Trauma

traumaBundesarchiv Bild 146-1990-001-30 Treck am Kurischen Haff

Zwei sehr lesenswerte Texte über Traumata und die damit zusammenhängende Unfähigkeit vieler Deutscher zur Aufnahme von Flüchtlingen:

Carolin Emcke Trauma

Ist der Krieg noch der zentrale Topos nicht nur der europäischen Literatur, sondern des kulturellen Selbstverständnisses Europas? Ist der Krieg nach wie vor der dominante historische Referenzpunkt, auf den sich gegenwärtige politische Diskurse in Europa beziehen? Oder ist der Krieg längst aus dem Bezugsrahmen der jüngeren europäischen Generationen verschwunden, weil sie keine konkreten Erfahrungen mehr damit verbinden?

Die unbedarfte Leichtmütigkeit, mit der in diesen Wochen nach den Anschlägen von Paris von Krieg gesprochen wird, suggeriert eher, kaum jemand sei sich bewusst darüber oder erinnere sich noch daran, was das bedeute: Krieg. Als ob Krieg nur noch als etwas gedacht würde, das weit weg vor unserer Zeit oder jenseits unserer Grenzen stattfinde. Die rhetorische und politische Eskalation, die einen unkontrollierbaren Krieg bald mehr heraufbeschwört, als ihn vermeidet, suggeriert eher, niemand wisse mehr von den Verwerfungen und Versehrungen, die jeder Krieg, auch der gut gemeinte, generiert.

Dabei war der Krieg immer präsent, auch im sogenannten Nach-Krieg. Nicht nur im parlamentarischen oder außerparlamentarischen Diskurs der bundesdeutschen „Nie wieder Krieg“-Generation, sondern auch in jenem kulturellen Raum, der sich in privaten familiären Erzählungen öffnet. Der vergangene Krieg war nie vergangen, sondern wurde gerade da gegenwärtig, wo er angestrengt verdrängt und beschwiegen wurde. Der Krieg zeigte sich nachträglich in all jenen Lücken und Brüchen der Geschichten der Väter und Großväter, der Mütter und Großmütter, in jenen rätselhaften Reflexen und Ritualen, für die es keine ausgesprochenen Erklärungen gab.

Mein Vater verstellte auch als Erwachsener noch den Radiosender, bevor er das Gerät ausschaltete. Hätte man ihn nach dieser habituellen Geste gefragt, er hätte nicht einmal gewusst, dass er sie noch hatte, die anerzogene Angst des Kriegs-Kindes, beim „Feindsender“-Hören ertappt zu werden. So wie er nicht hätte erzählen können oder wollen, warum er es in geschlossenen Räumen nicht aushielt, warum bei uns zu Hause alle Fenster auch im Winter aufgerissen waren und er sich draußen sicherer zu fühlen schien als drinnen. Diese nur nach und nach zu dechiffrierenden psychischen Spuren des Krieges gab und gibt es in vielen deutschen und europäischen Familien, selbst wenn sie sich existenziell unterscheiden durch ihre Rolle oder Position im Krieg, durch die Grade an Schuld oder Leiden, die sie auf sich geladen oder erduldet haben. …

Wer immer heute militärischen Einsatz als Anti-Terror-Kampagne fordert, ob aus Entsetzen über die mörderische Gewalt der Dschihadisten, aus verständlicher Angst oder aus ehrlich empfundener Solidarität mit den Franzosen, der muss dieses Erbe destruktiver, ineffizienter, perspektivloser Kriege mitbedenken. Ein Krieg, bei dem weder die Verbündeten noch die Strategie, ja noch nicht einmal der Ort klar sind, an dem er ausgetragen werden muss (in Europa oder in Syrien), droht alle Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die demütig-realistische Einsicht in die begrenzte Wirkungsmacht militärischer Mittel ist das Mindeste, was sich aus den Verwerfungen europäischer und außereuropäischer Geschichte lernen lässt.

und Sabine Bode im Gespräch mit Marlene Halser

Wodurch werden Traumata eigentlich ausgelöst?

In Kriegssituationen ist das oft der Verlust der vertrauten Umgebung. Oder die Strapazen der Flucht, also Hunger und Kälte, aber auch verstörte Erwachsene. Viele Kriegskinder haben im Krieg erlebt, dass die Mütter oder die Großmütter vergewaltigt wurden. Auch Vergewaltigungen von Kindern gab es.

Warum ist der Verlust der Umgebung so schlimm? Kann das nicht auch etwas Hoffnungsvolles sein?

Das kommt auf das Alter an. Mit 20 kann es spannend sein, die vertraute Umgebung zu verlassen. Aber wer nicht grundsätzlich in Aufbruchsstimmung ist, verliert das, was sein Leben stabil macht.

Was Sie beschreiben, machen gerade viele Flüchtlinge durch, die zu uns kommen. Sind Ihre Analysen übertragbar?

Ja natürlich. Trauma ist Trauma. Das ist universal. Die Folgen sind überall dieselben. Meine Bücher wurden deshalb auch ins Chinesische und ins Kroatische übersetzt. In Kroatien geht es um die Folgen die Balkankriege. Und in China beginnt man langsam die Kulturrevolution aufzuarbeiten.

Werden die Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern ihre Erfahrungen von Krieg und Flucht auch verdrängen?

Das kommt darauf an. Vor 70 Jahren gab es noch kein Wissen über Trauma und wie man damit umgeht. Zwar gab es Menschen, die sich intuitiv richtig verhalten haben und verstanden haben, traumatisierte Menschen zu beruhigen. Aber es gab kein Behandlungswissen. Das ist heute anders. Daher rührt auch der Gedanke, Flüchtlingskinder sofort in die Schule zu schicken.

Was muss man tun?

Die Kinder müssen eine Chance bekommen, das Erlebte auszudrücken, und sie müssen dabei verstehen, dass der Krieg vorbei ist. Das kann durchs Malen geschehen oder durch einen Schulaufsatz. So kommt man an die Verlusterfahrungen heran. Und so können Kinder das betrauern, was ihnen wichtig war und was sie verloren haben. Syrische Kinder hatten ja auch Freunde in ihrer Heimat oder vielleicht ein tolles Rennrad, und Oma und Opa sind vielleicht noch da. Das verlangt nur, dass man in der Lage ist, sich einzufühlen in das, was Menschen guttun könnte, die geflüchtet sind.

Es gibt ja nicht nur Pegida. Vielen Menschen in Deutschland gelingt es sehr gut, den Flüchtlingen mit Hilfsbereitschaft zu begegnen. Wie passt das ins Bild?

Da hat sich tatsächlich kulturell etwas verändert. Ich kann mich noch gut erinnern, wie das vor zwanzig Jahren mit den Balkanflüchtlingen war. Da gab es keine so starke Bürgerbewegung. Die Hilfe ging damals vor allem von Institutionen, Kirchen und deren Mitarbeitern und Ehrenamtlichen aus. Und sie war in erster Linie von einem Gefühl der moralischen Verpflichtung bestimmt. Heute handeln die Menschen mit Empathie.

Was ist anders?

Mitgefühl für andere setzt voraus, dass man sich selbst (gegenüber) mit Mitgefühl begegnet. Das geht nicht umgekehrt. Wenn man sich selbst gegenüber hart ist, denkt man eher: Ich hab es durchgestanden. Sollen die anderen sich mal nicht so anstellen. In dem Maße aber, in dem die Kriegsenkel ihre Geschichte aufarbeiten und das Gespräch in den Familien ankurbeln, in diesem Maße befreien sich Menschen von unerklärlichen Ängsten, in diesem Maße wächst auch die Empathiefähigkeit.

Eine kulturelle Veränderung muss ja nicht von der Mehrheit ausgelöst werden. Da genügt eine Minderheit von 10 bis 15 Prozent. Das haben wir bei der Umweltbewegung gesehen. Klar ist auch: Die Empathie für Fremde setzt voraus, dass man selbst ein gutes und unbedrohtes Leben führt.

Beide Texte ganz lesen, lohnt!

 

6 Kommentare zu „Trauma

  1. Dazu passt auch ein Gespräch mit Kübra Gümüsay-> „Die Gesellschaft erwartet von Flüchtlingen, dass sie Übermenschen sind“

    SZ: In der Flüchtlingsdebatte warnen viele vor jungen, muslimischen Männern: Sie seien aggressiv, sexistisch, gefährlich. Woher kommt dieses Bild?

    Kübra Gümüşay: Das ist ein sehr typisches Bild, das schon in den vergangenen Jahrzehnten präsent war. Der türkische Mann zum Beispiel wurde immer als potenzielle Gefahr für die deutsche Frau gesehen: ein Mann, der sehr potent, aggressiv, sexuell aufgeladen und respektlos gegenüber Frauen sein soll. Ein ähnliches Bild gab es in den 50er Jahren von Italienern, später richtete sich dieses Bild gegen Türken und Araber, gegen die Kinder der Gastarbeiter. Noch etwas später wurden die Männer dann primär als „Muslime“ gesehen.

    SZ: Warum hält sich das Bild so hartnäckig?

    KB: Es sagt eigentlich mehr über die deutsche Gesellschaft aus als über den Islam oder diese Männer. Nämlich darüber, wie sich die Deutschen selber sehen.

  2. Die rhetorische und politische Eskalation, die einen unkontrollierbaren Krieg bald mehr heraufbeschwört, als ihn vermeidet, suggeriert eher, niemand wisse mehr von den Verwerfungen und Versehrungen, die jeder Krieg, auch der gut gemeinte, generiert.

    Dass man das in der SZ noch mal lesen darf …

    1. Selbst in der Welt gibt es Erstaunliches zu lesen-> Die Angst der alten Männer vor jungen Flüchtlingen

      Falls je irgendein Kulturwissenschaftler für eine Magisterarbeit Beispiele für ungehemmtes „Gendern“ im politischen Diskurs sucht, in diesen Tagen findet man sie zuhauf.

      Diese Kritik beschränkt sich im Kern auf ein einziges Narrativ: das der emotionsgeleiteten Frau, die nicht rational handeln kann. In den Schauerromanen des 19. Jahrhunderts hatten die Männer für solche Frauen eine Lösung parat. Sie sperrten sie auf dem Speicher ein. Heutzutage muss man mindestens bis zum nächsten Parteitag warten, bis man sie loswird. Wenn man Pech hat, sogar bis zur nächsten Wahl.

      Für Hobbypsychoanalytiker ist an dieser Diskursformation interessant, dass einige der Männer, die bei der Kanzlerin die schiere weibliche Unvernunft walten sehen, zugleich befürchten, von „jungen Männern aus aller Herren Länder“ (…) „in wilder, unkontrollierter Manier“ überrannt zu werden.

      Leute mit einem Faible für ödipale Dreiecks-Konstellationen könnten da auf den Gedanken kommen, dass es sich um eine Art Endkampf um Muttis Gunst handelt. Die Alten fürchten, von den jungen, wilderen und potenteren überrannt zu werden, die aus weiter Ferne ihre „Mama Merkel“-Schilder in die Kameras recken.

      „Die lieben Mutti mehr als wir“, fürchten deshalb die alten deutschen Männer, und „Mutti liebt sie mehr als uns“. Das ist Deutschlands neuer Ödipus-Komplex.

  3. Berliner Psychologin Babette Renneberg-> „Auf Angst reagiert man mit Kampf oder Flucht“

    Tagesspiegel: Können Menschen allein schon wegen der bloßen Zahl ihrer Mitbewohner aggressiv werden?

    Renneberg: Menschen vertragen es nicht gut, wenn sie auf engem Raum mit vielen anderen zusammen sind. Viele bekommen oder haben auch Angst. Auf Angst reagiert man mit Kampf oder mit Flucht. Und Flucht scheidet aus.

    TS: Sind Männer generell aggressiver?

    R: Ja, das ist ein Geschlechterunterschied, der evolutionsbiologisch bedingt ist. So geht ein höherer Testosteronspiegel mit einem höheren Aggressionslevel einher. Männer haben mehr Testosteron als Frauen. …

    TS: Es ist ja zu befürchten, dass viele Neuankömmlinge über Monate gezwungen sind, ohne sinnvolle Beschäftigung in Massenunterkünften zu leben. Wie gefährlich ist das aus psychologischer Sicht?

    R: Je länger die schwierige Situation für diese Menschen andauert und ihnen die Perspektive fehlt, desto schwieriger wird es.

    TS: Wie ließe sich die Situation in den Unterkünften entschärfen?

    R: Indem man Perspektiven schafft! Idealerweise haben die Leute etwas zu tun. Es ist zunächst nicht so wichtig, welche Tätigkeit das ist. Die Menschen brauchen eine Beschäftigung. Je sinnvoller die ist, desto besser. Auch die Aussicht, in ein paar Wochen eine andere Unterkunft zu haben, kann schon helfen. Alles ist besser, als zu warten und mit der andauernden Angst leben zu müssen, dass man abgeschoben werden könnte.

  4. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin-> Wie entstehen extreme politische und religiöse Überzeugungen, die mitunter Taten nach sich ziehen?

    „Wenn wir die Entstehungsprozesse verstehen, die hinter der Radikalisierung stehen, eröffnen sich aber dadurch vielleicht neue Möglichkeiten der Vorbeugung“, sagte DGPPN-Präsidentin Iris Hauth, Chefärztin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses in Berlin-Weißensee. Dabei dürfe man nicht allein das Individuum betrachten. „Entscheidend ist das psychologische Klima, in dem sich die Betreffenden befinden oder in dem sie aufgewachsen sind“, bestätigte Adli. Das Gefühl, sozial ausgeschlossen zu werden, und die daraus resultierende Verbitterung könnten sich durch ganze Gruppen ziehen. „Radikalisierung ist ein sozialer Prozess.“

    Eine „autoritätsaffine Persönlichkeitsstruktur“ und eine Neigung zu polarisierendem Denken erhöhe allerdings die Wahrscheinlichkeit, charismatisch wirkenden, aber Hass predigenden Anführern zu folgen und deren Ideologie anzunehmen, sagte Adli. Persönlichkeitsmerkmale führten dazu, dass Menschen schneller aggressiv reagieren oder leichter gekränkt sind. Und dass sich das Gefühl verselbstständigt, im und vom Leben ungerecht behandelt zu werden. Der Berliner Psychiater Michael Linden bezeichnet das als „Verbitterungsstörung“. …

    Sicher ist: Auch die Forschung steht vor großen Aufgaben. Zum genauen Ablauf der Radikalisierung und zur Frage, bis zu welchem Punkt man ihr noch entgegenwirken kann, gibt es bisher nur Hypothesen. „Der 11. September 2001 hat vieles in Gang gesetzt, aber nicht in der Präventionsforschung“, sagte Saß. „Das ist ein großes Versäumnis.“

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