühen, mir beinahe egal, Hauptsache: #keinFußbreit!

Das andere ist das Staatsversagen, das darin liegt, daß ein Menschenfeind ein Flüchtlingsheim leiten, dessen Bruder DasVolk mitorganisieren, ein Polizist auf DasVolk hören, ein Bürgermeister den Haß des Mobs gegen Flüchtlinge als von „Demotouristen“ initiiert und „gegen die große Politik“ gerichtet darstellen und das nach Möglichkeit und an wahrscheinlich vielen Orten in Deutschland unprominent bleiben kann.


 

Noch ein Nachtrag, 20.2.2016 18h15, zur Pressekonferenz der Polizei Sachsen

Die Polizei ermittelt gegen Flüchtlinge, wegen Beleidigung.

Gegen DasVolk wird nicht wegen Landfriedensbruch, Volksverhetzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt usw. ermittelt, sondern „wegen möglicher Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und der Androhung von Straftaten.

Gegen den Bundespolizisten, der den 15jährigen im Klammergriff aus dem Bus in die Unterkunft nötigte, wird nicht ermittelt. Man habe die „Situation deeskalieren“ müssen.

Polizeipräsident Uwe Reißmann:

An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht noch mehr zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig, die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei der Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kollegen der Bundespolizei dafür, dass sie Unterstützung für die Landespolizei geleistet haben.

Der Herr Polizeipräsident Reißmann hat dringlichen Nachholbedarf bei der Menschenrechtsbildung für die Polizei.

Nachtrag 22.2.2016: Die Herren Innenminister Ulbig und de Maizière haben zusätzlichen Nachholbedarf, was sie laut Artikel 1 Grundgesetz in Schutz zu nehmen haben. Tip: das sind nicht schlecht geplante und ausgeführte Einsätze der staatlichen Gewalt.

Un-fucking-faßbar!

 

Noch ein Nachtrag 22.2. 14h

Noch einer wird in Schutz genommen:

Das Asylwohnprojekt in Clausnitz erhält einen neuen Leiter. Dies entschied heute der Landrat in Abstimmung mit dem Betreiber. Wer die Funktion endgültig übernimmt, entscheidet sich in Kürze. Die Betreuung der Asylbewerber ist jedoch weiterhin über den Betreiber abgesichert.

Der bisherige Leiter erhält eine andere Aufgabe innerhalb des Betreiberunternehmens. Landrat Matthias Damm betont, dass der bisherige Leiter eine nicht zu beanstandende Arbeit vorweisen kann. „Wir haben die Entscheidung zum Schutz seiner Person und durch die bundesweite Diskussion über ihn getroffen,“ erklärt Landrat Matthias Damm.

Sie erinnern sich? Thomas Hetze (AfD) verbreitet Hetze gegen Flüchtlinge, leitet ein Flüchtlingsheim, weiß als einer der wenigen von der genauen Ankunftzeit des “Reisegenuss”-Bus und sein Bruder organisiert rechtzeitig DasVolk herbei.

Das fällt in Sachsen unter “nicht zu beanstandende Arbeit“.


 

 

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht. In Sachen Clausnitz denke ich schon seit dem ersten Video am 19.2., daß es jetzt schlimmer kaum mehr geht.

Und dann geht es viel schlimmer.


 

 

Bitte unterzeichnen Sie die Petition an Thomas de Maizière.

Für „Wehret den Anfängen“ ist es schon fast zu spät. Die Bilder vor dem Flüchtlingsheim in Clausnitz sprechen eine grauenhaft deutliche Sprache.

Die Unterzeichner dieser Petition, das sind Menschen in Deutschland, die sich von den Ereignissen in Clausnitz deutlich distanzieren, fordern die Politik hiermit auf, für die Identifizierung und ggf. Anklage der am Mob Beteiligten in diesem und allen künftigen Fällen unmittelbar zu sorgen.

Wir erwarten eine deutlich striktere Einmischung der Polizei und die Ausnutzung sämtlicher rechtsstaatlicher Mittel zur Identitätsfeststellung und ggf. vorsorglichen Ingewahrsamnahme bzw. zur Auflösung nicht angemeldeter Versammlungen im Kontext von fremdenfeindlichen Ausschreitungen.

Wir fordern Sie als oberste Dienstherren für die Innere Sicherheit bzw. für die Rechtsprechung auf, stärker als bisher dafür Sorge zu tragen, dass die bestehenden gesetzlichen Mittel konsequent ausgeschöpft werden.

Damit weder Sie noch alle, die die so schützenswerten Werte unseres Landes vertreten, sich später fragen lassen müssen: wie konnte es dazu kommen, dass nach der Nazizeit so etwas noch einmal möglich wurde …

 


 

7.6.2016 Clausnitz: Verfahren gegen Polizisten eingestellt

Die Staatsanwaltschaft in Chemnitz hat die Verfahren gegen zwei Polizisten eingestellt, die am umstrittenen Einsatz im Februar in Clausnitz beteiligt waren. Das teilte die Ermittlungsbehörde dem Linken-Bundestagsabgeordneten Niema Movassat mit, der als einer unter Dutzenden wegen Körperverletzung im Amt Anzeige gegen die Beamten Wolfgang S. und Mirko M. erstattet hatte. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist eine Mitteilung der Einstellungsgründe nicht möglich„, heißt es in dem Bescheid, der vergangene Woche erging.

(Hervorhebung dvw)

69 Kommentare zu „„Reisegenuss“

  1. Dieses Land hat tatsächlich ein manifestes Integrationsproblem, dass es anzugehen geht und welches Jahrzehnte ignoriert wurde, trotz einiger Mahner. Es handelt sich um die rassistische Mitte.

  2. Manchmal scheut man sich, den „gefällt mir“ Button zu drücken (nicht des Blogs wegen, eh schon wissen). Gibt es für Verrohung eine Untergrenze? Nein, anscheinend nicht.
    Grüßle, Diander

  3. Sächsische Zeitung: Zutiefst beschämend

    Der Bus mit Flüchtlingen war gegen 19.20 Uhr am Donnerstagabend in der Cämmerswalder Straße angekommen. Die hier befindliche Asylbewerberunterkunft sollte erstmals bezogen werden. Jedoch kam der Bus nicht bis vor das Gebäude, weil drei Autos die Zufahrt blockierten. Das belegen unter anderem bei Facebook verbreitete Fotos. Erst gut anderthalb Stunden nach der Ankunft und nach Aufforderung der Polizei entfernten die Fahrer der Autos ihre Fahrzeuge, sodass der Bus gegen 21 Uhr sein Ziel erreichte. Gegen 22 Uhr hatten die Asylsuchenden schließlich die Unterkunft bezogen und die Protestierenden verließen den Ort des Geschehens.

    Das Video hatte zunächst die Facebookseite „Döbeln wehrt sich“ geteilt, von wo es unter anderem der Moderator des „Neo Magazin Royale“, Jan Böhmermann, teilte. Nachdem das Video sich immer weiter verbreitete, wurde die Facebookseite gelöscht. Hinter „Döbeln wehrt sich“ stecken offenbar Rechstextreme, die möglicherweise bei dem Geschehen in Clausnitz vor Ort waren.

    Am Freitagnachmittag tauchte ein weiteres Video auf, das die Ankunft der Flüchtlinge zeigt. Neben dem Gegröle ist hier auch zu sehen, wie die Polizei die Bus-Insassen in die Unterkunft bringt. Ein Polizist packt dabei einen Flüchtling unsaft im Nacken und zerrt diesen aus dem Bus. Offenbar wollte der Asylbewerber den Bus aus Angst vor dem pöbelnden Mob nicht freiwillig verlassen. Eine Stellungnahme zu diesen Bildern war von der Polizei am Freitagnachmittag zunächst nicht zu erhalten.

  4. SPON: Proteste gegen Asylunterkunft in Clausnitz: Neue Videosequenz zeigt Fehlverhalten der Polizei

    Auf Facebook schreibt die sächsische Polizei: „Es ist nicht hinnehmbar für uns was dort passiert ist“, kommentiert die Behörde. „Wir als Polizei müssen die Neutralität in unseren Einsätzen wahren. Das fällt uns in dieser Situationen wirklich schwer.“

    Ein Beamter packt dabei einen sichtlich verängstigten Jungen im Nacken und zerrt ihn unter dem Gegröle der umstehenden Ausländerfeinde in die Unterkunft. Der Eindruck, der sich beim Blick auf die Bilder aufdrängt: Die Polizei geht rabiat mit den bedrohten Flüchtlingen um, die umstehende Menge darf ungestraft geifern und die Ankommenden einschüchtern.

    Die zuständigen Beamten der Polizei in Chemnitz wollten zu den Videoaufnahmen nicht Stellung nehmen. Das Innenministerium in Dresden ließ eine Anfrage bislang unbeantwortet.

  5. Vice: Offensichtlich weinten die Flüchtlinge aus dem Reisebus in Clausnitz auch wegen der Polizei

    Die Flüchtlinge hatten nicht nur vor der Ansammlung vor dem Bus Angst, sondern auch vor den Polizisten. Einer von ihnen zog einen Flüchtling mit Gewalt aus dem Bus, nahm ihn in den Schwitzkasten, erst dann setzt das schon länger bekannte Video mit dem weinenden Jungen an.

    Die neue Version hat Frank Stollberg auf seinem Facebook-Profil hochgeladen, wir sprachen mit ihm. Er selbst sei nicht vor Ort gewesen. Das Video habe er von einer Pegida-Anhängerin bekommen, die „damit beweisen wollte, dass die Flüchtlinge selber daran Schuld wären. Ich habe dann die Szene mit dem Jungen sehen müssen und habe es öffentlich gemacht.“

    Woran Schuld? Dass die Menge sie anschrie, dass sie Angst hatten oder dass die Polizei sie herauszerrte?

      1. Below Gürtellinie ja, Humor in diesem speziellen Zusammenhang null.
        Da haben Sie mich mißverstanden. Ich bin davon überzeugt, daß es einen direkten Zusammenhang zwischen (Beispiel) Arm- und Schwanzerektionen gibt und ich halte auch diesen Zusammenhang für alles andere als harmlos oder infantil.

        Sie könnten sich das erschließen mit Hilfe von Albert Memmis Ausführungen über den Nutzen, den Rassisten aus ihrer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ziehen und ihren Versuch der Privilegienwahrung, Angstbekämpfung, Aggressionsrechtfertigung noch ein Schrittchen weiter zu einer konkreten Handlungsebene wie in Clausnitz denken, für deren Inbetriebnahme das Rückenmark eigentlich schon ausreicht.

        Es bestimmt btw. kein Altautonomer, was für eine Dame von Welt zu welchem Thema angemessen ist. Normalerweise sollte auch eine einfache Frage reichen (etwa: Wie meinen Sie das denn?) wenn Sie etwas nicht verstanden haben oder Ihnen etwas komisch vorkommt. Nein, das müssen wir nicht weiter vertiefen.
        Alles andere gern.

  6. Der Heimleiter in Clausnitz heißt übrigens Hetze und findet die AfD gut.

    Freie Presse 29.1.2016: Rathauschef: Familien wären mir am liebsten

    Die Mehrheit der etwa 160 Einwohner der Gemeinde Rechenberg-Bienenmühle, die sich am Mittwochabend von Rathauschef Michael Funke (parteilos) über die Flüchtlingsunterbringungen informieren ließen, lehnt Asylbewerber in Clausnitz ab. Sie fürchten Sicherheitsprobleme, rechnen zudem mit Sachbeschädigungen und Unordnung. …

    … Thomas Hetze, der seit kurzem bei der Gesellschaft für Strukturentwicklung und Qualifizierung Freiberg (GSQ) beschäftigt ist und die Heimleitung in Clausnitz übernehmen soll, stellte sich den Fragen. Auch sah sich der Holzhauer Gemeinderat dem Vorwurf ausgesetzt, einerseits auf AfD-Veranstaltungen zu reden, sich andererseits aber auch um Flüchtlinge zu kümmern. Hetze stellte klar, dass das eine mit anderen nichts zu tun habe. Er sei mit der Politik in Deutschland nicht zufrieden, und das könne er nur über eine Partei artikulieren. In dem Zusammenhang wies er darauf hin, dass sich die Flüchtlinge selbst versorgen und damit frei im Dorf bewegen müssen.

    Letzteres sorgte für heftige Diskussionen hinsichtlich des Sicherheitskonzeptes.

    1. „In dem Zusammenhang wies er darauf hin, dass sich die Flüchtlinge selbst versorgen und damit frei im Dorf bewegen müssen.

      Letzteres sorgte für heftige Diskussionen hinsichtlich des Sicherheitskonzeptes.“

      Bei uns ist es nicht anders.

    1. Ah, ganz vergessen, das ZDF gestern abend:

      Ein weiteres Detail, das Fragen aufwirft: Der Leiter des Flüchtlingsheims ist seit fünf Wochen AfD-Mitglied. er wusste als einer der wenigen über die geplante Ankunft der neuen Heimbewohner Bescheid. Das bestätigte Bürgermeister Michael Funke dem ZDF.

      Falls sich jemand fragen sollte, woher der Mob in Clausnitz die genaue Ankunftzeit des „Reisegenuss“-Bus wissen konnte, um ihn stundenlang blockieren und die Asylsuchenden aus unmittelbarer Nähe bepöbeln zu können.
      Der Freund und Helfer, der (im zweiten Video) den Jungen auf Wunsch der besorgniserregenden Bürger per Klammergriff im Nacken aus dem Bus in die Unterkunft zwingt, ist übrigens Bundespolizist, arbeitet im sächsischen Auftrag.

  7. Der gestrige Brief an die Flüchtlingsfeinde in Clausnitz von Stefan Kuzmany bei SPON: Das Volk? Ihr nicht.

    „Wir sind das Volk!“, skandiert Ihr in Clausnitz. Ihr irrt Euch gewaltig.

    Ihr seid nicht „das Volk“. Ihr habt kein Recht, Euch mit diesem Satz zu schmücken. Er gehört den Menschen, die sich 1989 friedlich gegen die SED-Diktatur erhoben haben, mit Euch hat dieser Satz nichts zu tun.

    Ihr meint, Eure Heimat zu verteidigen, indem Ihr alle fernhaltet, die nicht so aussehen wie Ihr, die nicht Eure Sprache sprechen, die nicht Eurer Kultur angehören.

    Ihr fühlt Euch stark, wenn Ihr gemeinsam brüllt. Ihr seid erwachsene Männer, die Kinder zum Weinen bringen. Das ist nicht stark, das ist armselig. Ihr seid schwach. Ihr seid so schwach, dass Ihr vor Familien Angst habt, die nichts anderes wollen als ein sicheres Dach über dem Kopf.

    Ihr habt Angst davor, von Fremden um Eure Kultur gebracht zu werden. Keine Sorge. Um Eure Kultur beneidet Euch keiner. Niemand will Euch etwas nehmen. Ihr habt nichts zu bieten.

    Was also habt Ihr erreicht?

    Euer Clausnitz ist jetzt berühmt, als weiteres Dorf in Sachsen, in dem Ausländerfeinde Parolen brüllen. Wer will dort leben, mit Leuten wie Euch? Wer will bei Euch seinen Urlaub verbringen? Bei Euch sein Unternehmen ansiedeln? Wer will mit Euch etwas zu tun haben? Niemand.

    Ihr habt den Namen Eures Dorfes in den Dreck gezogen. Der Heimat, die Ihr zu verteidigen wähnt, habt Ihr geschadet. Ihr seid nicht Deutschland, nicht Sachsen, nicht Clausnitz. Ihr seid nur ein Haufen Feiglinge, die sich mächtig fühlen, wenn es gegen Schwache geht.

    Ihr zeigt selbst dem besorgtesten Bürger, dass mit Euch kein Staat zu machen ist. Mit Euch wird sich niemand solidarisieren. Dafür seid Ihr zu hässlich und zu herzlos.

    Schwenkt keine deutschen Fahnen. Schwarz, Rot und Gold sind nicht Eure Farben. Es sind die Farben der Demokratie, der Freiheit, der Brüderlichkeit. Sucht Euch andere.

    Ihr seid nicht das Volk. Ihr seid nur hasserfüllte Krakeeler.

    Und Ihr seid Menschen. Also verhaltet Euch gefälligst wie solche.

  8. Frankfurter Rundschau, Jochen Arntz: Geschichtsvergessene Volksverhetzer

    Es gibt nichts Feigeres für einen erwachsenen Menschen, als Kinder mit Absicht zum Weinen zu bringen. Es gibt nichts Geschmackloseres für einen erwachsenen Deutschen, als andere Menschen mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ zu bedrohen.

    Beides zusammen ist eigentlich unvorstellbar, aber es ist passiert; und wir reden jetzt nicht von den frühen 90er Jahren in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen. Wir reden vom 18. Februar 2016, an dem im sächsischen Clausnitz die Leute gezeigt haben, wie widerwärtig sie sich vorstellen, das Volk zu sein.

    Sie haben Flüchtlinge bei der Ankunft in einem Reisebus bedroht und beschimpft; Kinder zum Weinen gebracht, die gerade einem Krieg entkommen sind. Und dabei behauptet, sie seien das Volk, wie damals bei den Demonstrationen gegen das DDR-Regime. Wahrscheinlich könnten sie nicht mal die Nationalhymne textsicher singen, geschweige denn das Grundgesetz zitieren.

    Sie sind nicht das Volk. Aber das allein hilft nichts: denn leider, sie sind auch das Volk. Und sie stehen nicht allein. … In Sachsen und anderswo wird man, machen wir uns nichts vor, auch mit diesem Volk leben müssen. Aber man sollte es denen, die mit ihrem Hass auf die Straße gehen, so schwer wie möglich machen. Denn das, was sie tun, ist nicht nur geschichtsvergessen: Einst riefen die DDR-Bürger ja „Wir sind das Volk“, um Grenzen zu öffnen. Die Leute in Clausnitz, die Kinder zum Weinen bringen, sind vor allem eins: Volksverhetzer.

  9. Süddeutsche: Clausnitz: Heimleiter demonstrierte gegen „Asylchaos“

    Er ist bei der kreiseigenen Managementgesellschaft GSQ angestellt. GSQ gehört dem Landkreis und ist unter anderem dafür verantwortlich, Objekte zur Unterbringung für Flüchtlinge anzumieten und zu verwalten. Hetze wurde speziell für die Betreuung der Flüchtlinge in Clausnitz eingestellt. Das Gespräch habe ergeben, dass Hetze für den Job qualifiziert sei, sagte der Leiter der Asylstabstelle des Landkreises, Dieter Steinert der SZ. Von seiner Mitgliedschaft bei der AfD habe man zu dem Zeitpunkt nichts gewusst. „Erst danach gab es Gerüchte“, so Steinert.

    Ende Januar wurde Hetzes politische Einstellung bei einer Bürgerversammlung offen thematisiert. Denn es war nicht bei dem Redebeitrag in Freiberg geblieben. Hetze hatte in Holzhau, elf Autominuten von Clausnitz entfernt, einen Stammtisch für die AfD organisiert. Der Impulsvortrag der Veranstaltung stand unter dem Motto „Asyl und andere politische Amokfahrten“. Wie es denn zusammenpasse, dass er sich in der AfD engagiere, sich andererseits um Flüchtlinge kümmere, lautete nun die Frage. Das eine habe nichts mit dem anderen zu tun, sagte Hetze während der Versammlung. Er sei mit der Politik in Deutschland unzufrieden, das könne er nur über eine Partei artikulieren.

    Fakt ist, Hetze muss jetzt die Politik umsetzen, die er selbst geißelt. Als Heimleiter ist er erster Ansprechpartner für alle Flüchtlinge. Hetze wird ihnen erklären müssen, wo der nächste Supermarkt ist, wo die nächste Bank. Er muss die Zusammenarbeit von Wohlfahrtsverbänden und freiwilligen Helfern koordinieren. Warum er sich für diesen Job entschieden hat, ist unbekannt. Er war für eine Stellungnahme über die AfD nicht zu erreichen.

    Dass ausgerechnet einer wie Hetze diese Aufgaben übernimmt, darin sieht der Landkreis kein Problem. „Solange er nicht gegen geltendes Recht verstößt, gibt es keine Probleme“, sagt Dieter Steinert vom Asylstab. Dass sich Hetze trotz seiner politischen Überzeugung für diese Stelle beworben habe, zeige, dass er eine gute Grundeinstellung habe.

    Süddeutsche: Polizei gibt Flüchtlingen Mitschuld an Mob-Stimmung

    Polizeipräsident Uwe Reißmann:

    An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln. Um die Situation nicht noch mehr zu verschärfen und damit Verletzte und Sachschäden zu riskieren, war es notwendig, die Asylsuchenden schnellstmöglich in ihre Unterkunft zu bringen. Dafür war einfacher unmittelbarer Zwang zum Schutz bei drei der Ankommenden notwendig. Für unseren mehrstündigen, hochemotionalen Einsatz, bei dem es am Ende keine Verletzten und Sachschäden gab, mit einer kurzen, losgelösten Videosequenz und ohne bisherige Kenntnis der Hintergründe öffentlich angeprangert zu werden, weise ich entschieden zurück. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Kollegen der Bundespolizei dafür, dass sie Unterstützung für die Landespolizei geleistet haben.

    Oh doch Herr Reißmann, es gibt sogar sehr viel daran zu rütteln. Schnell lesen – nicht, daß das Rütteln noch Ihren Polizeipräsidentenstuhl erreicht.

  10. Patrick Gensing: Leipziger AfD-Anhänger droht mit Anschlägen

    Wie sicher sich Rechtsradikale, in einigen Medien als “Asylkritiker” verharmlost, derzeit fühlen, zeigt ein aktuelles Beispiel aus Sachsen. Ein Leipziger AfD-Anhänger droht auf Facebook offen mit Sprengstoffanschlägen und bewaffneten Aktionen gegen Flüchtlinge und politische Gegner. Wie ernst sind solche Drohungen zu nehmen?

    Ronny H. scheint der Prototyp eines Rechtsradikalen im 21. Jahrhundert zu sein: Seine Profile bei Facebook und VK werden von Propaganda gegen Flüchtlinge und unliebsame Politiker beherrscht. Seine Quellen: Junge Freiheit, russische Medien, Kopp-Verlag, usw.

    In den 1990er Jahren setzten sich Neonazis in den Rechtsterrorismus ab, der NSU ist nur der bekannteste militante Ableger. Rund 20 Jahre später bläst eine neue nationalistische Bewegung zum Sturm auf parlamentarische Demokratie, Grundrechte und Minderheiten; eine Bewegung, die deutlich weniger subkulturell geprägt auftritt und weit mehr Menschen erreicht.

    Angesichts des Hasses und der gewalttätigen Sprache in dieser Bewegung erscheint es beinahe abwegig, dass sich keine neuen militanten Strukturen bilden. Die dramatischen Zahlen zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte belegen bereits das massive Gewaltpotenzial, welches immer wieder aus dem Milieu der “besorgten Bürger” – die “Wir sind das Volk” skandieren und damit meinen: “Wir wollen alles total und ohne Widerspruch sowie Kompromisse durchsetzen” – ausbricht. Die Gewalt bleibt ein fester Teil dieser Bewegung mit der kriegerischen Ideologie.

    Männer wie H., die täglich viele Stunden allein vor dem Rechner sitzen, um sich vom eigenen Newsstream – übrigens der neue Mainstream – immer wieder Bestätigung für die eigene Weltsicht liefern zu lassen, sind potenzielle Kandidaten für Lone-Wolf-Attacken, wie es sie beim Angriff auf die Kölner Politikerin Henriette Reker bereits gegeben hat. Diese Gefahr wurde bereits bei der ersten großen Welle des Hasses im Netz unterschätzt; Anders Breivik demonstrierte vor fünf Jahren, warum es lebensgefährlich ist, die dynamische Radikalisierung von Tausenden Fanatikern zu übersehen oder als Sorgen zu verharmlosen. Diese Geschichte wiederholt sich nicht, sie setzt sich schlicht fort.

  11. Diaphanoskopie: Deeskalation a la Sachsen

    Heute morgen sah ich dann einen Post auf Facebook zu dem zweiten Video, auf dem zu sehen ist, wie ein Vertreter des Gewaltmonopols einen höchstens neun Jahre alten Jungen unter dem Johlen der umstehenden Faschisten gegen dessen Willen aus dem Bus zerrt. Zwei Dinge an diesem Video haben es durch meine sächsische Schamroutine geschafft und mich bis ins Mark erschüttert. Zum einen ist deutlich, dass der umstehende Pöbel die Beamten der sächsischen Polizei als Vollstrecker des hausgegrölten Volkswillens sieht. Zwar widersprechen sich die Willensäußerungen diametral (“Fahrt nach Hause!” vs “Hol ihn raus!”), doch die Sympathien zwischen Polizei und Folg scheinen in Sachsen so tief zu gehen, dass die gegenseitige Liebe auch in schweren Gewässern hält.

    Der zweite Aspekt in dem Video ist die zur Schau gestellte Unprofessionalität der Polizei. Gibt es so etwas wie eine Einsatzleitung, die, abseits vom direkten Geschehen einen kühlen Kopf bewahrend, die Situation überschaut? Gibt es Deeskalationsausbildung? Ist der Begriff bekannt?

    In der Kinder- und Jugendpsychiatrie gibt es immer wieder Situationen in denen körperliche Gewalt (ich nenne es so, weil es vom Empfänger so empfunden wird, nicht weil es vom Ausübenden so intendiert ist!) im Rahmen von Zwangsmaßnahmen notwendig sein kann, um einen Menschen vor sich oder andere vor ihm zu schützen. Durch Deesekalationsstrategien lässt sich die Fequenz dieser Maßnahmen jedoch auf Einzelfälle reduzieren. Mir ist klar, dass ein Polizeieinsatz andere Bedingungen hat als eine psychiatrische Behandlung. Die Prinzipien sollten sich aber in beiden Fällen aus den Menschenrechten herleiten lassen.

    So muss es die Abwägung geben, ob die ausgeübte Zwangsmaßnahme im Verhältnis zu dem steht, was ich durchsetzen will oder ob es mildere Mittel gibt. In Clausnitz war das Ziel (?), Menschen aus einem Fahrzeug in ein Gebäude zu bringen. Diese Menschen haben sich, aus einer nicht unberechtigten Angst, geweigert oder gesträubt, diesen Bus zu verlassen. Denn sie sahen durch sächsische Männer ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit gefährdet. Und offensichtlich waren sie der Ansicht, das die sächsische Polizei in der anwesenden Personaldecke und der gezeigten Haltung ihnen gegenüber nicht in der Lage war oder sein wollte, sie adäquat zu schützen.

    Doch Anstatt die Ursache für die Angst der Menschen zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass der Pöbel gebührenden Abstand hält, zwingt man die Menschen, sich diesem Pöbel auszusetzen. Hat der junge Mensch, der von einem sächsischen Polizisten mit Gewalt aus dem Bus gezerrt wird*, den Krieg, die Reise über das Mittelmeer, die Reise durch das winterliche (klimatisch und emotional) Europa und die Zeit in den Erstaufnahmestellen ohne ein Trauma überstanden, sorgt sächsische Polizei fürsorglich für Abhilfe. Weiß sie doch, dass PEGIDA & Co nur traumatisierte Geflüchtete akzeptieren. Man hilft ja, wo man kann. Danke Polizei.

      1. Das ist vielleicht die Antwort auf den juristischen Anteil der Frage. Die Frage selber enthält aber den (ungeschriebenen, nur vermutbaren, wenn auch nicht unwahrscheinlichen) Subtext: „Wer (um Himmels willen) stellte beim Antragsdelikt Beleidigung den Antrag gegen die Businsassen?“ Die Antwort hierauf bleibt vorläufig offen.

        1. Hmnuja, seit der Pressekonferenz bin ich überzeugt, daß das alles von oben nach unten polizeiintern geregelt, gedeckelt und hübsch gefunden werden soll, weswegen ich den Automatismus der Anzeigenerstattung durch Vorgesetzte schon ziemlich plausibel finde.

          Davon abgesehen gibt es noch einen weiteren Automatismus, nämlich mit Gegenanzeigen auf Anzeigen zu reagieren und der Bundespolizist hat reichlich viele kassiert (wenn man Twitter glauben darf, allein über 50 Anzeigen per Internetwache).

          Der Unterschied zwischen Strafanzeigen gegen Polizisten und Strafanzeigen gegen Bürger oder gar Flüchtlinge ist, daß die gegen Polizisten nur in sehr seltenen Ausnahmefällen vor Gericht landen.

  12. Die Willkommenskultur der Vollversager. Ihr seid nicht das Volk! Clausnitz oder die Parabel darüber, ob man sich jemals mehr für sein Land schämen könnte.
    von Marie von den Benken, daraus:

    No Sleep Till Arschgeigenentsorgung

    Ich verachte Gewalt. Ich kann aber das Gefühl nachvollziehen, dass man einfach mal ausrasten möchte. Ich kann es nicht ertragen, dass ich heulend auf meiner Couch sitze, weil degenerierte Witzfiguren sich für das Volk halten und Flüchtlinge attackieren. Natürlich ist da kurz der Gedanke, dass man am liebsten jedem die Kniescheibe zertrümmern und ihn anschließend auf einem Marktplatz in Damaskus aussetzen würde, damit er mal sieht, wie das ist, da, wo er die Frauen und Kinder wieder hin zurück schicken möchte, damit sein Abendland nicht zerstört wird. Aber natürlich mache ich das nicht. Aber gar nichts zu machen, lässt diesen Schandflecken der deutschen Geschichte auf ihrem Weg zu einer Rückkehr ins Jahr 1933 auch zu viel Raum.

    Als ich mich selber in mein leeres Wohnzimmer „Das kann doch nicht sein“ und „Was sind das für Menschen“ brüllen höre, beschließe ich, dass alleine heulen nicht weiterhelfen wird. Dass ich nicht akzeptieren werde, dass Ihr Schreihälse der Unmenschlichkeit mir schlechte Laune bereiten könnt. Ich beschließe also, weiter dagegen anzuschreiben, auch wenn ich keine Journalistin bin. Ich werde weiter mit Menschen vor den Flüchtlingsheimen in meiner Nachbarschaft diskutieren, was genau sie für eine Angst verspüren, auch wenn ich keine Politikwissenschaftlerin bin. Und auch wenn diese Gespräche tatsächlich zu gar nichts führen und ich immer das Gefühl habe, ich spreche mit einem in den Körper eines hirnlosen Sozialschmarotzers implantierten Sprachcomputer, der gebetsmühlenartig die Vokabeln „Wirtschaftsflüchtling“, „Terror“, „Silvesternacht“ und „Volk“ repetieren.

    Pissnelken vs. Vernunft

    Und ich möchte Euch bitten, das auch zu tun. Positioniert Euch in den sozialen Medien, in den Kommentarspalten der Nachrichtenmagazine, auf den Stammtischen, in Euren Freundeskreisen, den Cafés, den Fussballstadien, einfach überall, wo man auf die neue deutsche Angstkultur trifft. Dieser unsäglichen Mischung aus Desinformation, Gewaltbereitschaft, Ignoranz und Femdenhass. Sagt Eure Meinung, lasst nicht locker. Ignoriert nichts. Engagiert Euch. Macht den Mund auf. Lasst Euch nicht entmutigen von der scheinbaren Sinnlosigkeit eines Diskurses mit Menschen, die Euch auf dem Argumentationsniveau einer mittelgroßen Portion Zuckerwatte begegnen. Es stimmt: Vielleicht könnt Ihr die Menschen, die in Clausnitz vor Bussen stehen und zu glauben scheinen, dass ein erhobener rechter Arm sie zu einem Volk macht, nicht mehr zurück holen in die Welt der Menschlichkeit. Aber was wir schaffen können, ist dafür zu sorgen, dass so wenig weitere Menschen wir möglich auch nur für eine Sekunde in die Versuchung kommen, daran einen Gedanken zu verschwenden, ob AfD, Pegida oder der Naziabschaum von Clausnitz vielleicht doch hier und da ein bisschen Recht haben.

  13. Was bei Der Freitag nicht drin ist (Wochenzeitung? Wochenende!), das geht beim Neuen Deutschland, der Chefredakteur, nämlich Tom Strohschneider (Ex-Freitag) schreibt einen Leitartikel:
    Es reicht, Sachsen.

    Es ist das Sachsen einer Justiz, der noch keine Mühe zu groß war, wenn es gegen Linke geht – die aber den Eindruck der Zurückhaltung im Vorgehen gegen Rechts hinterlässt, um nicht das Wort zu sagen, das einem durch den Kopf geht: Kumpanei. Es ist das Sachsen, in dem die Polizei einen ausländerfeindlichen Mob nicht in den Griff bekommt – aber stolz erzählt, sie sei für die nachfolgende antirassistische Kundgebung von »Linksextremen« gut gewappnet.

    Dieser Polizeipräsident ist nach dieser Pressekonferenz nicht mehr tragbar. Doch das reicht nicht. Sachsens SPD-Chef Martin Dulig hatte am Freitag noch Maßnahmen nach dem Polizeieinsatz gefordert. Es sieht nicht so aus, als ob das »System Sachsen« dazu bereit ist. Im Gegenteil: Es nimmt diejenigen ins Visier, dies es vor ein paar Stunden noch kaum schützen konnte oder wollte.

    Es liegt jetzt an der SPD, ihren Worten der Solidarität mit Geflüchteten und ihren Appellen für Menschlichkeit Taten folgen zu lassen: mit einem politischen Fanal. Denn das ist nötig, wenn das Engagement gegen rechts nichts mehr bewirkt, wenn die Spielräume ausgeschöpft sind, in denen rhetorische Kritik noch etwas anrichten kann. Ja, es wurde viel geredet über und gegen die sächsischen Verhältnisse, gegen einen Zustand, in dem sich der Mob als Bündnispartner der Regierenden verstehen darf. Es wurden Appelle geschrieben, Erklärungen abgegeben. Doch all das hat die Mehrheit in Sachsen nicht aufgerüttelt. Das aber muss das Ziel sein.

    Die Sozialdemokraten sollten deshalb die Landesregierung verlassen – das wäre ein ehrliches und deutliches Zeichen des Protestes gegen die »sächsischen Verhältnisse«. Es wäre ein kleines Erdbeben, das nötig erscheint, um jene dazu zu bringen aufzustehen, die es bisher nicht tun. Es wäre eine Ermutigung für die vielen, die solidarisch sind, die sich gegen Rechts und für Demokratie engagieren. Es wäre ein Schnitt in die trügerische Normalität, die keine sein darf, solange Menschen um ihr Leben bangen müssen und der Staat zu wenig für ihren Schutz tut. Es könnte den Notausgang öffnen, von dem vielleicht ein Weg zurück in demokratische Verhältnisse in Sachsen wieder möglich wird. Wann, wenn nicht jetzt wäre das nötig?

    Es hat übrigens heute nacht mal wieder gebrannt in Sachsen, diesmal mitten in Bautzen, das Dach einer Unterkunft für 300 Flüchtlinge ging unter dem Gejohle des Mobs in Flammen auf, Mopo24

    Zeugen sagten MOPO24, mehrere Personen bejubelten den Brand am Edeka-Markt neben der Unterkunft. Die Polizei in Görlitz bestätigte die Vorfälle. Darunter seien auch Kinder gewesen, die es den teilweise betrunkenen Erwachsenen gleich taten und applaudierten, Flüchtlinge als „Kanaken“ bezeichneten.

    1. Meanwhile in Brandenburg: Aufruf zum „Widerstand“ gegen Flüchtlinge. Anleitungen für Bomben in Nauener Briefkästen gefunden

      Am Samstagmorgen tauchten in Nauen Zettel auf, in denen zum „absoluten Widerstand“ gegen die „Invasion der Ausländer“ und eine angeblich von den Eliten gewollte Besetzung Deutschlands „durch sogenannte Flüchtlinge“ aufgerufen wird – samt Tipps zum Bau von Molotow-Cocktails und Rohrbomben sowie einer Anleitung, um Plastiksprengstoff herzustellen. Es ist von „Anregungen“ die Rede, um „unsere Familien zu schützen“. Zudem empfehlen die Verfasser, die Sprengsätze vor dem Einsatz vorher an anderer Stelle zu testen, „sodass das gewünschte Ziel auch erreicht wird“.

  14. Must read!
    Liane Bednarz: Clausnitz ist kein Zufall – Die gefährliche „Widerstands“-Saat der Neuen Rechten geht auf. Die Neue Rechte ruft zum „Widerstand“ nach Artikel 20 Abs. 4 GG auf

    Hier ist eine Form menschlicher Verrohung sichtbar geworden, die viele nicht für möglich gehalten haben. Tatsächlich ist sie aber alles andere als ein Zufall. Die Grölenden vor dem Heim setzen nur das in die Praxis um, was die radikale Neue Rechte rund um den Verleger Götz Kubitschek, der mehrfach Redner bei Pegida und Legida war, bereits seit dem letzten Oktober propagiert. „Widerstand“, also „ziviler Ungehorsam“ nach Art 20 Abs. 4 des Grundgesetzes, lautet das Schlüsselwort. Was Kubitschek darunter versteht, wird in diesem Artikel noch dargelegt. Vorwegnehmen lässt sich jedenfalls, dass seine Auslegung nicht nur falsch, sondern zugleich die gefährlichste Interpretation dieses Verfassungsartikels ist. Kubitschek steht, und das ist das eigentlich Beunruhigende, mit dieser Rhetorik längst nicht mehr alleine da. Sie hat sich schon länger auch in das Begriffsarsenal vieler Bürger eingeschlichen, die mal Mitte waren, sich aber zunehmend radikalisieren.

    Wer aktiv eine Widerstandsrhetorik verwendet, sollte genau wissen, wem er damit in die Hände spielt und was für ein Gedankengut er, wenn auch ungewollt, damit salonfähig gemacht. Aufrufe zum Widerstand sind nämlich seit geraumer Zeit genau das, was die Neue Rechte und ihre Sympathisantenszene sich auf die Fahnen geschrieben haben. Der Plural „Fahnen“ ist hier durchaus angebracht, wenn man bedenkt, was für Fahnen man auf Pegida-Demos sieht: von Schwarz-Rot-Gold über die so genannte Wirmer-Flagge bis hin zu Reichskriegsflaggen.

    Abermals zeigt sich, dass sich erst aus der Lektüre der Primärquellen der Neuen Rechten erschließt, warum die Radikalisierung im Bürgertum so rasant voranschreitet, wie sie das derzeit tut. Und wie so oft ist hier Götz Kubitscheks „Sezession“ sehr aufschlussreich. Eine Zeitschrift, die der AfD-Vizevorsitzende und Herr in Tweed, Alexander Gauland, übrigens als „konservativ“ bezeichnet. Es sind Verharmloser wie er, die mitverantwortlich dafür sind, dass der Firnis der Zivilisation in Deutschland immer dünner wird.

    Unbedingt ganz lesen, Liane Bednarz seziert Taktik und Agitation von Götz Kubitschek und anderen „Neuen Rechten“ in erfreulicher Akribie. Das ist eine ganz feine Analyse und man kann sich nur noch fragen, warum die nicht das Feuilleton der FAZ oder die Titelseite der Zeit ziert.

  15. Christoph Titz, SPON: Ein Dorf wundert sich

    Es gibt viele unschöne Sätze zu hören, wenn man mit den Menschen in Rechenberg-Bienenmühle über die Flüchtlingsbus-Attacke im Ortsteil Clausnitz spricht.

    Am schwersten zu ertragen aber ist ihre Verwunderung.

    Nie würde er mit den Flüchtlingen einen Tee trinken, sagt ein Rentner an seiner Haustür unweit des Heims. Die müssten erst ihre Religion ablegen, dann könne man über ein Willkommen reden. Muslime sind für ihn Mörder, die darf es in seinem Sachsen nicht geben.

    Während die vier Syrerinnen, drei Libanesen, zwei Afghanen und sechs Iraner in den kleinen Wohnblocks am Ortsrand beisammensitzen, steht Heimleiter Thomas Hetze in der offenen Haustür, an der sich die brutale Szene am Donnerstag abgespielt hat. Er lächelt und schaut drein wie ein rosiger Jugendherbergsvater. Alles in Ordnung hier? Hetze sagt, dass er hier nichts über die Unterkunft und die Bewohner sagen darf. Verbot vom Landratsamt.

    Dabei ist der Mann Hobby-Politiker, andernorts redet er gerne und viel – und dabei auch viel krudes Zeug: Heimleiter Hetze, zuständig für das Wohl von Flüchtlingen in einem feindseligen Ort, ist Mitglied der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD).

    Zweimal wollte der Ingenieur Hetze Bürgermeister werden, zuletzt 2015 auf FDP-Ticket. Dieselbe örtliche FDP, die im November die AfD-Vorsitzende Frauke Petry einlud, um in einem Gasthof nur wenige hundert Meter von Hetzes Wohnhaus entfernt zu sprechen. „Herbstoffensive“ nannte die AfD das damals.

    Auf den Straßen von Clausnitz hört man von Bürgern immer wieder Variationen von Hetzes Rede. „Die Amis“, „der Islamismus“, „die Berliner Politik“, pauschale Verschwörungsmuster erklären hier alles, was nicht passt. Und alle haben nur von irgendwem von der Schreiattacke vom Donnerstagabend gehört, keiner will da gewesen sein. Und aus dem Ort, aus Rechenberg-Bienenmühle, waren die Krakeeler ganz sicher nicht. Die meisten seien wohl angereist.

    Die Linie hält Bürgermeister Michael Funke nicht durch. Er sagt SPIEGEL ONLINE, er sei am Donnerstagabend an der Unterkunft gewesen, „um die Leute zu empfangen“. Alles werde nun „viel dramatischer dargestellt als es eben ist“. Er habe nur „zehn, vielleicht ein paar mehr“ von den Krakeelern gekannt. Also doch rassistische Clausnitzer Bürger, keine Krawallmacher aus der Umgebung?

    Funke hat keine Zeit mehr. Durch den Haustürspalt sagt er noch: Er habe Gäste.

  16. Frankfurter Rundschau: „Diese Aktion ist für die Flüchtlinge aus Clausnitz“

    „Was ist denn nun los?“, dürfte sich der eine oder andere Facebook-Nutzer fragen, der am vergangenen Freitag oder Samstag ein Bild des Facebook-Nutzers Micha Gerlach geteilt hatte. Das Bild, das viele auf Facebook weiterverbreitet hatten, zeigte einen angeblichen „Gutschein“ des Sozialamts Chemnitz. Darauf ist etwas gedruckt, das viele in den sozialen Netzen in höchste Erregung versetzte: „Freikarte für ein Mobiltelefon inkl. Sim-Karte bis zu einem Wert von 200 €“ stand auf dem „Gutschein“ und darunter: „Nur gültig für Asylbewerber im Sinne des § 44 Absatz 1 AsylbLG (Nachweis erforderlich)“

    Das passte vielen Nutzern, die das Bild sahen, gar nicht: „So kann man sich besser fürs nächste Silvester organisieren“, kommentierte einer, der das Bild auf Facebook teilte. „Hauptsache bei dem arbeitenden deutschen Volk wird schön das Geld gekappt…“, schrieb eine Nutzerin. Eine andere meinte „das kann ja wohl nicht wahr sein, kein Wunder das die alle mit nem Handy rumlaufen, kostet ja nix!“ Mittlerweile dürfte so manch einer gemerkt haben, dass er einer Fälschung aufgesessen ist: Wer sich heute den Facebook-Status von Micha Gerlach noch einmal anschaut, sieht etwas ganz anderes: „Ich bin ein strohdummer Nazi“, schreit einem das Bild nun entgegen. Gerlach hatte es ausgetauscht, nachdem es von vielen geteilt wurde. Auf den Facebook-Profilen der Nutzer, die sich über die angeblich kostenlosen Handys für Asylbewerber aufregen, steht nun in roter Schrift auf schwarzem Grund: „Ich verbreite Hetze über das Internet und teile sämtlichen Dreck ohne Überprüfung!“.

    (die beiden Facebookposts gelöscht, weil not longer available, dvw 22.2.)

  17. Georg Diez, SPON: Die Barbaren sind wir

    Etwas hat sich geändert in diesem Land, etwas Grundsätzliches, und das hat nicht nur mit den Bildern zu tun von dem Bus in Clausnitz und dem unfassbaren Schriftzug „Reisegenuss“ und den Hassgrölern und dem weinenden Kind, das von einem Polizisten aus dem Bus gezerrt wird, während die Menge johlt, „Wir sind das Volk, wir sind das Volk“.

    Es ist deshalb richtig, sich über die rassistischen Barbaren zu empören, denen jedes Gefühl fehlt und jede Regung, die den Menschen zum Menschen macht. Über jene, denen ein Mindestmaß an Humanität fehlt, dieses kleine bisschen Großzügigkeit und der Versuch, wenigstens zu verstehen, wie es denen geht, die alles verloren haben, wie sie sich fühlen.

    Und es ist einfach. Es ist einfacher, als etwa jedes Mal neu überrascht zu sein, wie prinzipienlos manche Politiker agieren, nicht nur der grimmige Horst, sondern auch die lächelnde Frau Klöckner, wenn sie wieder und wieder Obergrenzen für Flüchtlinge fordern, die doch offensichtlich gegen Grundlagen unserer Rechtsordnung verstoßen – und wer Recht bricht, auf großem Niveau, der schafft die Freiräume für die Hassbrigaden, das Recht auch im Kleinen zu brechen, vor ihrer Haustür, in ihrem Kopf.

    Die EU-Kommission hat gerade wieder entschieden auf diesen Rechtsbruch von staatlicher Seite hingewiesen. Sie hat gesagt, dass Österreich mit seinen neuen Flüchtlingsmaßnahmen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, gegen die Genfer Konvention und Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt. Aber das ist denen, die das Wort vom Unrechtsstaat wohl deshalb so locker auf den Lippen führen, weil sie wissen, wovon sie reden: egal, egal, egal.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Europäer damit angefangen, den Rest der Welt mit Erstaunen und Empörung zu betrachten, alles Barbaren außer uns. Aber das war falsch. Die Barbaren sind unter uns. Die Barbaren sind wir.

    Empörend ist aber das kalte Schulterzucken, mit dem viele Politiker, Journalisten, Leitartikler das hinzunehmen oder, schlimmer, voranzutreiben scheinen, diese europäische Regression, dieses kontinentale und institutionelle Versagen angesichts der Flüchtlinge.

    Und auch wenn sie später genau das Gegenteil sagen werden (es ja jetzt schon tun und üben), wenn sie sagen werden, sie hätten unter dem Druck der Flüchtlinge nicht anders gekonnt, sie hätten mit ihren dauernden Grenz- und Mahn- und bürgerlichen Hetz-Plädoyers doch nur das Recht und die Ordnung schützen wollen, und es seien gerade die anderen, die Linken, die Naiven, die Traumtänzer, die Schuld tragen an dem Schlamassel, das danach kam: Nein.

  18. SPON: De Maizière verteidigt Polizeieinsatz

    Ein pöbelnder Mob empfängt in Sachsen eine Gruppe von Flüchtlingen. Die Polizei greift durch – gegen die Ankommenden. Zu Recht, sagt nun Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

    Die Polizei habe „meines Erachtens auch richtig gehandelt, die Menschen aus dem Bus zu bringen“, sagte der CDU-Politiker am Sonntag in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. „In der Unterkunft waren sie sicher untergebracht. Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen“, sagte de Maizière. …

    Zuvor hatte bereits Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) den Polizeieinsatz bei den fremdenfeindlichen Vorfällen in Clausnitz verteidigt. „Die Polizei musste konsequent handeln und hat das getan“, sagte Ulbig. Die Ursache für den Einsatz sei ein „Mob mit menschenverachtenden Äußerungen“ gewesen. Auch er hält den Einsatz für verhältnismäßig.

    Un.faßbar!


    SPON: Pressestimmen zu Bautzen und Clausnitz: Von Brandstiftern und Benzinlieferanten


    Janko Tietz, SPON: Tillich und sein rechtes Sachsen: Der Wendehals

    „Das sind keine Menschen, die so was tun“, sagte Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich am Wochenende angesichts der entsetzlichen Szenen, die sich in Clausnitz abspielten. „Das sind Verbrecher. Widerlich und abscheulich ist das.“

    „Wir sind das Volk“, grölte Ende vergangener Woche eine aufgebrachte Menge einem Bus mit ankommenden Asylbewerbern entgegen. Sätze wie „Mal sehen, was hier für Ungeziefer aussteigt!“, „Weg mit dem Gelumpe!“ oder „Asylantengesindel!“ sollen gefallen sein.

    Nun könnte man meinen, Tillich verdiene Respekt. Zeigt er doch Haltung, ist mutig mit seiner drastischen Wortwahl und stellt sich damit offensiv gegen seine eigenen Landsleute, seine potenziellen Wähler.

    Allein: Es ist zu spät – und es ist scheinheilig.

    Seit reichlich einem Jahr treibt Pegida in Dresden ihr Unwesen, mit verheerender Wirkung in ganz Sachsen und darüber hinaus. In all diesen Monaten hat man Tillich nicht ein einziges Mal wahrgenommen als jemanden, der sich an die Spitze einer Gegenbewegung gestellt hätte. Der gesagt hätte: „Das ist nicht mein Land“, der seine Justizbehörden angewiesen hätte, hart und streng gegen den Mob vorzugehen.

    Im Gegenteil: Man hatte bei Tillich immer das Gefühl, er toleriert, was seine „besorgten Bürger“ umtreibt, die in Wahrheit keine Sorgen haben, sondern anderen Sorgen bereiten. Tillich ließ es laufen und hat damit das Klima der Ablehnung erst gedeihen lassen.

    Viel zu lange zeigte er Verständnis für Menschen, die „Angst vor dem Islam“ haben. Er sah im „größeren Teil der Teilnehmer“ bei Pegida Menschen, mit denen sich reden lasse, um sie für die Demokratie zurückzugewinnen. Dabei war längst klar, dass ein größerer Teil der Teilnehmer auf Krawall gebürstet ist. Tillich war ihr Schutzpatron.

    „Wir sind das Volk“ skandieren sie in Dresden bei Pegida. „Wir sind das Volk“ skandierten sie in Clausnitz. Eine Vereinnahmung des Spruchs von 1989.

    Es gibt aus der Zeit des Mauerfalls noch einen anderen Slogan, der viel besser ins Heute passt: „Wendehals“.

  19. Noch einer, der in Schutz genommen wird:

    Das Asylwohnprojekt in Clausnitz erhält einen neuen Leiter. Dies entschied heute der Landrat in Abstimmung mit dem Betreiber. Wer die Funktion endgültig übernimmt, entscheidet sich in Kürze. Die Betreuung der Asylbewerber ist jedoch weiterhin über den Betreiber abgesichert.

    Der bisherige Leiter erhält eine andere Aufgabe innerhalb des Betreiberunternehmens. Landrat Matthias Damm betont, dass der bisherige Leiter eine nicht zu beanstandende Arbeit vorweisen kann. „Wir haben die Entscheidung zum Schutz seiner Person und durch die bundesweite Diskussion über ihn getroffen,“ erklärt Landrat Matthias Damm.

    Sie erinnern sich? Thomas Hetze (AfD) verbreitet Volksverhetzung, leitet ein Flüchtlingsheim, weiß als einer der wenigen von der genauen Ankunftzeit des „Reisegenuss“-Bus und sein Bruder organisiert rechtzeitig DasVolk herbei.

    Das fällt in Sachsen unter „nicht zu beanstandende Arbeit„.

    1. Und noch einer, der in Schutz nimmt, weil ja in Schutz genommen wurde, nämlich Dieter Romann, der oberste Bundespolizist:

      „Nach den mir vorliegenden Erkenntnissen insgesamt komme ich zu dem Schluss, dass der Einsatz des Beamten und seiner Kollegen rechtmäßig und verhältnismäßig war zum Schutze der Betroffenen“

      Die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), hat Versäumnisse im Kampf gegen die extreme Rechte kritisiert. „Das Problem des Rechtsextremismus in Ostdeutschland wurde zum Teil systematisch runtergespielt“, sagte Gleicke dem Handelsblatt laut einer Vorabmitteilung. Menschen, die darauf hinwiesen, seien „als Nestbeschmutzer beschimpft“ worden.

      Diese Versäumnisse hätten den Boden dafür bereitet, „dass sich heute ein Mob auf die Straße stellt und Flüchtlingsbusse blockiert“. Diejenigen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten, müssten stärker unterstützt werden.

      Gleicke kritisierte auch die Polizei: Was sie von der sächsischen Polizei bisher zu Clausnitz und Bautzen gehört habe, habe nicht dazu beigetragen, „dass meine Sorge geringer wird“. In Bautzen hatte es in der Nacht zu Sonntag einen Brandanschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim gegeben. Gaffer hatten applaudiert und die Löscharbeiten der Feuerwehr behindert.

      Hmnuja, die Feuerwehr muß nach der Clausitz-Polizei-Logik schwer aufpassen, daß sie keine Anzeige an den Hals bekommt, etwa wegen Störung der Feierlichkeiten.

  20. „Wir dürfen nicht warten, bis es den ersten Toten gibt. Wir brauchen eine neue Kultur des Widerspruchs“, sagt Justizminister Heiko Maas den Zeitungen der Funkegruppe, lese ich gerade in der taz. Hmmm, Herr Maas, sind diese Zahlen mit dem Stand 1. Mai 2013 an Ihnen vorbei gegangen?

    Und Herr Tillich sagt der selben Zeitungsgruppe:
    „Das sind keine Menschen, die so was tun. Das sind Verbrecher.“

    Nein, Herr Tillich, das sind zwar Verbrecher, aber Verbrecher sind immer auch Menschen. Und diese leben direkt unter uns. In diesem Fall bei Ihnen in Sachsen in einem Klima, das gerne die volle Härte des Gesetzes (oder was ihre Polizei dafür hält) gegen links auffährt und rechts wegschaut. Was soll nur dieser scheinheilige Versuch von der eigenen Verantwortung abzulenken.

  21. Meiner Meinung nach brennen noch zu wenig Asylunterkünfte. Offensichtlich ist das der einzige Weg, die Politik wachzurütteln und zu zeigen, was Demokratie bedeutet-nämlich die Mitbestimmung der Bürger im eigenen Land!

    So der Chef des Sicherheitsunternehmens in Bautzen am 29.Juli 2015 bei Facebook.

    Heute konnte man sich zu einem Urteil wegen Volksverhetzung (6000 Euro) durchringen, Widerspruch kann eingelegt werden.

    1. Der Brandanschlag kam alles andere als überraschend.

      Bereits Ende Dezember berichtete der Blog „Lauter Bautzner“ über Drohungen auf der Facebookseite der Bürgerinitiative „Bautzen steht auf“ gegen die Pläne des Landkreises, in dem ehemaligen Hotel bis zu 300 Asylsuchende unterzubringen. Dabei war nicht nur von einer „Verschönerung des Dachstuhls“, sondern für den Fall, dass tatsächlich Geflüchtete in das Gebäude einziehen, auch von einem „schweren Anschlag“ die Rede.

  22. Aus der Bundespressekonferenz vom 22.2.2016: Ist Sachsen noch ein sicheres Ankunftsland für Flüchtlinge?

    Schaut hin, hört zu: Die Bundesregierung sieht nicht, dass es in Sachsen beim Thema Flüchtlinge ein besonderes Problem gibt. Sachsen sei „selbstverständlich“ weiter ein sicheres Ankunftsland. Klar, was in Clausnitz & Bautzen passiert ist, war schrecklich, aber das sind nur einzelne „Zwischenfälle“. Was wird die Bundesregierung denn tun, damit sich Szenen wie am Wochenende nicht mehr wiederholen? Tja, dreimal dürft ihr raten…

    1. Preise für Zivilcourage anstelle von Strafverfolgung. Naja, kann man machen. Muss man aber nicht. Vielleicht wären ja auch die Gegendemonstranten bei Pegida schon damit einverstanden, wenn die Polizei sie besser schützen würde vor Pedigisten. Aber natürlich können sie sich jetzt mit dem Preis zur Wehr setzen. Was ist das für ein Preis? Pfefferspray?

    1. Tut er? Seinen AfD-Eintritt in Frage stellen?
      Ich las irgendwo, daß er die AfD benötigt, um seinen politischen Sorgen und Nöten Ausdruck verleihen zu können. Irgendwo anders las ich, daß er zuvor FDP-Mitglied war.
      Jemand, der solche Reden schwingt, ist alles mögliche, nicht aber „einfaches Mitglied und Mitläufer„. Ich fände „Volksverhetzer“ zutreffend.

      1. Fänd ich auch zutreffender. Thomas Hetze hat der B**** ein Interview gegeben und dort stellt er sich selbst jene Frage. Wohl in der Hoffnung, dass niemand seine Aktivitäten ansonsten offen legt. Wie naiv. Aber sagt es:
        „Ich bin mir nicht sicher, ob der Eintritt richtig war“, sagte Hetze der „Bild“-Zeitung. Mittlerweile sei „dort einiges ganz schön heftig“. Allerdings fragte Hetze auch: „Kann man denn nicht gegen die Politik sein und trotzdem helfen?“

        So stand es auf ntv. Das ganze Interview, das mich tatsächlich intersessieren würde gibt es online nur bei B****plus. Und denen Geld zu geben, naja, dann verzichte ich.

  23. Maximilian Popp, SPON: Immer wieder Sachsen

    Ein Winterwochenende in Sachsen, 2016: In Chemnitz jagen drei maskierte Männer zwei Migranten durch die Stadt. Sie demolieren einen Dönerimbiss, verletzen den Inhaber und einen der Migranten. In der Sächsischen Schweiz verüben Unbekannte einen Farbbeutelanschlag auf das Büro der Linken. In Bautzen attackieren zwei Männer einen Info-Stand der Initiative Bautzen bleibt bunt. Rechtsextremisten setzten ein ehemaliges Asylbewerberheim in Brand. Im Erzgebirge geht ein Mann mit Stahlhelm und Hitlerbart auf einem Rodelhang auf zwei Afghanen los. Er beleidigt und schlägt einen der beiden Männer, hebt die Hand zum Hitlergruß. …

    Sachsen hat nicht erst seit vergangener Woche ein Problem mit Rassismus, nicht erst seit Clausnitz, Bautzen, Pegida. Es gibt in Sachsen seit Jahren Landstriche, in denen Neonazis praktisch die Kontrolle übernommen haben. Die NPD zog wiederholt in den Dresdner Landtag ein. Die neonazistische Terrorgruppe NSU konnte sich fast 14 Jahre lang in Sachsen verstecken. Am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, versammelten sich an der Elbe regelmäßig mehrere Tausend Neonazis zur europaweit größten Kundgebung ihrer Szene.

    Die Flüchtlingsbewegung wirkt im rechten Milieu wie ein Verstärker. In manchen Wochen melden Flüchtlingsfeinde in Sachsen bis zu 40 Demonstrationen an. Ein Fünftel der Angriffe auf Asylbewerberheime wurde laut „Mediendienst Integration“ 2015 im Freistaat begangen. Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz warnt vor einer „Pogromstimmung“ gegen Migranten. „In Sachsen brechen gerade die letzten Dämme“, sagt Hübler.

    Die Eskalation rechter Gewalt, der Erfolg von Pegida, die hohe Zahl asylfeindlicher Demonstrationen, all das, glaubt Dietrich Herrmann, Sozialwissenschaftler an der TU Dresden, geschehe nicht zufällig in Sachsen, sondern sei das Ergebnis der politischen Kultur im Freistaat. In Sachsen seien rechtsextreme Umtriebe über Jahre hinweg ignoriert und verharmlost, antirassistisches Engagement beargwöhnt und kriminalisiert worden.

    Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident in Sachsen nach der Wende, gab früh die Richtung vor. Die Sachsen seien „immun gegen Rechtsextremismus“, sagte der CDU-Politiker. Seine Nachfolger Georg Milbradt und Stanislaw Tillich setzten diese Politik fort. Rechte Gewalttaten werden häufig nicht als solche benannt. 2007 jagte ein rassistischer Mob in Mügeln, einer Kleinstadt in Nordsachsen, eine Gruppe Inder über den Marktplatz. Polizisten konnten in letzter Minute verhindern, dass die Verfolger ihre Opfer lynchten. Der frühere sächsische CDU-Innenminister, Albrecht Buttolo, sprach von einem Gerangel, das sich „hochgeschaukelt“ habe, selbst wenn „rechtsextreme Sprüche“ gefallen seien, müsse es sich nicht um eine Straftat mit rechtsextremem Hintergrund gehandelt haben.

    Neonazi-Demonstrationen vermag der Staat nichts entgegenzusetzen. Oft genug heißt es: „Lasst sie doch einfach laufen und gebt ihnen nicht durch Gegendemonstrationen zusätzliche Aufmerksamkeit“. …

    Stattdessen werden Aktivisten, die sich gegen Rassisten und Neonazis engagieren, in Sachsen gegängelt. Antifaschisten, Oppositionelle, Flüchtlingshelfer werden als Ruhestörung, Einmischung, gar als Bedrohung wahrgenommen. „Die ideologische Richtlinie hieß immer Äquidistanz“, sagte Linken-Chefin Katja Kipping der „Zeit“. „Wenn wir rechte Übergriffe ansprachen, hörten wir: Jaja, aber es gibt auch linke Chaoten, die Häuser beschmieren. Da wurden ein paar autonome Antifas gleichgestellt mit braunen Gewalttätern bis hin zu rechtsextremen Terroristen.“

    Als einziges Bundesland hatte Sachsen vorübergehend eine sogenannte „Extremismus-Klausel“ erlassen, die Initiativen ein formales Bekenntnis zum Staat abnötigte. Jahrelang ermittelte das Landeskriminalamt mit erheblichem Aufwand gegen eine vermeintliche „Antifa-Sportgruppe“, die in Sachsen Jagd auf Neonazis gemacht haben soll. Die Polizei durchsuchte Wohnungen, zwang Personen zu DNA-Tests, spionierte mehr als 200.000 Telefone aus. Vergangenen Sommer wurde das Verfahren eingestellt. Dem angeblichen Rädelsführer konnte lediglich nachgewiesen werden, dass er an einer friedlichen Demonstration gegen Neonazis teilgenommen hatte.

    Als im Januar dieses Jahres 200 Neonazis und Hooligans den Leipziger Stadtteil Connewitz verwüsteten, warnte der Chef des sächsischen Landeskriminalamts, Jörg Michaelis, nicht vor rechter Gewalt, sondern vor Linksextremisten. Auf einer CDU-Versammlung in Dresden sagte er: „Wir haben ein schweres Problem – links.“

    1. Und noch einer: Liane Bednarz im Gespräch mit Korbinian Frenzel im dradio: „Das passiert nicht aus dem Nichts heraus“

      Frenzel: Wenn es kein Zufall ist, was haben wir denn da in Clausnitz und auch in Bautzen erlebt?

      Bednarz: Wir haben in Clausnitz und auch in Bautzen erlebt, dass jetzt eine Stimmung entstanden ist, wo – in Anführungsstrichen – „besorgte Bürger“ sich trauen, das, was sie vorher vielleicht nur gedacht haben, in die Tat umzusetzen. Ereignisse wie die in Clausnitz, sprich diese Busblockaden, werden seit geraumer Zeit in Medien der sogenannten Neuen Rechten diskutiert und auch angestoßen, und das sind Medien, die diese Leute lesen und sich dann jetzt offensichtlich auf den Weg auch machen, das Gedankengut in die Tag umzusetzen.

      Frenzel: Wer steckt dahinter? Sie sagen Neue Rechte. Kann man das benennen, genauer benennen? Ist das die AfD, ist das Pegida?

      Bednarz: Die Neue Rechte ist ein Kreis von Rechtsintellektuellen. Der „Kopf“ – in Anführungsstrichen – des Ganzen heißt Götz Kubitschek, der gibt eine Zeitschrift heraus, die heißt „Sezession“. Er ist wiederum ein sehr enger Weggefährte von Björn Höcke. In der „Sezession“ werden eben exakt diese Busblockaden auch diskutiert.

      Frenzel: Björn Höcke, da haben wir natürlich schon das Stichwort AfD. Haben Sie den Eindruck, dass das fast so etwas wie eine Parteilinie ist? Das ist bei Björn Höcke auch immer die Frage. Spricht der eigentlich für diese Partei oder steht er doch am Rande.

      Bednarz: Er spricht zunehmend für die Partei, zumindest ist sein Einfluss sehr groß geworden, und zwar nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Er hat jetzt gerade erst wieder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg gesprochen und wurde gefeiert. Frauke Petry kann sich immer weniger gegen ihn durchsetzen. Er vertritt natürlich diese Scharfmacherparolen auf den Demos in Erfurt, auch wenn er jetzt nicht zu Blockaden aufruft. Dann gibt es eben die Pegida-Bewegung: Das Gedankengut ist weitestgehend deckungsgleich, wobei Pegida im Vokabular noch mal radikaler ist, beispielsweise in Gestalt von Frau Festerling, aber es ist diese Gesamtstimmung, diese Agitation gegen Medien, gegen Flüchtlinge und auch gegen die Regierung, die diese Gemengelage bildet und die Leute so aufheizt.

      Frenzel: Was sind denn dann Strategien, in Sachsen, aber auch anderswo, gegen solche Radikalisierung, Gegenstimmung, die ganz offenbar real existieren?

      Bednarz: Die richtige Strategie wäre natürlich, dass die Zivilgesellschaft – in Anführungsstrichen – „aufsteht“ und sich diesen Bewegungen stärker auch entgegenstellt. Das passiert aber in Sachsen erstaunlicherweise kaum.

      Frenzel: Warum, weil es zu wenig Zivilgesellschaft gibt?

      Bednarz: Ja, offensichtlich. Es ist so, dass auch die Künstler, Gewerkschaften, Kirchen und so eigentlich sich auch doch noch stärker einbringen könnten, aber, was man so liest, vielfach auch, wenn sie das tun, angefeindet werden, und dann hat man irgendwann eine Stimmung, wo sich dann auch der Einzelne schlichtweg vielleicht gar nicht mehr traut, sich diesen Entwicklungen entgegenzustellen.

  24. Christian Bangel, Zeit Online: Die sächsische Illusion

    Die bestürzte Verwunderung über die scheinbar unvorhersehbare Metamorphose Sachsens ist nur der letzte Ausläufer einer Selbsttäuschung, die seit der Wiedervereinigung anhält. Der Vorstellung nämlich, die liberale Demokratie werde im Osten akzeptiert, sobald es nur Jobs und Aufschwung gebe, plus ein wenig Identitäts- und Traditionspflege. Die schönen Gassen von Bautzen und Görlitz, die blinkenden neuen Fabriken in Dresden und die scheinbar immerwährende CDU-Herrschaft reichten offenbar, damit Sachsen im Rest der Republik für ein neues Musterländle gehalten wurde.

    Diese Selbsttäuschung geschah auch im Innern. Die Erfolge der NPD und die Wut der Gescheiterten, das alles wollte niemand sehen. Alle Landesregierungen von Biedenkopf bis Tillich erzählten ihren Bürgern vielmehr die Geschichte von der sächsischen Einzigartigkeit, Sachsens Erfindergeist, seiner Hochkultur. Diese Einzigartigkeit fand sich dann auch im Kriegsopfermythos Dresdens wieder. Und in jenem regionalpatriotischen Größenwahn, den Forscher „sächsischen Chauvinismus“ nennen.

    Inzwischen zeigt das Land alle Anzeichen einer Demokratie im Niedergang. Die illiberale Transformation, die Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński und Wladimir Putin ihren Ländern angetan haben und antun – in Sachsen kann man sehen, auf welcher Blaupause sie basiert: eine hasserfüllte, rechtsradikale Minderheit, verwirrte bis opportunistische Politiker und vor allem: ein apathisches, teils reaktionäres Bürgertum.

    Das Problem der bürgerlichen Selbstradikalisierung gehört allen Deutschen. Und es wird nicht von selbst kleiner. Schon gar nicht, wenn man den Treibern dieses Hasses permanent recht gibt, wie es Tillich, aber auch Horst Seehofer, Boris Palmer, Julia Klöckner und viele andere westdeutsche Politiker tun.

    Schon damit sich diese Kultur des Hasses nicht weiter ausbreitet, ist es eine Sache aller Deutschen, was in Sachsen geschieht. Sicher: Kein Gesetz kann das träge sächsische Bürgertum dazu verpflichten, sich endlich gegen den Rassismus zu erheben. Keine Regierung kann den Pegida-Anhängern einbimsen, dass Menschlichkeit und Vertrauen die Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens sind.

    Was ein Staat sehr wohl kann, ist sicherstellen, dass seine Gesetze bundesweit zur Anwendung kommen. Das Grundgesetz hat dafür ein Instrument geschaffen: den Bundeszwang. Mit Zustimmung des Bundesrates kann die Regierung einen Kommissar einsetzen, um ein Land zur Anwendung seiner Gesetze zu zwingen. Ist es nicht an der Zeit, die Sicherheit der Flüchtlinge in Sachsen durchzusetzen? Mit aller Härte des Gesetzes, wie es an anderer Stelle immer so schön heißt? Vielleicht wäre das der Anstoß, den Sachsen braucht.

  25. Mehr von DasVolk™ in Sachsen:
    Limbach-Oberfrohna – Schlimme Attacke in Limbach-Oberfrohna: Zwei unbekannte Männer verprügelten einen syrischen Jungen, der auf dem Weg zu einer Turnhalle war.

    Die Tat geschah vergangenen Donnerstag gegen 15.30 Uhr. Der Junge war auf dem Weg zum Fussballtraining, welches in der Turnhalle der Pestalozzischule an der Friedrichstraße stattfinden sollte. Die beiden Angreifer traten dem 11-Jährigen in die Kniekehle und in den Bauch. Nur weil der Junge laut schrie, ließen die Männer von dem Kind ab und flüchteten.

    Eine Polizeisprecherin: „Wir gehen von einem fremdenfeindlichen Hintergrund aus.“

    Der Junge war erst vor wenigen Wochen mit seinen Eltern in einer Wohnung in Limbach-Oberfrohna untergebracht worden. Die Täter werden als 18 bis 20 Jahre alt beschrieben. Durch den Schock konnte sich der Junge keine weiteren Details merken.

  26. Die „Augsburger Allgemeine“ hat Stimmen aus dem Ausland zusammengetragen.
    -> http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Stinkefingermob-So-reagiert-das-Ausland-auf-die-Vorfaelle-in-Sachsen-id37027422.html

    Die Schlagzeilen gehen von einerseits Nachrichten wie im Wiener „Standard“:
    «Mit Verlaub: Provoziert und beleidigt war die noch vor Eintreffen des Busses skandierende Menge schon vorher. Von der schieren Existenz der Menschen im Bus. Wer als Verantwortungsträger einem verängstigten Jugendlichen Schuld an der Eskalation der Situation in die Schuhe schieben will, ist mit seiner Verantwortung überfordert.»

    …bis zu folgendermaßen: im russischen „Erster Kanal“: «…neuen unangenehmen Situation mit Migranten in Deutschland…»

  27. Die Süddeutsche über die erste Gemeinderatssitzung in Clausnitz:

    Dann erhebt sich ein älterer Herr; er stellt sich als Wolfram Fischer vor. Für das Netzwerk Asyl kümmert er sich um die Flüchtlinge im Ort, ein schmaler Mann in braunem Pullunder. „Ich bin dabei gewesen“, sagt er. „Ich kann diese Szenen nicht vergessen.“ Im Bus: die vor Angst weinenden Frauen und Kinder. Draußen vor der Scheibe: eine schwarze Masse mit weißen Köpfen. „Die Flüchtlinge haben nicht provoziert. Der Chemnitzer Polizeipräsident liegt falsch“, sagt der Mann, der selbst zwei Iranerinnen aus dem Bus geholfen haben will.

    Seitdem bekommen er und Mithelfer Nachrichten, in denen steht, dass ihnen der Kopf abgeschnitten gehört. Fischer spricht langsam, betont jedes Wort. „Wir müssen uns überlegen, wie wir weiterleben wollen in diesem Ort. Es gibt so viel gutzumachen.“ Fürs Erste gibt es Applaus.


    Mehr Lese:
    Es gibt einen dritten Bruder Hetze, der sein Geld mit Containern für Flüchtlinge verdient, SPON

    Unbedingt lesen: Ein Kommentar zur „Schande von Clausnitz“ – aus der Sicht eines Clausnitzers

    Ein Interview des BR mit Straßengezwitscher: „Die Ereignisse in Clausnitz sind keine Ausnahme“

    Thüringen rechtsaußen mit einem Hintergrundartikel: Das „Altenburger Bürgerforum“ – Neonazi-Kampfsportler, Grafikdesigner und Neue Rechte setzen Kubitschek-Projekt „EinProzent“ in die Tat um
    Liane Bednarz noch präsent? Clausnitz ist kein Zufall – Die gefährliche „Widerstands“-Saat der Neuen Rechten geht auf

    Und im schönen Chiemgau gibt es einen hochrangigen Polizisten, der mit den örtlichen Reichsbürgern tändelt:

    „Ich sage Euch, wie dieses System funktioniert“, kündigte er gleich zu Beginn an. Es folgten Tipps zum Umgang mit Polizisten und er verriet andererseits, dass es bei den Beamten bereits „Handlungsanweisungen im Umgang mit Reichsbürgern“ gäbe. Als ihn eine Anhängerin der „Heimatgemeinde“ nach einer „Lösung“ fragte, meinte Schreyer selbstbewusst: „Wenn solche Netzwerke (Anm. der Redaktion: wie die Heimatgemeinde) größer werden, dann zerbröselt das System irgendwann.“

    Was ist das für ein Mann, der morgens in der Polizeischule steht und abends wie selbstverständlich zum Stelldichein mit „Reichsdeutschen“ zusammenkommt? Er sei „auf der Suche nach der Wahrheit und da kommt man auf Widersprüche“, meint Schreyer im Gespräch. Seit rund zehn Jahren lese er Internet-Seiten wie quer-denken.tv oder kopp-Verlag.de. …

    Im August 2015 gab Harald Schreyer dem Verschwörungstheoretiker Jo Conrad ein einstündiges Video-Interview (siehe unten). Der Polizeibeamte schwadronierte dort vom Deutschen Reich, das in den Grenzen von 1937 noch Bestand hätte, verbreitete Gerüchte über Asylbewerber und sprach von „Möglichkeiten“ und „Spielräumen“, die man als Polizist in der Praxis habe: „Wenn ich was nicht sehe, dann sehe ich was nicht.“ Außerdem behauptet Schreyer dort, ein Ausweis des „Deutschen Reiches“ habe unter bestimmten Voraussetzungen Gültigkeit.

    „Dieses Interview wurde damals disziplinarrechtlich und beamtenrechtlich geprüft, aber es hatte keine Konsequenzen“, so Schreyer im Gespräch. So ganz stimmt das nicht. Eine Nachfrage beim Präsidialbüro der Bayerischen Bereitschaftspolizei in Bamberg ergibt: „Nach der dienstaufsichtlichen Überprüfung folgte ein Gespräch mit belehrendem und ermahnendem Charakter“, so der dortige Pressesprecher Holger Baumbach. Schreyer solle künftig seine berufliche Funktion und seine private Meinung strikt trennen.

    Nun suchte Schreyer wieder die Bühne: „Ich stehe als Polizist hier“, sagte er am Dienstag vor der „Heimatgemeinde Chiemgau“

  28. Mely Kiyak: Notstandsgesetze gegen den Mob

    Nun, da wir gesehen haben, wie bewaffnete Sicherheitskräfte auf unbewaffnete Zivilisten stoßen, haben wir einen kleinen Vorgeschmack auf das, womit 29 Prozent der deutschen Bevölkerung einverstanden wären. Nämlich eine härtere Gangart gegenüber den Ärmsten der Armen einzulegen. Diejenigen, die sich uns anvertrauen in der Stunde ihrer größten Not, sollen auf bewaffnetes und robust auftretendes Personal treffen. Und dann kommt eben so etwas dabei heraus wie in Clausnitz: ängstliche, weinende Menschen, denen man ohne jede Not Schaden zufügte – und das in einer Demokratie in Friedenszeiten!

    In einem solchen Stadium reicht es längst nicht mehr, als politisches Maximum Aufklärung zu versprechen. Was will man denn noch aufklären? Wir haben jeden Tag so viel rechtsradikale Kriminalität und untergetauchte bewaffnete Nazis, wir haben es mit Feuerwehrmännern zu tun, die Brände legen, mit Diskussionsrunden, in denen wie selbstverständlich immer Rechtsextreme zu Wort kommen, wenn es um Flüchtlingspolitik geht – ehrlich, es hat die Grenze des Lächerlichen schon längst überschritten. Man kann gegen Rechte, die seit Jahren Terror ausüben, nicht labern, schreiben und argumentieren, man muss Politik und Gesellschaft gestalten! Wenn es sein muss, mit Notstandsgesetzen gegenüber einem enthemmten und entfesselten Mob. Man muss Kundgebungen vor Asyleinrichtungen und Asylbewerbern verbieten. Telefone von Pegida-Demonstranten und anderen rechtsradikalen Vereinigungen müssen abgehört werden. Vor jede Asylunterkunft gehören Polizisten, die zum Schutz der Flüchtlinge potenzielle Straftäter abschrecken.

    Wir brauchen sofort Gesetze, die es jedem Flüchtling in Deutschland ermöglichen, sich frei zu bewegen. Sie sollen mit einem Kontingent an Fahrkarten, Taxigutscheinen, SIM-Karten und Internetguthaben ausgestattet werden. Sie sollen nicht das Gefühl haben, dass sie gefangen sind, und sie sollen nicht das Gefühl bekommen, dass man sie unbestraft jagen kann. Das alles kostet nicht viel Geld und wäre eine Geste tausendmal praktischer und lebensnaher als jeder zügig formulierte Tweet aus einem bequemen, überheizten Büro.

    Es würde auch Teilen der Bevölkerung guttun, zu sehen, dass es Politiker gibt, die es riskieren, angesichts anstehender Landtagswahlen felsenfest an der Seite der Flüchtlinge zu stehen. Es reicht nicht, um Anstand zu betteln. Man muss ihn glaubhaft vorleben. Wer gestern noch mit besorgten Bürgern Schnittchen aß und sich ihren aggressiven Fremdenhass zur berechtigten Abstiegsangst zurechtbog, dem glaubt doch heute kein normal gebildeter Bürger, dass es ihn auch nur im Ansatz stört, dass das gesellschaftliche Klima täglich von Dutzenden Anschlägen destabilisiert wird.

    Warum können wir in Deutschland nicht ein einziges Mal Ausländer beherbergen und uns wie Menschen benehmen? Warum wird dieser ganze politische Dreck jedes Mal wieder aufs Neue veranstaltet? …

    Wer glaubt denn einem sächsischen Innenminister oder einem Bundesinnenminister, der noch vor kurzer Zeit gegen Flüchtlinge Stimmung machte und Rassisten in Schutz nahm, dass er sich jetzt schämt? Wer sich wirklich schämt, der hätte nie im Leben zugelassen, dass sämtliche Eliten unseres Staates nach dem Aufdecken des NSU ausnahmslos Karriere machten. Und jetzt sind diese rechten Netzwerke, die in Legislative, Judikative und Exekutive des Landes sitzen und Dutzende Untersuchungsausschüsse seit Jahren beschäftigen, dieselben Personen, die sich gestört fühlen sollen vom Rassismus, von gewalttätigen Nazis, von zündelnden Bürgern? Lächerlich!

  29. Thomas Assheuer mit einem lesenswerten Artikel über das autoritäre Weltbild, das sich in Europa breitmacht: Die Konterrevolution

    Kurzum, nicht das rechtskonservative Weltbild hat sich verändert; verändert hat sich der Resonanzraum, in dem es seine Wirkung entfaltet und für Wähler plausibel wird. Staatenzerfall, Flüchtlingstrecks, islamistischer Terror; Krise des Wachstums, Krise der Globalisierung, empörende soziale Spaltungen – jede dieser Krisen sprengt nationale Grenzen und überfordert die Politik. Weil keine transnationale Ordnung existiert, die die Menschen vor diesen Bedrohungen schützt, bleibt für die neue Rechte nur ein Weg noch offen: die nationale Selbsthilfe, der Rückzug in die feste Burg des autoritären Staates. Drinnen ist das Paradies und draußen die Hölle. Der Teufel, der kommt immer von draußen.

    Im rechten Weltbild ist die Kultur immer etwas Einheitliches und Zeitloses, ihre Mythen und Erzählungen speichern den Volksgeist und sind die tiefste Quelle von kollektivem Sinn. Deshalb sei es für die „Völker der Welt“ ein Unglück, dass der angelsächsische Liberalismus die Kultur aus der strengen Aufsicht des Staates entlassen und sie in die schmutzigen Hände der Gesellschaft gelegt habe, wo profane Regisseure auf offener Bühne das Heilige zersägten, anstatt es demütig dem Volk vor Augen zu bringen.

    Der zarte Hinweis, der Zangenangriff auf Kunst und Medien zerstöre die demokratische Gewaltenteilung, hilft hier wenig. Im rechten Weltbild ist „Demokratie“ nur der kleine Teil eines überwölbenden Staates, der alle gesellschaftlichen Teilbereiche umfasst und sie, so weit es geht, zur organischen Einheit verschmilzt – Justiz- und Bildungswesen, Zeitungen, Fernsehen und Kultureinrichtungen. Deshalb muss der Volkswille auch nicht in demokratischen Prozessen mühsam gebildet werden; im Gegenteil, er ist immer schon in den Tiefenschichten des Volkes vorhanden, im Vorpolitischen von Religion, Sprache, Kultur.

    In diesem Demokratieverständnis liegt der eigentliche Brandsatz der Rechten. Legitim ist in ihrem Verständnis die Demokratie nämlich bereits dann, wenn die Regierung den ursprünglichen Volkswillen wiederherstellt, wenn sie ihn zum Leben erweckt und in einem Akt kollektiver Selbstbehauptung absichert gegen Feinde von außen und innen. Oder um den berüchtigten Satz des Staatsrechtlers Carl Schmitt zu zitieren: „Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß.“ Zur Not, wie die AfD mitteilt, auch mit der Schusswaffe.

  30. Ein extrem lesenswerter Artikel über ein Buch von Ta-Nehisi Coates und über Rassismus im amerikanisch-deutschen Vergleich von Nil Markwardt im Freitag: Rassismus konkret

    Die Angst kriecht in den Körper, Pore für Pore, Tag für Tag. Die Angst vor den Cops, vor den Gangs, vor den Lehrern. Und diese Angst wandelt sich irgendwann in Wut, wird zum Panzer gegen die Verletzlichkeit: Der Leib rebelliert, schlägt zurück, wird selbst zum Täter. Das ist die Dialektik, die Ta-Nehisi Coates in seinem Buch Zwischen mir und der Welt beschreibt.

    Schon als Jugendlicher konnte Coates deshalb mit der pastoralen Friedensrhetorik Martin Luther Kings weit weniger anfangen als mit dem unversöhnlichen Zorn eines Malcom X oder dem revolutionären Aufruhr der Black Panther Party. „Ich fühlte mich zu ihren Schusswaffen hingezogen“, schreibt Coates, „weil sie aufrichtig wirkten.“ Unaufrichtig sei hingegen die klassische Bürgerrechtsbewegung gewesen, die nur von der Integration redete, sich in Gospels und Spirituals flüchtete und in ihrer Gewaltlosigkeit die Knüppel und das Tränengas wie eine „Erlösung“ hinnahm.

    Er schreibt: „Unsere ganze Begrifflichkeit – race relations, racial chasm, racial justice, racial profiling, white privilege, sogar white supremacy – dient nur dazu, zu verschleiern, dass Rassismus eine zutiefst körperliche Erfahrung ist, dass er das Hirn erschüttert, die Atemwege blockiert, Muskeln zerreißt, Organe entfernt, Knochen bricht, Zähne zerschlägt.“

    …wenn Coates die Unterwerfung der Körper als vorderstes Ziel des Rassismus beschreibt, erzählt er ungewollt auch von europäischen Realitäten.

    Nicht nur, weil das moderne Europa ja in ähnlicher Weise auf den Pfeilern der Ausbeutung nichtweißer Körper gebaut wurde. Also auf den geschundenen, geschändeten und gequälten Sklaven der Kolonien, ebenso auf der Ausbeutung jener „Gastarbeiter“, die anfangs oft genug in Baracken gepfercht wurden und die Drecksarbeit zu machen hatten. Sondern auch, weil es jenseits des Atlantiks ebenfalls die Unterwerfung der Körper ist, in denen sich der heutige Rassismus am deutlichsten zeigt.

    Das ist einerseits allzu evident. Man denke an den NSU, der jahrelang mordend durchs Land ziehen konnte; an Oury Jalloh, der in seiner Polizeizelle verbrannte; an Alberto Adriano, der von Neonazis zu Tode geprügelt wurde. Andererseits ist es nicht evident. Denn in gegenwärtigen Diskursen firmiert Rassismus oftmals „nur“ noch als Frage von Sprache, Bildern und Zeichen, als Gegenstand von Karikaturen, Begriffen oder Kleidungsstücken. Kurz: als Problem innerhalb der symbolischen Ordnung.

    Deshalb ist bisweilen in Vergessenheit geraten, was Coates ebenso intensiv beschreibt. Rassismus heißt Kontrolle über Körper, nicht nur symbolisch, sondern buchstäblich. Mehr noch: In gewisser Hinsicht folgt er sogar der Logik des Terrors. Wie dieser zielt er zum einen nicht nur auf das einzelne Individuum, sondern auf dessen Umwelt. Er erzeugt eine Atmosphäre der omnipräsenten Angst, die dafür sorgt, dass bestimmte Orte gar nicht mehr betreten werden. Zum anderen wirkt er durch seine Unvorhersehbarkeit. Was machen die Polizisten mit dir, wenn sie dich auf die Wache nehmen? Schreien die Betrunkenen einem nur hinterher, oder treten sie dir gleich den Kiefer ein? Und der Körper gerät dabei zum Aufschreibesystem dieser Angst, er speichert die Nervosität, die flache Atmung, die Panikattacken – und hält sie bisweilen ein Leben lang unter Verschluss.

    Und auch die Mobs in Clausnitz oder Bautzen entdecken die Logik des rassistischen Terrors wieder neu. Hier vollzieht das selbst ernannte „Volk“ die Fortsetzung der Politik mit sächsischen Mitteln: einschüchtern, bedrohen, im Zweifelsfall anzünden.

    Der Rassismus hat die rein symbolischen Dimensionen längst verlassen. Es geht nicht mehr um Kränkung, sondern um die Verletzung, ja die potenzielle Auslöschung des nicht weißen Körpers. Doch reicht dieses Problem in seinen Grundsätzen tiefer. Man muss nur einen Blick auf Darstellungslogiken der Flüchtlingskrise werfen. Der gleichermaßen „normale“ wie souveräne Körper von Nichtweißen existiert nur in Ausnahmefällen. „Der Flüchtling“ kommt meist nur als Kollektivsingular, sein Körper lediglich im Plural vor.

    Entweder als bemitleidenswertes Opfer fremder Verhältnisse, als geopolitische Manövriermasse, als campierendes Lumpenproletariat. Oder aber als aggressiver Mob, als kollektiver Täter. Wie etwa in der Kölner Silvesternacht. Was keineswegs heißt, dass an diesen Taten irgendetwas zu relativeren, kleinzureden wäre. Dennoch offenbart sich hier ein Missverhältnis. Während die sexualisierte Gewalt in Köln – zu Recht – wochenlange Aufmerksamkeit erlangte, läuft die Bedrohung des nicht weißen Körpers allzu oft unter ferner liefen. Als 2007 Neonazis etwa eine Gruppe Inder durch Müggeln jagten und diese fast lynchten, sprach der damalige sächsische Innenminister der CDU von einem Gerangel, das sich eben „hochgeschaukelt“ habe.

    Die Nacktheit der schwarzen Körper, so sagt Coates, „ist kein Irrtum“, sondern „die angestrebte Folge politischer Entscheidungen“. Entscheidungen, die Gewalt zulassen und Gegengewalt gebären. Entscheidungen, die den sozialen Frieden mancherorts in nur wenigen Stunden aufkündigen können. So weit ist es hierzulande noch nicht. Gleichwohl sollten wir die Attacken auf Asylunterkünfte, allein über 1.000 im vergangenen Jahr, endlich als das benennen, was sie sind: alltäglicher Terror.

    Anfügen könnte man dieser interessanten vergleichenden Rezension nur noch, daß mit weiblichen Körpern sehr ähnlich verfahren wird. Weder ist die für Frauen allgegenwärtige Angst vor sexualisierter Gewalt ein Thema, sofern man damit nicht gegen ‚brown men‘ vorgehen kann. Noch sind es die nackten, meist weiblichen Körper im öffentlichen Raum in Form von Werbung. Auch Kollektivsingular und Körperplural treffen zu. Nein, es macht nichts besser, daß Frauen ihre Körper und deren Nackheit °auch° zu ihrer Ermächtigung einsetzen, ist oft nur eine Art Onkel-Tom-Verhalten.

  31. Sascha Lobo, SPON: Die geleugnete Krankheit

    Vor einiger Zeit habe ich mit hochrangigen Polizeikräften gesprochen, die sich hinter den Kulissen erstaunlich offen äußern. „Ein Viertel der sächsischen Polizisten sind Nazis.“ Wenn das stimmen sollte, ließe sich vieles erklären. Immerhin wären drei Viertel keine Nazis, ein Teilerfolg. Haha.

    Stanislaw Tillich (CDU) ist kein Nazi. Immerhin! Aber Stanislaw Tillich (CDU) ist die Personifizierung der Verharmlosung, genauer: der strukturellen Verharmlosung. Im SPIEGEL gab Ralph Giordano 1992 ein Interview über Stanislaw Tillich (CDU). Gewissermaßen. „Die deutschen Konservativen und ihre Führungsriege sind unfähig, sich von rechts wirklich bedroht zu fühlen. Für sie steht der eigentliche Feind immer noch links. Rechts – das sind irgendwie ungezogene Verwandte.“ In dieser Eindeutigkeit gilt das nicht mehr für alle deutschen Konservativen, muss man lobend erwähnen. Dass ein CDU-Generalsekretär, Peter Tauber, einen Twitter-Nazi öffentlich als „Drecksnazi“ bezeichnet, ist diesbezüglich ein Fortschritt von erfrischender Klarheit. Eine positive Entwicklung, die angesichts der deutschen Geschichte tausendmal die Diskussion um die Ausdrucksweise aufwiegt.

    Aber Tillich. Der nach Clausnitz zum gefühlt ersten Mal rechte Gewalt brandmarkt, ohne noch im gleichen Atemzug vor linker Gewalt zu warnen, mit noch etwas tieferen Sorgenfalten. Dieses Bestehen auf der Gleichsetzung ist im Land des millionenfachen Judenmords schon immer tendenziös, im Jahr 2016 in Deutschland ist es katastrophal. Wenn heute Linke eskalieren, brennen Autos, wenn Rechte eskalieren, brennen Menschen – davon sind wir nach Brandsätzen in bewohnten Gebäuden jedenfalls nicht mehr weit entfernt. Wer diesen Unterschied nicht erkennt, möchte ihn nicht erkennen. In den sozialen Medien sammeln sich nicht nur die Hetzer, sondern auch die Tillichs. Weil für jeden, der im Netz Gewalt gegen Andersartige fordert, zehn liken, hundert nicht widersprechen und tausend tillichhaft ignorieren und ablenken. Aber nicht nur Tillich, nicht nur Sachsen.

    Aber der Zeigefinger auf Sachsen allein ist für Restdeutschland zu bequem, um wahr zu sein. Wieder Tillich. Der vergleicht – ernsthaft! – die rechtsradikale Gewalt mit den Protesten um Stuttgart 21, er scheint an seiner Professur für Vergleichsidiotie zu arbeiten. Und Tillich steht hinter dem Chemnitzer Polizeichef Uwe Reißmann. Das Video des Polizisten, der einen vom deutschen Volksmob verängstigten Flüchtlingsjungen mit körperlicher Gewalt aus dem Bus zwang – Reißmann sprach von Ermittlungen gegen die Flüchtlinge und konnte kein Fehlverhalten des Polizisten erkennen. Falsch formuliert: Er wollte kein Fehlverhalten erkennen. Und hier beginnt die Bundesdimension von Clausnitz. Denn darin sind sich der Polizeichef und Thomas de Maizière, die innenministergewordene Polit-Enttäuschung, einig.

    Das also ist des Pöbels Kern: Die Bereitschaft der politischen Eliten, im staatlichen Umgang mit eben diesem Pöbel nicht nur die Realität zu ignorieren. Sondern auch das Gegenteil zu behaupten. Ermutigung durch Leugnung. Hier lohnt, die genauen Worte des Innenministers zu analysieren: „Ich kann Kritik an diesem Polizeieinsatz nicht erkennen.“ Er hätte davon sprechen können, dass das Video nicht die ganze Situation zeigt und deshalb die Kritik zu sehr auf den Moment bezogen ist. Das kann tatsächlich sehr gut sein. Er hätte sagen können, wie schwer der Job der Polizisten ist, gegenüber einem Nazimob ist auch für Profis kühle Ruhe kein Selbstgänger. Die Netzöffentlichkeit hätte so gern, dass Situationen eindeutig sind, aber diesen Gefallen tut die Realität ihr selten.

    Das alles hat der Bundesinnenminister aber nicht gesagt. Er hat die Polizeigewalt gegen ein Kind nicht nur ignoriert, er hat Kritik für nicht nachvollziehbar erklärt. Der Himmel ist grün, wer behauptet, er sei blau, redet Unfug. Die Monstrosität dahinter geht über Clausnitz hinaus. Denn dem fatalen, sehr naheliegenden Eindruck, der Polizist sei der verlängerte Staatsarm des Mobs gewesen – diesem Eindruck hätte de Maizière etwas Hartes, Klares, Eindeutiges entgegensetzen müssen. Aber er entschied sich dafür zu tillichen, ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken, beste deutsche Nachkriegstradition.

    „Zeit Online“ hat der behördlichen These nachgespürt, der Zündelmob stamme aus der Mitte der Gesellschaft. Anhand von Facebook-Profilen wies die Redaktion nach, dass es sich eher um dezentral organisierte, via Netzhetze mobilisierte Neonazis handele. Das mag für diejenigen stimmen, die am Ende den Brandsatz schleudern.

    Aber sie handeln entlang einer Linie, die tatsächlich aus der Mitte der Gesellschaft stammt. Eine Linie, die mit Gewalt gegen Menschen endet. Davor die Organisation in geschlossenen Gruppen im Netz, davor die Hetze in sozialen Medien, davor das Akzeptieren und Ignorieren dieser Hetze, davor das Decken, das Kleinreden, das Tillichen der rechten Gewalt.

  32. Eine sächsische Ehrenrettung, erfreulicherweise läuft es ja nicht überall so übel wie in Clausnitz, Heidenau, Meerane usw.: Ein Dorf kämpft um seine Flüchtlinge

    An diesem Nachmittag herrscht so etwas wie Alarmstimmung. Denn der Landkreis Mittelsachsen hat kurzfristig angekündigt, dass die 60 Flüchtlinge in eine andere Unterkunft nach Rossau verlegt werden sollen. Angeblich seien die Heizungskosten zu hoch. Es sei eine wirtschaftliche Entscheidung, heißt es.

    „Aber wir wollen nicht, dass sie gehen“ – so lautet die übereinstimmende Auskunft aller anwesenden Dorfbewohner im Zelt. Unter ihnen sind der Pfarrer, Glieder der Kirchgemeinde, Rentner, junge Leute, Hausfrauen, Vertreter vom Sportverein. Alle plaudern mit den Flüchtlingen wie gute alte Bekannte, man begrüßt und umarmt sich. Sollten die Flüchtlinge verlegt werden, wäre das ein „menschliches Desaster“, sagte auch CDU-Bürgermeister Johannes Voigt der Rochlitzer Zeitung.

    Am späten Abend setzen sich die Dorfbewohner nach einer hochemotionalen Debatte mit ihrer Forderung durch. Die Flüchtlinge dürfen im Ort bleiben. Landrat Matthias Damm beugt sich dem Willen der Versammelten und nimmt Abstand von seinem Plan, die Flüchtlinge zu verlegen.

    Seit 22. Dezember ist das als Notunterkunft deklarierte Quartier belegt. Auch in Wiederau gab es vorher Protest. Und eine fremdenfeindliche Gruppe feiert die angekündigte Verlegung auf ihrer Facebook-Seite schon als „Teilerfolg“.

    Doch sie haben nicht mit der Zivilcourage und dem Bürgersinn von mehr als einhundert Einwohnern gerechnet. Die sind entschlossen und kämpfen um ihre Flüchtlinge. Der 39-jährige Wortführer der Gruppe, ein Händler aus der Gegend, gehörte zu den Ersten, die der Gemeinde schon vor der Ankunft der Migranten angeboten hatten, bei der Integration zu helfen. …

    In den zehn Monaten haben zahlreiche Einwohner aus der Gemeinde ungewöhnlich freundschaftliche Kontakte zu den Flüchtlingen geknüpft. „Wir haben für alle, die es wollen, Deutschunterricht organisiert“, sagt der 39-Jährige. Studenten und pensionierte Lehrer seien fast jeden Nachmittag im Camp. Die Flüchtlinge würden in die Familien eingeladen. Man koche zusammen, unternehme gemeinsame Ausflüge. Es gebe Handwerker, die würden sofort Leute einstellen. Jeder im Camp habe mittlerweile einen Paten – der Schützling des Händlers heißt Mohamed.

    Der junge Afghane erzählt, dass sich in Schneeberg keiner um ihn gekümmert habe, hier lerne er Deutsch, und die Einwohner hätten ihn gut aufgenommen. Zum Beweis schreibt er an die Schultafel: „Wir wollen in Wiederau bleiben und wir wollen nicht nach Rossau gehen“. Mohamed erzählt, dass er daheim im vierten Jahr die Koranschule besuchte, als die Taliban kamen und ihn rekrutieren wollten. Da habe sein Vater Geld gesammelt und ihn nach Europa geschickt.

    Um zu zeigen, wie ernst es ihnen ist, hatten die Wiederauer und ihre Flüchtlinge am Nachmittag gemeinsam das Camp verlassen und sind in die Dorfkirche gezogen. Von dort werden die Flüchtlinge mit zu ihren Paten nach Hause gehen.

  33. Michael Leutert (Die Linke) im Bundestag:

    Der rechte Mob fühlt sich in Sachsen in Sicherheit … Nein, Clausnitz und Bautzen sind keine Einzelfälle. Das ist sächsische Normalität. Sie ist das Ergebnis von 25 Jahren bewusster CDU-Politik.

  34. Carta, der parteilose Bürgermeister der Stadt Augustusburg im Erzgebirge Dirk Neubauer: Gegen die Meinungsangst

    Wenn wir nicht wollen, dass diesem Land der Boden des Grundgesetzes entzogen wird; wenn wir nicht wollen, dass die ordentliche, den demokratischen Regeln entsprechende Meinungsfreiheit langsam stirbt; wenn wir nicht wollen, dass Schutzsuchende diffamiert, angegriffen und bedroht werden und damit die durchaus Licht spendenden und erfolgreichen Bemühungen aus 25 Jahren Wiederaufbau unseres Landes in Frage gestellt werden, dann wird es Zeit, Position zu beziehen: Für eine gesellschaftliche Debatte über die Schatten der Gesellschaft. Ohne Hass und Verurteilung nach Postleitzahlenkreis. Ohne Scheingefechte und den Aufbau von falschen Feindbildern gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden. Und für eine Debatte auf Basis eines klaren NEINs zu Ausländerhass und Gewalt. Und für eine klarer Kante gegenüber jenen, die das grundsätzlich und überzeugt anders sehen.

    Und um einer naheliegenden Frage vorzubeugen: Nein, ich habe weder den Heiligen Gral noch eine Patentlösung. Ich weiß nur, dass es ein Gewinn war, die diktatorischen Angstzwänge des alten Systems vor 25 Jahren überwunden zu haben. Und ich spüre, dass uns diese eskalierende Hassdebatte wieder in diese Richtung treibt.

  35. Focus: Nach Schande von Clausnitz: Polizei ermittelt gegen Polizisten

    „Polizeiversagen“, „Verharmlosung rechter Gefahr“, „rechtsäugige Blindheit“: Die sächsische Polizei stand nach den fremdenfeindlichen Attacken in Clausnitz und Bautzen massiv in der Kritik. Auch die Frage, wie nah manche Beamte der rechten Szene sind, stand im Raum.

    Tatsächlich haben die Vorfälle nun ein Nachspiel: Es werde gegen vier Rechte ermittelt – sowie gegen zwei Polizisten, berichtet die „Bild“.

  36. Clausnitz: Verfahren gegen Polizisten eingestellt

    Die Staatsanwaltschaft in Chemnitz hat die Verfahren gegen zwei Polizisten eingestellt, die am umstrittenen Einsatz im Februar in Clausnitz beteiligt waren. Das teilte die Ermittlungsbehörde dem Linken-Bundestagsabgeordneten Niema Movassat mit, der als einer unter Dutzenden wegen Körperverletzung im Amt Anzeige gegen die Beamten Wolfgang S. und Mirko M. erstattet hatte. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist eine Mitteilung der Einstellungsgründe nicht möglich„, heißt es in dem Bescheid, der vergangene Woche erging. Er liegt dem Tagesspiegel vor.

    Im Februar hatte ein Gruppe aufgebrachter Bürger in der Gemeinde im Erzgebirge die Ankunft eines Busses mit Flüchtlingen zu blockieren versucht. Es gab später eine lebhafte Debatte um den Einsatz der Polizei, die den rechten Mob schonte und gegen Flüchtlinge vorging. Die Maßnahmen der Polizei seien in „ihrer Art und Weise absolut verhältnismäßig“ gewesen, hatte der Chemnitzer Polizeipräsident Uwe Reißmann dazu erklärt: „An diesem Einsatz gibt es nichts zu rütteln.“ Diese Sicht machte sich auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu eigen.

    Der Linken-Politiker Movassat sagte dem Tagesspiegel: „Ich halte die Einstellung des Verfahrens für ein falsches Signal. Richtig wäre gewesen, den Sachverhalt vor Gericht aufklären zu lassen. Durch die Verfahrenseinstellung entsteht der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft bei Polizeiübergriffen die Augen zudrückt. Jubeln wird über die Einstellung nur der braune Mob, der in Clausnitz verängstigte Flüchtlinge massiv bedrohte.“

    (Hervorhebung dvw)

    1. Hm, da gibt’s noch ein schäbiges kleines Detail:

      Aus datenschutzrechtlichen Gründen ist eine Mitteilung der Einstellungsgründe nicht möglich.

      Niema Movassat, der zwei Polizisten angezeigt hatte, hat das Schreiben der Staatsanwaltschaft zur Einstellung der Verfahren bei Twitter online gestellt, dort heißt es weiter:

      Da Sie Kenntnis von den Vorgängen aus den Medien haben, wird darum gebeten, die weiteren Erkenntnisse ebenfalls aus den Medien zu beziehen.

      Tagesspiegel und ZON erwähnen die von der Staatsanwaltschaft angeführten datenschutzrechtlichen Gründe zur Nichtmitteilung der Einstellungsgründe der Verfahren gegen die Bundespolizisten ebenfalls.

      Nun würde mich ja brennend interessieren, ob Medien wie Tagesspiegel und ZON ihre „weiteren Erkenntnisse“ ebenfalls „aus den Medien“ und wenn ja, aus bitte welchen Medien zu beziehen haben.

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