Reblog Pro Asyl: Asylrechtsverschärfung: Scharfer Widerspruch aus der Zivilgesellschaft

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(Bild: Screenshot bei Pro-Asyl, beschnitten. Foto: Flickr / Caruso Pinguin) In Erstaufnahmeeinrichtungen, wie hier in Leipzig-Dölitz, sollen Flüchtlinge künftig nicht nur drei, sondern bis zu sechs Monate bleiben. Das ist eine der Maßnahmen, die auf dem Bund-Länder-Treffen zum Thema Asyl beschlossen wurden. Eine Entspannung der schwierigen Unterbringungssituation ist dadurch nicht zu erwarten – im Gegenteil.

Während sich CDU/CSU, SPD und Grüne auf weitreichende Maßnahmen zur Entrechtung und Ausgrenzung von Flüchtlingen geeinigt haben, trifft die geplante Asylrechtsverschärfung bei Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechtsorganisationen und weiteren mit Flüchtlingsarbeit und Asylrecht befassten Akteuren der Zivilgesellschaft auf scharfe Kritik.

Die Ergebnisse der Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder zur Asyl- und Flüchtlingspolitik am 24. September 2015 sowie der vorliegende Entwurf eines „Asylbeschleunigungsgesetzes“ werden von zahlreichen Organisationen weitgehend einhellig kritisiert, obwohl ihnen das Bundesinnenministerium für die Stellungnahme eine Frist von unter 30 Stunden gesetzt hatte. PRO ASYL hatten im Vorfeld öffentlich massive Kritik an den Verschärfungsplänen geübt.

Eine Übersicht über vorliegende Stellungnahmen und Kommentare:

Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme die im Gesetzesvorhaben avisierte und von Bund und Ländern abgesegnete  Unterscheidung in Personen „mit und ohne Bleiberechtsperspektive“ als „sehr problematisch“, eine solche Einteilung widerspreche dem auf eine individuelle Prüfung ausgerichteten Asylrecht. Ferner warnen die Kirchen, die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, auf sechs Monate auszuweiten, könnte die Situation von Betroffenen aus Sicht der Kirchen erheblich verschlechtern. „Abgesehen von den fehlenden Kapazitäten in den Aufnahmeeinrichtungen vieler Bundesländer, die aktuell zu einer schnellen Weiterverweisung an die Kommunen führen, bezweifeln die Kirchen, dass diese Maßnahmen einen effektiven Beitrag zur Bewältigung der hohen Asylbewerberzahlen leisten können.“ Zur Einstufung weiterer Westbalkanstaaten als „sichere Herkunftsländer“ betonen die Kirchen: „Nach der wiederholt zum Ausdruck gebrachten Überzeugung der Kirchen muss jeder Asylantrag unvoreingenommen und gründlich geprüft werden. (…) Die Kirchen haben deshalb das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten stets als eine Einschränkung des individuellen Grundrechts auf Asyl gewertet.“ Ebenso kritisieren die Kirchen das Vorhaben, für bestimmte Gruppen von Flüchtlingen die Sozialleistungen auf das „physische Existenzminimum“ zu reduzieren. Hierzu stellen die Kirchen fest: „Eine Absenkung von Leistungen unter das Niveau des menschenwürdigen Existenzminimums aus migrationspolitischen Erwägungen verbietet das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18.7.2012 (…) ausdrücklich“

Der DGB lehnt die Erweiterung der Liste sicherere Herkunftsländer ab und fordert, die Gründe für eine Schutzsuche auch künftig individuell zu prüfen.  „Erstens bestehen immer noch Formen rassistischer Diskriminierungen und Gewalt gegenüber ethnischen Minderheiten in diesen Ländern und zweitens liegt die hohe Ablehnungsquote auch an der Tatsache, dass die Schutzsuchenden über andere EU-Staaten eingereist sind.“
Ebenso sieht der DGB die Einwanderungsregelung für Menschen vom Westbalkan als völlig unzureichend an. Die geplanten Regelungen werden laut DGB nicht zum Erfolg führen: „Denn die Antragstellung setzt voraus, dass eingereiste Asylsuchende mindestens 24 Monate im Herkunftsland wohnhaft sind. Vielmehr erforderlich wäre die Einführung der Möglichkeit eines Spur- oder Zweckwechsels.“

Die AWO befürchtet, „dass durch einen längeren Verbleib der Menschen in Großunterkünften die Ressentiments in der Bevölkerung deutlich ansteigen werden. Auch deshalb, weil die geplante große Anzahl von Menschen in den Großunterkünften für die Infrastrukturen schwer zu integrieren sind. Für rechtsgerichtete Gruppen wird es dadurch einfacher, Ängste zu schüren.“ Auch würden die Großunterkünfte in Regionen errichtet, in denen  „ein Kontakt zur Bevölkerung kaum möglich wird. Doch gerade dieser bewusst hergestellte Kontakt zwischen den Menschen auf der Flucht und den Einheimischen hat sich als wirkungsvolle Maßnahme zum sozialen Zusammenhalt und zur Willkommenskultur bewährt“, so der AWO Bundesverband.

Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge: „Die geplanten Bildungsverbote machen alle Erfolge zunichte, die durch Jugendhilfe und Schulen bislang erreicht worden sind“, erklärt Ulrike Schwarz vom Bundesfachverband UMF e.V., „Tausende junge Flüchtlinge müssten weiterführende und berufliche Schulen verlassen und würden nach der Jugendhilfe perspektivlos in Sammelunterkünften landen, statt eine Ausbildung beginnen zu können.“

Paritätischer Gesamtverband: „Es wäre falsch, jetzt zu versuchen, durch gesetzestechnischen Aktionismus und Abschreckungsmaßnahmen Schutzsuchende von der Einreise nach Deutschland abzuhalten. Vielmehr brauchen wir einen schnellen Ausbau der Infrastruktur sowie gute Integrationsangebote. Wir müssen uns um die Menschen kümmern, die hier sind und zwar um alle“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes.

Amnesty International: „Die geplanten drastischen Leistungskürzungen, die sich unter anderem auf die Gesundheitsversorgung beziehen, sind menschenrechtswidrig, unvereinbar mit der Menschenwürde und widersprechen jedem Anstand. Aus der Menschenwürde ergibt sich das Recht, nicht unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums leben zu müssen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz ausdrücklich festgehalten“, kritisiert Amnesty-Generalsekretärin Çalışkan. „Migrationspolitische Erwägungen dürfen außerdem weder die Höhe noch die Form der Leistungen bestimmen.“

Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.: Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen bezeichnet die vorliegenden Entwürfe als „völlig ungeeignet, einen ganzheitlich humanitären Beitrag zur Lösung des aktuellen Fluchtgeschehens zu leisten, die im Übrigen auch jenseits verfassungsrechtlicher Bindungen, insbesondere der Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Art. 1 GG, angelegt sind.“ Bundesgeschäftsführerin Mende stellt fest, dass die Gesetzesentwürfe „den Kernbereich des Grundrechts auf Asyl und des humanitären Flüchtlingsrechts“ berührten, „indem sie protektionistisch auf Abschottung und Abschreckung setzen und nicht nur lediglich verfahrenssteuernde Regelungen treffen. Sie sind maßgeblich davon gespeist, sich der Verantwortung für Zuflucht suchende Menschen zu entledigen.“

Neue Richtervereinigung: Die Neue Richtervereinigung nimmt die von der Bundesregierung gesetzte Frist zur Abgabe einer Stellungnahme mit Befremden zur Kenntnis und stellt fest: „Das Tempo, das die Bundesregierung hier vorlegt, wird der Bedeutung der in Rede stehenden Gesetzesänderungen nicht gerecht. Ganz im Gegenteil birgt es die Gefahr handwerklicher Fehler, die sich später in der Praxis kontraproduktiv auswirken.“

Caritas Deutschland: „Auch wenn die große Zahl an Flüchtlingen entschlossenes Handeln aller Akteure in Politik und Gesellschaft erfordert, müssen die Standards der Asylverfahren und des Verfassungsrechts aufrecht erhalten werden“, betont Caritas-Präsident Peter Neher. „Insbesondere das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminium darf nicht beschnitten werden. Genau das aber sieht der aktuelle Gesetzentwurf für Asylsuchende vor, die über einen sicheren Staat eingereist sind.“ Weiter heißt es: „Wenn Flüchtlinge die sogenannten Dublin-Regelungen missachten, muss darauf mit einem entsprechenden Verfahren reagiert werden, aber nicht, indem man ihnen die Leistungen des sozio-kulturellen Existenzminiums kürzt. Das ist verfassungswidrig“. Die Caritas kritisiert zudem das geplante Arbeitsverbot für Menschen, die nur geduldet in Deutschland leben und nicht abgeschoben werden können, wenn beispielsweise die Staatsangehörigkeit nicht geklärt werden kann oder sie angeblich falsche Angaben gemacht haben: „Wer jahrelang nur geduldet in unserem Land lebt, nicht arbeiten darf und keinen Zugang zu Bildung hat, lebt in völliger Perspektivlosigkeit. Das ist schrecklich für die Betroffenen und unvernünftig mit Blick auf das Leben in der Gesellschaft“.

Diakonie Deutschland: Die Diakonie kritisiert, dass Flüchtlinge künftig bis zu sechs Monaten in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausharren müssen und stellt zur Wiederbelebung des Sachleistungsprinzips, der Residenzpflicht und der Hürden beim Arbeitsmarktzugang fest: „Diese Regelungen zielen eher darauf ab, Asylanträge zu verhindern. Für die Asylsuchenden werden diese Änderungen mit erheblichen Einschränkungen einhergehen.“ Ebenso kritisiert die Diakonie die Einstufung weiterer Westbalkanstaaten als „sicher“: „Verfolgung glaubhaft zu machen bedarf grundsätzlich intensiver Bemühungen seitens der Asylsuchenden. Für Personen aus als sicher eingestuften Herkunftsstaaten ist diese Glaubhaftmachung nahezu unmöglich. Sie müssen beweisen, dass gerade ihnen Verfolgung droht – obwohl das Land, aus dem sie kommen, als sicher gilt. Das Asylrecht ist ein Individualrecht. Daher sollten Asylanträge ohne gruppenbezogene Vorbehalte geprüft werden.“ Hinsichtlich der geplanten Leistungskürzungen für Asylbewerber verweist die Diakonie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012, das urteile: „Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“. Flüchtlinge dürfen daher nicht „durch Leistungsentzug genötigt sein, das Land zu verlassen.“

Die Presseerklärungen von PRO ASYL zum Gesetzentwurf der Bundesregierung:

 Asylrechtsverschärfung: Gesetzentwurf bleibt verfassungswidrig (22.09.15)

 Große Koalition beschließt Verfassungsbruch (21.09.15)

 Abschottung, Abschreckung und Obdachlosigkeit werden zum Programm (17.09.15)

6 Kommentare zu „Reblog Pro Asyl: Asylrechtsverschärfung: Scharfer Widerspruch aus der Zivilgesellschaft

  1. Eine Ausleuchtung der ökonomischen Verwertungsinteressen an Flüchtlingen von Hans-Dieter Rieveler bei Telepolis-> Alles so schön bunt hier

    „Nur die Harten kommen in den Garten (Eden)“.

    Beispielhaft sei Joachim Gauck angeführt, der am 30. April nach dem Besuch eines Flüchtlingslagers auf Malta in die Kamera der ARD-Tagesthemen sprach: „Wollen wir die alle zurückschicken? Oder brauchen wir nicht einen Teil dieser Menschen, die eine ganz große Energie haben? Sonst hätten sie es nicht bis hierher geschafft.“

    Es war schon eine widerliche Mischung aus Pseudo-Moral, Verwertungslogik und Sozialdarwinismus, die der Ex-Pastor hier offenbarte, was jedoch nicht weiter auffiel im anschwellenden Willkommenstaumel im Vorfeld des „zweiten deutschen Sommermärchens“. Diese und ähnliche Aussagen liefern eine mögliche Erklärung dafür, warum Angela Merkel im August so deutliche Willkommenssignale ausgesandt hat, nun aber ein Teil der Flüchtlinge auf andere EU-Staaten „verteilt“ und das Asylrecht verschärft werden soll. Sie erklären auch, warum die Bundesregierung die Zahl der Kontingentflüchtlinge aus Syrien, also jener, die bequem per Charterflugzeug einreisen dürfen, bis heute nicht über die Marke von 20.000 hinaus erhöht hat, sondern in aller Seelenruhe abwartet, wer sich über den Hindernisparcours durch Südosteuropa bis zu uns durchschlägt. Da spielt es dann auch keine große Rolle mehr, ob es sich um politisch Verfolgte, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten handelt.

    Noch deutlicher wurde der Ex-Sozialdemokrat und heutige Kuratoriumsvorsitzende der INSM, Wolfgang Clement, in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt: Angesichts der Zuwanderung sei es wichtig, „alle Ventile zu öffnen. […] Und nicht durch weitere Regulierungen – etwa der Zeitarbeit oder der Werkverträge oder ein Entgeltgleichstellungsgesetz – den Arbeitsmarkt weiter zu bürokratisieren. Es sollte wieder gelten: Jeder legale Arbeitsplatz ist zumutbar und besser als die Arbeitslosigkeit. Man darf vermuten: Die Mehrheit derer, die jetzt zu uns kommen, werden dies auch so sehen. Und andere müssen es lernen.“

    Wer den letzten Satz als Drohung liest, hat richtig gelesen. Der nächste logische Schritt wird sein, einen weiteren Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften zu verlangen, da nur so der Sozialstaat angesichts der enormen Belastungen durch den Flüchtlingszustrom „zukunftsfest“ gemacht werden könne. Die Zeit spielt für die Gegner des Sozialstaats, denn die Arbeitslosenzahlen werden unweigerlich steigen. Sollte die Konkurrenzsituation allzu deutlich werden, dann lässt sich, wie von Straubhaar empfohlen, der Vorwurf der Fremdenfeindlichkeit einsetzen, indem man die Betroffenen konsequent als „deutsche“ Arbeitskräfte bezeichnet, obwohl nach den Erkenntnissen der Migrationsforschung früher eingewanderte Migranten meist am stärksten von Verdrängungseffekten betroffen sind.

    Dass es zu Verteilungskonflikten kommen wird, wird inzwischen selbst von Alt-68ern wie Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit nicht mehr geleugnet. „Der von Rechtspopulisten geschürte Verdacht, vor allem die Ärmsten müssten die Kosten der Masseneinwanderung tragen, muss effektiv widerlegt werden. Migration stellt oft manchesterkapitalistische Verhältnisse (wieder) her, aber sie stellt auch die soziale Frage in größerer Schärfe“, schrieben sie kürzlich in der Taz. „Mittel- und langfristig mag sich Migration rechnen, indem sie Arbeitsmarktlücken und Rentenlöcher stopft und Steuersäckel und Sozialkassen füllt, kurzfristig kommt es jedoch zu Belastungen, die auch die Mittelschichten treffen werden und ihre Willkommensbereitschaft erschüttern können. Einwanderung löst dann eine neue Gerechtigkeitsdebatte aus, die Reiche und Superreiche in Zugzwang bringen sollte.“

    Fassen wir zusammen: Die Armen müssen da ganz einfach durch, dass sie noch ärmer werden. Irgendwann wird die Mittelschicht aufbegehren und die Reichen werden ihren gerechten Anteil an den Kosten der Zuwanderung tragen – vielleicht. Ob die Armen dann auch etwas davon haben werden, wird sich zeigen. Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

  2. Gesine Lötsch-> »Das ist ein Angebot an den rechten Rand«

    Das Sparpaket des Finanzministers zielt nicht auf den Haushalt, sondern auf die Flüchtlinge. Keine Bürgerin und kein Bürger werden etwas von diesen Kürzungen spüren. In einem Bundeshaushalt von 312,0 Mrd. Euro (2016) können die Ministerien ohne Schwierigkeiten 0,16 Prozent des Haushalts als globale Minderausgaben einsparen. Schäuble hat noch einmal zwei Milliarden Euro Einsparungen draufgelegt, um seine Neid-Botschaft zu verstärken. Doch auch diese Summe lässt sich durch geringere Zinszahlungen einsparen.

    Das Sparpaket des Finanzministers ist nicht notwendig. Die Steuereinnahmen von Bund und Ländern sind in den ersten acht Monaten um 22 Milliarden Euro höher als im Vorjahreszeitraum ausgefallen. Das Kürzungspaket ist letztlich nur ein Angebot an den rechten Rand der Gesellschaft.

    Die Wirkungen sind beachtlich: Mit Geld wird Politik und Stimmung gemacht, das weiß der Finanzminister nur zu gut. Mit seinem Sparpaket liefert er Zündstoff für die Hass-Prediger auf Facebook und an den Stammtischen. Über Bild ließ er verlauten, dass er das Sparpaket von 500 Millionen Euro plane.

    Das Blatt hat es noch vor den zuständigen Haushaltsausschussmitgliedern erfahren, warum wohl? Die Botschaft an die Leserschaft ist klar: Wir müssen jetzt alle sparen, damit wir die Flüchtlinge finanzieren können. Das ist böse Stimmungsmache! Das ist kein Ausrutscher oder eine böse Interpretation der Linken. 2012 gab Schäuble ebenfalls Bild ein langes Interview, in dem er erklärte, dass die Mütterrente wegen der Griechenland-Krise nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert werden könne. Sogar die Vorsitzende der CDU-Frauenunion, Maria Böhmer, kritisierte Schäuble. »Ich finde es nicht gut, Griechenland-Hilfe gegen Mütterrente zu setzen«. Was Frau Böhmer und die Leser offensichtlich nicht wussten, ist, dass die Griechenlandkrise mit der Mütterrente gar nichts zu tun hat. Denn die wird nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern mit 6,5 Mrd. Euro aus der Rentenkasse finanziert.

    Richtig, wir wissen alle, dass die Flüchtlingshilfe nur ein erster Schritt ist. Die Integration der Menschen in unsere Gesellschaft wird uns mehr abverlangen. Und als eines der reichsten Länder Europas können wir das auch leisten. Ich habe ein Integrationskonjunkturprogramm vorgeschlagen. Das wäre nämlich für alle gut! Es geht ja nicht nur um fehlende sanitäre Einrichtungen und Sprachkurse. Wir müssen in Kitas, Schulen, Wohnungen und Krankenhäuser investieren. Mit einem solches Programm könnten Tausende Arbeitsplätze, auch für Langzeitarbeitslose, geschaffen werden. Doch der Finanzminister bremst wie immer, wenn es um Investitionen in die Zukunft geht.

  3. Die großartige Ulrike Herrmann in der taz-> Freihandel zwingt zur Flucht

    TTIP berührt die Schwellen- und Entwicklungsländer zwar nicht direkt, weil es als Abkommen zwischen den USA und Europa konzipiert ist. Doch die Ambitionen reichen weiter. TTIP soll „weltweite Maßstäbe“ setzen, wie Wirtschaftsminister Gabriel gern betont. Für den Handel zwischen den USA und Europa würde nämlich gar kein Freihandelsabkommen benötigt – der Güteraustausch funktioniert längst. Jeden Tag schippern Waren im Wert von 1,8 Milliarden Dollar über den Atlantik.

    An TTIP wird nur so verbissen gearbeitet, damit es zu einem ideologischen Denkmal für den Freihandel wird. Denn der Widerstand gegen den bedingungslosen Warenverkehr wächst in den Entwicklungs- und Schwellenländern – zu Recht.

    Dazu reicht ein Blick in die Geschichte: Die heutigen Industrieländer sind nicht durch Freihandel reich geworden, sondern durch Protektionismus. Besonders hoch waren die Zölle in den USA, die im Durchschnitt zwischen 35 und 50 Prozent lagen, und zwar von 1820 bis zum Zweiten Weltkrieg. Erst ab 1950 sanken die amerikanischen Zölle kontinuierlich.

    Es ist also Geschichtsklitterung, wenn sich die USA heute als die obersten Advokaten des Freihandels aufspielen. Die Amerikaner bauten ihre Zölle erst ab, als sie die ökonomische Supermacht waren. Dieses Muster lässt sich übrigens stets beobachten: Zölle werden erst abgeschafft, wenn die eigene Industrie zu den Weltmarktführern gehört und die Konkurrenz nicht mehr fürchten muss.

    Der südkoreanische Ökonom Ha-Joon Chang hat vorgerechnet, dass sich die technologische Kluft zwischen reichen Staaten wie den USA oder Deutschland und den ärmsten Ländern wie Äthiopien oder Tansania auf etwa 60 zu 1 ausgeweitet hat. Selbst Schwellenländer wie Brasilien hinken 5 zu 1 hinterher, wenn es um die Produktivität ihrer Wirtschaft geht.

    Dies bedeutet: Wenn sich ein Land wie Brasilien gegen die Übermacht der Industrieländer wehren will, reichen Zölle von 40 Prozent nicht, wie sie die USA im 19. Jahrhundert erhoben haben – sondern es müssten Zölle von weit über 100 Prozent sein. Doch stattdessen werden die Entwicklungs- und Schwellenländer gezwungen, Freihandelsabkommen und WTO-Verträge abzuschließen, die sinkende Zölle vorsehen.

    So produziert man Verarmung – und Flüchtlinge.

    1. „Dazu reicht ein Blick in die Geschichte: Die heutigen Industrieländer sind nicht durch Freihandel reich geworden, sondern durch Protektionismus. Besonders hoch waren die Zölle in den USA, die im Durchschnitt zwischen 35 und 50 Prozent lagen, und zwar von 1820 bis zum Zweiten Weltkrieg. Erst ab 1950 sanken die amerikanischen Zölle kontinuierlich.“
      Och, die Zölle z.B. auf Stahl wurden immermal auch in jüngster Vergangenheit angehoben.
      Wenn die Welt sowas ähnliches wie gerecht wäre, sind Zölle auch nicht schlimm.
      So ein Mensch aus Ghana würde es durchaus gutfinden, wenn er/sie ihre eigenen Hühner um nem guten Preis loskriegt und nicht mit dem hochsubventionierten Exportschlecht aus Europa konkurrieren zu müssen. Der Fischer dort fände es wohl auch besser, Fische zu fangen anstatt drauf zu hoffen, evtl. was von den bißchen Almosen namens Entwicklungshilfe abzukriegen, weil „wir“ dafür deren Fischgründe abgrasen…

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