
Sie hatten ihn eingekreist, zogen Kapuzen über die Köpfe und banden sich Tücher vors Gesicht. … „Da kam ’n Schwatter raus, den ham wa jekascht an der Kreuzung und ham den zusammjeschlagen.“ … „Da standen also fünfzehn Mann herum und haben den … na, den Afrikaner da rumgeschubst. Dann hab’ ich den Angeklagten, den Amadeu da, mit der Faust gehauen. Dann wurde er weitergeschubst, und irgendwie isser dann runtergefallen.“ … „,Der schnarcht ja noch’, sagte der eine mit der Kapuze und sprang weiter mit beiden Füßen auf den Kopf des Negers. Ich sagte ihm, er soll das mit dem Springen lassen. Mir reicht’s, hab’ ich gesagt und bin weggegangen.“
Amadeu Antonio Kiowa starb an den Folgen dieser Verletzungen am 6. Dezember 1990. Heute wäre er 53 Jahre alt, ein Jahr älter als ich.
Die Polizei wusste am Abend des 24. Novembers über den Standort und das Ziel der Gruppe um die Skinheads Bescheid. Sie informierte den Wirt der Gaststätte „Hüttengasthof“ und empfahl ihm, das Lokal zu schließen – was war gut gemeint. Hätte die Polizei eingegriffen, wäre es allerdings lebensrettend gewesen. Der Wirt nahm die Empfehlung ernst: Die Gäste verließen das Lokal. Amadeu Antonio, der zusammen mit zwei Männern mosambikanischer Herkunft und zwei weißen Frauen unterwegs war, verließ das Lokal ebenfalls. Sie schlugen die Richtung ein, aus der der Mob kam, und liefen ihnen genau in die Arme.
Auf dem rund 3 Kilometer langen Weg zum Gasthof randalierte die 50 bis 60 Personen große Gruppe und begann, sich mit Zaunlatten zu bewaffnen. Als Amadeu Antonio und seine Begleiterinnen und Begleiter ins Blickfeld des Mobs kamen, rief jemand „Da sind die Neger“ und die Nazis begann, auf die Gruppe um Amadeu Antonio loszurennen. Mit Lattenzäunen und Softballschlägern wurde auf die Freunde eingeschlagen. Beim Versuch zu fliehen teilte sich die Gruppe. Die Begleiterinnen und Begleiter konnten verletzt fliehen – Amadeu Antonio nicht. Er wurde von rund 10 Leuten verfolgt und brutal zusammengeschlagen. Erst als ein Bus vorbei fuhr, ließ die Gruppe Nazis von dem bereits bewusstlosen Amadeu Antonio ab. … Lange Zeit standen 20 vollausgerüstete Polizisten in der Nähe des Überfalls, schritten allerdings erst gegen 1 Uhr ein.
Drei Beamte sahen von einem Pförtnerhäuschen aus zu, wie 60 Skinheads bewaffnet mit Baseballschlägern Jagd auf drei Afrikaner machten. Einer von Ihnen — der Angolaner Amadeu Antonio — starb an seinen Verletzungen. Die Beamten erklärten, sie hätten den Befebl gehabt, nicht einzuschreiten. Wer diesen erteilt hat, konnte nie festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung gegen die drei Polizisten. Das Frankfurter Landgericht wies sie zurück: Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht. Beobachter des Prozessen im Jahr 1992, bei dem die Polizisten als Zeugen aussagten, konnten dieser Begründung kaum folgen.
Am 9. Januar 1991, morgens um sechs, gebar Amadeus Freundin Gabriele Schimanski ihren Sohn und nannte ihn nach seinem toten Vater. Zwei Stunden später hob das Flugzeug ab, das Amadeu Antonios Leichnam nach Angola überführte. „Es war, als ob seine Seele das Kind noch sehen wollte.“ Kaum aus dem Krankenhaus entlassen, fand Gabriele den Kinderwagen mit Hakenkreuzen beschmiert, bald darauf zerstört. Der Deutsche Fernsehfunk drehte einen Dokumentarfilm über ihren Fall und brach die versprochene Anonymität. Als sie Morddrohungen erhielt und kein einziges Zeichen von Solidarität, zog sie mit Hilfe der Westberliner Antirassistischen Initiative nach Kreuzberg. …
Als Nebenklägerin sitzt sie nun an jedem Prozeßtag jenen gegenüber, die Amadeu umgebracht haben, und hält dem kalten Grienen von Böcker und Kumpanen stand. Sie ist keine Kino-Schönheit, Gabriele Schimanski, 35, gelernte Viehpflegerin, nach den Maßstäben der versammelten arischen Auslese eine „Negerschlampe“. … Wie sie so spricht, in Freude und Furcht, aber ohne die lügende Angst, da hat sie mehr Kraft als diese ganze erbärmlich schweigende Stadt. „Den Prozeß, den ziehe ich durch bis zum Schluß“, sagt sie und will fest daran glauben: „Sonst denken die Deutschen, sie können mit den Menschen machen, was sie wollen.“
„Beweissichere Festnahmen“ gab es keine, die drei Zivilfahnder, die ebenfalls den Überfall beobachtet hatten, konnten im Prozeß niemanden so recht identifizieren, die Spurensicherung war schlampig, die Suche nach den Tätern kam nur äußerst zögerlich und wenig erfolgreich in Gang.
Der Prozeß verlief derart, daß die in Genf ansässige Internationale Juristenkommission, die sonst damit befaßt ist, die Rechte von Angeklagten in Diktaturen zu sichern, beschloß, einen Beobachter zu entsenden. Die Juristen befürchteten, daß hier das Opfer zum Täter gemacht werden würde und diese straffrei ausgingen.
Ob es in dem Verfahren, das ohnedies nur gegen sechs der Schläger eröffnet wurde (der Eberswaldener Neonaziführer, der zur Szene um die „Nationalistische Front“ gezählt wird, gehörte nicht dazu), ohne die Aussagebereitschaft eines Beteiligten überhaupt zu Verurteilungen gekommen wäre, ist unklar. Schließlich durchbrach der zunächst untergetauchte Kay Nando B., der wie der Eberswaldener Neonazi-Führer im Umfeld der „Nationalistischen Front“ aktiv war, das verabredete Schweigen, gestand seinen eigenen Tatbeitrag und beschuldigte die anderen der Mitwirkung.
Vier der Angeklagten wurden daraufhin wegen „gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge“ zu vier bzw. dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, der fünfte erhielt wegen Körperverletzung eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. …
Damit hatte der Vorsitzende Richter des Bezirksgerichts Frankfurt/Oder sich – obwohl die Tat geplant und besonders brutal durchgeführt worden ist – für den geringstmöglichen Strafvorwurf entschieden. Die Urteile liegen entsprechend im unteren Bereich des Strafmaßes, das eine Mindeststrafe von drei Jahren Haft vorsieht. Trotzdem sind drei der Angeklagten, ebenso wie der Nebenkläger, in die Revision gegangen.
Der Sohn von Amadeu Antonio und Gabriele Schimanski erhielt vom Versorgungsamt Frankfurt/Oder bis September 1995 nach dem Opferentschädigungsgesetz eine Zahlung von monatlich 132 Mark.
Ende 1994 hatte ein Gutachter festgestellt, daß die Vaterschaft nicht eindeutig nachgewiesen werden könne, da das Antonio entnommene Organmaterial durch die lange Zeit der Aufbewahrung bereits degeneriert war. Der Gutachter schlug vor, den Leichnam zu exhumieren. Einen entsprechenden Beschluß faßte das Amtsgericht im Oktober. Der Richter hatte wohl vergessen, daß Amadeu Antonio in seiner Heimat Angola begraben liegt.
Flughafen Berlin-Tegel. Manuel Antonio und Helena Afonso kommen aus Angola, nach Deutschland, dem Land, in dem ihr Sohn und sein Bruder ermordet wurde. Eine Reise, die sie sich seit über zehn Jahren gewünscht haben, um mit ihrer Trauer besser fertig zu werden. Die erste Begegnung mit dem kleinen Amadeu. Er ist der Sohn der ehemaligen Lebensgefährtin des Ermordeten.
Amadeu Antonio – 1990 war er in Eberswalde von fünfzig Nazis totgetreten worden. In Angola, bei den Verwandten, kam nur seine Leiche an – keine Entschuldigung, keine Erklärung, keine Entschädigung. …
Eine Gedenkstätte in Deutschland hatten sie sich anders vorgestellt. Enttäuschend: nur eine Tafel an einem Mauerpfosten. Die Blumen müssen sie auf den Bürgersteig legen.
Termin im Rathaus von Eberswalde, der Stadt, die den Tod von Amadeu Antonio lange verdrängt hat. Der Bürgermeister hat eingeladen, doch dann die nächste Enttäuschung: Er lässt sich entschuldigen. Statt dessen ein Kaffeekränzchen mit der Pressesprecherin. Und keine Erklärung, warum sich die Stadt nie in Angola gemeldet hat. …
Manuel Antonio, der Bruder des ermordeten Angolaners ist seht traurig: „Ich habe auf eine richtige Entschuldigung gehofft, und nach zehn Jahren habe ich immer noch keine bekommen. Wir sind abgefertigt worden. Man hat uns am Ende 300 Mark gegeben, so nach dem Motto: Hier, kauft euch was zu essen.“ (2001)
2011 wurden noch 5000€ als symbolische Geste draufgelegt.
Die genetischen Tests sollen möglichst bald stattfinden, sagt die ganze Familie. Sie schneiden sich Haare ab, die ich in Umschlägen nach Deutschland mitgebracht habe. Sie wollen keinen Zweifel zulassen und fühlen sich verletzt, dass überhaupt jemand in Zweifel zieht, dass Amadeu ihr Sohn und Bruder sein könnte. „Wir haben ein Anrecht auf Information, ein Anrecht auf Aufklärung, und stehen bei Fragen immer zur Verfügung, sagt Samuel Afonso Makengo, der als Polizist arbeitet. Falls nötig arbeiten wir mit Behörden und öffentlichen Stellen in Deutschland und Angola zusammen. (September 2011 Luanda)
Gabi Schimanski, die ehemalige Lebensgefährtin von Amadeu Antonio, zieht zeitweilig mit ihrem Sohn zurück nach Eberswalde, entscheidet sich aber später endgültig für Berlin. Sie hangelt sich von Job zu Job, hat finanzielle und psychische Probleme. Bekommt keinen Fuß mehr auf den Boden. Vor wenigen Wochen ist sie gestorben. Woran, weiß niemand so genau. „Sie ist am Leben gestorben“, sagt eine Weggefährtin.
Danke für das Erinnern, auch als Memento, dass die rassistische Scheisse nie weg war.
20 VoPos gegen ne halbe Hundertschaft Nazis… Ich habs weißGott ned mit der Polizei, aber ich kann nachvollziehen, daß die zugeguckt haben…
Von dem Junior gibts nix irgendwo öffentlich?!?
Die unterstrichenen Textstellen dienen nicht der optischen Auflockerung ansonsten langweiliger Texte, sondern leiten zu externen Quellen weiter. Die darf man gern lesen, am besten vor dem Kommentieren.
Erst durch die Fehlentscheidung/Untätigkeit der Polizisten kam es zur halben Hundertschaft gewaltbereiter und bewaffneter Nazis. Polizisten trugen auch 1990 schon Funkgeräte, mit deren Hilfe sie Verstärkung hätten anfordern können. Auch war 1990 die Kamera schon erfunden und Teil der Polizeiausrüstung, mit deren Hilfe gerichtsfeste Beweise gegen mehr als 6 Angeklagte sicherbar gewesen wären. Wenn man gewollt hätte.
Dem Junior ist nur zu wünschen, daß nicht auch er in den Fokus der Öffentlichkeit gerät.
Äh, hab ich, also die gesamten Artikel gelesen ;) …
Und ich habe nicht umsonst „VoPo“ geschrieben: „Wenn man gewollt hätte.“…
Hat dies auf montagfrei rebloggt.